Streiten im Wandel der Zeit

Als ich noch ein ganz junges Ding war, warf ich mal auf offener Strasse mit einem Blumenkohl nach ihm, weil ich so zornig war. Die zwei Männer aus Sri Lanka, die uns beim Streiten beobachteten, machten von diesem Tag an wohl einen weiten Bogen um rabiate Schweizer Furien. Natürlich war mir klar, dass man Menschen, die man liebt – und auch andere Menschen -, nicht mit Dingen bewirft und da es um meine Treffsicherheit ohnehin noch nie besonders gut bestellt war, blieb es bei diesem einen Blumenkohl. 

Dafür landete später, als wir einen gemeinsamen Haushalt hatten, hin und wieder ein Teller oder eine Tasse mit viel Schwung auf den Fussboden. Auch dies war nicht besonders nett und natürlich war unser Budget über unser Temperament nicht sonderlich erfreut, aber immerhin hatten wir gelernt, unsere Streitigkeiten in den eigenen vier Wänden auszutragen.

Mit zunehmendem Alter wurden wir beide ruhiger. Nicht nur, weil man mit fünf Kindern die knappe Zeit zu zweit nicht für Streitigkeiten verschwenden will. Sondern weil sich eine gewisse Gelassenheit in Alltagsfragen entwickelt hatte. Zu Beginn unserer Ehe konnten wir uns ob der Frage, ob man vor oder nach dem Putzen duscht, noch richtig in die Haare geraten, doch mit der Zeit liessen uns solche Dinge kalt. Gestritten wurde nur noch um die wirklich wichtigen Dinge – und wenn die Nerven total blank lagen. Dabei warfen wir nicht mehr mit Gegenständen um uns, sondern ausschliesslich mit gehässigen Worten. 

Weil man die gehässigen Worte in der Regel bitter bereut, sobald man sich wieder beruhigt hat, gehen wir auch damit immer sparsamer um. Streiten tun wir uns natürlich trotzdem noch gelegentlich.

Er, indem er überhaupt nichts mehr sagt und sich schmollend im Schlafzimmer verkriecht.

Ich, indem ich voller Zorn durch seinen Instagram-Account scrolle und sämtliche Herzen entferne, die ich unter seine Bilder gesetzt habe. 

poppy

 

Er ist jetzt alt genug dafür

Es waren einmal eine Mama und ein Papa, die viele kleine Kinder und wenig freie Zeit hatten. Freie Zeit aber hätten sie gebraucht, wenn sie einander anständige Weihnachtsgeschenke hätten kaufen wollen, denn der Onlinehandel steckte damals hierzulande noch in den Kinderschuhen. Also mussten die Mama und der Papa ihre Weihnachtseinkäufe irgendwie zwischen Windelbergen, schlaflosen Nächten und eingestürzten Duplotürmen erledigen. Weil das ziemlich schwierig war, blieb der Mama einmal nichts anderes mehr übrig, als dem Papa ein Rückenmassage-Gerät zu schenken, das ihr zwischen die Finger geriet, als sie mit einer Horde von Kleinkindern im Schlepptau einen monströsen Wocheneinkauf erledigte. Mit grossem Befremden starrte der Papa am Weihnachtsabend das Gerät an, das er aus dem Geschenkpapier gewickelt hatte. Ob er denn schon so alt sei, dass er so ein Ding brauche, wollte er wissen. Zum ersten und einzigen Mal kam es zu Streit wegen eines Geschenks, denn er wusste nicht zu würdigen, dass sie immerhin noch geistesgegenwärtig genug gewesen war, trotz Stilldemenz daran zu denken, überhaupt etwas für ihn zu kaufen. 

Die Jahre gingen ins Land und das Rückenmassage-Gerät fristete ein trauriges Dasein in einer Kiste. Hin und wieder, wenn das Badezimmer gründlich aufgeräumt wurde, tauchte es aus der Versenkung auf. Die Mama und der Papa lachten dann über das missglückte Weihnachtsgeschenk und dachten an die Zeit zurück, als es vor lauter Familienleben kaum einmal möglich war, einander etwas zuliebe zu tun. Dann verschwand das Gerät wieder ungenutzt in der Kiste.

Allmählich aber wurden die Mama und der Papa älter, sie machten erste Erfahrungen mit Hexenschüssen und schliesslich, als an Weihnachten 2017 die Heizung für eine geschlagene Woche den Dienst quittierte, zog sich der Papa wegen der Kälte eine üble Rückenverspannung zu. So übel war die, dass er sich endlich alt genug fühlte, um das Gerät in Betrieb zu nehmen.

Als er wenig später etwas schmerzfreier und deutlich entspannter auf dem Sofa sass, konnte er tun, was ihm vor Jahren noch nicht möglich war: Er könnte sich von Herzen bedanken für das, was er eigentlich nie hätte haben wollen.

6A7AB0F0-2B7D-470B-A8A7-E6F7EABF2120

Bloss keine falschen Schlüsse ziehen

Wenn sie sich fürchten, kommen sie nicht mehr in dein Bett gekrochen.

Ihre Geheimnisse vertrauen sie anderen an.

Haben sie sich auf irgend eine Weise weh getan, kommen sie nicht mehr weinend zu dir gerannt, um sich trösten zu lassen.

Ihre Bewunderung für dich bringen sie nur noch äusserst selten zum Ausdruck und wenn doch, dann meist als ironische Bemerkung kaschiert.

Wenn du abends weggehst, weinen sie dir keine Träne nach, es sei denn, du hättest die Fernbedienung mitgenommen, um sie vom fernsehen abzuhalten. 

Wühlst du in ihrem Beisein in deinen Kindheitserinnerungen, hören sie dir nicht mehr gebannt zu, sondern fallen dir irgendwann ins Wort, um zu sagen: „Ja, ich weiss, da hattest du ganz schreckliche Angst und deine Schwester musste dir wieder die Geschichte von der lustigen Watschelente erzählen, damit du einschlafen konntest. Hast du uns schon hundertmal erzählt…“

Seid ihr gemeinsam unterwegs, halten sie nicht mehr voller Stolz deine Hand. Viel lieber halten sie ein wenig Distanz, um nicht mit dir in Verbindung gebracht zu werden.

Was dir gehört, finden sie nicht mehr unglaublich toll, sondern ziemlich altbacken und peinlich. 

Machst du etwas falsch, sagen sie nicht mehr: „Schon okay, Mama“, denn dein Fehler liefert ihnen eine Gelegenheit, dir endlich einmal ins Gesicht zu sagen, was sie schon immer doof fanden. 

Nicht selten fällst du ihnen schlicht und einfach auf die Nerven.

Dennoch wäre es ganz und gar falsch, zu glauben, sie würden dich nicht mehr brauchen und hätten kein Bedürfnis mehr, von dir zu hören, dass du immer für sie da sein wirst und dass du sie über alles liebst. 

moln

 

Peinlich? Mir doch egal!

Man legt uns Müttern nahe, unsere Teenager nicht mehr in aller Öffentlichkeit zu umarmen, wenn sie ein gewisses Alter erreicht haben. Peinlich sei das für die Kinder und vielleicht auch ein Anzeichen von Überbehütung. Als ich heute den FeuerwehrRitterRömerPiraten zum Reisecar begleitete, der ihn ins Skilager bringt, habe ich ihn trotzdem umarmt, bevor er das Treppchen hochstieg. 

Erstens, weil er mein Kind bleibt, auch wenn er mich inzwischen um gute sieben Zentimeter überragt. Das ändert aber nichts daran, dass er mir fehlen wird, wenn er fünf Tage lang nicht hier ist, um auf meinen Nerven herumzutanzen, also lasse ich es mir nicht nehmen, ihn noch einmal in den Arm zu nehmen und insgeheim ein bisschen sentimental zu werden, weil er jetzt auch schon so gross ist. 

Zweitens, weil er jetzt in dem Alter ist, in dem Eltern vordergründig nicht mehr viel zu bieten haben. Als Mass aller Dinge gilt die Meinung der Schulfreunde. Als Vorbild dienen offiziell die Stars und Sternchen, inoffiziell die Klassenlehrer und Leiter verschiedener Freizeitangebote. Brauchen sie mal jemanden, dem sie das Herz ausschütten können, kommen Grossmütter, Tanten und Gotten zum Zug. Was bleibt mir da als Mutter noch zu tun? Nur eines: Für diese kleine Prise Peinlichkeit in ihrem Leben zu sorgen. Damit sie jetzt bei ihren Freunden etwas zum Lästern haben und später dann – wenn ich in ihren Augen schon längst nicht mehr peinlich, sondern so etwas wie eine Heilige bin – ein paar Erinnerungen, die sie hemmungslos verklären können. 

img_3055

 

Déja-vu

Wer den Mann oder die Frau des Lebens in sehr jungen Jahren gefunden hat, kennt die Situation: Ihr verbringt einen netten Abend mit Freunden, die Stimmung ist wunderbar und du bist so locker drauf, dass du gerade heraus sagst, was du denkst. „Diese Hose ist potthässlich“, zum Beispiel. Oder: „Der Abend bei deinen Eltern war voll langweilig.“ Oder: „Picknicken finde ich total doof.“ Oder sonst irgend eine Sache, die man halt so sagt, wenn man glaubt, zu allem eine Meinung äussern zu müssen, weil man noch nicht begriffen hat, dass man jetzt einen geliebten, aber ausgesprochen sensiblen Menschen an seiner Seite hat. Und darum ist der Abend von diesem Moment an im Eimer. Solange die anderen noch dabei sind, fällt dir bloss auf, dass der Mann oder die Frau an deiner Seite plötzlich etwas kurz angebunden ist, sobald ihr aber alleine seid, geht es los mit dem ganzen „Du weisst doch, wie sehr es mich verletzt, wenn man mein Äusseres kritisiert und ich bin der einzige Mensch auf diesem Planeten, der meine Eltern nicht mögen darf und wenn du Picknicks nicht liebst, liebst du auch mich nicht.“ Im besten Fall seid ihr euch nach stundenlanger Gefülsanalyse, tausend Beteuerungen, dass es nicht so gemeint war und einer tränenreichen Versöhnung ein Schrittchen näher, als ihr es vorher wart. Im schlimmsten Fall kaut ihr drei Wochen lang an der Episode, ehe ihr endlich wieder so richtig verliebt seid.

Wenn ihr allmählich erwachsen werdet, lernt ihr, miteinander umzugehen. Falsche Bemerkungen geraten nicht mehr so leicht in den falschen Hals, jeder weiss vom anderen, wie die Dinge gemeint sind und irgendwann wird die Zeit zu zweit zu knapp, so dass ihr sie ganz bestimmt nicht mit banalen Streitereien vergeuden wollt. So kommt es, dass du dich allmählich wieder daran gewöhnst, ohne Rücksicht auf die Gefühle deiner Mitmenschen zu sagen, was du denkst. Du lässt dich wieder dazu verleiten, laut zu verkünden, wie hässlich du hellgraue Wände findest, wie doof ein bestimmter Comic deiner Meinung nach ist und was du über den Gebrauch von zu viel Parfum denkst. Tja, und dann sitzt da plötzlich ein Teenager vor dir, der dich mit grossen, traurigen Augen ansieht, weil du mit deiner herzlosen Aussage seine Gefühle verletzt hast und irgendwie kommt dir die Situation sehr bekannt vor. 

Im besten Fall seid der Teenager und du euch nach stundenlanger Gefülsanalyse, tausend Beteuerungen, dass es nicht so gemeint war und einer tränenreichen Versöhnung ein Schrittchen näher, als ihr es vorher wart. Im schlimmsten Fall kaut ihr drei Wochen lang an der Episode, ehe die Luft zwischen euch wieder richtig rein ist. Ob du dich je trauen wirst, wieder ganz entspannt deine Meinung zu äussern, ist fraglich. Der Satz „Meine Mutter hat immer so abschätzig… und darum habe ich es nie geschafft…“ kommt dir ja auch noch von irgendwo bekannt vor…


 

Die haben vielleicht Wünsche…

Geburtstagskinder haben mich schon immer dazu bringen können, Dinge zu tun, die ich sonst für niemanden auf der Welt tun würde. Für Karlsson habe ich mit Todesverachtung Leber durch den Fleischwolf gedreht und Sülze zubereitet, Luise hat mich dazu gebracht ihr Barbies zu schenken und mit ihr die wildesten Bahnen des Europa Parks zu testen, dem FeuerwehrRitterRömerPiraten konnte ich den innigen Wunsch, die hausgemachten Knöpfli mit Ketchup zu verspeisen, nicht verwehren und der Zoowärter brachte mich dazu, dem Disney-Konzern sehr viel mehr Geld in den Hintern zu schieben, als mir lieb gewesen wäre. Einzig das Prinzchen sah während der ersten sieben Jahre keinen Grund, mich dazu zu zwingen, über meinen Schatten zu springen. Höchste Zeit also, dass auch er einen Liebesbeweis von mir fordert, der mich Überwindung kostet. Nächsten Mittwoch ist es soweit: Ich soll ihn und seine Geburtstagsgäste ins Fussballmuseum begleiten.

Ich weiss nicht, was ich schlimmer finde: Die Tatsache, dass ich mich einen ganzen Nachmittag lang mit Bällen, Fussballern und Pokalen befassen muss oder der Gedanke, dass die FIFA jetzt auch noch von uns Geld bekommt. 

img_1177

Die Glucke auf der Schlussfeier

Pro Familie waren ja nur zwei Plätze reserviert, doch als ich mich neben „Meinem“ in eine der hintersten Kirchenbänke zwängte, stellte ich fest, dass sich die Glucke zu uns gesellt hatte. 

„Was machst du denn hier?“, zischte ich verärgert. „Wir haben nur zwei Eintrittskarten. Du musst verschwinden.“

„Warum soll ausgerechnet ich verschwinden? Du kannst ja gehen“, gab sie giftig zurück.

„Vergiss es! Ich bleibe. Karlsson hat die Eintrittskarten mir gegeben, nicht dir. Also geh jetzt, ich will diese Abschlussfeier geniessen.“

„Ich bleibe“, beharrte sie. 

Wären nicht in diesem Augenblick die ersten Schulabgänger zur Tür hineingekommen, hätte ich vielleicht noch versucht, sie unsanft zum Ausgang zu befördern, aber dafür war es jetzt zu spät. Und anfangs ging es ja auch noch ganz gut mit ihr. Klar, sie starrte wie gebannt auf Karlsson, als die Schüler vorne sangen, sie murmelte auch andauernd: „Sieht er nicht toll aus?“, aber ansonsten hielt sie sich ziemlich ruhig. Die Reden liess sie still über sich ergehen, doch als die Schulklassen aufgerufen wurden, ihre Zeugnisse in Empfang zu nehmen, fing sie an, nervös zu werden. 

Erst rutschte sie bloss unruhig auf ihrem Platz herum.

Dann fing sie an zu fragen: „Wann kommt Karlsson endlich dran? Sag ‚Deinem‘, er soll sich bereit machen, Fotos zu schiessen.“

Aber es  dauerte – Karlsson kam erst ganz am Schluss –  und so musste sie sich irgendwie beschäftigen. Also fing sie an, bei jedem, der ihr während Karlssons Schulzeit auf irgend eine Weise positiv aufgefallen war, begeistert zu applaudieren. „Was für ein netter Kerl“, seufzte sie beim einen, „Seit der Spielgruppe kennen sie sich nun schon“, bei der anderen, „Hoffentlich verlieren sie sich nicht aus den Augen“, beim Dritten. Weil das noch immer nicht genug war, fing sie an, leise zu schniefen und zu murmeln, wie schnell doch die Zeit vergehe, eben erst hätten die Kinder alle zusammen im Sandkasten gespielt und jetzt seien sie alle schon so gross. „Es war so eine schöne Zeit und jetzt soll das alles vorbei sein“, heulte sie. 

Ich hätte sie gerne darauf hingewiesen, dass die Zeiten zumindest während der ersten sechs Schuljahre bei Weitem nicht immer rosig gewesen waren, aber jetzt war endlich Karlsson an der Reihe und nun seufzte und schluchzte und schniefte sie natürlich erst recht und das war dann so ansteckend, dass ich mir selber auch die eine oder andere Träne aus den Augen wischen musste. 

„Das Ganze lässt dich also doch nicht so kalt, wie du immer behauptest“, meinte die Glucke hämisch, als sie ihre Gefühle endlich wieder halbwegs unter Kontrolle hatte.

„Ich hab‘ nie behauptet, es liesse mich kalt“, entgegnete ich. „Aber so ein Theater wie du muss man nun wirklich nicht machen. Er hat ja noch ein paar Schuljahre vor sich.“

Tja, und dann heulte sie gleich wieder los, denn nun fiel ihr wieder ein, dass Karlsson nach den Sommerferien über Mittag nicht mehr nach Hause kommen kann und das findet sie ganz schrecklich.

img_8715

 

 

Noch immer

Als „Meiner“ und ich erst ganz kurz verheiratet waren, unterhielt ich mich mit einer Frau, die nach sechzehn Jahren Ehe kurz vor der Scheidung stand. Sie, die gerade dabei war, ein für sie ziemlich trauriges Kapitel abzuschliessen, sah die Dinge natürlich ein wenig anders als ich, die ich noch fast ununterbrochen auf Wolken schwebte. „Die Ehe ist Scheisse“, sagte sie bitter. „Wenn du erst mal fünfzehn Jahre verheiratet bist, wirst du mich verstehen.“ 

Im Laufe der Jahre kam mir dieses Gespräch immer mal wieder in den Sinn. 

Zum Beispiel, wenn „Meiner“ und ich einander wutschnaubend gegenüber standen, beide darum bemüht, den Splitter im Auge des anderen zu sehen, um den eigenen Balken nicht beachten zu müssen. Keiner bereit, den ersten Schritt zu tun, um den Frieden wieder zu finden. 

Oder in den Zeiten, als wir – ohne es zu wollen und doch teilweise selbstverschuldet – in einer traditionellen Rollenteilung festgefahren waren, was uns beiden nicht entsprach, weshalb das Familienleben eine ziemliche Qual war.

Oder dann, wenn wir nichts weiter als ein gut eingespieltes Arbeitsteam waren, jeder darum bemüht, seinen Teil des Jobs so zu erledigen, damit dem andern keine Steine im Weg lagen, während das verliebte Paar, das wir einst gewesen waren, allmählich in den Nebelschwaden der Erinnerung entschwand. 

Oder an den Abenden, an denen wir eigentlich die seltene Gelegenheit gehabt hätten, spontan miteinander auszugehen und wir vor lauter Müdigkeit nichts zu nichts weiter zustande brachten, als gemeinsam zur Tankstelle zu spazieren, um eine kühle Cola zu kaufen. 

Die Momente, in denen mein Leben mit „Meinem“ meilenweit entfernt ist von den Vorstellungen, die ich früher mal hatte, gab und gibt es immer wieder. Man mag es nicht für möglich halten, aber manchmal nervt er sogar ganz gewaltig, der Mann an meiner Seite. (Seine Behauptung, das sei bei mir nicht anders, ist selbstverständlich gänzlich aus der Luft gegriffen.)

Dennoch könnte ich heute genauso wenig wie damals unterschreiben, was meine Bekannte in ihrer Bitterkeit – die in ihrer Situation durchaus nachvollziehbar war – über die Ehe sagte. Ich bin dankbar, dass wir das trotz aller Turbulenzen noch immer ganz anders erleben.

Inzwischen schon seit fast achtzehn Jahren. 

gardening

 

 

So schlimm sind sie gar nicht, die kleinen Monster

Hört man sich ein wenig um, wie die Kinder von heute so sind, könnte man glauben, sie seien allesamt gefühllose, verwöhnte Monster, die beim Spielen sinnentleerter Games allmählich verblöden und nichts als Konsum und Mobbing im Kopf haben. Natürlich gibt manche, die sich in diese Richtung bewegen, ein paar Beispiele aus dem Leben unserer Kinder lassen aber auch vermuten, dass es ganz so schlimm nicht sein kann mit der heutigen Jugend:

  • Prinzchen und seine Schulfreunde liegen sich derzeit in den Haaren, weil jeder behauptet, er sei als einziger in der Lage, an einem Tag ein ganzes Buch zu verschlingen, was die anderen natürlich nicht glauben wollen. Wenn sie fertig gestritten haben, versuchen sie, einander gegenseitig mit ihrem grossen Allgemeinwissen zu übertrumpfen. Natürlich ist das nicht besonders nett, aber allzu verblödet kommen mir diese Erstklässler nicht vor.
  • Seitdem der Zoowärter mit seinen Bauchschmerzen zu Hause ist, klingelt es öfter mal um die Mittagszeit an unserer Tür. Kinder, von denen ich teilweise nicht mal den Namen kenne, weil sie noch nie zum Spielen bei uns waren, fragen mich, wie es ihm denn geht, ob sie ihn mal besuchen dürfen und wann er endlich wieder zur Schule komme, es sei so langweilig ohne ihn. Schafft er es mal, für ein paar Stunden den Unterricht zu besuchen, jubeln seine Freunde, das sei der schönste Tag der Woche. Zwei oder drei Mädchen – in diesem Alter ja nicht gerade interessiert an doofen Jungs – liessen sich sogar dazu hinreissen, den Brief, den sie ihm alle zusammen geschrieben haben, mit Herzchen zu unterschreiben. Alles andere als gefühllos also, diese Knöpfe.
  • Der FeuerwehrRitterRömerPirat, an dem Luise seit einiger Zeit kaum ein gutes Haar lässt, bastelt im Werkunterricht für seine Schwester in liebevoller Kleinarbeit ein schillerndes Osterei, das er ihr als verspätetes Geburtstagsgeschenk überreicht. So schön ist es geworden, dass sie gar nicht anders kann als zu erkennen, wie sehr der nervige jüngere Bruder sie insgeheim mag. Sie haben eben doch ein Herz, diese kleinen Monster.
  • Luise ist im Moment eigentlich alles andere als gut zu sprechen auf die zwei Menschen, die sie gezeugt haben. Dennoch sind wir ihr ganz und gar nicht egal. „Ich sehe doch, dass du traurig bist, also sag nicht, es sei nichts, wenn ich dich frage, was los ist“, raunzte sie neulich und brachte mich dazu, ihr, die ja laut der gängigen Meinung über die Jugend von heute nur an ihrem Smartphone und der neuesten Jeans interessiert sein dürfte, mein Leid zu klagen. (Okay, ich geb’s zu, ich musste mich ganz schön kurz fassen zwischen all den Nachrichten, die in der Zeit auf ihrem Handy eingegangen sind, aber sie hat mir tatsächlich zugehört.)
  • Die Jugendlichen, die gelegentlich bei uns ins Haus kommen, um mit Karlsson an Schulprojekten zu arbeiten, sind so anständig, nett und fleissig, dass ich mich in ihrer Gegenwart wie ein vergammelter Hippie fühle, der ganz dringend sein Leben in den Griff kriegen und seine Höhle aufräumen müsste. (Bis jetzt ist es mir zum Glück noch gelungen, sie mit Selbstgebackenem daran zu hindern, mir das Sozialamt auf den Hals zu hetzen.)

IMG_8886