Das muss jetzt einfach mal raus

Der einen oder dem anderen werde ich mit diesen Zeilen auf die Nerven fallen – sofern sie überhaupt jemand liest. Eigentlich widerstrebt es mir auch, nach langen Jahren des Schweigens so viel Persönliches preiszugeben. Und mir ist auch voll und ganz bewusst, dass gesunde Menschen nicht gerne über Krankheit nachdenken, erst recht nicht über Covid. Dennoch muss ich hier einfach mal etwas loswerden:

Jetzt, wo die Infektionszahlen wieder steigen, wo in den Medien wieder Interviews über neue Varianten gebracht werden und wo von vielen Experten beschwichtigend verbreitet wird, es bestünde überhaupt keine Gefahr, müsst ihr euch einer Sache bewusst sein: An Long Covid denkt dabei keiner, denn Long Covid ist auch für die meisten Experten unsichtbar.

Sie sehen nicht, wie wir, die wir niemals hospitalisiert waren, nach einer „milden“ Infektion nicht mehr auf die Beine gekommen sind. Wie wir Nacht für Nacht ums Einschlafen ringen. Wie wir, wenn uns dann doch irgendwann der Schlaf gegönnt ist, morgens kaum mehr wachzukriegen sind. Wie wir selbst nach einer guten Nacht mit ausreichend Schlaf jeden Morgen wie erschlagen sind.

Sie beschreiben unseren Zustand als Fatigue und fügen nicht erklärend hinzu, dass dieses Gefühl von Erschlagenheit so viel mehr ist als blosse Müdigkeit. Dass jede noch so simple Tätigkeit davon durchzogen ist. Dass auch die erholsamste Erholungspause keine Erholung davon verschafft. Dass wir an den meisten Tagen selbst die schönen Dinge wie einen Kaffeeklatsch, einen Filmabend oder einen kurzen Spaziergang nicht schaffen, weil sie zu viel Kraft kosten.

Sie sagen, wir litten unter „Brain Fog“ und machen sich keine Vorstellung davon, wie entwürdigend es sich anfühlt, mitten im Satz banalste Worte nicht über die Lippen zu bringen. Wie schmerzhaft es ist, wenn sich auf dem Nachttisch all die guten Bücher stapeln, von denen man nicht mehr als ein, zwei Seiten am Stück lesen kann. Wie eingesperrt man sich fühlt, wenn man für jede kleinste Besorgung auf Chauffeurdienste angewiesen ist, weil die mangelnde Konzentration weder Velo- noch Autofahren zulässt. Kleine Besorgungen übrigens, die nur dann möglich sind, wenn vorher und nachher genügend Erholungszeit drinliegt, weil der Kopf mit den vielen Sinneseindrücken auf dem Weg und im Laden nicht klarkommt.

Diese Experten widersprechen nicht, wenn der Interviewer zu ihnen sagt, die schlimmen Long Covid-Fälle hätten sich doch ereignet, als noch keine Impfung zur Verfügung gestanden hätte. Sie könnten einwenden, viele von uns seien voll geimpft nach „mildem“ Omicron erkrankt, aber das wissen sie vermutlich gar nicht, denn die eine oder andere Studie kommt ja zum Schluss, die Impfung senke das Long-Covid-Risiko ein wenig. Und darum tun sie weiterhin so, als bestünde nur für ein paar wenige Vorerkrankte eine Gefahr.

Sie sagen, irgendwann würden wir uns wieder erholen. Ganz falsch ist das nicht; manchen von uns geht es ja tatsächlich irgendwann etwas besser. Viele aber kämpfen auch noch ein, zwei, drei Jahre nach der Infektion mit den gleichen Symptomen. Und weil wir halt leider keine schönen Geschichten von einer ganz plötzlichen Genesung über Nacht zu erzählen haben, gehen wir irgendwann vergessen.

Sie sagen, im Gegensatz zum Pandemiebeginn gebe es heute doch so viele Anlaufstellen, wo wir Hilfe bekämen. Dass wir dort nicht viel mehr zu hören bekommen als „Irgendwann wird‘s dann schon wieder“, lässt sie offenbar kalt. Dass man uns mit einer Verordnung für Physio- und Ergotherapie, aber ohne Medikamente, ohne Therapieempfehlungen und ohne Hoffnung wieder nach Hause schickt, scheint sie nicht zu interessieren. Vielleicht trösten sie sich aber auch mit dem Wissen, dass ja zumindest einige wenige von uns das Glück haben, bei einer engagierten Ärztin untergekommen zu sein, die bereit ist, alles zu probieren, was der bisherige Wissensstand zu probieren erlaubt.

Wobei sie unsere Bereitschaft, alles auszuprobieren, was nur irgendwie Linderung verspricht, ziemlich verurteilenswert finden. Wer bereit ist, Unsummen zusammenzukratzen für eine Therapie, deren Wirksamkeit bloss anekdotisch ist, kann doch nicht recht bei Trost sein. „Wie können die nur?“, fragen sie entrüstet. „Die Wissenschaft ist doch dran, Lösungen zu finden. Warum sind die bloss so ungeduldig?“

Ja, warum nur? Was stört uns denn so sehr daran, nach jedem Termin ausser Hause zwei, drei, vier Tage Erholung in reizarmer Umgebung zu brauchen, damit wir wieder so halbwegs funktionieren? Auf dem Sofa ist es doch so bequem!

Was ist denn so schlimm daran, nicht mehr in die Ferien fahren zu können? Zu Hause ist es doch auch schön!

Warum beklagen wir wenigen Glücklichen, die wir dank Home Office noch arbeiten können, uns auch, der Job fresse die ganze spärliche Energie auf? Arbeiten ist doch eine erfüllende Sache!

Was vergiessen wir auch bittere Tränen, wenn wir auf Social Media sehen, wie unsere Freundinnen, Verwandten und Arbeitskolleginnen das Leben geniessen? Dort, wo sie sich aufhalten, müssten wir ja doch nur aufpassen, uns das Virus nicht wieder einzufangen!

Was jammern wir auch über die Krankenkasse, die uns fast nichts von alldem bezahlt, was wir einwerfen, um uns irgendwie Linderung zu verschaffen? Wir könnten ja auch einfach dankbar dafür sein, wie breit das Sortiment an Mittelchen, die wir ausprobieren können, inzwischen ist.

Und überhaupt, unser ewiges Gejammer ums Geld, was soll das überhaupt? Seien wir doch froh um die teuren Stützstrümpfe, die für einen besseren Blutfluss sorgen; um die Putzfrau, die bereitwillig jede Woche den Dreck wegputzt, den wir nicht mehr wegputzen können; um die Taxis, die einen an jeden beliebigen Ort karren, wenn laufen nicht mehr geht. Solche Mehrausgaben trägt doch jedes Familienbudget mit Freuden, wenn‘s der Gesundheit dient!

Warum um alles in der Welt weigern wir uns so standhaft, uns von den Gesunden Ratschläge erteilen zu lassen? Die Homöopathin, die dem Nachbarn der Cousine des ehemaligen Arbeitskollegen bei seinem Beinbruch so gut geholfen hat, kann doch bestimmt auch etwas gegen Long Covid ausrichten! Das wird ja wohl kaum so schwer sein …

Was beklagen wir uns auch, die Krankheit vermiese uns die besten Jahre unseres Lebens? Immerhin leben wir noch!

Man mag sich fragen, warum ich das alles schreibe. Will ich etwa um Mitleid heischen? Nein, will ich nicht, auch wenn ich offen gestanden in den letzten 518 Tagen mehr als einmal ins Selbstmitleid abgerutscht bin. Mir ist trotz allem bewusst, wie privilegiert ich neben den vielen Unglücklichen auf dieser Welt noch immer bin.

Der Grund, warum ich einen Crash riskiere, um über sehr persönliche Dinge zu schreiben, die ich eigentlich lieber für mich behalten würde, ist ein anderer: Ich möchte euch vor Augen führen, warum ihr das, was mein Leben aus der Bahn geworfen hat, um keinen Preis haben wollt.

Fatigue, Brain Fog, Belastungsintoleranz – das alles mag harmlos klingen, ist aber die Hölle.

Selbst dann, wenn man, wie ich, jeden Tag noch ein paar halbwegs gute Stunden hat.

Darum meine verzweifelte Bitte, jetzt,wo die Zahlen wieder steigen: Passt auf euch auf. Und falls es euch doch erwischt, gebt es so wenig weiter wie möglich. Bitte glaubt mir, ihr wollt WIRKLICH kein Long Covid haben.

Eine Vorwarnung wäre nett gewesen

Damit das klar ist: Ich bin den Ärztinnen und Ärzten, die sich in den vergangenen 10 Tagen um den Zoowärter gekümmert haben, unendlich dankbar. Selbstverständlich verstehe ich, dass wir oft auf sie warten mussten, weil sie noch so viel anderes zu tun hatten. Dass mein eigener Job dabei zurückstehen musste, steht für mich ausser Frage.

Dennoch dünkt mich, den Halbgöttern in Weiss sei kaum bewusst, dass auch wir, die wir beruflich kein Leben retten, hin und wieder noch anderes zu tun haben, als am Krankenbett unseres Kindes zu sitzen.

Fragst du nach einer Woche, wie lange der Spitalaufenthalt schätzungsweise dauern könnte, du hättest da noch ein paar andere Kinder, die dich brauchen, schaut man dich verwundert an. Noch ein wenig verwunderter ist der Blick, als du erklärst, du hättest am Donnerstag eine Sitzung und wärest deshalb froh, wenn du den Tag ein wenig planen könntest. Als dann endlich der Tag des Austritts gekommen ist, platzt die Ärztin mit einer Nachricht ins Zimmer, die jede berufstätige Mutter – auch eine, die im Home Office arbeitet – ins Schwitzen bringt: Eine volle Woche noch müsse das Kind zu Hause bleiben, das werde in solchen Fällen immer so gehandhabt, das sei doch sonnenklar. Nun, die Ärztin mag wohl eine Expertin bezüglich des Heilungsverfahrens in „solchen Fällen“ sein. Vom Familienalltag hingegen scheint sie keine Ahnung zu haben. Zumindest versetzt sie deine Erklärung, so etwas müsste man Eltern im Voraus mitteilen, weil das stets gewisse organisatorische Herausforderungen mit sich bringe, in grosses Erstaunen.

Ich hoffe sehr, die Gute schreibt sich das hinter die Ohren und informiert die nächsten Eltern etwas früher darüber, dass das Familienleben auch nach Spitalaustritt noch eine Weile lang auf dem Kopf stehen wird.

Befindlichkeiten

Tag 1: Leerer Magen? Bleierne Müdigkeit? Volle Blase? – Alles egal. Hauptsache, die finden endlich heraus, was mit dem Kind los ist.

Tag 2: Leerer Magen? Bleierne Müdigkeit? Volle Blase? – Alles egal. Hauptsache, wir bekommen bald den richtigen Arzt zu Gesicht, damit es dem Kind bald wieder besser geht.

Tag 3: Leerer Magen? – Wer mag denn schon essen, wenn das Kind gleich operiert wird? Bleierne Müdigkeit? – Bei so viel Nervosität spürt man die doch gar nicht mehr. Volle Blase? – Na ja, immerhin die stellt kein Problem mehr dar, weil man sich während der Wartezeit ja irgendwie die Zeit vertreiben muss. Zudem hat man immerhin mal Zeit gehabt, eine Dusche zu nehmen und sich umzuziehen. Also Luxus pur.

Tag 4: Magen voll, Blase leer und Müdigkeit spielt keine Rolle mehr, denn man sitzt ja ohnehin den ganzen Tag nur da und hofft, dem Kind gehe es endlich ein wenig besser.

Tag 5: Mit leiser Stimme melden sich ein paar Bedürfnisse, die während der Aufregung der vergangenen Tage vergessen gegangen sind. Schnell bringt man sie zum Schweigen, denn die Gesundheit des Kindes hat jetzt Vorrang. Und was sich nicht zum Schweigen bringen lässt, wird durch die Anforderungen des Spitalalltags schnell auf seinen Platz verwiesen. Mama hat da zu sein, wenn sie gebraucht wird, da liegt nichts anderes mehr drin.

Tag 6: Die Müdigkeit haut auf den Tisch. Sie hat jetzt wirklich genug davon, andauernd ignoriert zu werden. Weil es dem Kind inzwischen deutlich besser geht, wagt man es, eine Nacht zu Hause im eigenen Bett zu verbringen. Das schlechte Gewissen begehrt auf. Das arme, kranke Kind! So alleine und verlassen in seinem grossen Spitalbett! Ganz abgebrühte Mütter lassen sich dadurch natürlich nicht beeindrucken. Die brauchen schon die eine oder andere spitze Bemerkung von Pflegepersonal und Zimmernachbarin, um sich tüchtig dafür zu schämen, dass sie ihr Kind so schändlich vernachlässigen.

Tag 7: Das Kind lässt die Mama wissen, das mit der Nacht zu Hause sei ganz und gar nicht in seinem Sinne gewesen. Nein, es habe sich nicht gefürchtet und es sei auch nicht wirklich schlimm gewesen ohne die Mama. Aber trotzdem… Mehr braucht Mama nicht, um wissen, wohin ihre bleierne Müdigkeit gehört: Fest eingeschlossen in einen Schrank, aus dem sie erst wieder rausgelassen wird, wenn das Kind aus dem Spital entlassen wird. Da sich das Kind inzwischen mit dem Zimmernachbarn angefreundet hat, hätte die Müdigkeit zwar theoretisch viel Zeit, sich um sich selbst zu drehen. Doch in einem engen, von zwei lebhaften Jungs und zwei trägen Müttern bewohnten Spitalzimmer gibt es dafür tagsüber kaum Platz. Es sei denn, die Müdigkeit gebe sich mit einem ganz gewöhnlichen Stuhl zufrieden.

Tag 8 & folgende: Wir werden sehen… Ein inzwischen putzmunteres Kind und eine übermüdete Mutter, die beide noch nicht nach Hause dürfen, weil die Ärzte zuerst ganz sicher sein wollen, dass die Entzündungswerte sich in die richtige Richtung bewegen, werden irgendwie ein paar sehr lange Stunden hinter sich bringen müssen. Vermutlich wird es sich anfühlen wie ein endloser Aufenthalt im Wartezimmer, denn eigentlich geht es nur noch darum, aus ärztlichem Mund ein „Sie dürfen nach Hause gehen“ zu vernehmen.

Irgend etwas muss doch keimen

Wenn dich ein Käfer nach dem anderen überfällt und du keine andere Wahl mehr hast, als dich immer und immer wieder im Bett zu verkriechen, die Tage mit schlafen, Netflix und schlechten Nachrichten aus aller Welt hinter dich zu bringen, anstatt dich um deine Familie zu kümmern und deiner Arbeit nachzugehen, dann kannst du irgendwann nur noch eines tun: Eine ganze Menge Saatgut bestellen.

Irgendwann muss dieser elende Seuchenwinter ja ein Ende haben. Und gegen Weltuntergangsstimmung – das soll schon der alte Luther gewusst haben – hilft ohnehin nur das Pflanzen und da in unserem Garten kein Platz mehr für weitere Apfelbäume ist, müssen es eben Auberginen, Tomaten und Blumenkohl sein, die die Hoffnung auf bessere Zeiten wieder keimen lassen. 

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Deutlich überschätzt

„Wenn Mama krank ist, steht das ganze Familienleben still.“ – Unzählige Male habe ich diesen Satz in den vergangenen Wochen zu hören bekommen und jedes Mal war ich zu müde, um zu widersprechen. Dabei ist es doch ganz klar: Das einzige, was stehen bleibt, wenn Mama krank ist, ist die Mama selbst, alles andere dreht sich in dem gleichen irren Tempo weiter wie immer. Nun gut, die Kinder sind etwas hilfsbereiter als üblich und vielleicht lässt du ein paar Dinge etwas länger liegen als sonst, aber im Grossen und Ganzen geht alles seinen gewohnten Gang und ich muss leider sagen, dass die Macht von uns Müttern deutlich überschätzt wird. Hätten wir die Superkraft, mit ein paar Viren den ganzen Alltagsirrsinn anzuhalten, lägen wir viel öfter krank im Bett. 

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Wenn „Meiner “ und ich das Mass verlieren

Irgendwann im letzten Herbst…

Kellner: „Was darf’s denn sein für Sie?“

Ich: „Gar nicht so leicht, sich zu entscheiden bei dieser Vielfalt, aber ich denke, zum Einstieg nehme ich diese grippeartige Sache mit Husten und Heiserkeit.“

Kellner: „Eine vorzügliche Wahl. Sie werden es nicht bereuen. Was darf ich Ihnen als nächstes bringen?“

Ich: „Nun, ich kann mich nicht so recht entscheiden zwischen dem Streptokokken-Bouquet und dem Norovirus-Arrangement. Was würden Sie denn empfehlen?“

Kellner: „Ich kann in der Küche fragen, ob es eine Möglichkeit gibt, die beiden zu kombinieren. Unser Chefkoch ist bestimmt gerne bereit, das Streptokokken-Bouquet mit einem Hauch von Noroviren zu verfeinern.“

Ich: „Das klingt wunderbar. Aber die Noroviren nur ganz dezent, wenn ich bitten darf.“

Kellner: „Nur ein Hauch, versprochen. Sie werden kaum etwas davon spüren. Nur gerade soviel, um die Nebenwirkungen der Antibiotika zu akzentuieren. Haben Sie sonst noch einen Wunsch?“

Ich: „Nein, ich denke, das ist alles für mich.“

Kellner: „Was darf es für den Herrn sein? Das gleiche wie für Ihre Frau?“

„Meiner“: „Nein, so viel schaffe ich nicht. Ich denke, ich nehme zum Einstieg ebenfalls die grippeartige Sache mit Husten und Heiserkeit, aber bei Streptokokken und Noroviren muss ich passen.“

Kellner: „Kann ich sie nicht mal zu einer kleinen Übelkeit überreden?“

„Meiner“: „Na ja, eine klitzekleine Portion werde ich mir wohl gönnen dürfen. Ich möchte mir bloss den Appetit nicht verderben, denn wie ich sehe, haben Sie auch eine zünftige Grippe auf der Karte und die möchte ich mir auf gar keinen Fall entgehen lassen.“

Kellner: „Schön, eine klitzekleine Übelkeit und danach die Grippe… Dann lassen Sie mich kurz zusammenfassen: Zweimal die grippeartige Sache mit Husten und Heiserkeit, das Streptokokken-Bouquet mit einem Hauch von Noroviren für die Dame, eine klitzekleine Übelkeit für den Herrn und zum Schluss eine zünftige Grippe, ebenfalls für den Herrn.“

Ich: „Wenn ich vielleicht doch noch einen Wunsch anbringen dürfte. Die Erkältung, die der Herr am Nebentisch gerade geniesst, sieht wunderbar aus. Die würde ich mir gerne noch zum Abschluss gönnen. Aber bitte nur eine Miniportion, mehr schaffe ich nicht.“

Kellner: „Ich sehe, Sie sind eine wahre Geniesserin. Darf ich Sie zu unserer einmaligen Erkältung/Grippe-Kombination überreden? Die beginnt mit kräftigen Hustenanfällen und geht dann allmählich über in Fieber und Gliederschmerzen.“

Ich: „Na ja, finden Sie das nicht ein wenig übertrieben? Der Hauptgang ist ja schon ziemlich üppig…“

Kellner (zwinkert mir verschwörerisch zu): „Keine Angst, ich verrate niemanden, dass das alles für Sie ist.“

So lief das, damals im Herbst und seither sind wir fast pausenlos am Geniessen, „Meiner“ und ich. Und da wir mehr als genug bestellt haben, bekommen auch unsere Kinder hin und wieder einen Bissen ab. 

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Nur schnell einen Termin vereinbaren

Es liegt mir fern, zu behaupten, früher sei alles besser gewesen (auch wenn man sich in diesen trüben Tagen unbeschwertere Zeiten herbeisehnt), aber wenn ich mir überlege, was man heute alles auf sich nehmen muss, um einen ganz banalen Arzttermin zu bekommen, sehne ich mich schon fast ein wenig nach dem griesgrämigen, hochnäsigen Hausarzt aus Kindertagen. Nun gut, ihn wünsche ich mir eigentlich nicht zurück, denn er war wirklich ein ausgesprochen unsympathischer Zeitgenosse, aber das simple Prozedere, das damals noch möglich war, um zu ihm zu gelangen, das fand ich eigentlich ganz nett.

Das ging damals nämlich so:

Waren wir krank, blieben wir im Bett, bis wir wieder gesund waren. Waren wir sehr krank, überlegte meine Mutter so lange, ob wir zum Arzt gehen sollten, bis die Sache ausgestanden war und sich der Besuch erübrigte. Waren wir sehr sehr krank, liess sie sich einen Termin geben, ein paar Stunden später sassen wir eingeschüchtert im Untersuchungszimmer, wo wir aufs Gründlichste durchgecheckt und ausgeschimpft wurden, weil wir ja bestimmt irgend etwas falsch gemacht hatten, um so krank zu werden, dann gab es ein Rezept und damit war die Sache erledigt.

Heute hingegen geht das so:

Bist du krank, bleibst du im Bett, bis du wieder halbwegs im Stande bist, deiner täglichen Arbeit nachzugehen. Also etwa drei Stunden oder so. Bist du sehr krank, schmeisst du Medikamente ein, bleibst etwas länger im Bett und fragst Dr. Google, ob du dir Sorgen machen musst. Weil dein Arbeitgeber ein Arztzeugnis verlangt – oder weil du einer der Menschen bist, die sich von Dr. Google nervös machen lassen -, entschliesst du dich, zum Arzt zu gehen.

Als verantwortungsbewusster Bürger, der nicht unnötig dazu beitragen will, die Krankenkassenprämien in noch schwindelerregendere Höhen zu treiben, rufst du natürlich nicht direkt in die Praxis an, sondern fragst erst mal beim telemedizinischen Dienst um Erlaubnis. Wie das genau gehen soll mit dem Kostensparen durch Telemedizin, erschliesst sich mir leider nicht, denn in meiner Erfahrung sind diese Dienste so hysterisch, dass sie dich sogar dann zum Arzt schicken, wenn Dr. Google noch lässig in seinem Sessel lehnt und brummt: „Wegen diesem Mückenschiss brauchst du dich nun wirklich nicht gleich so aufzuregen.“

Nun, sie mögen hysterisch sein, diese Telemediziner, das heisst aber noch lange nicht, dass du sogleich zum Telefon greifen darfst, um beim Hausarzt einen Termin zu vereinbaren. Erst wollen die netten Leute nämlich noch ein paar Bilder von deinem Leiden sehen. Bilder, die gefälligst gut belichtet sein sollen und die dein Gebrechen von unten, von oben, von hinten, von vorne und dann noch einmal von unten, aber diesmal bitte schräg zeigen. Also kämpfst du dich mit letzter Kraft von deinem Krankenlager hoch, um in deiner Wohnung die Stelle zu finden, die perfekte Lichtverhältnisse für das Shooting bietet. Weil du diese Stelle nie auf Anhieb findest, bist du vollkommen entkräftet, wenn du endlich mit dem Fotografieren loslegen kannst. Und jetzt geht der Stress erst richtig los. Versuch mal, beispielsweise deine Zunge – von unten, von oben, von hinten, von vorne und dann noch einmal von unten, aber diesmal bitte schräg – so ins Bild zu bekommen, dass die Leute, die sich das ansehen müssen, wirklich nur deine Zunge zu sehen bekommen und nicht auch noch dein Gesicht, das bei den ganzen Verrenkungen, die du anstellen musst, gar nichts anderes sein kann, als eine hässliche Fratze. Man wird sich ja wohl noch einen letzten Funken Eitelkeit bewahren dürfen, auch wenn man krank ist. Zudem weiss man nie, wer die Bilder zu sehen bekommt. Am Ende lachen sich ein paar schnöselige Lackaffen in der Kaffeepause ob deiner Horror-Selfies schlapp.

Nun, irgendwann sind die Bilder gemacht. Jetzt brauchst du also nur noch die App, die man neuerdings für das Einsenden solcher Fotos benötigt, zu installieren, deine Krankenkassendaten einem undurchsichtigen System anzuvertrauen und die Bilder hochzuladen, bis du wieder ins Bett gehen kannst, um auf den Rückruf der Telemediziner zu warten.

Im besten Fall sind deine Symptome gänzlich abgeklungen, bis man dich endlich zurückruft und du kannst dem Teledoktor bescheiden, du bräuchtest den Termin, den er dir hätte bewilligen sollen, nicht mehr. Im schlechtesten Fall lässt der Rückruf bis Freitagnachmittag, 16:57 Uhr auf sich warten, dir geht es so elend wie zuvor und so hast du die Wahl, bis Montag vor dich hin zu seuchen oder einer jener Deppen zu sein, die wegen einer nicht wirklich schlimmen aber halt doch ziemlich mühsamen Sache auf dem Notfall aufzukreuzen.

Und selbst wenn der Rückruf mal schnell und zu einem günstigen Zeitpunkt kommt, heisst das noch lange nicht, dass der Weg zum Hausarzt jetzt frei ist. In der Regel werden Hausärzte nämlich von feuerspeienden Vorzimmerdrachen bewacht und die wollen ganz genau wissen, ob du die Aufmerksam des Gottes in Weiss wirklich verdient hast, oder ob du nur wieder einer von denen bist, die sich von Dr. Google haben aufhetzen lassen. Und wag es bloss nicht, den Drachen mit der Bemerkung „Ich hatte schon einmal fast die gleichen Symptome, vielleicht ist es wieder eine ähnliche Geschichte wie beim letzten Mal“ zu besänftigen. Drachen mögen keine Patienten, die glauben, die Symptome, die sie am eigenen Leib spüren, hätten irgend eine Bedeutung für die Diagnosenstellung.

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Husch! In die Schublade mit dir!

So schnell also geht das. Da schleppt dich dein Herr Gemahl – der sich von dir zwar schon so einiges gewöhnt ist, aber nicht, dass du mit fiebrigem Blick wirres Zeug erzählst – in die Notfallpraxis und ehe du dich versiehst, landest du in der Schublade mit der Aufschrift „Unterbelichtete Gebärmaschine mit Migrationshintergrund“.

Du liegst im Dämmerzustand auf dem Untersuchungstisch, kriegst durch den Nebel verschwommen mit, wie jemand Blutdruck und Fieber misst, eine Blutprobe nimmt und nach dem Beruf fragt. Irgendwo in deinem Gehirn ist die Antwort auf diese Frage gespeichert, das weisst du, aber diese Stelle ist gerade nur über eine sehr wacklige Leiter zugänglich und so ist, als die Information endlich auf deiner Zunge liegt, das Urteil über dich bereits gefällt: „Ach so, Ihre Frau spricht wohl kein Deutsch.“ Von diesem Moment an wirst du nicht mehr direkt angesprochen, dein Mann redet für dich. (Was wegen des Nebels und der wackligen Leiter für einmal auch in Ordnung ist.)

Minuten später ist die Person weg, dafür steht eine andere da. Auch die nimmst du nur verschwommen wahr, aber du bekommst mit, wie sie sich mit deinem Mann unterhält. „Kinder? Fünf? Ja, aber wer schaut denn zu denen, wenn Ihre Frau krank ist?“* Ein paar Untersuchungen, ein paar Empfehlungen und dann die nur rhetorisch gemeinte Frage: „Braucht sie ein Arztzeugnis? Wohl kaum. Mit fünf Kindern wird sie ja nicht auch noch arbeiten…“

Damit wäre die Sache für die Ärztin erledigt, du bist fertig untersucht und schubladisiert. Doch dein Mann möchte zur Sicherheit noch wissen, ob das ganze wirre Geschwätz, das du von dir gibst, nicht etwas alarmierend sei. Um zu illustrieren, was er meint, gibt er einige deiner Kalauer zum Besten. Die lapidare Antwort: „Sie kennen Ihre Frau besser als ich. Wenn Sie denken, dass dies nicht ihrem üblichen Verhalten entspricht, müssen Sie vielleicht ins Spital gehen mit ihr.“

Sie wird wohl recht haben, die Frau Doktor. So ein gebärfreudiges Weib mit fremdländischem Namen, der auf eine zweifelhafte Herkunft hindeutet, wird auch in gesundem Zustand nicht allzu viel Gescheites über ihre Lippen bringen. Da ist die Grenze zwischen Normalzustand und fiebriger Verwirrtheit nicht so leicht zu erkennen. 

*Der Vater der Kinder kann es auf alle Fälle nicht sein. Der hat doch viel wichtigere Dinge zu tun. Zumal in ein paar Stunden das Wochenende beginnt und da wird man von einem Mann doch nicht etwa erwarten, dass er sich in seiner Freizeit um den ganzen Weiberkram kümmert, bloss weil seine Alte wieder mal meint, sie müsse ein wenig kränkeln. 

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Darmgrippe-Profi

Neulich eine Erinnerung aus längst vergangenen Tagen: Es war einer dieser endlosen Dienstage. Dienstage waren bei uns immer endlos, denn dann traf sich „Meiners“ Lehrerkollegium zu nicht immer produktiven Sitzungen. Als unsere Kinder noch klein waren, hasste ich diese Dienstage wie die Pest, denn man konnte nie wissen, wann und in welcher Stimmung „Meiner“ nach Hause kommen würde. Einziger Lichtblick waren die Abende, an denen er mir von besonders wichtigen Sitzungstraktanden berichten konnte. Also zum Beispiel von der Episode, als zwei reich verheiratete, kinderlose Lehrerkolleginnen über die Frage debattieren wollten, ob sie auch verpflichtet seien, den vollen Jahresbeitrag von 25 Franken an die Kaffeekasse zu leisten, wo sie doch ihren Kaffee stets schwarz und ohne Zucker tränken. 

Aber kommen wir zurück zu diesem elenden Dienstag, den ich neulich auf einmal wieder so lebhaft in Erinnerung hatte. Karlsson war damals noch klein, Luise sehr klein und der FeuerwehrRitterRömerPirat winzig. Mitten in diese ohnehin schon anstrengende Situation platzte die Magen-Darm-Seuche, die mich mit heftigen Magenkrämpfen und Schwindelanfällen buchstäblich in die Knie zwang. Ich konnte ja meine Kinder keinen Augenblick aus den Augen lassen und so kniete ich jammernd und stöhnend auf dem Fussboden, versuchte die Knöpfe im Griff zu behalten und sehnte den Moment herbei, in dem „Meiner“ endlich auf dem weissen Pferd durch die Tür geritten käme, um mich zu erlösen. (Ich hab’s ja gewöhnlich nicht so mit schwächelnden Prinzessinnen und heldenhaften Prinzen, aber in diesem Fall konnte ich nicht anders.) Nun, irgendwann war er endlich da, ich überliess ihm die Kinder und gab mich ganz den Käfern hin, bis ich am nächsten Morgen wieder mit rebellierendem Magen und weichen Knien zum Dienst antrat.

So handgestrickt ging das damals bei uns noch zu und her. Heute handhabe ich so eine Magen-Darm-Geschichte natürlich viel professioneller. Selbstverständlich lasse ich mich schon längst nicht mehr überraschen von so etwas, denn heutzutage schleppen mir die Kinder – die ja immer unbedingt haben müssen, was alle andern auch haben – die Käfer ins Haus. Nach zwei oder drei Patienten weiss ich ziemlich genau, mit wie vielen Krankheitstagen zu rechnen ist und wie lange der Käfer braucht, um vom einen zum anderen zu wandern. So kann ich ziemlich präzise abschätzen, wann und wie lange es mich erwischen wird. Ausserdem habe ich heute natürlich viel mehr Zeit, auch nur beim kleinsten Bauchgrimmen in mich hinein zu hören, um zu spüren, was die Ursache für mein Unwohlsein sein könnte. Ein Luxus, den ich mir früher nicht erlauben konnte. 

Auf diese Weise vorgewarnt muss ich nur noch auf das erste Schwindelgefühl warten, das mir sagt, dass mir maximal 12 Stunden bleiben, ehe mich der Käfer ins Bett zwingt. Dies ist der Moment, in dem ich a) umgehend die Nahrungszufuhr einstelle, um mir selber zu ersparen, was den Kindern so zugesetzt hat und b) alles, was gerade ansteht, erledige. Also  zum Beispiel die fast überreifen Aprikosen zu Confiture verarbeiten, die Einmachgurken einkochen, den Sauerteig für Montag bereitstellen, die Küche aufräumen und im Garten das Allernötigste erledigen. Dann bleibt mir gerade noch genug Zeit, den Blogtext, der mir während der Arbeit im Kopf herum geschwirrt ist, in die Tasten zu hauen, ehe ich ausser Gefecht gesetzt bin.

Weil „Meiner“ inzwischen ähnlich professionell ist im Umgang mit den Käfern, stimmt er seine Seuchentage perfekt auf meine ab, so dass er bereits wieder halbwegs im Strumpf ist, wenn ich mich gezwungen sehe, das Bett aufzusuchen.

Selbstverständlich legen wir solche Episoden inzwischen auch stets in die Nähe des Wochenendes. Den Anfängerfehler, die Magen-Darm-Seuche an einem Dienstag an uns heranzulassen, begehen wir schon längst nicht mehr. Dienstag ist nämlich noch immer der Tag der Lehrersitzungen. (Da aber diese Sitzungen heutzutage von kompetenten Menschen geleitet werden, sind sie nicht mehr ganz so endlos, dass ich sehnsüchtig darauf warten müsste, bis „Meiner“ auf dem weissen Pferd über die Schwelle geritten kommt. Und inzwischen wäre sogar das eine oder andere Kind in der Lage, mich zu vertreten, bis er da ist, um den Laden zu übernehmen.)

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Verantwortungsvoll atmen

Man verstehe mich bitte nicht falsch, ich bin keineswegs der Meinung, dass wir unsere Medikamente im Supermarkt kaufen sollten. Zwar möchte ich dem Kassenpersonal nicht seine Kompetenz absprechen, aber in der dreijährigen Lehre lernt man ja wohl kaum gleich viel wie in einem Pharmaziestudium. 

Dennoch gibt es mir zu denken, dass ich hier in Schweden beim Wocheneinkauf nicht nur Nyponsoppa, Filmjölk und Gravad Lax im Regal finde, sondern auch einen Teil meiner Antiasthmatika. Jawohl, genau die Medikamente, für die ich jeweils vor der Praxisassistentin meiner Hausärztin auf die Knie gehen muss, damit sie mir ein Dauerrezept für sechs Monate ausstellt. „Eigentlich müssten wir Sie ja zur Kontrolle aufbieten“, sagt sie jeweils spitz, wenn ich anrufe, „aber ich kann nachfragen, ob die Frau Doktor noch einmal eine Ausnahme macht.“ Wenn die Frau Doktor keine Ausnahme macht, muss ich in der Praxis antraben, wo man mich knapp nach meinem Befinden fragt, mir die benötigten Medikamente in die Hand drückt und auf mein eindringliches Flehen hin ein neues Dauerrezept ausstellt. Ein paar Wochen später flattert dann eine gesalzene Rechnung ins Haus und ich kann wieder frei atmen, bis ein halbes Jahr später das Dauerrezept ausläuft und ich wieder auf die Gnade der Hausärztin hoffen muss.  

Ich frage mich schon, weshalb die Schweden ihre Asthmatiker für verantwortungsvoll genug halten, ihre Antiasthmatika nach Bedarf zu kaufen und einzusetzen, während wir Atemlosen in der Schweiz stets auf der Hut sein müssen, dass uns die Medikamente nicht während der Praxisferien des Hausarztes ausgehen. (Klar, irgendwie kommt man auch dann zu den benötigten Sprays, aber das kann unter Umständen ganz schön mühsam werden.)

Nein, ich möchte meine Medikamente wirklich nicht irgendwo zwischen Schinken, Schnittblumen und Teigwaren zusammensuchen, wie man das hier in Schweden tun kann. Die Hausärztin müsste auch nicht fürchten, meinetwegen arbeitslos zu werden, denn wenn ich in ausreichend pessimistischer Stimmung bin, fallen mir genügend Situationen ein, in denen ich sofort zu ihr rennen würde. Aber mich dünkt, unter Aufsicht der Apotheke meines Vertrauens sollte ich halbwegs in der Lage sein, die immer gleichen Sprays, die mir nun schon seit Jahren das Atmen erleichtern, verantwortungsvoll anzuwenden.

Die Schweden schaffen das ja auch irgendwie…

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