Ist das vielleicht fair?

Mein ganzes Leben schon schlage ich mit dem A rum, das am Ende meines Vornamens nicht vorhanden ist, nach Auffassung meiner Landsleute da aber unbedingt hingehörte, weil sie sonst nicht recht wissen, ob sie mich bei den Weiblein oder den Männlein einordnen müssen. Dieses A, das der Grund war, weshalb ich keine Sekunde zögerte, den Nachnamen von „Meinem“ anzunehmen. In Kombination mit meinem ehemaligen Nachnamen – Martin – entfaltete das fehlende A nämlich eine ziemlich unangenehme Wirkung. 

So fand ich es ganz und gar nicht lustig, dass man mich in meinem ersten Ferienlager mit den folgenden Worten begrüsste: „Ach so, du bist ein Mädchen. Das ist jetzt aber blöd, wir haben dich nämlich bei den Jungs ins Zimmer eingeteilt.“ Glaubt mir, es war ganz und gar nicht witzig, als Zehnjährige die ersten zwei Wochen weit weg von meiner Familie als fünftes Rad am Wagen einer Mädchengruppe zu verbringen, die mich nur schon deshalb nicht mochte, weil sie wegen meines nachträglich ins Zimmer gezwängten Bettes noch enger zusammenrücken mussten. Auch der Zahnarztbesuch, bei dem man mit Erstaunen feststellte, dass kein gesetzter Herr Martin Tanner, sondern ein eingeschüchterter Teenager mit einem eigenartigen Namen im Wartezimmer sass, ist mir nicht in bester Erinnerung geblieben. Ach ja, und dann war da noch der Brüller, als eine stockkonservative Organisation einen Brief an das Ehepaar „Martin und ‚Meiner‘ Venditti“ schickte. 

Noch heute, in Zeiten, in denen doch jedes zweite Kind, das das Licht der Welt erblickt, irgendwie exotisch und doch vertraut heisst, hören die Episoden nicht auf und die Post, die Herr Tamar Venditti fast täglich bekommt, würde sich wohl längst bis zur Zimmerdecke stapeln, wäre ich nicht jeweils so frech, sie zu öffnen, obschon sie eigentlich nicht an mich adressiert ist.

Schlimm ist das nicht, ich weiss, aber nerven tut’s trotzdem. Und seit heute Nachmittag bin ich sogar ein ganz klein wenig eingeschnappt. Da landete gestern eine Mail in meinem Postfach, adressiert an Frau Karlsson Venditti. Die Mail war von einem Geschäft, in dem Karlsson in grauer Vorzeit mal etwas bestellt hat, als er noch keine eigene Mailadresse hatte und sich mit dem Gedanken trug, einer jener verschrobenen Modelleisenbahn-Fanatiker zu werden. Dieser Gedanke ist zum Glück längst verflogen, geblieben ist einzig die Adresse von „Frau Karlsson Venditti“ in irgend einer Datei des Modelleisenbahn-Ladens. Aus mangelndem Interesse löschte ich die Mail, ohne sie durchzulesen und mir wäre nichts daran aufgefallen, wäre nicht heute eine weitere Mail in meinem Postfach gelandet: Bitte vielmals um Entschuldigung! Falsche Anrede! Natürlich war Herr Karlsson Venditti gemeint. Bitten untertänigst um Verzeihung. Bla bla bla. Das ganze Theater wegen eines einzigen kleinen Verschreibers, von dem Karlsson nicht mal erfahren wird, weil er sich ja jetzt nicht mehr für das Modelleisenbahn-Zeugs interessiert, weshalb ich die Mail nicht weiterleite.

Nicht mal vierundzwanzig Stunden hat es gedauert, bis man Karlsson auf Knien um Verzeihung anfleht, weil man einen kurzen Augenblick an seiner Männlichkeit gezweifelt hat. Und wann bekomme ich endlich dieses Entschuldigungsschreiben? Ich warte schon seit Jahren darauf. (Na ja, und wenn das nicht kommt, könnten mir meine Eltern vielleicht endlich mal erklären, was sie sich dabei gedacht haben, mir diesen Namen zu verpassen.)

cercare i fili per terra; prettyvenditti.jetzt

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Cinderella muss abspecken

Karlsson und Luise zogen sich neulich spät abends einen seichten Film rein und weil ich noch später abends zwar einen Brummschädel hatte, nicht aber müde genug war, um mich schon ins Bett zu verkriechen – Himmel, es war noch nicht mal Mitternacht! -, schaute ich mir das Zeug auch an. Es war einer dieser unzähligen Cinderella-Verschnitte, diesmal aber nicht mit kreischenden Teenies, sondern mit angeblich erwachsenen Frauen, die mitten im Berufsleben stehen. Die Story ging etwa so:

Drei in den Augen des amerikanischen Publikums wohl deutlich übergewichtige Frauen werden nicht für voll genommen. Sie beschliessen, gemeinsam abzunehmen, gestehen einander unter Tränen, dass sie sich den Speck nur angefressen haben, um sich vor der bösen, bösen Welt da draussen zu schützen und weil sie einfach nie gelernt haben, sich selbst zu mögen. Damit der Zuschauer auch weiss, wie man den Speck auf den Hüften los wird, darf er den drei Frauen dabei zusehen, wie sie sich mit dem Personal Trainer auf dem Sportplatz quälen, wie sie mit grösster Willensstärke dem Doughnut widerstehen und wie eine von ihnen nur dank chirurgischer Hilfe zur Traumfigur zurückfindet. Schliesslich aber sind die Frauen dünn genug, um dem Publikum als Vorbild zu dienen und jetzt darf das Glück endlich auf sie herabregnen. Im Falle der Hauptfigur kommt dieses – wie könnte es anders sein – in Form eines gut situierten Prince Charming und eines fetten Buchdeals daher. 

Cinderella ist heute also nicht mehr arm, sondern dick. Wenn sie haben will, was andere Frauen ganz selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen, soll sie abspecken. Und wenn sie das endlich geschafft hat, soll sie gefälligst dankbar sein, dass Prince Charming sie haben will. Obschon sie ihn natürlich warnen muss, ihr Körper sei „nicht so schön wie der von anderen Mädchen“, bevor er mit ihr in die Kiste springt. (Natürlich versichert er ihr pflichtbewusst, sie sei wunderschön und habe ihm schon gefallen, als sie noch runder war, aber wir wissen alle, dass er das nur um der politischen Korrektheit Willen sagen muss.)

Zum Glück fanden Karlsson und Luise dieses Machwerk ebenso übel wie ich, sonst müsste ich sie ganz dringend einer Gehirnwäsche unterziehen. 

remain connected; prettyvenditti.jetzt

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Wie war das nochmal mit diesen Mokassins?

Arbeitsunfäig? Der? Aber im Garten arbeiten, das kann er. Und die andere ist ganz selber Schuld, dass ihr Typ sie hat sitzen lassen. Hätte sich eben ein wenig um ihr Aussehen kümmern müssen, dann wäre er bestimmt geblieben. Dass ihr Sohn dann auch noch den Job verloren hat, wundert auch keinen. Ist halt so ein typischer Jugendlicher, ohne Durchhaltevermögen und Rückgrat. Ja, ja, ich weiss, die erzählen, der Chef sei total unfair gewesen, habe ihn auf die Strasse gestellt, weil er zu oft krank war, aber der bleibt ja auch bei jeder Erkältung zu Hause. Wie jetzt, ernsthafte Erkrankung? Wer’s glaubt! Verweichlicht ist der, sonst nichts. Und diese Flüchtlinge erst! Würden besser in ihrem Land bleiben und sich dafür einsetzen, dass es dort besser wird. So schlimm kann das in Syrien ja auch wieder nicht sein, dass man gleich mit Sack und Pack abhauen muss. Also wenn ich dort wäre, würde ich ganz bestimmt nicht… Und wenn die Griechen endlich ein Einsehen hätten, dann wäre das Problem in Nullkommanix gelöst. Die müssten halt einfach mal…

So hört und liest man pausenlos und allmählich fange ich an, mich nach dem Spruch zu sehnen, den sie einem in den Neunzigern immer um die Ohren gehauen haben. Ihr wisst schon, die Sache mit dem Mokassins, in denen man erst mal eine Meile gehen soll, ehe man ein Urteil fällt. Mir scheint, der sollte mal wieder in Mode kommen. Nicht so inflationär wie damals, einfach so ein bisschen, damit die Leute wieder denken, ehe sie die Klappe aufreissen. 

our secret; prettyvenditti.jetzt

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Ich pfeife auf „gedeckt und Pastell“

Beim Überfliegen der Sonntagspresse an diesem verregneten Montagmorgen blieb mein Auge an dem nicht gerade einfallsreich formulierten Titel „Frau, aber richtig“ hängen. Erst wollte ich mich ja über den Umstand empören, dass sich da eine Frau dazu hinreissen lässt, in einer Zeitung, die im Allgemeinen einen ganz anständigen Ruf geniesst, den Frauen vorzuschreiben, wie sie in welchem Alter zu sein haben, doch mein Zorn wurde besänftigt, als ich las, vor zwei Wochen hätte man den Männern den gleichen Mist zugemutet. Aber natürlich lieferte die Zusammenstellung auch so noch ausreichend Stoff für Ärger.

Keine Angst, hier folgt keine ausführliche Abhandlung über einen Artikel, der es verdient hat, gleich wieder vergessen zu werden. Ich lasse mich nur über diesen einen kleinen Textschnipsel aus, der mir in der Spalte „Wie Sie im Spannungsfeld von Schlampe und Dame den Stil finden, der anzieht“ besonders sauer aufgestossen ist. Okay, ich weiss, alleine dieses Schlampen- und Damenzeugs hätte eine kritische Auseinandersetzung – die in einem totalen Verriss gipfelt – verdient, aber das überlasse ich anderen und wende mich ganz egoistisch nur diesem einen Ratschlag zu, der mich zutiefst beleidigt. 

In dieser unsäglichen „Schlampen- und Damenrubrik“ steht nämlich in der Spalte für die Vierzigjährigen das folgende Ärgernis: „Ja zu monochromatischen Kleidern, gedeckten Farben und Pastell.“ Himmel, spinnt ihr denn? Monochromatisch allein ginge noch, denn man kann ja auch monochromatisch ziemlich bunt sein, aber warum in aller Welt soll Frau einen auf „gedeckt“ und „Pastell“ machen, bloss weil sie die Vierzig überschritten hat? Gerade so, als sollten wir so allmählich unsichtbar werden in der eintönigen Alltagskulisse, wir Frauen mittleren Alters. Und das ausgerechnet in der Lebensphase, in der die meisten von uns damit anfangen, darauf zu pfeifen, was andere von uns denken. Soll man uns das etwa nicht ansehen dürfen? 

Mit acht, da lässt man sich von der Mama noch sagen, Pink und Orange an einem Tag und an einem Körper, das gehe nun mal nicht. Man mag das bedauern und leise murmeln „Aber ich finde das schön“, doch Mama lässt einen trotzdem nicht so aus dem Haus gehen. Mit vierzehn verspricht man dem Teenieschwarm hoch und heilig, nie, aber auch gar nie mehr die geringelte Hose anzuziehen. (Okay, man verspricht das natürlich nicht wörtlich, aber aus Angst, den Verehrten nie zu bekommen, landet die geringelte Hose dennoch auf Nimmerwiedersehen im hintersten Winkel des Schranks.) Irgendwann, so zwischen Ende der Pubertät und Beginn des Erwachsenenlebens mögen es einige auch in Sachen Kleidung ein wenig bunt treiben, doch spätestens mit fünfundzwanzig glaubt man allen Ernstes, sich aus Rücksicht auf die in der Arbeitswelt geltenden Regeln der knallbunten Klamotten entledigen zu müssen. Früher oder später kommen dann bei den meisten die Schwangerschafts- und Kinderjahre, in denen man froh sein muss, überhaupt je aus dem Pyjama zu kommen, danach ein paar Jährchen der Umgewöhnung an die neuen Körpermasse, in denen sogar ein Mensch wie ich ganz dankbar ist für die dezenteren Farbtöne. Dann aber, zwischen vierzig und fünfzig, sollte man durch all die Höhen und Tiefen des Lebens endlich so weit zu sich selber gefunden haben, dass man sich nur noch mit „gedeckt“ und „Pastell“ zufrieden gibt, wenn man das Zeug auch wirklich mag. Alle anderen sollen jetzt gefälligst so bunt herumlaufen, wie es ihnen beliebt, denn das Leben ist schon grau genug. 

Darum habe ich mir, als ich diesen elenden Artikel (in dem auch noch sehr viel über Orangenhaut, schnarchende Partner und anderen Unsinn stand) zu Ende gelesen hatte, hoch und heilig geschworen, mich erst dann wieder aus den knallbunten Klamotten zu schälen, wenn ich mir selber nicht mehr gefalle darin. Und ganz bestimmt nie, weil mir irgend eine dahergelaufene Schreibende einreden will, ich sei jetzt zu alt für solchen Kram. 

tutti caduti; prettyvenditti.jetzt

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Beauty Event

Die Frau wird wohl nie erfahren, welch grossen Gefallen sie mir mit ihrem rüden Auftritt an der Warenhauskasse getan hat. Da will ich nur mal schnell ein paar Kleinigkeiten bezahlen und die Verkäuferin fängt an, mich zu beschwatzen. Irgend etwas von einem „Beauty Event“, bei dem man sich die Haare machen lassen kann, die Nägel und das Make-up. „Warum sucht die gerade mich als Opfer aus?“, denke ich verzweifelt, währenddem die Kassiererin alle Register zieht, um mir den Anlass schmackhaft zu machen. Von Rabatten erzählt sie, von speziellen Neuheiten und noch einmal von den Nägeln, gerade so, als wäre ihr beim Einkassieren nicht aufgefallen, wie wenig sich meine Nägel für Lack und dergleichen interessieren. Sie redet und redet und redet und ich suche vergeblich nach einer Lücke zwischen ihren Sätzen, die es mir erlauben würde, mein Desinteresse zu verbalisieren. Was mir nicht gelingen will, schafft die Kundin neben mir mit einem einzigen Satz: „Können bitte schnell machen? Mein Bus läuft“, knurrt sie und ich bin frei, zu gehen.

Nicht zur Bushaltestelle, nein, denn mein Bus „läuft“ erst etwas später, aber ich könnte der Dame trotzdem die Füsse küssen vor lauter Dankbarkeit. Nachdem ich mir gestern eine Packung Henna aufs Haar und ein paar Salben ins Gesicht geklatscht habe, ist bereits mehr als genug für meine „Beauty“ getan, da brauche ich nicht auch noch „Events“.

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Im Jahr geirrt?

Wir schreiben das Jahr 2015, Herr und Frau Venditti sitzen eines schönen Morgens am Esstisch und lesen die Tageszeitung. „Das musst du dir ansehen“, sagt er in die für Grossfamilienverhältnisse ungewöhnliche Stille. Sie seufzt ein wenig, denn sie möchte jetzt eigentlich gerne den Artikel über die Banlieues von Paris fertig lesen, doch weil sie die kurze Stunde der Ruhe nicht mit unnötigen Diskussionen um Störungen bei der Zeitungslektüre verderben will, hört sie zu, was „Ihrer“ über einen Frauenmorgen in einer Kirchgemeinde vorliest:

„Mit ihrem Staubsauger schwebt sie durch den Kirchensaal. Wie eine Putzfee, so leicht führt sie ihn über den Boden.“
oder:
„Das Putzen muss vom Kopf ins Gesäss gehen.“
oder:
„Putzwerkzeuge dürfen auch farbig bemalt und gestaltet werden (zum Beispiel ein Loch in einen Teil des Handschuhs schneiden, damit der Ehering zum Vorschein kommt, oder den Besen als Schiff bemalen).“
oder:
„Schlagen Sie bei der Hausarbeit keinen gereizten Ton an, sondern motivieren Sie Ihren Mann, Dinge sauber zu machen, die ihm Spass bereiten.“
oder:
„‚Wie viel Arbeit darf ich meinem Mann nach einer Arbeitswoche überhaupt zumuten?‘, fragt eine Besucherin.“
und noch viele andere Sätze ähnlichen Inhalts.

Erst einmal lachen Herr und Frau Venditti schallend über die Idee mit dem Ehering und dem Besen. Dann versuchen sie herauszufinden, ob die im Artikel genannte „Putzfee“ eine Stand-up-Comedienne war, doch offenbar war die Komik ganz und gar unfreiwillig. Darum überlegen sie sich, ob der Pöstler vielleicht fälschlicherweise eine Zeitung von 1954 in den Briefkasten gelegt hat, doch das Datum auf der Titelseite zeigt: Das Presseerzeugnis ist druckfrisch. Womit Herr und Frau Venditti nur noch die ernüchternde Feststellung bleibt, dass Frauen offenbar auch im Jahr 2015 in die Kirchensäle strömen, um sich sagen zu lassen, wie sie richtig putzen müssen. 

Na ja, etwas hat sich vielleicht schon geändert. Heute erfährt frau an einem solchen Morgen nicht nur, wie sie es richtig macht, sondern auch, wie sie die Drecksarbeit mit Lust erledigt. 

falling; prettyvenditti.jetzt

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Werkzeugkasten & Ehemann beim Onkel Doktor

Heute war der Werkzeugkasten in Begleitung des Ehemanns beim Onkel Doktor, um zu besprechen, wie es mit Schwiegermama weitergeht. Der Onkel Doktor war zwar erst einmal der Meinung, ein solches Gespräch sei nicht nötig, wo sich doch der Spitalaustritt am Horizont abzeichnet, aber sowohl der Ehemann als auch der Werkzeugkasten sind da anderer Meinung, da ganz offensichtlich ist, dass alleine leben für Schwiegermama in den kommenden Wochen nicht in Frage kommt. Der Onkel Doktor kam also ins Krankenzimmer, begrüsste alle Anwesenden freundlich und drehte von da an dem Werkzeugkasten konsequent den Rücken zu und redete einzig mit dem Ehemann. Der Werkzeugkasten fand dies irgendwie nicht in Ordnung, denn erstens war er bis anhin bei fast sämtlichen Arztgesprächen anwesend gewesen und wusste deshalb deutlich besser Bescheid und zweitens wird wohl auch in Zukunft zuerst einmal er herbeigerufen, falls es wieder kritisch werden sollte. Also beschloss der Werkzeugkasten, sich mit gezielten Fragen ins Gespräch einzubringen, was aber den Onkel Doktor nicht weiter beeindruckte, die Antworten richtete er weiterhin an den Ehemann. Mit der Zeit wurde es dem Werkzeugkasten zu bunt und er fing an zu zicken. Nicht heftig, nur ein ganz klein wenig, weil er es nicht ausstehen kann, wenn er nicht ernst genommen wird. In pointierten Worten schilderte er Onkel Doktors Rücken, wie die Lage aus Sicht der Angehörigen aussieht und bat ihn darum, den Sozialdienst ins Spiel zu bringen. Nach einigem Hin und Her hatte der Onkel Doktor endlich ein Einsehen und versprach dem Ehemann, er werde mit dem Sozialdienst Kontakt aufnehmen. Sowohl der Ehemann als auch der Werkzeugkasten bedankten sich und der Werkzeugkasten fügte an, er sei morgen den ganzen Tag erreichbar, man könne sich bei ihm melden, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Jetzt endlich wandte sich der Onkel Doktor dem Werkzeugkasten zu, allerdings mit ziemlich verwirrtem Blick. „Ja, wer von Ihnen ist denn eigentlich zuständig? Mit wem soll der Sozialdienst Kontakt aufnehmen?“ „Wir sind beide zuständig, wir gehören zusammen und sind die engsten Angehörigen“, antwortete der Werkzeugkasten, „aber morgen bin ich besser erreichbar.“

Und wer jetzt denkt, der Onkel Doktor sei halt irgend so ein alter Chauvinist gewesen, der nicht mit Werkzeugkästen redet, der irrt. Der war gerade mal alt genug, dass man ihn nicht für den Sohn des Werkzeugkastens und des Ehemanns halten konnte. 

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Werkzeugkasten

Heutzutage, das weiss jedes Kind, kann man nicht mehr einfach so davon ausgehen, dass Frau zu Hause am Herd auf Anweisungen wartet, was sie mit ihrer Zeit und ihren Fähigkeiten anfangen soll. In der Theorie zumindest ist das so und ich hoffe sehr, dass sich in Lebenswelten, in denen sich meine Geschlechtsgenossinnen bewegen, die Gleichberechtigung in irgend einer Weise bemerkbar macht. In meiner Lebenswelt, die sich derzeit trotz Berufstätigkeit vorwiegend in den eigenen vier Wänden abspielt, ist alles noch irgendwie so, wie es war, als Frauen noch nichts anderes zu tun hatten, als für Mann und Kinder zu sorgen. Dies nicht etwa, weil „Meiner“ ein übler Pascha wäre, der mir keine Freiheiten gönnt, sondern weil eine Frau, die zu Hause ist, von vielen noch immer als eine Art Werkzeugkasten angesehen wird, der nach Belieben dahin geschoben werden kann, wo es im Familiensystem gerade klemmt. Wenn Frau zu Hause ist, kann das, was sie tut, so wichtig ja nicht sein, denn sonst hätte sie einen „richtigen“ Job bekommen, so scheint man noch immer zu denken. 

Mal ist es die Aushilfslehrerin des FeuerwehrRitterRömerPiraten, die darauf besteht, meinen Sohn nach Hause zu schicken, obschon ich ihr schon hundertmal erklärt habe, dass a) unser Dritter ganz gerne die Sache mit dem Bauchweh bringt, wenn er keinen Bock hat auf Schule und b) ich am Arbeiten bin und deshalb genau so wenig verfügbar bin wie eine Mutter, die einen Job ausser Hause hat. Mal ist es Zoowärters Lehrerin, die mich jetzt gleich in der Schule sehen will, weil mein Sohn mal wieder etwas vergessen hat. Auf meine Kolumnen-Deadline kann sie keine Rücksicht nehmen, denn nachher muss sie mit der Klasse ins Turnen. (Sagt jetzt bitte nicht, ich solle halt nicht ans Telefon gehen. Wenn auf dem Display „Schule“ steht, spult mein Gehirn sämtliche Horrorszenarien ab und ich kann gar nicht anders, als ranzugehen.) Wenn es nicht die Schule ist, die meine Dienste wünscht, dann ist es ein Arzt, der mich ganz dringend ins Spital bestellt, weil es Schwiegermama nicht gut geht und intern gerade niemand verfügbar ist, der ihr auf Italienisch erklären kann, was los ist. Eine halbe Woche später wiederum ist es ein anderer Arzt, der mir erklärt, Schwiegermama gehe es viel besser, man könne den Spitalaustritt ins Auge fassen, ich solle doch so rasch als möglich vorbeikommen, damit man die Details besprechen könne. Wenn die italienische Verwandtschaft vom verbesserten Zustand erfährt, steht sogleich die Erwartung im Raum, dass Schwiegermama bei uns einziehen kann, weil ich ja Zeit habe, sie zu pflegen. Und während ich mir noch den Kopf zerbreche, wie wir die Differenz zwischen Ansprüchen und Realität überbrücken sollen, ohne einen epochalen Familienstreit vom Zaun zu brechen, kommt ein freudenstrahlender Zoowärter angerannt, der mir berichtet, die Lehrerin sei krank, der Unterricht falle aus. Das Brieflein, in dem stehen würde, wer keine Betreuungsmöglichkeit habe, könne sein Kind in die Schule schicken, händigt er mir leider nicht aus, denn ich bin ja zu Hause…

Bitte versteht mich nicht falsch. Wenn meine Lieben in der Tinte sitzen, will ich für sie da sein, keine Frage. Was mich an der Sache stört, ist die Selbstverständlichkeit, mit der man sich an mich wendet, wenn es irgendwo brennt. So wurde zum Beispiel „Meiner“ noch nicht ein einziges Mal herbeizitiert, seitdem seine Mutter erkrankt ist, man ruft ganz selbstverständlich mich. Und als er letze Woche mal von sich aus alles stehen und liegen liess, weil es wirklich nicht gut aussah, wurde das von gewissen Menschen mit Kopfschütteln quittiert. „Warum rennst du denn?“, fragten sie ihn, „deine Frau schaut doch zu deiner Mutter.“ 

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Abnehmfronten

Mit dem Gedanken, mal ein paar Kilos loszuwerden, spiele ich schon länger und gerade jetzt stimmen die Bedingungen, um die Sache mal endlich anzugehen. (Ein noch nicht ganz erledigter Magen-Darm-Käfer sorgt schon mal für Starthilfe.) Nur eine klitzekleine Angst hat mich bis anhin davon abgehalten, den Gedanken in die Tat umzusetzen. Nein, nicht die Angst, es ohne Schokolade nicht auszuhalten, denn auch wenn ich das Zeug mag, finde ich doch, es sei ziemlich überbewertet. Lohnt sich doch wirklich nicht, für einen Augenblick des Genusses drei Stunden Sodbrennen in Kauf zu nehmen. Es ist die Angst, zwischen die Fronten zu geraten, die mich zögern lässt, mein Vorhaben anzugehen. Die Fronten? Na ja, ihr wisst schon, die Abnehmfronten.

Auf der einen Seite die Frauen, die glauben, nur wer sich hart an der Grenze zur Anorexie bewege, sei in der Lage, ein glückliches Leben zu führen. Die Frauen, die hinter deinem Rücken sagen: „Wenn ich Grösse 38 tragen müsste, würde ich mir die Kugel geben.“ Die Frauen, die dir um den Hals fallen, wenn du die ersten Kilos geschafft hast und quietschen: „Du siehst sooooooo viel besser aus! Ist doch bestimmt ein ganz anderes Lebensgefühl so.“ Die Frauen, die glauben, mit etwas weniger Speck auf den Rippen würdest du dich plötzlich für Frauenzeitschriften, Nail Design und die aktuellen Modetrends interessieren, weil sie meinen, du hättest diese Dinge bis anhin nur gemieden, weil du zu fett warst dafür. 

Auf der anderen Seite die Frauen, die fürchten, mit dir könne man jetzt keinen Spass mehr haben, du hättest die Fronten gewechselt und würdest dir nun nur noch den Kopf darüber zerbrechen, ob der Macchiato noch drin liegt, oder ob das schon ein paar Kalorien zuviel sind. Die Frauen, die meinen, du wolltest irgend einem unrealistischen Ideal nacheifern, egal, wie oft du ihnen versicherst, du möchtest nicht aussehen wie damals mit zwanzig, sondern dich einfach wieder etwas wohler fühlen. Die Frauen, die deinen Entschluss schon fast als Verrat an der Emanzipation verstehen und insgeheim denken, du wolltest das nur tun, weil „Deiner“ ein böser Sexist ist, der droht, dich zu verlassen, wenn du nicht innert fünf Monaten spindeldürr wirst. 

Nun könnte man natürlich einwenden, man müsste einfach nichts übers Abnehmen sagen, dann sei das mit den Fronten kein Problem, aber das kann nur jemand sagen, der noch nie zuvor ein paar Kilos losgeworden ist. Ich rede da aus Erfahrung: Spätestens wenn die ersten fünf Kilos weg sind, wird die Sache zum Thema, und zwar auf beiden Seiten, ob dir das nun passt oder nicht. Also sage ich lieber zum Vornherein, was ich vorhabe, damit ihr Frauen da draussen wisst, dass ihr gefälligst eure Klappe halten sollt, falls ich wirklich ein paar Kilos loswerde.

Und falls ich es nicht schaffe, gibt es dann keine Kommentare? Mit Sicherheit nicht. Die einen werden nichts sagen, weil sie mich wegen meines Misserfolgs zutiefst bemitleiden (Na ja, die hier würde vermutlich schon etwas sagen, wenn sie etwas von meinem Vorhaben wüsste….), die anderen werden schweigen, weil sie mich nicht auf die Idee bringen wollen, es noch einmal zu versuchen. 

ottant' anni

ottant‘ anni; prettyvenditti.jetzt

Tochterfragen

Ist das deine Tochter, die mit den langen, blonden Haaren und den blauen Augen? Die sieht ja toll aus.

Die Jungs stehen sicher auf sie, nicht wahr?

Woher hat sie bloss ihre wunderbaren Augen?

Wow, diese langen Haare. Dauert sicher eine Ewigkeit, bis sie die gewaschen, getrocknet und gekämmt hat?

Hat sie schon ihre Tage? (Im Ernst, meine lieben Mitmütter, hättet ihr wirklich gewollt, dass wildfremde Frauen euren Müttern solch indiskrete Fragen über euch gestellt hätten?)

Habt ihr nicht Angst, dass sie euch gestohlen wird?

Wie fühlt sich das so an, wenn die Tochter allmählich erwachsen und immer hübscher wird?

Wie ich sie doch satt habe, diese Fragen. Wenn ihr schon unbedingt etwas über meine Tochter erfahren wollt, dann fragt mich doch bitte: „Und, weiss sie schon, was sie aus ihrem Leben machen will, wenn sie gross ist?“ Von mir aus auch: „Wusste sie schon immer so genau, was sie will?“ Oder, wenn’s unbedingt sein muss: „Und, wie läuft’s in der Schule?“

Was ihr mich eben so fragt, wenn wir auf Karlsson zu reden kommen.

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