Wellness-Banausen

Wer sich, wie ich, in der Freizeit hin und wieder in Wellnessanlagen aufhält, weiss genau, welche Leute ich meine. Diese Hotel- oder Badegäste, die eigentlich nichts mit Sauna anfangen können, die jedoch unbedingt alles ausschöpfen wollen, was im Preis inbegriffen ist. Darum müssen sie sich, wenn sie mal grad nichts Besseres zu tun wissen, unbedingt im Wellnessbereich umsehen. Und das geht so:

Erst einmal stellen sie sich unter die Dusche und brüllen: „Sch…! Das ist ja eiskalt!“, denn vor ihnen hat eine geduscht, die es nach dem Saunieren eiskalt mag. Nach dem Duschen begeben sie sich gemeinsam mit ihrer besseren Hälfte – Schnuppergäste sind immer paarweise unterwegs, weil sie sich alleine nicht ins Neuland wagen – in die heisseste Sauna. Dort machen sie es sich eine gefühlte Ewigkeit lang mit viel Getöse bequem, dann sind sie einen Moment lang still, bevor sie aufgeregt miteinander zu tuscheln beginnen: „Schatz, ist dir nicht auch ganz furchtbar warm?“ „Ja, schon, aber lass uns noch eine Minute bleiben.“ „Ich fühl mich aber echt nicht wohl, Schatz. Lass uns rausgehen.“ „Ach, komm schon, Schatz, einen Moment lang werden wir es noch aushalten.“ So geht das Getuschel vielleicht zwei, drei Minuten lang weiter, doch dann haben beide genug. Fluchtartig verlassen sie die Sauna – so hastig, dass die Tür offen bleibt. Nicht weit natürlich, nur ein kleiner Spalt, der für eine langsame aber steige Abkühlung in der Saunakabine sorgt. Falls die Neulinge es doch einmal länger als vier Minuten aushalten in der Hitze, lassen sie alle anderen mit lautem Stöhnen an den körperlichen Qualen teilhaben, die sie erleiden.

Nach dem missglückten Saunagang treiben sich die Schnupperbesucher eine Weile im Dampfbad und in der Biosauna rum, weil ihnen aber auch das irgendwie zu heiss ist, begeben sie sich bald einmal auf die Sonnenterrasse vor dem Ruheraum. Dort unterhalten sie sich lautstark über die Aussicht, über das Wetter und irgendwann auch darüber, dass es hier draussen an der prallen Sonne ganz schön ungemütlich ist.

Höchste Zeit also, das Kaltwasserbecken zu erkunden. Nach langem Zögern und vielen „Nein, geh du zuerst, Schatz!“ strecken sie unter lautem Gekreische den grossen Zeh ins kühle Nass und rennen dann kichernd zum Ruheraum, um sich von den ungewohnten Strapazen zu erholen. Hier wieder das ähnliche Spiel wie vormals in der Sauna: Mit Getöse eine bequeme Position finden, mit möglichst vielen Nebengeräuschen in Zeitschriften blättern und dann irgendwann zu tuscheln beginnen. Diesmal muss man sich jedoch auf eine längere Verweildauer einstellen, denn es ist ja so angenehm gemütlich und weder zu heiss noch zu kalt. Das Spiel dauert also meist so lange, bis nicht nur die Stille, sondern auch alle Gäste aus dem Ruheraum vertrieben worden sind.

Nach einer gefühlten Ewigkeit nimmt der Spuk dann doch ein Ende. Die Schnupperbesucher haben endlich verstanden, was alle anderen schon in den ersten Minuten bemerkt haben: Wellness ist nicht so ihr Ding. Sie ziehen jetzt lieber weiter an die Bar.

Ein halber Viergänger

Der Kellner muss dich nur am falschen Tisch platzieren und schon nehmen die Dinge ihren Lauf. Dann bist du nämlich nicht mehr die à la carte-Frau, die abends eigentlich nur noch ein kleines Süppchen essen möchte, sondern die Halbpension mit dem viergängigen Genusswahlmenü. Weil du das aber nicht wissen kannst, staunst du halt ein wenig, als sie dir die erste Vorspeise vorsetzen, ehe du noch recht in dich hineingehört hast, um herauszufinden, was du bestellen sollst. Da der Gemüsesalat vorzüglich schmeckt, isst du ihn trotzdem. Du beschliesst aber, bei der nächsten Gelegenheit mal kurz nachzufragen, ob hier vielleicht ein kleines Missverständnis vorliegen könnte.

Die nächste Gelegenheit kommt schneller als du denkst, denn schon wird die erste Vorspeise ab- und die zweite aufgetragen. „Halt!“, gebietest du so höflich wie nur möglich. „Hier muss ein Missverständnis vorliegen. Das habe ich doch alles gar nicht bestellt.“ Doch das Missverständnis klärt sich nicht auf, denn dass du am falschen Tisch sitzen könntest, kommt keinem ausser dir in den Sinn. Die zweite Vorspeise wandert dennoch unberührt zurück in die Küche. Du schaffst das einfach nicht…

Während du dich wenig später mit dem Hauptgang abmühst, fällt dir auf, dass der eine Kellner allmählich ein wenig nervös wird. Immer wieder schaut er zum Eingang des Restaurants und irgendwann schnappt er sich ein Telefon, um bei der Rezeption anzurufen. Es klingt fast so, als würde er auf einen Gast warten, der nicht zur erwarteten Zeit eingetroffen ist. Du hast jedoch keine Zeit, dich mit seinem Problem zu befassen, denn nun gilt es, das Dessert abzuwehren, bevor es hübsch angerichtet auf deinem Tisch erscheint. „Bitte kein Dessert, nur einen Kaffee“, wimmerst du, als wieder einmal ein Kellner vorbeiflitzt.

Erst als du die Rechnung unterschreiben willst und erklärst, es könne nie und nimmer sein, dass du nur einen Fünfliber bezahlen müsstest, du hättest ja keine Halbpension gebucht, wird auch dem Servierpersonal klar, was da schief gelaufen ist. Du seist also diejenige, die er den ganzen Abend schon gesucht habe, meint der Kellner, der vorhin am Telefon war. Jetzt verstehe er, warum du dich so verzweifelt gegen das viele Essen aufgebäumt hättest, meint der andere. „Du bist also doch nicht ganz so kompliziert, wie ich gedacht hatte“, scheint sich der Lehrling zu sagen, lächelt aber trotzdem freundlich, als du mit den beiden anderen vereinbarst, dass sie dir morgen Abend nur das vorsetzen werden, was du auch wirklich bestellt hast.

Pappsatt schleppst du dich wenig später zurück in dein Zimmer und fragst dich, wie du die vier Treppen wohl schaffen würdest, wenn du nicht heldenhaft die Hälfte der vier Gänge von dir gewiesen hättest.

Zurück

Dinge, die man erfährt, wenn man nach einem wunderbaren Wochenende mit Freunden wieder nach Hause kommt:

  • „Meiner“ und ich sind viel die besseren Eltern als Karlsson und Luise (findet das Prinzchen).
  • „Meiner“ und ich sind viel die schlechteren Eltern als Karlsson und Luise (findet der FeuerwehrRitterRömerPirat).
  • „Meiner“ und ich können nicht anständig putzen (findet Luise, die solche Dinge ja wissen muss, da sie in der Kochschule fürs Putzen meistens Bestnoten bekommt).
  • Luise und Karlsson können wirklich ganz wunderbar putzen und für Ordnung sorgen (finden „Meiner“ und ich, die solche Dinge ja wissen müssen, weil wir seit 17 Jahren mehr oder weniger erfolglos darum bemüht sind, hier irgendwie das Chaos einzudämmen.
  • „Meiner“ und ich sollen bloss nicht glauben, wir hätten nach der Heimkehr das Recht, ganz langsam und sanft wieder im Alltag anzukommen, wo wir doch ganze 55 Stunden Erholung hinter uns haben, während unsere Kinder sich in dieser Zeit abrackern mussten wie die Ackergäule.
  • Unsere Kinder kommen ohne uns ganz wunderbar miteinander klar und sind durchaus in der Lage, ihre Differenzen auf den Moment zu verschieben, wo wir wieder da sind, um sie daran zu hindern, einander an die Gurgel zu springen. 
  • Während unsere Kinder das Wochenende ohne uns bestens überstanden haben, hätte mein Lievito Madre beinahe das Zeitliche gesegnet, weil Karlsson ihn für einen ganz gewöhnlichen Tortilla-Teig hielt. 
  • So schön es ist, am Freitagvormittag dem ganzen Trubel mal für eine Weile zu entfliehen, so schön ist es auch, am Sonntagabend wieder in den Trubel zurückzukehren und von denen, die einen grossen Teil des Trubels verursachen, bei Kerzenschein mit Tee und Guezli empfangen zu werden. 
  • Karlsson ist froh und dankbar, dass er nicht jeden Tag unseren Job machen muss.

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Elterliche Pflichten

Als Eltern hat man gewisse Pflichten. Zum Beispiel diejenige, eine Gelegenheit, spontan einen Abend zu zweit zu verbringen, nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, ganz egal, wie müde und abgekämpft man auch sein mag.

Wenn der FeuerwehrRitterRömerPirat ohnehin die ganze Woche ausser Hause ist,…

… Karlsson und der Zoowärter am Montag verkünden, sie seien heute Abend eingeladen,…

… das Prinzchen bittet, bei einem Freund übernachten zu dürfen, wo doch morgen die Schule ausfalle…

und sich schliesslich bei der Luise, die seit Samstag an einer heftigen Halsentzündung leidet, endlich deutliche Anzeichen der Besserung bemerkbar machen, so dass ihr eine Freundin am Abend Gesellschaft leisten kann, 

dann hat man als Eltern gar keine andere Wahl, als sofort das Kinoprogramm zu studieren, sich über die Öffnungszeiten diverser Wellness-Tempel zu informieren und kurz Rücksprache mit dem Bankkonto zu halten, um zu entscheiden, was am ehesten drin liegt.  Es spielt – wie bereits gesagt – keine Rolle, ob man gerade in Stimmung ist, auszugehen. Es spielt auch keine Rolle, für welches Programm man sich am Ende entscheidet. Ja, es ist nicht einmal von Bedeutung, ob man lange oder kurz wegbleibt. Es geht einzig und allein darum, der elterlichen Pflicht nachzukommen, die da heisst, sich einen Szenenwechsel zu gönnen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet.

Man weiss ja nie, wann die Umstände wieder ähnlich günstig sein werden. 

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Andere Phase

Als sich bereits am Dienstag abzeichnete, dass ich spätestens am Donnerstagabend auf dem Zahnfleisch gehen würde, verkündete ich: „Der Freitag gehört ganz alleine mir!“ Dann könnte ich endlich wiedermal…

den ganzen Tag intensiv an meiner Geschichte arbeiten, die schon so lange auf ihre Fertigstellung wartet,

oder mich mit einem guten Buch in den Garten setzen und das schöne Wetter geniessen, 

oder die Stelle, wo der Gartenteich hinkommen soll, mal richtig jäten und vorbereiten, 

oder Croissants backen. Und Brioches. Und Laugengebäck,

…. oder in den Wald gehen, 

oder in der Stadt einen Kaffee trinken und in den Buchhandlungen nach Lesestoff stöbern, 

oder gemütlich mit jemandem einen Tee trinken und ein wenig plaudern, 

oder mit dem Velo in die Stadtgärtnerei fahren, das lauschige Gartencafé geniessen und ein paar Blumen für den Balkon kaufen, 

oder sonst irgend etwas tun, was mir Freude macht, 

… oder Schwiegermama zur Nachkontrolle ins Spital begleiten und dann bis zum frühen Nachmittag mit ihr auf der Notfallstation warten, weil aus einer latenten Geschichte etwas Akutes geworden ist. 

Wann werde ich endlich begreifen, dass auf die „Bei uns dreht sich alles um die Kinder“-Phase nicht die „Jetzt bin aber ich wiedermal dran“-Phase folgt, sondern die „Schwiegermama braucht uns jetzt ganz dringend“-Phase? 

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Woran du erkennst,…

… dass du dringend wieder mal ein paar (arbeits- und haushalts)freie Stunden alleine verbringen solltest:

  • Wenn du auf dem Heimweg von einem Interviewtermin nicht nur die Autobahn meidest, sondern auch unter dem Vorwand, du müsstest unbedingt jetzt gleich sehen, wie sich die Orte deiner Kindheit verändert haben, zahlreiche Umwege machst.
  • Wenn du es vorziehst, in einer Tiefgarage ein kaltes Stück Pizza zu essen, anstatt dich zu Hause mit allen anderen an den Mittagstisch zu setzen.
  • Wenn du dir durchaus vorstellen könntest, in dieser Tiefgarage auch noch ein wenig zu lesen, was du nur deshalb nicht tust, weil du fürchtest, die Gratis-Parkzeit laufe demnächst ab.
  • Wenn dein Herz höher schlägt, als sich die Bahnschranke vor dir langsam senkt. Jawohl, genau die Bahnschranke, über die du in der Regel schimpfst, weil sie bekannt ist dafür, endlose Staus zu verursachen.
  • Wenn du ganz betrübt bist, dass nur ein einziger kurzer Güterzug durchfährt, bevor sich die Schranke wieder hebt.
  • Wenn du zwar den ganzen Heimweg voller Zuneigung an deinen Lieben und ihren Bedürfnissen herum studierst, du aber doch ungemein dankbar bist, dass mal keiner von ihnen mit Dauergequassel deine Gedanken durcheinander bringt. 
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Und ob die das können!

Mit Kerzenschein, einer Auswahl von Kaffee, Tee und Guetzli sowie einer perfekt aufgeräumten und geputzten Wohnung wurden wir empfangen, als wir vom Wellness-Wochenende mit Freunden nach Hause kamen. Wer das alles organisiert hat? Niemand Geringeres als die fünf Kinder – allen voran die zwei Grössten -, die in den vergangenen Jahren für so manchen „Wann lernen die endlich, ein wenig Ordnung zu halten“-Seufzer verantwortlich waren. Die Kinder, die sich im Alltag längst nicht immer so kooperativ verhalten, wie wir uns dies wünschen würden, die aber offenbar sehr wohl in der Lage sind, unsere Erwartungen bei Weitem zu übertreffen, wenn wir ihnen die Gelegenheit dazu bieten. 

Da hoffen wir doch, ihre Erkenntnis, dass Putzen und Aufräumen weit anstrengender sind als sie es sich vorgestellt hätten, sei länger haltbar, als die Erholung, die „Meiner“ und ich während der freien Tage genossen haben. 

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Liebe Mitmütter

Glaubt mir, ich weiss nur zu gut, wie einsam und endlos die Tage sein können, wenn die Kleinen noch klein sind. Ich weiss auch, wie unglaublich gut es tut, endlich einmal einen ganzen Abend lang mit Freundinnen unterwegs zu sein. Dennoch muss ich euch sagen, dass es bestimmte Orte gibt, an denen weder ich noch sonst irgend jemand mithören möchte, was ihr einander zu erzählen habt.

Ja, ich weiss, die Ferien im Kinderhotel waren unglaublich toll. Endlich waren eure Knöpfe rund um die Uhr beschäftigt und ihr hattet Zeit zum Lesen. Und dann dieses Buffet! So viel gutes Essen und ihr musstet keinen Finger dafür krumm machen. Und natürlich wollt ihr auch noch über den USA-Trip reden, wo es so tolle Pancakes gab und wo ihr euch all die vielen Kilos, die ihr vorher mühselig abgenommen hattet, gleich wieder angefressen habt. Sogar euer Kleiner, der doch sonst nie etwas essen mag, hat da so richtig reingehauen. Der Schwiegervater hat dann natürlich wieder blöd gemeckert, aber das kennt man von ihm ja nicht anders. Ach, und wo wir schon von den Schwiegereltern reden….

So geht das in einem Fort, mit viel Gekicher und Gejammer und das macht euch so unglaublich glücklich, dass ihr keine Sekunde daran denkt, dass ihr euch die Sauna mit Menschen teilt, die hergekommen sind, um zur Abwechslung mal den Familenalltag hinter sich zu lassen. Also unterhaltet euch gefälligst über Dinge, die eure unfreiwilligen Mithörer auch interessieren. Oder unterhaltet euch am besten gar nicht, denn euer ewiges Geschnatter nervt gewaltig, wenn man versucht, möglichst viel Entspannung in die kurzen kinderfreien Stunden zu packen.

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Allmählich werden sie frech…

„Mama, Papa, wann kommt ihr endlich wieder nach Hause?“, tönte es früher, als unsere Kinder noch klein waren, durchs Telefon, wenn „Meiner“ und ich uns alle paar Monate mal dazu aufraffen konnten, zusammen auszugehen. Manchmal kam der Anruf erst kurz vor unserer Rückkehr, manchmal auch schon bevor wir überhaupt an unserem Ziel angekommen waren. Meist war es Luise, die zum Telefon griff, manchmal auch Karlsson oder der FeuerwehrRitterRömerPirat.

Als die Kinder grösser waren, wurden diese Anrufe immer seltener. Die Momente ohne Mama und Papa wurden kostbar, der Augenblick, in dem wir wieder zur Tür hereinkamen, wurde nicht mehr herbeigesehnt. 

Gestern, als „Meiner“ und ich uns nach längerer Pause wiedermal einen gemeinsamen Saunatag gönnten, waren wir deshalb ziemlich erstaunt über Karlssons Anruf. „Na ja, vielleicht fürchtet er, wir würden zu spät zu seiner Schulschlussfeier kommen“, meinte „Meiner“. „Oder sie wollen wissen, ob die Zeit noch reicht, um das Chaos, das sie angerichtet haben, zu beseitigen“, sagte ich.

Eigentlich wollten sie aber nur wissen, wann sie sich in ihre Verkleidungen stürzen müssen. Als wir zur Tür hereinkamen, sassen sie nämlich da, Karlsson und Luise, verkleidet als „Meiner“ und ich. „Lasst mich gefälligst in Ruhe meine Netflix-Folge schauen!“, stänkerte der falsche Papa hinter seinem iPad. „Ich muss diese Woche noch mindestens 13 Stunden arbeiten und komme einfach nirgendwo hin“, klagte die falsche Mama, die ihren Laptop auf dem Schoss hielt.

Allmählich werden sie frech, die „Kleinen“.

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Sahnehäubchen

Es gab eine Zeit in meinem Leben, da war Genuss ein rares Gut. Ich war buchstäblich rund um die Uhr gefordert, sehr oft auch körperlich. Ein Bad zu nehmen, ungestört ein Tässchen Tee zu geniessen oder einen ganzen Film am Stück zu schauen, war purer Luxus. Während dieser Zeit bedeuten fünfzehn ungestörte Minuten mit einem liebevoll angerichteten Dessert, einem Latte Macchiato und einer Duftkerze die Welt. Wer mir eine wirklich grosse Freude bereiten wollte, schenkte mir nicht nur eine Badekugel von Lush, sondern gleich noch einen dicken Schmöker und eine Stunde kinderfrei dazu. Alles Liebliche zog mich magisch an, denn um mich herum herrschte fast immer das Chaos. Wann immer ich ein paar Franken übrig hatte, schleppte ich Rosarotes und Geblümtes an, um meinem Leben einen freundlicheren Anstrich zu verleihen. 

Inzwischen ist mein Leben nicht unbedingt weniger herausfordernd, doch die Dinge, die vor ein paar Jahren noch mein Herz hatten höher schlagen lassen, sind selbstverständlicher geworden. Wenn ich finde, ich hätte mal wieder etwas Entspannung nötig, lässt sich das meist einrichten und falls es doch mal nicht klappen sollte, ist das zwar ärgerlich, ein Vollbad im Selbstmitleid nehme ich deswegen aber nicht. Mein Bedürfnis nach Ruhe und Erholung hat also wieder halbwegs normale Ausmasse angenommen. Wenn es um meine eigene Zeit geht, steht nicht mehr der Wunsch nach Entspannung im Vordergrund, sondern der unbändige Drang, zumindest einen Teil der Ideen, die in meinem Kopf schlummern, zum Leben zu erwecken. 

Mit einem gewissen Befremden registriere ich jetzt den ganzen „Gönn dir was“-Kult, der sich in den letzten Jahren ausgebreitet hat. Die Regale in den Läden, die vollgestopft sind mit wunderschönen, aber eigentlich unnützen Dingen, das Tamtam das gemacht wird um die perfekte Kaffeepause im perfekten Ambiente, der Aufwand, der betrieben wird, um es sich selber gut gehen zu lassen. Klar haben wir es uns verdient, nach den anstrengenden Kleinkinderjahren ein wenig auszuspannen und die Ruhezeiten, die wir verpasst haben, nachzuholen. Natürlich tut es gut, hin und wieder die Füsse hochzulegen, über das Leben nachzudenken und die schönen Dinge zu geniessen. Es ist sogar nötig, das hin und wieder zu tun, sonst verrennt man sich so leicht. Manchmal aber scheint mir, wir Mütter zwischen vierzig und sechzig seien drauf und dran, uns das, was eigentlich das Sahnehäubchen sein sollte, zum Lebensinhalt zu machen.

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