Eingeschlichen

Frauen über vierzig müssen nicht aussehen wie Frauen unter zwanzig.

Das ewige Drama um den „perfekten“ Körper kann mir gestohlen bleiben.

Schwangerschaften dürfen Spuren hinterlassen.

Absolut daneben, dass in manchen Geschäften jede, die nicht gerade spindeldürr ist, bei den Übergrössen suchen muss, wenn sie etwas Passendes finden will.

Einfach traurig, wie schon junge Frauen glauben, sie seien nicht schön, weil sie aussehen wie echte Menschen und nicht wie mehrfach bearbeitete Idelabildchen.

Dies und noch viel mehr sage ich aus tiefster Überzeugung. Und doch ertappte ich mich neulich dabei, wie ich in einem dieser elenden Kleidergeschäfte, die jeder Frau das Gefühl geben, ein fettes Nilpferd zu sein, plötzlich glaubte, ich hätte etwas Grossartiges geleistet, weil ich bei denen zum ersten Mal seit Jahren wieder in eine ganz gewöhnliche Kleidergrösse von der Stange passte.

Mist, ich will so etwas doch gar nicht für einen Erfolg halten und doch hat sich dieses Denken irgendwo bei mir einschleichen können.

Unzufriedenheitstraining

Wiedermal ein ungeplanter Arzttermin. Wie jedes Mal vor der Untersuchung wird das Kind gebeten, sich wiegen und messen zu lassen. Die Praxisassistentin notiert sich Gewicht und Grösse und bemerkt genüsslich: „Beim letzten Besuch warst du genau gleich gross, aber zwei Kilos leichter.“

Bravo! Solche Bemerkungen sollte man – völlig normalgewichtigen – weiblichen Teenagern viel öfter vor die Füsse knallen. Sonst lernen die ja nie, mit ihrem Körper unzufrieden zu sein. 

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Falsche Zielgruppe

Man sagt, Facebook wisse viel mehr über uns, als wir uns vorstellen könnten.

Man sagt auch, wir bekämen in unserer Timeline nur Dinge zu sehen, die auf unsere Interessen abgestimmt seien. 

Man lehrt uns, nur Leute, die zur definierten Zielgruppe gehörten, würden bestimmte Werbungen zu sehen bekommen. 

Ausserdem sagt man, diese Werbung sei eng mit dem verknüpft, was wir den lieben langen Tag im Netz suchen.

Warum um alles in der Welt bekomme ich dann seit ein paar Tagen andauernd die „Buy 2 + 1 Free“-Anzeige für modische Hidschabs eingespielt? Habe ich vielleicht jemals den Eindruck erweckt, ich hätte demnächst vor, nur noch verhüllt aus dem Haus zu gehen? 

Ach, übrigens: Bei dem Angebot handelt es sich um ein „Mother’s Day Special Offer“. Ich müsste also wohl schnell zuschlagen, wenn ich wollte…

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Debattieren wir ruhig weiter…

Internationaler Frauentag. In den Medien toben einmal mehr die Debatten um Lohngleichheit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die gerechte Aufteilung von Hausarbeit. Jede Zeitschrift, die etwas auf sich hält, liefert eine Strickanleitung für den „Pussy Hat“ und als ein Ewiggestriger behauptet, Frauen könnten nun mal besser putzen als Männer, brandet eine Welle der Empörung durch die Sozialen Medien. Die Dinge müssten sich endlich ändern, fordern Frauen und Männer im Chor. 

Am Ende dieser Woche kehrt der FeuerwehrRitterRömerPirat aus dem Skilager nach Hause. Er sei gelobt worden, weil er in der Küche so gut geholfen habe, erzählt er. Die meisten Jungs in seiner Gruppe hätten gesagt, sie müssten im Haushalt nie mithelfen. Von den Mädchen hingegen müsse eigentlich jede zu Hause mit anpacken. 

Da können wir am Frauentag noch lange weiter debattieren…

Danke!

Endlich ist er da, der Aufschrei und auch wenn ich aus Rücksicht auf meine Kinder, die solche Geschichten nicht auf diesem Weg erfahren sollen, darauf verzichte, meine eigenen Erlebnisse in die Welt hinaus zu schreien, so möchte ich doch all denen danken, die es tun. Ich wünsche mir, der Schrei möge erst dann verhallen, wenn auch der letzte der Idioten, die jetzt sagen, wir hysterischen Weiber sollten nicht so ein Theater machen, es habe uns doch auch ein bisschen Spass gemacht, endlich die Klappe hält.

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Nicht mehr die gleiche Zielgruppe

Da „Meiner“ und ich fast auf den Tag genau gleich alt und schon mehr als das halbe Leben miteinander unterwegs sind, haben wir nicht nur viele entscheidende Schritte – Matura, Berufswahl, erwachsen werden, …- gemeinsam unternommen, wir gehörten offenbar auch über viele Jahre der gleichen Zielgruppe an. Die Banken bewarben sich um die Anlage unseres nicht vorhandenen Vermögens, die Versicherungen bemühten sich darum, Dinge, abzusichern, die sich in Wirklichkeit nicht absichern lassen, alle anderen führten uns in den schillerndsten Farben vor Augen, was wir für unser Glück und das Glück unserer Kinder so alles brauchen. Nur ganz selten einmal kam es vor, dass sie uns mit unterschiedlichen Strategien zu bezirzen versuchten und einmal bestand der Kerl, der uns ein „Weltwoche“-Abo aufschwatzen wollte, doch tatsächlich darauf, das „Nein“ aus dem Munde meines Herrn Gemahl zu vernehmen, ehe er von uns abliess, doch das erstaunt bei diesem Blatt ja nicht wirklich. Im Grossen und Ganzen aber hatten sie in ihren Bemühungen, uns das Geld aus dem Sack zu ziehen, uns gemeinsam im Visier.

Seitdem wir – natürlich wieder fast gleichzeitig – die Vierzig überschritten haben, fahren die Werber nun aber plötzlich getrennte Strategien. „Meiner“ ist jetzt offenbar in dem Alter angekommen, in dem man von Männern erwartet, sich um ihre Gesundheit zu sorgen. Fast täglich landen an ihn adressierte Gesundheitsbroschüren und Bettelbriefe, in denen er gebeten wird, doch bitte einen Beitrag zur Erforschung einer seltenen Krankheit zu leisten, im Briefkasten. Damit er auch ganz sicher etwas springen lässt, versucht man, ihn mit Lupen, Tischkalendern, Kugelschreibern und anderem Kram zu ködern. Mir hingegen wird gar nichts geschenkt, ich bekomme nur plötzlich haufenweise Kataloge, die von vorne bis hinten voll sind mit sündhaft teuren geblümten und gerüschten Dingen, mit denen ich mein trautes Heim auf meine alten Tage hin hübsch herrichten soll. Also nichts mehr mit gleicher Zielgruppe. Während er sich gefälligst um seine Gesundheit kümmern soll, wird es für mich Zeit, mir einen romantischen Mikrokosmos aufzubauen, in dem ich irgendwann mit dem pastellfarbenen Hintergrund verschmelzen würde, so ich denn  endlich einsichtig wäre und mich meinem hohen Alter entsprechend dezent pastellfarben kleiden würde. 

Ach ja, da ist noch so eine Sache, in der wir nicht mehr ganz gleich sind, „Meiner“ und ich. Während er zuweilen doch tatsächlich noch als „jung und gut aussehend“ bezeichnet wird, hat man mir heute – unter wortreichen Beteuerungen, ich sei natürlich noch längst nicht alt – eine Brille mit einer Vorstufe von Gleitsichtgläsern verkauft. 

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ÖV-Schnipsel

Zwei junge Frauen ein paar Reihen hinter mir im Bus:

„Dem Tom geht’s ja voll mies.“

„Ja, habe ich auch bemerkt. Der Arme sieht voll schlecht aus.“

„Manchmal denkt man ja, das kann nicht mehr lange so weitergehen. Er tut mir so schrecklich leid.“

„Mir auch. Ich hoffe einfach, er überlebt das.“

Man denkt, wie furchtbar es doch ist, wenn junge Menschen schon so schlimme Erfahrungen machen müssen, doch die Zwei reden weiter:

„Also ich denke schon. Die werden ihn doch jetzt nicht einfach sterben lassen.“

„Ja, ich glaube, du hast recht. Er kann jetzt nicht einfach wegsterben.“

Man will schon denken, wie wunderbar dieses jugendliche Vertrauen in die rettende Kraft der Medizin doch ist, aber das Gespräch geht weiter und man hat keine Zeit zum Denken:

„Nein, der ist viel zu wichtig für die Handlung. So eine tragende Rolle können sie ja nicht einfach verschwinden lassen.“

Und jetzt endlich versteht man, dass Toms Leben nicht durch eine bösartige Krankheit, sondern durch einen böswilligen Drehbuchautor bedroht ist. 

*

Wieder zwei Frauen, diesmal mittleren Alters:

„Man fragt sich ja, wie sie das alles schafft.“

„Ja, und dann noch mit den vielen Kindern, die sie hat.“

„Sie sagt ja, sie müsse arbeiten. Anders gehe es nicht.“

„Oh ja, genau, sie muss! Wer’s glaubt.“

Und wenn ich in der Lage wäre, die Blicke zu beschreiben, die sie einander bei diesem letzten Satz zuwerfen, dann wüsstet ihr jetzt, dass eine Mutter von vielen Kindern nur berufstätig sein darf, wenn ihr Mann bei einem Schiffsunglück ertrunken ist, keine Lebensversicherung hinterlassen hat, die Familie ein undichtes Dach über dem Kopf hat, keiner in der Verwandtschaft auch nur einen müden Rappen springen lässt und das Sozialamt auch nichts rausrücken will. 

*

Und dann ist da noch die jüngere Frau neben mir, die mit dem Handy am Ohr eine ganze Busfahrt lang versucht, sich mithilfe ihrer sehr geduldigen Gesprächspartnerin eine aufkeimende Beziehung schönzureden. Da ich nur die eine Seite des Gesprächs mithören kann, bekomme ich leider nicht ganz alles mit, aber wenn ich richtig kombiniert habe, hat der Kerl geschworen, mit der Verflossenen sei nichts mehr und jetzt bandelt er doch wieder mit ihr an und behandelt meine arme Sitznachbarin mit einer unerträglichen Kälte und das tut natürlich furchtbar weh und mit der vorletzten Freundin hat er es ja schon genau gleich gemacht. Aber meine Sitznachbarin hat halt so ein gutes Gefühl bei ihm und es war ja auch so furchtbar romantisch, dieses eine Mal, als sie sich ein wenig näher gekommen sind und darum möchte sie doch unbedingt von ihrer Freundin wissen, wie sie den Kerl jetzt ganz an sich binden kann und sei es nur, um die Halskette wieder zurückzubekommen, die er noch bei sich zu Hause hat. Ich würde mich ja so gerne einmischen und ihr sagen, sie solle ihre Halskette vergessen und ihre manikürten Fingerchen von dem Kerl lassen, aber mich fragt natürlich mal wieder keiner.

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Resigniert?

Klar machen mich die Nachrichten aus Köln betroffen und wütend. Klar darf es nicht sein, dass Frauen als Freiwild betrachtet und behandelt werden. Klar muss man offen über die frauenfeindliche Grundhaltung der Täter reden dürfen, ohne gleich als fremdenfeindlich abgestempelt zu werden.

Wütend machen mich aber auch junge Frauen, die am Schweizer Fernsehen sagen, sexuelle Belästigungen gehörten halt einfach dazu, dagegen könne man nichts tun, man dürfe eben nicht alleine unterwegs sein, dann komme man schon irgendwie durch. Es sei zwar unangenehm, immer mal wieder begrapscht zu werden, aber frau müsse lernen, sowas zu ignorieren. Man könne ja so einem Ekel nicht einfach eine runterhauen.

Ignorieren? Sich damit abfinden? So tun, als wäre nichts dabei, wenn einer im Vorbeigehen mal schnell grapscht?

Irre ich mich, oder hat die Frauengeneration, die nach uns kommt, resigniert?

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Wer ist hier alt?!

Heute früh an der Reception ein für meine Ohren äusserst erbauliches Gespräch zwischen zwei Angestellten, beide um die Zwanzig.

Receptionistin: „Meine Mutter ist jung.“

Kellnerin: „Wie alt ist sie denn?“

R: „Dreiundvierzig.“

K: „Boah, so alt!“

R: „Dreiundvierzig ist nicht alt.“

K: „Aber sicher doch. Steinalt.“

R: „Sicher nicht. Ich bin fast zwanzig, sie ist dreiundvierzig, mein Bruder ist acht. Sie ist jung.“

K: „Glaub mir, sie ist alt. Alles über vierzig ist alt.“

Da überlege ich mir doch gleich, ob ich vor der Abreise noch kurz einen auf Obelix machen soll. Ihr versteht schon: Mit irrem Blick in den Frühstücksraum platzen, mich vor der Kellnerin aufbauen und brüllen: „Wer ist hier alt?!“

Und danach der Receptionistin für ihr Wohlverhalten provokativ ein fettes Trinkgeld zuschieben. 

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Blödes, infantiles Ich

Wir lernten uns kennen, als sie ein junges Ding war. Fast hätte ich „ein junges, dummes Ding“ geschrieben, aber sowas schreibt man nicht, wenn man ein Gutmensch ist und zu den Gutmenschen gehöre ich ganz zweifellos, das haben die aus der rechten Ecke im Gott sei Dank zu Ende gehenden Wahlkampf eins ums andere Mal klar gemacht. Aber zurück zu ihr. Sie war also jung und lebensunerfahren, als ich sie kennen lernte. Was nicht weiter schlimm gewesen wäre, hätte ihr nicht zugleich an dem gemangelt, was man gemeinhin Intelligenz nennt. Da sie nicht gerade hässlich war, ich aber zu jenem Zeitpunkt von fünf Schwangerschaften und zig durchwachten Nächten ziemlich mitgenommen aussah, fühlte sie sich mir haushoch überlegen, weshalb sie sich nicht genierte, mir gegenüber jede Sinnlosigkeit, die ihr gerade auf der Zunge lag, frei heraus zu äussern. Zum Beispiel: „Wollt ihr den FeuerwehrRitterRömerPiraten nicht in ein Heim geben? Der hat doch immer so schlimme Trotzanfälle.“ Oder: „Frauen, die Grösse 38 tragen haben voll versagt.“ Oder, als sie merkte, dass ich auch zu diesen Versagerinnen gehöre: „Also, bei dir ist das etwas anderes. Du darfst schon so aussehen, du hast ja ein paar Kinder geboren.“ Bei jeder Begegnung solche und ähnliche Bemerkungen, die mich zwar im Moment ärgerten, die ich aber nach einigem Grummeln in der Schublade „jung und unerfahren, irgendwann vielleicht nützlich für einen satirischen Text“ archivierte.  

Inzwischen ist sie etwas älter, nicht unbedingt viel weiser, aber auf bestem Wege, Mutter zu werden. Das bringt zwei Probleme mit sich. Erstens hat sie nun das Gefühl, sie sei in meiner Welt angekommen, weshalb sie keine Gelegenheit auslässt, um mit mir Gespräche zu führen, wie sie ihrer Meinung nach reifere Frauen miteinander führen. Also Wetter-, Haushalt- und Einkaufsgespräche. Zweitens – und das ist viel schlimmer – stelle ich fest, dass ich ihre Bemerkungen von früher doch nicht ganz verdaut habe, weshalb ich mich in Gedanken ähnlich infantil aufführe wie sie damals. So erfüllt es mich zum Beispiel mit einer beschämenden Genugtuung, dass sie zu jenen Schwangeren gehört, die wohl am Hintern und im Gesicht zunehmen, nicht aber am Bauch. „Na, wie war das nochmal mit Grösse 38?“, lästert mein infantiles Ich, wenn ich ihr begegne. Und dann fängt es an, sich auszumalen, wie sich ihr Nachwuchs eines nicht mehr allzu fernen Tages in seinem ersten Trotzanfall schreiend und tobend am Boden windet und wie es dann süffisant bemerkt, ob ein Kinderheim nicht vielleicht die beste Lösung wäre.

Blödes, infantiles Ich. Nimmt mir einfach die Illusion, dass ich inzwischen zu einem halbwegs vernünftigen Menschen herangereift bin. 

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