Haben wir jetzt alle einen Knall?

Als ich noch nicht ganz zwölf war, fuhr ich täglich ins nächstgelegene Städtchen zur Schule. Meistens mit dem Velo, egal wie glatt die Strassen waren, oft in waghalsige Manöver mit meinen Mitschülerinnen verwickelt, fast immer ohne Vernunft und darum nicht selten bei Dunkelheit ohne Rücklicht. Später dann, als Busfahrplan und Stundenplan besser zusammen passten und ich für eine kurze Zeit in meinem Leben sehr besorgt war um meine Frisur, legte ich den Weg öfter mal mit dem Bus zurück. So alltäglich war das, dass meine Eltern nicht im Traum darauf gekommen wären, sich je um mich zu sorgen. Sie hupten höchstens mal verärgert, wenn sie zufällig auf der gleichen Strecke unterwegs waren und mich dabei erwischten, wie ich mich von einem Mitschüler, der den Weg motorisiert zurücklegte, mitziehen liess. 

Zu jenen Zeiten sorgten sich Eltern generell wenig um ihre Kinder. Vermutlich ist mir darum der eine Abend, an dem mich meine Mutter ziemlich besorgt und deshalb leicht angesäuert in Empfang nahm, so lebhaft in Erinnerung geblieben. Es war mir leider nicht in den Sinn gekommen, ein Lebenszeichen von mir zu geben, als ich mit „Meinem“ auf einer Velotour in ein heftiges Gewitter geriet. Ich konnte absolut nicht nachvollziehen, weshalb sie plötzlich so ein Aufhebens machte. Zu Hause anrufen mussten doch nur Söhne und Töchter überbesorgter Glucken. Also zum Beispiel „Meiner“…

Inzwischen ist der FeuerwehrRitterRömerPirat fast zwölf und heute zum ersten Mal alleine mit dem Bus in der Stadt. Nur zwei Bücher will er kaufen, mehr nicht, aber natürlich hat er nicht nur sein Portemonnaie dabei, sondern auch das von mir abgezählte Kleingeld für das Billett, mein Handy und eine Notiz mit den Abfahrtszeiten des Busses. Der Junge weiss genau, was er zu tun hat, er kennt den Weg, die Buchhandlung, die Stadt und mehr als eine Stunde wird er nicht weg sein. Dennoch überlege ich mir seit dem Moment, in dem die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen ist, ob ich ihn nicht vielleicht kurz anrufen soll um zu fragen, ob alles in Ordnung ist.  

Peinlich. Und äusserst beunruhigend, denn für mein Verhalten kann es nur drei mögliche Gründe geben:

  1. Ich werde allmählich wie meine Schwiegermutter.
  2. Ich habe sonst irgend einen Knall.
  3. Die Möglichkeiten der mobilen Kommunikation machen aus allen Müttern überbesorgte Glucken.

Ich weiss noch nicht so recht, welchen dieser drei möglichen Gründe ich am beunruhigendsten finde. 

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4 Gedanken zu “Haben wir jetzt alle einen Knall?

  1. Na ja, wenn ich nachts unterwegs war, wollte meine Mutter schon auch Bescheid wissen, wo, mit wem und bis wann. Während meine Mutter sich mit diesen Angaben zufrieden gab, weil sie mir vertraute, gelang es meiner (damals noch nicht) Schwiegermutter nicht, die Kontrolle abzugeben, weil sie ein Mensch ist, der anderen generell eher schlechte Absichten unterstellt. Ich denke also, es hat viel mit Vertrauen zu tun.

  2. Vermutlich ist es in einigen Gegenden tatsächlich gefährlicher geworden. In der Region, über die ich schreibe, hat der Strassenverkehr zwar auch deutlich zugenommen, es gibt aber auch viel mehr sichere Fahrradwege, die Busse verkehren im Viertelstundentakt, die Wege zu den Bushaltestellen sind kurz und führen durch verkehrsberuhigte Quartiere. Ich würde also sagen, unsere Fünf seien in einer sichereren Umgebung unterwegs, als wir es früher waren.

  3. Ich glaube auch, dass es ganz normal ist. Die Zeiten sind einfach andere. Ich bin Jahrgang 86 und kenn das auch nicht andes. Man sollte es nur nicht übertreiben. Wenn ich früher mit meinem (Ex)Freund an Karneval feiern ging wurde es gerne mal 5 Uhr morgens bis wir Heim kamen. Meine Mutter wusste wo ich mit wem war. Alles ok. Mein damaliger Freund bekam um 4 Uhr einen Anruf vom Papa wann er denn endlich Heim käme, denn die Mama könne nicht schlafen.

    Ich war damals 19, er 26… 😀

  4. Aber heute ist es ja auch gefährlicher , als zu unserer Kinderzeit. Bei uns gabs kein Handy, unsere Eltern mussten uns vertrauen und hoffen , daß uns nichts passiert. Heute , ich bin eine langsame Fahrerin,bin sehr vorsichtig und habe in 30 Jahren Autofahren einmal selbst einen Unfall verursacht , aber nur beim einparken ein parkendes Auto erwischt, nichts schlimmes also. Trotzdem bald jeden zweiten Tag schramme ich an einem Beinahe Unfall vorbei.Ich bin erwachsen , wie soll da erst ein Kind sicher sein auf den Strassen, das hat doch viel weniger Überblick über den Verkehr. Ich kann mich wehren, wenn jemand mich anspricht, ein Kind? Da habe ich Zweifel, auch wenn es selbstbewusst ist und gelernt hat „nein“ zu sagen. „Nein“ sagen und so lächerlich es klingt „nein“bekommen ist immer noch zweierlei. Man kann Kinder so leicht einschüchtern..Also kein Knall, sondern ganz normal..
    LG Wortgestoeber

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