Der Musterknabe

Gar nicht so einfach, einen Sitzungstermin mit dem FeuerwehrRitterRömerPiraten zu vereinbaren. Zwischen Mittagessenhinunterschlingen, Pingu-Kassette hören und Spielnachmittag mit dem Nachbarsmädchen, dem man schon vor Jahren versprochen hat, es eines Tages zu heiraten, bleibt nicht gerade viel Zeit für Mama. Aber nachdem die Kindergärtnerin heute angerufen hatte, gab es da noch Einiges zu klären. Zum Beispiel, weshalb er seine Finken – für deutsche Leser: Finken sind Hausschuhe, nicht Vögel, – herumgeschmissen hat. Die weiteren „Vergehen“ bleiben ein Familiengeheimnis. Nur soviel: Überrascht hat mich nichts. So ist er eben, mein FeuerwehrRitterRömerPirat. Und schlimm war es auch nicht, was die Kindergärtnerin da erzählt hat, aber doch wichtig genug, dass ich einen Gesprächstermin mit meinem Dritten ausmachen musste.

Nach dem Mittagessen schenkte er mir gnädigerweise zehn Minuten seiner wertvollen Zeit, wies mich aber jedes Mal, wenn ich Luft holte, darauf hin, dass er jetzt eigentlich viel lieber Pingu hören möchte. Was bedeutet, dass es noch langweiliger ist, mit mir zu reden, als Pingu beim Quasseln zuzuhören. Quä quä! Das Gespräch war dennoch äusserst fruchtbar. So weiss ich jetzt zum Beispiel, dass der FeuerwehrRitterRömerPirat seine Finken nur herumgeschmissen hat, weil er herausfinden wollte, ob sie fliegen können wie Helikopter. Also keine böse Absicht, nur unstillbarer Forscherdrang, physikalische Früherziehung  sozusagen. Deswegen muss man doch nicht gleich die Mama anrufen, liebe Kindergärtnerin! Aber die Wissenschaft hat es eben schwer hierzulande. Ich weiss jetzt auch, dass alle anderen Kinder im Kindergarten die Regeln brechen und dass es dem FeuerwehrRitterRömerPirat fast das Herz bricht, dies mit ansehen zu müssen. Und  furchtbar laut sind die anderen Kinder und sie stören meinen FeuerwehrRitterRömerPiraten beim Nachdenken. Ja, das Leben eines Musterknaben, der umgeben ist von lauter ungehobelten Rabauken, ist nicht einfach.

Da frage ich mich doch, wie mein Sohn mit seinem Alter Ego klarkommt, mit dem säbelschwingenden, herumbrüllenden, sich um sämtliche Regeln foutierenden FeuerwehrRitterRömerPiraten, den er jeweils hervorkehrt, kaum hat er die Schwelle zu seinem Zuhause überschritten. Wie schafft er es nur, tagein tagaus mit einem Jungen im selben Körper zu stecken, der seine Müesliriegel auf dem Sofa isst anstatt, wie befohlen,  in der Küche? Der erst dann das Zimmer aufräumt, wenn man ihm droht, sämtliche Spielsachen in den Keller zu verbannen? Der unverschämt grinst, wenn die Mama ihm eine Standpauke hält? Leider hatte der FeuerwehrRitterRömerPirat keine Zeit mehr, mir diese Fragen zu beantworten. Pingu wartete und die Freundin auch. Ich werde ihn um eine weitere Audienz ersuchen müssen.

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