Ach, Höflichkeit, wo bist du bloss geblieben?

Keineswegs möchte ich behaupten, früher sei alles besser gewesen und eigentlich finde ich es ganz angenehm, dass man heutzutage im Alltag fast ganz ohne gekünstelte Höflichkeit auskommt. In gewissen Momenten wünschte ich mir trotzdem, man müsste sich im Gespräch mit flüchtigen Bekanntschaften an gewisse Anstandsregeln halten. Zum Beispiel neulich, als ich beim Einkauf eine Bekannte meiner Schwester traf…

Sie: „Hast du abgenommen?“ (Alleine schon diese Frage gehört meiner Meinung nach verboten. Was, wenn ich nicht mit Absicht abgenommen hätte, sondern weil ich an einer schlimmen Krankheit litte?)

Ich: „Na ja, ein bisschen wohl schon, aber ist gar nicht so einfach…“ (Warum lasse ich mich von solchen Fragen immer in die Ecke drängen?)

Sie: „Warst du schon immer eher etwas…“ (Glaub bloss nicht, ich würde dich ausreden lassen. Ich lasse mir kein Adjektiv anheften, das in den kommenden Wochen und Monaten über meinem Spiegelbild aufblinkt.)

Ich: „Spindeldürr war ich nie, aber ich habe eigentlich immer problemlos abgenommen, wenn es nötig war. Erst nach der letzten Geburt…“ (Himmel, Frau Venditti, fühlst du dich noch immer verpflichtet, solche Fragen zu beantworten?)

Sie: „Aber deine Schwestern sind alle schlank…“ (Mal wieder die uralte Schallplatte. Bekam ich schon als Teenager immer zu hören, damals einfach mit dem Adjektiv „hübscher“.)

Ich: „Tja, so ist das halt… ( Was hätte ich denn sonst sagen sollen?)

Sie: „Aber dein Mann liebt dich ja sicher auch so, wie du bist.“ (Jetzt bin ich aber echt baff. So offen hat mir noch keine gesagt, dass auch ich bestimmt ein paar liebenswerte Seiten habe, obschon ich offenbar hässlich bin wie die Nacht.)

Ich: „…“ (Tut mir Leid, aber dazu fällt mir jetzt wirklich nichts mehr ein. Eigentlich habe ich mich längst damit abgefunden, nicht dem gängigen Schönheitsideal zu entsprechen, aber das ist jetzt doch ein bisschen viel.)

Versteht ihr, weshalb ich mich nach dieser Begegnung einen Moment lang in ein Zeitalter gewünscht habe, in dem die allgemeine Höflichkeit ein solches Gespräch verboten hätte?

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11 Gedanken zu “Ach, Höflichkeit, wo bist du bloss geblieben?

  1. Pingback: Abnehmfronten | Beautiful Venditti - Grossfamiliengroove à discrétion

  2. Das stimmt wohl schon. Nur haben nicht alle Menschen genügend Anstand, um zu verbergen, wenn etwas in ihren Augen nicht so hübsch ist.

  3. Liebe Ina
    Das wäre vermutlich wirklich eine gute Idee. Ich weiss bloss nicht, ob ich genügend Fantasie habe, um mir diese absolut unmöglichen Situationen auszumalen.
    Die unverschämte Frage, ob beide Kinder vom gleichen Vater sind, musste sich meine Schwester jeweils auch gefallen lassen, weil ein Sohn dunkelhaarig, der andere blond war.
    Liebe Grüsse
    Tamar

  4. Wow, das brauchte bestimmt ziemlich viel Mut. Ich weiss nicht, ob ich dazu im Stande wäre, aber vermutlich verstehen solche Leute nur diese klare Sprache.

  5. Liebe Andrea
    Herzlichen Dank für diese lieben Worte! Da vergisst man doch die unfreundlichen Worte einer ganz und gar unfreundlichen Person gleich wieder. 🙂
    Diesen Übernamen hatte ich tatsächlich mal, und weisst du, woher er kam? Als etwa Drei- oder Vierjährige stellte ich mir jeweils vor, ich wäre eine Frau namens Christine Bübi. Die trug orangefarbene Schlaghose, hatte einen blonden Afro und lebte im Briefkasten. 🙂
    Herzliche Grüsse und noch einmal vielen Dank fürs „wieder Aufrichten“.

  6. liebe tamar.ich habe drei ältere schwestern, alle gut aussehend, einander und dem vater gleichend. was hab ich mir anhören müssen, ob ich vom gleichen vater sei, und dass die schwestern schon alle sehr anders ausehen würden und überhaupt. wie wenn man sich das selber auswählt. und wie wenn mans selber nicht bemerken würde….
    der schöpfer hat sich schon was überlegt, als er uns so ausgestattet hat. ich setz mich also eine weile in dein boot…
    liebi grüess
    christa

  7. Liebe Frau Venditti,
    ich verfolge Ihren Blog jetzt schon seit längerer Zeit und das sehr gerne!
    Leider fehlt mir meist die Zeit zu kommentiern…
    Solche unglaublichen Situationen habe ich auch schon mit wechselnden Themen erlebt und genau wie sie fühle ich mich dann auch genötigt, freundlich zu antworten.
    (z. B. auf die Frage, ob meine beiden Töchter denn von meinem Mann seien, weil sie völlig unterschiedlich aussähen….)
    Man möchte ja nicht genau so unverschämt kontern und die besten Antworten fallen einem eh erst zu Hause ein…
    Vielleicht sollte man sich einige passende Antworten überlegen und sie vorm Spiegel üben, damit man nicht so unvorbereitet ist. Möglich, dass sich die Leute dann auch nicht mehr trauen, einem solche Unverschämtheiten an den Kopf zu werfen, weil man die „ich habe auf jede unverschämte Frage eine passende Antwort“-Ausstrahlung hat.

    Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Tag und ein glückliches Lächeln im Gesicht, denn meist spricht doch nur der Neid…
    Liebe Grüße
    Ina

  8. Mir fällt dazu gerade eine frühere Kollegin ein, die permanent solche Beleidigungen aussprach. Ich habe ihr dann mal ganz ehrlich gesagt, dass ich keinen Kontakt mehr zu ihr wünsche, da sie bei jedem zweiten Satz unbewusst? Beleidigungen sagt und ich mich lieber mit Menschen umgebe, mit denen man sich intelligent und auf der gleichen Ebene unterhalten kann. Seither bin ich sie „los“…. *aufschnauf*
    Lg Carmen

  9. liebe Tamar!
    Also jetzt bin ich sprachlos. Ich habe solche Sachen auch erlebt, aber als ich ein Kind war. Einer erwachsenen Frau so etwas zu sagen ist nicht unhöflich, sondern entbehrt irgendwie jeglicher Empathie-Fähigkeit (obwohl es dieses Wort wohl kaum gibt).
    Ich möchte an dieser Stelle am liebsten eine Tirade loslassen, wie toll ich dich finde, wie ich deinen ausgefallenen Kleidergeschmack bewundere, wie ich früher zu Schulzeiten schon immer dachte, die Frau hat eine ganz spezielle Aura (Esoterik ist zwar nicht so mein Gebiet…).
    Aber ich mache das nicht, denn ich finde, man sollte den Ergüssen eines solchen Menschen (ich würde auch gerne ein anderes Wort verwenden) einfach nicht so viel Beachtung schenken.
    Ich wünsche dir einen schönen Tag mit einem extrem geraden Rücken!
    Liebe Grüße
    Andrea

    Ach ja, hab ich dir schon mal gesagt, dass ich dich sehr hübsch finde? (Kommt mir in den Sinn: Hattest du nicht mal den süßen Übernamen Bübi?)

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