Kinderkram

Wo er sich schon mal daran gewöhnt hat, sich um den alltäglichen Kleinkram zu kümmern, hat „Meiner“ diese Woche gleich weitergemacht. Am Donnerstag setzte er sich hin, um ein paar Mails zu schreiben.

Er bestellte beim Tageselternverein eine Bescheinigung für Zoowärters Mittagstischbetreuung.

Antwort: „Liebe Frau Venditti…“

Er fragte bei der Tagesschule nach, ob die Bestätigung für die Einforderung der Kinderzulagen bereits verschickt worden sei.

Antwort: „Liebe Frau Venditti…“

Er erkundigte sich, wie das nun mit Prinzchens Kochkurs sei, der im April Corona-bedingt ins Wasser gefallen war.

Antwort: „Liebe Frau Venditti…“

Er fragte beim Schlüsselservice nach, welche Angaben benötigt werden, um Hausschlüssel nachmachen zu lassen.

Antwort: „Lieber Herr Venditti…“

Schweiz, 2020

Ich sitze im Büro bei der Arbeit, mein Handy klingelt.

„Grüezi Frau Venditti, ich bin die Therapeutin Ihres Sohnes. Hätten Sie kurz Zeit für ein Gespräch?“

„Das ist leider grad ziemlich ungünstig. Ich bin bei der Arbeit und stecke mitten in einer Sache, die vor Feierabend noch fertig werden muss. Ginge es vielleicht in zwei Stunden?“

„Ach so, Sie arbeiten? Ist ja interessant. Was denn, wenn ich fragen darf?… Als Redakteurin? Spannend!… Im Homeoffice?…Immer, nicht nur wegen Corona?…. Wirklich ausgesprochen spannend, dann haben Sie uns allen ganz viel voraus in diesen Zeiten. Aber jetzt müssen Sie ja arbeiten, ich will Sie nicht länger aufhalten.“

Zwei Stunden später:

„Also, Frau Venditti, es ist so, dass wir die Gelegenheit hätten für einen kurzen Austausch mit einer Fachperson. Ihr Sohn könnte ja in gewissen Bereichen durchaus noch Unterstützung brauchen und da wäre ein solches Gespräch bestimmt hilfreich.“

Ich stimme ihr zu, dass eine derartige Standortbestimmung nicht schaden würde und wir unterhalten uns darüber, was denn bei diesem Gespräch alles besprochen werden müsste, wer dabei sein sollte, wann es stattfinden wird (der Termin ist bereits fix, in zwei Wochen, morgens um 9, Verschieben nicht möglich, aber Frau Venditti arbeitet ja im Homeoffice und kann sich bei Bedarf beliebig verrenken, damit alles passt) und welche Formalitäten im Voraus noch zu erledigen sind.

Da alles ziemlich kurzfristig sei, müsse sie schauen, ob sie das alles noch rechtzeitig aufgleisen könne, meint die Frau, aber sie werde das schon irgendwie hinkriegen, wenn sie sich jetzt gleich an die Arbeit mache. Als alles fertig besprochen ist, sagt sie:

„Gut, dann rufe ich Sie morgen noch einmal an. So haben Sie heute Abend noch etwas Bedenkzeit und können sich überlegen, ob Sie das Gespräch möchten oder nicht.“

„Bedenkzeit? Die brauche ich eigentlich nicht, für mich ist es okay so, wie wir das besprochen haben.“

„Ach, Sie können das so spontan entscheiden? Aber müssen Sie denn nicht erst noch Ihren Mann fragen, ob er auch einverstanden ist?“

Ja, und jetzt weiss ich halt auch nicht, ob ich nicht vielleicht etwas zu weit gegangen bin. Immerhin habe ich grad ohne mit der Wimper zu zucken zugesagt, mich 45 Minuten lang mit Fachleuten über die Zukunft unseres Sohnes zu unterhalten – und das, ohne meinen Mann um Erlaubnis zu bitten.

Soweit ist es nun also schon gekommen mit mir.

Phantom-Käfer

Wie oft uns der Magen-Darm-Käfer heimgesucht hat, als unsere Kinder noch kleiner waren? Keine Ahnung. Gefühlt habe ich Jahre damit zugebracht, Erbrochenes aufzuwischen, magenschonende Kost zuzubereiten, mitten in der Nacht Betten frisch zu beziehen und mit dem armen FeuerwehrRitterRömerPiraten zur Kinderärztin zu rennen, weil der Durchfall einfach kein Ende nehmen wollte. Kaum hatte der Letzte die Sache durchgestanden, fing der Erste wieder von vorne an und waren wir endlich einmal käferfrei, sorgte irgend ein Gast für Nachschub – und schon ging es wieder los mit der Kotzerei.

Überbieten sich Eltern in einer fröhlichen Runde gegenseitig mit ekelerregenden Kleinkind-Geschichten, kann ich meistens bis ganz am Schluss mithalten, denn unsere Kinder haben in dieser Hinsicht wirklich gar nichts ausgelassen. Und natürlich spielte auch ich immer wieder gerne mit. An den einen Nachmittag, an dem mich der Käfer erwischte, bevor „Meiner“ zu Hause war, erinnere ich mich noch, als wäre es gestern gewesen. Winselnd wand ich mich auf dem Fussboden und zählte die Minuten bis zum Schichtwechsel, während meine Knöpfe – leider nach überstandener Seuche schon wieder quietschfidel – um mich herumwuselten. Einer der tiefsten Tiefpunkte meiner Mutterkarriere.

Solche Erfahrungen hinterlassen natürlich ihre Spuren. Wenn, so wie heute, Luise nach dem Abendessen meint, ihr wäre ein wenig übel, rebelliert umgehend mein Magen. Sagt Karlsson darauf: „Mir ist auch nicht so ganz wohl“, beginnt es in meinen Gedärmen zu rumpeln. Und wenn dann noch das Prinzchen verkündet, er wolle lieber auf seine Schokolade verzichten, er verspüre einen Brechreiz, dann beginnt in meinem Kopf alles zu drehen und ich bekomme weiche Knie.

Ob ich etwa auch krank werde?

Aber nicht doch! Nach ein, zwei Stunden geht es mir wieder blendend. Ich habe nur mal wieder diesen Phantom-Käfer eingefangen, der mir bei gewissen Stichworten im Eilzugtempo das altbekannte Programm abspielt und so dafür sorgt, dass ich auch jetzt, wo ich allmählich mit einer gewissen Sentimentalität auf die Kleinkindertage zurückblicke, nicht gänzlich vergesse, wie elend es zuweilen sein konnte.

Insider bestätigt: Es sind alles nur Phasen

Landauf, landab trösten Eltern, deren Kinder mal wieder spinnen, einander mit diesem einen Satz: „Es ist bestimmt nur eine Phase.“ Egal, wie lange der Ausnahmezustand auch dauern mag, wir alle halten uns mit dem Gedanken über Wasser, dass sich eines schönen Tages alles wieder wie von Zauberhand einrenken wird und wir endlich aufatmen können. Zumindest, bis die nächste Phase kommt…

Aber stimmt das auch wirklich? Immerhin mahnen zahlreiche Pädagogen, Psychologen und Psychiater, man solle die kindliche Entwicklung nicht auf die leichte Schulter nehmen. Was in jungen Jahren schief laufe, lasse sich später überhaupt nicht oder nur noch mit grösster Mühe korrigieren. Darf man da einfach alles, was uns Eltern nicht vollends in die Knie zwingt, als Phase abtun?

Man darf.

Dies zumindest schliesse ich aus dem, was mir neulich das Prinzchen – also ein Insider in Sachen Kindsein – ganz offen gestand: „Ich war ja sowas von blöd“, sagte er neulich, als ich wissen wollte, weshalb er plötzlich all seine Möbel, Schuhe und Kleider, die er in den vergangenen Monaten mit wasserfesten Stiften fantasiereich verziert hatte, sauber zu schrubben versuchte. „Warum denn?“, wollte ich wissen. „Na ja, du weisst doch, ich hatte da diese dumme Phase, in der ich alles angemalt habe. Und jetzt kriege ich das Zeug nicht mehr sauber.“

Da haben wir es also: Es sind tatsächlich nur Phasen.

Und fast noch tröstlicher ist, dass die Knöpfe, wenn sie die Sache mal hinter sich gelassen haben, selber den Kopf schütteln ob ihrer Verrücktheiten.

Wie eins das andere nach sich zieht…

Am Anfang dieser Geschichte steht Greta Thunberg. Na ja, eigentlich sass sie ja meistens, als die Welt auf sie aufmerksam wurde, aber das spielt jetzt keine Rolle. Wichtig ist, dass sie mit ihrem Dasitzen im Hause Venditti einiges ins Rollen brachte.

Als nämlich die Jugendlichen in Europa damit anfingen, Greta in ihrem Anliegen zu unterstützen, mischten sich bald einmal auch Karlsson und Luise unter die Menge der klimabewegten jungen Menschen. Und irgendwann kam es dann halt, wie es kommen musste: „Warum haben wir eigentlich noch ein Auto?“, wollten die beiden eines Tages wissen und weil „Meiner“ und ich nicht gerade laut und vernehmlich „Das Auto bleibt! Basta!“, schrien, spannen sie die Idee eines autofreien Lebens immer weiter und malten sich aus, wie schön es doch wäre, wenn man dank Generalabonnement die Schweiz nach Lust und Laune bis in ihre hintersten Winkel erkunden könnte. Luise, die vor zwei Jahren noch gemotzt hatte, weil wir nie in die Ferien fliegen, konnte absolut nicht verstehen, warum „Meiner“ und ich die Dreckschleuder nicht umgehend für immer vor die Tür setzten.

Aber es ist nun mal so, dass auch Eltern, die insgeheim schon lange von einem autofreien Leben träumen, eine gewisse Zeit brauchen, um sich mit so einem Gedanken richtig anzufreunden. Und wenn sie sich mit dem Gedanken angefreundet haben, ist die Sache noch längst nicht abgeschlossen, denn dann beginnt das grosse Rechnen. Und erst wenn das grosse Rechnen aufgezeigt hat, dass bei den vielen Bahnabonnements, die für die Kinder ja ohnehin Jahr für Jahr gekauft werden müssen, ein Auto eigentlich gar nicht ins Budget passt, können sie sich dazu durchringen, den aufmüpfigen Jugendlichen beizupflichten: „Wir brauchen wohl tatsächlich kein Auto. Und zur Not gibt’s ja immer noch Carsharing…“

Natürlich dauert es auch dann, wenn die Eltern sich zu diesem Statement durchgerungen haben, noch eine ganze Weile, bis das Generalabonnement für die ganze Familie gelöst ist und der Garagist darüber informiert wird, dass wir die Karre, die er sorgfältig für uns ausgesucht hat, gerne wieder loswerden möchten.

An die offensichtlichen Dinge, die so ein Entscheid mit sich bringt, denkt man dabei natürlich sofort: Sich irgendwo im Nirgendwo etwas ersteigern, weil man ja mit dem Auto überall hinkommt? Endlose Stunden im Stau? „Mama, kannst du mich abholen? Ich habe den Bus verpasst und der nächste fährt erst in 40 Minuten“-Anrufe zu später Stunde? Zu siebt eingepfercht mit dem Auto nach Rom oder nach Südschweden fahren? All das ist – zum Glück – demnächst vorbei.

Doch je näher der Tag des Auto-Abschieds rückt, umso deutlicher zeichnet sich ab, dass es da noch viel mehr gibt, was sich ändern muss. Wenn die spontane Fahrt zur Entsorgungsstelle nicht mehr möglich ist, muss die siebenköpfige Familie eben herausfinden, ob ein Leben mit weniger leeren Joghurtbechern, Shampoo- und Duschmittelflaschen möglich ist. Wenn der Grosseinkauf nicht mehr beliebig gross sein darf, bleibt wenig Raum für „Ach, Papa, sei doch nicht so! Das müssen wir doch einfach kaufen, das ist sooooo gut!“-Wünsche. Und natürlich stellt sich auch die Frage, ob der Garten vielleicht etwas mehr hergeben könnte, damit man Lücken im Vorratsschrank auch mal aus eigenem Anbau stopfen kann.

So ganz allmählich dämmert uns, dass dieser etwas grössere Schritt für die Umwelt noch ziemlich viele kleine Schrittchen nach sich ziehen wird.

Bewusst einkaufen

Grün ist in – das hat inzwischen wohl jedes Kind begriffen. Na ja, eigentlich haben es vor allem die Kinder begriffen und die Erwachsenen zeigen sich mehr oder weniger einsichtig. Während die einen so tun, als könnten wir ewig so weitermachen wie bis jetzt, lassen sich andere durch die Jugendlichen zum Nachdenken anregen. Und dann gibt es natürlich noch diejenigen, die sich fragen, wie man den Trend zu Geld machen kann.

Das sind dann die Leute, die eine Werbeanzeige im Bus schalten, mit der sie umweltbewusste Passagiere dazu bringen wollen, sich ins Auto zu setzen und 50 Kilometer weit nach Süddeutschland zu fahren, um sich dort mit frischen Bio-Lebensmitteln einzudecken. Weil Menschen, denen die Natur am Herzen liegt, ja nichts lieber tun, als möglichst weite Wege zurückzulegen, um bewusst einzukaufen.

Fehltage

Es dürfte hinlänglich bekannt sein, wie verweichlicht berufstätige Eltern in der Schweiz sind. Kaum muss ein Kind mal krankheitsbedingt ein paar Tage das Bett hüten, jammern wir auch schon rum, die gesetzlich bewilligten Fehltage würden nie und nimmer ausreichen.

Die Schulleitung unserer Primarschule hat ganz richtig erkannt, dass mit solchen Memmen-Eltern kein Staat zu machen ist. Darum baut sie gerne mal ein kleines Spontaneitätstraining in den Schulalltag ein. Dieses Programm ist simpel, aber sehr wirkungsvoll:

Du schickst dein Kind am Donnerstagmorgen wie gewohnt zur Schule, wo es von einer Lehrperson empfangen wird, die auf dem Zahnfleisch geht und verkündet, den Vormittag könne sie gerade noch knapp durchstehen, aber am Nachmittag müsse sie im Bett bleiben. Dein Kind kommt darum mittags mit einem Brief nach Hause, in dem die Schulleitung mit in ein paar trockenen Sätzen erklärt: Lehrerin leider krank – heute und morgen kein Unterricht – falls niemand zu Hause ist, wird das Kind in einer anderen Klasse betreut.

Und das ist die Botschaft, die zwischen diesen trockenen Zeilen steht: „Wir haben wahrlich Besseres zu tun, als auf die Schnelle eine Stellvertretung aufzutreiben, bloss weil einige von euch Eltern glauben, sie müssten berufstätig sein. Klar können unsere anderen Lehrerinnen und Lehrer zur Not auch mal ein paar Stunden eure Blagen beaufsichtigen, aber glaubt bloss nicht, die hätten dann auch noch Zeit, denen Lerninhalte weiterzugeben. Aber ist ja nicht unser Problem. Ihr wolltet ja unbedingt beides haben – Kinder und Job. Da müsst ihr halt um Gottes willen ein wenig flexibel sein.“

Tja, und flexibel wirst du, ob du nun willst oder nicht. Du kannst ja nicht den Chef anrufen und sagen: „Ich kann heute leider nicht zur Arbeit kommen. Unsere Lehrerin liegt mit hohem Fieber im Bett.“ Wo die Arbeitgeber doch schon Freudensprünge machen, wenn du dich wegen eines kranken Kindes von der Arbeit abmeldest.

Sentimentale alte Narren

Da sitzen wir beiden gemütlich beim Tee, unterhalten uns über dies und das, geniessen die seltene Gelegenheit, an einem ganz gewöhnlichen Werktagsmorgen Zeit zu zweit zu haben. Draussen in der Fussgängerzone zieht bei strömendem Regen die Klimajugend vorbei, gefolgt von nicht wenigen klimabewegten Mittelalterlichen und Alten. Unser Gespräch stockt und verstummt schliesslich ganz. Wir schauen uns an, stellen mit leiser Belustigung fest, dass uns beiden die Tränen der Rührung in den Augen stehen.

„Möchtest du auch mitgehen?“, fragt „Meiner“.

„Wenn ich heute nichts los hätte, würde ich“, sage ich seufzend.

Dann schweigen wir wieder, denken an unsere zwei Ältesten, die jetzt gerade in einer anderen Stadt das gleiche Anliegen auf die Strasse tragen. Die einen ihrer freien Halbtage geopfert haben, um den Festgefahrenen zu sagen, dass es so nicht weitergehen kann. Die am Familientisch immer öfter darüber reden, was sich bei uns zu Hause ändern müsste. Die sich ernsthaft mit der Frage auseinander setzen, ob Auto, Flugzeug und Peperoni im Winter wirklich unverzichtbar sind.

Jetzt, wo wir an die beiden denken, kullern erst recht die Tränen.

Wir sentimentalen alten Narren…

Was können wir uns doch glücklich schätzen, Eltern von Jugendlichen zu sein, die offenbar mehr Verstand haben als ihre Vorfahren.

Wellness am Mittag

Seit heute sitzen bei uns mittags nur noch zwei Kinder am Tisch. Zweikindeltern mögen mir bitte verzeihen, wenn ich sage, dass sich das irgendwie wie Wellness anfühlt. Wellness in Form von Blitzbesuchen in der Küche – unglaublich, wie schnell das Wasser in der kleinen Pfanne siedet, wie rasant so ein halber Salatkopf gerüstet ist, wie wenig Geschirr man braucht -, ausgewogener Konversation und Mini-Aufräumaktionen nach dem Essen.

Durchaus denkbar, dass wir bei so viel Entspannung auf dumme Gedanken kommen. Würde mich nicht wundern, wenn demnächst an einem programmbeladenen Tag einer wissen möchte: „Sagt mal, kennt uns eigentlich der Pizzabote noch? Bei so kleinen Bestellmengen würde ein Wiedersehen mit ihm finanziell doch fast gar nicht ins Gewicht fallen…“ (Was natürlich die Frage nach sich zöge, wie bis zur Rückkehr der Restfamilie die Spuren der Junk Food-Orgie vollumfänglich zu beseitigen wären, aber in unserem tiefenentspannten Zustand würde uns bestimmt eine Lösung einfallen.)

Ja, man reibt sich beinahe ungläubig die Augen. Eben noch steckten wir in der „Wie überlebe ich bloss die Mittagspause mit dieser Horde?“-Phase. Und jetzt nähern wir uns schon der „Wollen wir uns vielleicht nach dem Mittagsschläfchen noch ein Käffchen gönnen? Es ist so schön ruhig“-Phase.

So ähnlich also wie der Wechsel von der glühend heissen Sauna ins eiskalte Wasserbecken.

Hab‘ ja gesagt, es fühlt sich fast wie Wellness an.

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Warum wir tun, was wir nie hätten tun wollen

Bevor ich loslege eine kurze Vorbemerkung: „Meiner“ und ich gehören nicht zu den Eltern, die der Schule gegenüber von Grund auf negativ eingestellt sind. Wie auch? Wo doch „Meiner“ seine Brötchen selber als Lehrer verdient und wir daher nur zu gut wissen, wie anspruchsvoll dieser Job ist. Wir gehören auch nicht zu den Eltern, die behaupten, die ganze Institution sei verkommen, bloss weil wir selber ein paar ausgesprochen negative und schmerzhafte Erfahrungen machen mussten. Wie auch? Wo wir doch immer wieder das Privileg haben, engagierten und verständnisvollen Lehrpersonen zu begegnen, die einen unglaublich positiven Einfluss auf ihre Schülerinnen und Schüler haben. Ja, wir vertreten gar die heutzutage ganz und gar nicht mehr zeitgemässe Meinung, Lehrer dürften auch mal Fehler machen. Es soll daher bitte niemand auf die Idee kommen, zwischen diesen Zeilen etwas zu lesen, was da gar nicht steht. Dieser Post ist kein Rundumschlag gegen die Institution Schule. Er soll lediglich aufzeigen, warum Eltern zuweilen Dinge tun müssen, die sie auf diese Weise eigentlich gar nie hätten tun wollen.

Zum Beispiel, ein Kind mitten im Schuljahr von der Schule, von der man bloss ein paar Schritte entfernt wohnt, abzumelden und es an eine Schule zu schicken, die 15 Kilometer entfernt liegt. 

Warum man so etwas tut?

Nun, in erster Linie, weil fünf Kinder aus ein und derselben Familie grundverschieden sein können. Während Karlsson, Luise und das Prinzchen sich an der örtlichen Primarschule trotz einiger Widrigkeiten recht gut zurecht fanden und finden, mach(t)en der FeuerwehrRitterRömerPirat und der Zoowärter am gleichen Ort die Hölle durch. Klar, perfekt war es an dieser Schule nie, das können auch andere Eltern bestätigen, aber wer nicht durchs Raster fällt, macht seinen Weg ohne namhafte Probleme. Anders ist es, wenn ein Kind die Erwartungen nicht ganz erfüllt. Dann bekommt es sehr schnell einen Stempel aufgedrückt und alles wird sehr schwierig. So schwierig, dass du irgendwann keinen anderen Weg mehr siehst, als den langen, beschwerlichen Weg der psychologischen Abklärungen zu gehen. Und dies, obschon du zu den Menschen gehörst, die ein Kind so nehmen wollen, wie es ist, mit all seinen Stärken und Schwächen.

Tja, und schon hast du zum ersten Mal getan, was du nie hättest tun wollen. Aber das ist eigentlich gar nicht so schlecht, denn im besten Fall hast du am Ende des langen, beschwerlichen Weges eine Diagnose, dein Kind bekommt endlich die Hilfe, die es schon längst gebraucht hätte und du darfst dabei zusehen, wie das zarte Pflänzchen, das so lange seinen Kopf hängen liess, wieder aufblüht. So war das beim FeuerwehrRitterRömerPiraten und es ist eine wahre Freude, zu sehen, wie er mit seinem ganzen Wesen immer deutlicher zum Vorschein kommt. 

Doch nicht immer steht am Ende einer Abklärung eine Diagnose. Manchmal ist da nur eine Erklärung, warum es dem Kind so geht, wie es ihm eben geht. Eine Erklärung, die für die Eltern vollkommen einleuchtend ist und die dem Kind wieder neuen Auftrieb gibt – die aber nur weiter hilft, wenn die Lehrpersonen erkennen, dass auch ein Kind, das „nichts hat“, manchmal viel Hilfe und Verständnis braucht, um wieder auf die Füsse zu kommen. Wenn es nicht bekommt, was es braucht, suchst du halt plötzlich verzweifelt nach alternativen Schulangeboten, in der Hoffnung, einen Ort zu finden, wo das Kind nächsten Sommer, wenn ohnehin ein Schulwechsel auf dem Programm steht, wieder neue Kräfte sammeln kann. 

Und wieder hast du etwas getan, was du eigentlich nie hättest tun wollen, denn gewöhnlich vertrittst du ja die Überzeugung, Hindernisse seien zum Überwinden da. Doch auch das ist eigentlich gar nicht so schlecht, denn du vertrittst ja auf der anderen Seite auch die Überzeugung, dass es für einzigartige Menschen keine Standardlösungen geben kann. Warum also nicht nach Alternativen suchen, wenn die Hürden anders nicht zu überwinden sind? Immerhin bist du noch soweit bei deinen Prinzipien geblieben, dass du mit deinem Kind erst einmal ein Kapitel sauber abschliessen willst, bevor ein neues aufgeschlagen wird. 

Doch manchmal will in dem Kapitel einfach nichts Gutes mehr kommen. Da folgen nur noch weitere Episoden im altbekannten Stil, das Kind kommt immer öfter traurig oder zornig nach Hause und wenn du von der betreffenden Lehrperson wissen willst, wie sich die Situation verbessern liesse, wartest du vergeblich auf Antwort. Es ist hier nicht der Ort, um im Detail zu erzählen, was alles schief gelaufen ist, doch an einem gewissen Punkt wird dir klar: Da kommt kein Happy Ending mehr. So kommt es schliesslich, dass du den Schlusspunkt mitten ins fast beendete Kapitel setzt – dick und fett, damit ihn auch ja keiner übersehen kann.

Es fällt nicht leicht, diesen verfrühten Schlusspunkt zu setzen und doch geht es zuweilen nicht anders.

Weil auch ein so duldsames und freundliches Kind wie der Zoowärter irgendwann die Nase voll hat.

Weil nach so vielen negativen Episoden die elterlichen Nerven blank liegen.

Weil vermutlich auch den Lehrern die Lust vergangen ist, sich mit diesen nervigen Eltern rumzuschlagen.

Und weil die gefundene Alternative Hoffnung auf einen Neuanfang macht und du daher nur zu gerne bereit bist, ein paar Überzeugungen über Bord zu werfen.