Kommt drauf an, wen man fragt

Nehmen wir mal an, ich stünde am Esstisch, hätte die Hände im klebrigen Brotteig und bräuchte dringend Mehl. Je nachdem, welches Familienmitglied gerade in der Nähe wäre, würde meine Bitte nach Mehl auf ganz unterschiedliche Weise aufgenommen.

Karlsson

Ich: „Karlsson, reichst du mir bitte ein Schüsselchen von dem Mehl aus dem grossen Sack? Meine Hände kleben fest.“

Karlsson: „Ich muss erst noch dieses Menuett fertig spielen.“

Ich: „Ich brauche aber dringend Mehl. Kannst du nicht kurz unterbrechen?“

Karlsson: „Okaaaaaay…“ (Schlurft widerwillig in die Küche, tut, wie ich ihn gebeten habe und geht zurück aus Klavier.)

Luise

Ich: „Luise, reichst du mir bitte ein Schüsselchen von dem Mehl aus dem grossen Sack? Meine Hände kleben fest.“

Luise: „Warum immer ich?“

Ich: „Na ja, du bist gerade zufällig in der Nähe und ich brauche Mehl.“

Luise: „Warum fragst du nicht Karlsson oder den Zoowärter?“

Ich: „Weil die jetzt gerade nicht da sind und ich brauche dringend Mehl.“

Luise: „Immer muss ich! Nie fragst du die anderen! Warum muss immer ich alles machen?“

Ich: „Himmel, ich verlange ja nicht die Welt von dir. Nur ein Schälchen voll Mehl. Du isst ja auch von dem Brot.“

Luise: „Ich esse fast nie Brot.“

Sie macht sich schnaubend am Mehsack zu schaffen und reicht mir widerwillig das Mehl. Vermutlich wird es keine zwanzig Minuten dauern, bis sie sich unaufgefordert bei mir entschuldigen kommt. Und mit ziemlicher Sicherheit wird sie die Erste sein, die sich eine Scheibe Brot abschneidet, wenn es aus dem Ofen kommt.

FeuerwehrRitterRömerPirat

Ich: „FeuerwehrRitterRömerPirat, reichst du mir bitte ein Schüsselchen von dem Mehl aus dem grossen Sack? Meine Hände kleben fest.“

FeuerwehrRitterRömerPirat: „Kleben sie an der Decke oder an der Schüssel?“

Ich: „Am Teig.“

FeuerwehrRitterRömerPirat: „Warum kleben sie nicht am Mehl?“

Ich: „Weil Mehl nicht klebt.“

FeuerwehrRitterRömerPirat: „Aber Teig ist auch aus Mehl. Warum klebt der dann?“

Ich: „Weil im Teig Wasser ist und dadurch der Weizenkleber… Ach, komm schon, ich erkläre dir das später. Ich brauche jetzt wirklich dringend Mehl. Das Zeug wird schwer in meinen Händen.“

FeuerwehrRitterRömerPirat: „Warum wird es denn schwer? Mehl ist doch federleicht.“

Ich: „Ja, Mehl alleine schon, aber…“

FeuerwehrRitterRömerPirat: „Aber der Mehlsack ist doch schwer. Warum sagst du dann, Mehl sei federleicht?“

Ich: „Da sind ja auch 25 Kilo drin. Und du hast gesagt, Mehl sei federleicht, nicht ich. Aber reich mir jetzt bitte ein wenig von dem Mehl.“

FeuerwehrRitterRömerPirat: „Den ganzen Sack oder nur ein einzelnes Mehlstäubchen?“

Ich: „Ein Schüsselchen voll, aber bitte schnell! Mir fault die Hand ab?“

FeuerwehrRitterRömerPirat: „Warum ist deine Hand nicht schwarz, wenn sie abgefault ist?“

Ich: „M-E-H-L, aber bitte sofort.“

FeuerwehrRitterRömerPirat macht sich endlich am Mehlsack zu schaffen und denkt derweilen laut über die Frage nach, warum Mehl nicht in der Küche herumfliegt, wo es doch so leicht ist.

Zoowärter

Ich: „Zoowärter, reichst du mir bitte ein Schüsselchen von dem Mehl aus dem grossen Sack? Meine Hände kleben fest.“

Zoowärter: „Ja, Mama.“ Ich höre, wie es im Küchenbüffet rumort. Nach einer halben Ewigkeit….

Zoowärter: „Sooooo, jetzt brauche ich nur noch….“ Wieder Rumoren, diesmal im Behälter mit den Küchenutensilien, dann nach einer weiteren Ewigkeit…

Zoowärter: „Sooooo, dann wollen wir mal….“

Ich: „Zoowärter, ich brauche jetzt wirklich dringend Mehl. Geht’s?“

Zoowärter: „Ja, Mama.“

Es passiert lange nichts, nur das Rascheln des Mehlsacks ist zu hören. Dann…

Zoowärter: „Ich glaube, ich muss das anders machen….“

Ich: „Zoowärter! Ich brauche Mehl!“

Zoowärter: „Ja, Mama. Ich bin gleich soweit. Ich muss nur eine andere Schüssel finden.“

Mir schwant Böses, also begebe ich mich mit dem ganzen Teig an den Händen vom Esszimmer, wo ich knete, in die Küche, wo er hantiert. Der Fussboden ist voller Mehl, eine Schöpfkelle liegt neben dem Mehlsack, der Zoowärter hält eine riesige Schüssel mit mindestens drei Kilo Mehl in den Händen und strahlt mich an. Ich seufze.

Ich: „Eine kleinere Schüssel hätte auch gereicht, aber danke.“

Zoowärter: „Gern geschehen, Mama.“

Prinzchen

Ich: „Prinzchen, reichst du mir bitte ein Schüsselchen von dem Mehl aus dem grossen Sack? Meine Hände kleben fest.“

Prinzchen: „Ja, sofort. Und darf ich nachher gleich noch die Hefe in den Teig geben?“

Ich: „Das habe ich leider schon gemacht.“

Prinzchen (Zieht eine Schnute): „Aber das Salz darf ich schon noch zufügen?“

Ich: „Das habe ich leider auch schon gemacht. Aber das Mehl darfst du mir reichen.“

Prinzchens Gesicht wird länger. Er schaut mir dabei zu, wie ich mit dem klebrigen Teig ringe.

Ich: „Kannst du mir jetzt bitte Mehl holen?“

Prinzchen: „Von mir aus. Aber nachher backen wir noch Guetzli. Ich will nicht immer nur Mehl holen, ich will auch etwas Richtiges machen.“

„Meiner“

Ich: „‚Meiner‘, reichst du mir bitte ein Schüsselchen von dem Mehl aus dem grossen Sack? Meine Hände kleben fest.“

„Meiner“: „Einen Moment. Ich muss nur noch schnell den Abfallsack zuschnüren und die Hände waschen.“

Er erledigt, was er gesagt hat und kommt ins Esszimmer, wo ich mit dem Teig kämpfe.

„Meiner“: „Wahnsinn, das sieht genial aus. Lass mich nur schnell ein Foto machen. Das wird der Hammer.“

Bevor ich etwas sagen kann, ist er wieder weg, um die Kamera zu holen.

„Meiner“: „Stell dich mal so hin. Nein, etwas mehr Richtung Fenster. Und den Teig etwas höher. Ja, genau so…“

Ich: „Himmel, das Zeug ist schwer. Kannst du mir jetzt bitte das Mehl holen?“

„Meiner“ knipst ungerührt weiter.

„Meiner“: „Gleich. Nur noch ein paar Bilder. Etwas mehr nach links, wenn es geht. Nein, halt, nicht so weit. Noch etwas nach rechts…“

Ich: „Ich brauche Mehl! Jetzt gleich! Meine Hände fallen mir sonst ab…“

„Meiner“: „Gleich. Nur noch dieses eine Bild. Nein, lass den Teig nicht zurück in die Schüssel fallen! Du ruinierst das Bild! Wohin gehst du denn jetzt?“

Ich: „In die Küche. Ich brauche Mehl. Aber zuerst muss ich mir die Hände waschen. Sonst ist nachher alles verklebt.“

„Meiner“: „Ich hätte dir das Mehl doch gleich gebracht. Immer bist du so ungeduldig…“

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