Frühkindliche Geschmacksverirrung

„Liebe Eltern, tun Sie Ihren Kids einen Gefallen und ziehen Sie ihnen zum ersten Schultag etwas Cooles an. Ich für meinen Teil hoffe, dass alle mein Outfit von damals vergessen haben. Ganz fest.“ Das schrieb die Redaktionsleiterin im Vorwort der Wochenzeitung, die der Grossverteiler meines Vertrauens jeweils am Montag in unseren Briefkasten flattern lässt. Auf dem Bild zum Vorwort ist eine Erstklässlerin zu sehen, die ein Kleidchen trägt, das man vor schätzungsweise 25 Jahren für ziemlich hübsch gehalten haben muss. Schuld an dieser Geschmacksverirrung waren natürlich die Eltern…

Wie gut ich doch diesen Vorwurf kenne. Ich bekomme ihn jedesmal zu hören, wenn Luise Bilder von ihrem ersten Schultag anschaut. Oder überhaupt Bilder aus ihrer Kindheit.

„Wie konntest du mich bloss so hässlich anziehen?“, fragt sie.

„Kind, du glaubst doch nicht im Ernst, du hättest dir von mir sagen lassen, was du anziehen sollst?“, frage ich jeweils zurück.

„Warum hast du mir denn nicht verboten, so aus dem Haus zu gehen?“, will meine Tochter wissen.

„Weil du dir von mir ganz bestimmt nie hättest vorschreiben lassen, was du anziehen sollst. Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, wie stur du diesbezüglich warst“, sage ich und erzähle ihr von dem kleinen Mädchen, das bereits im zarten Altern von zwei Jahren im Kleiderladen in einen Kaufrausch geraten wäre, wenn ihre Mama – die sich lieber in Bücherläden herumtreibt – sie nicht zurückgehalten hätte. Ein Mädchen, das zielstrebig auf die Kleider zusteuerte, die es haben wollte, mochte die Mama noch so sehr für etwas Hübscheres plädieren.

Luise gibt sich nicht geschlagen. „Du hättest mir eben sagen müssen, dass das Zeug potthässlich ist“, beharrt sie.

„Glaub mir, das habe ich…“ sage ich seufzend und verdrehe die Augen, weil ich an den schrecklichen Cinderella-Pullover denke, den Luise trug, bis er voller Löcher war.

„Oder du hättest mir einfach etwas Schöneres in den Schrank hängen müssen. Wenn ich mal Kinder habe, kaufe ich denen nur Sachen, die voll stylish sind“, fährt Luise fort.

„Auch das habe ich getan und zwar genau so lange, bis ich erkannte, dass das nur rausgeschmissenes Geld ist, weil du die Sachen nicht angerührt hast“, verteidige ich mich, aber natürlich lässt meine Tochter nicht locker: „Und dann habt ihr mir dieses schreckliche Dirndl gekauft und mich dazu gezwungen, es zu Grossvaters Siebzigstem anzuziehen.“

Ich mache meine Tochter darauf aufmerksam, dass wir „dieses schreckliche Dirndl“ nur gekauft haben, weil sie nach den Ferien in Österreich wochenlang von nichts anderem mehr reden mochte und dass sie es zu Grossvaters Geburtstag anziehen musste, weil das sündhaft teure Ding sonst nie das Tageslicht gesehen hätte. Ihr Interesse daran war nämlich verflogen, sobald es im Kleiderschrank hing. 

Aber natürlich rede ich mir den Mund fusselig, denn Luise braucht nun mal eine Schuldige, die sie für die in ihren Augen so missratenen Kinderfotos verantwortlich machen kann.

Ich könnte wetten, dass hinter fast jedem „Meine Eltern haben mich so schrecklich angezogen“-Gejammer ganz ähnliche Geschichten stecken…

blommor

Rosarote Wolke

Immer und immer wieder zieht es mich ans Fenster, weil ich zwischen zwei Sätzen einen Blick auf das rosarote Blütenmeer in unserem Garten werfen muss. Sollten „Meiner“ und ich uns dem Unkraut am Boden widmen, starren wir statt dessen mit verzücktem Blick nach oben, denn vor dem strahlend blauen Himmel sieht das Rosarot noch viel schöner aus. Bald schon hantiert „Meiner“ nicht mehr mit der Gartenschaufel, sondern mit der Kamera, denn die ach so vergängliche Schönheit muss immer wieder eingefangen werden. Fussgänger bleiben stehen, manch einer verwickelt uns in ein Gespräch und sogar Luise, die mit Gartendingen so gar nichts anzufangen weiss, muss gestehen, dass die rosarote Pracht atemberaubend ist. 

Nur eine lässt sich von der Schönheit nicht beeindrucken. Ausgerechnet die ältere Frau, mit der ich so gerne über Gemüseanbau, Blumen und langjährige Ehen plaudere, wenn ich im Garten arbeite, sieht die Dinge diesmal ganz anders als ich. „Der ist ja zu nichts zu gebrauchen“, sagt sie verächtlich. „Und wenn das Zeug verblüht ist, machen die unzähligen Blütenblätter einen Haufen Arbeit.“

Natürlich hat sie vollkommen recht. So ein japanischer Kirschbaum ist wirklich nur reine Zierde und hätte in einem Garten, der sich darum bemüht, möglichst ökologisch zu sein, nichts verloren. Dass ich ab nächster Woche wieder zeternd und schimpfend die verwelkten Blättchen vom Trottoir klauben werde, kann ich jetzt schon mit ziemlicher Sicherheit voraussagen.

Aber Himmel, wie sollte ich mich von dem unnützen Kerl auch trennen können? Die unzähligen Momente des verzückten Staunens, die er mir und vielen anderen jeden April beschert, sind doch Daseinsberechtigung genug. 

rosawolke

 

Cinderella muss abspecken

Karlsson und Luise zogen sich neulich spät abends einen seichten Film rein und weil ich noch später abends zwar einen Brummschädel hatte, nicht aber müde genug war, um mich schon ins Bett zu verkriechen – Himmel, es war noch nicht mal Mitternacht! -, schaute ich mir das Zeug auch an. Es war einer dieser unzähligen Cinderella-Verschnitte, diesmal aber nicht mit kreischenden Teenies, sondern mit angeblich erwachsenen Frauen, die mitten im Berufsleben stehen. Die Story ging etwa so:

Drei in den Augen des amerikanischen Publikums wohl deutlich übergewichtige Frauen werden nicht für voll genommen. Sie beschliessen, gemeinsam abzunehmen, gestehen einander unter Tränen, dass sie sich den Speck nur angefressen haben, um sich vor der bösen, bösen Welt da draussen zu schützen und weil sie einfach nie gelernt haben, sich selbst zu mögen. Damit der Zuschauer auch weiss, wie man den Speck auf den Hüften los wird, darf er den drei Frauen dabei zusehen, wie sie sich mit dem Personal Trainer auf dem Sportplatz quälen, wie sie mit grösster Willensstärke dem Doughnut widerstehen und wie eine von ihnen nur dank chirurgischer Hilfe zur Traumfigur zurückfindet. Schliesslich aber sind die Frauen dünn genug, um dem Publikum als Vorbild zu dienen und jetzt darf das Glück endlich auf sie herabregnen. Im Falle der Hauptfigur kommt dieses – wie könnte es anders sein – in Form eines gut situierten Prince Charming und eines fetten Buchdeals daher. 

Cinderella ist heute also nicht mehr arm, sondern dick. Wenn sie haben will, was andere Frauen ganz selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen, soll sie abspecken. Und wenn sie das endlich geschafft hat, soll sie gefälligst dankbar sein, dass Prince Charming sie haben will. Obschon sie ihn natürlich warnen muss, ihr Körper sei „nicht so schön wie der von anderen Mädchen“, bevor er mit ihr in die Kiste springt. (Natürlich versichert er ihr pflichtbewusst, sie sei wunderschön und habe ihm schon gefallen, als sie noch runder war, aber wir wissen alle, dass er das nur um der politischen Korrektheit Willen sagen muss.)

Zum Glück fanden Karlsson und Luise dieses Machwerk ebenso übel wie ich, sonst müsste ich sie ganz dringend einer Gehirnwäsche unterziehen. 

remain connected; prettyvenditti.jetzt

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Ich pfeife auf „gedeckt und Pastell“

Beim Überfliegen der Sonntagspresse an diesem verregneten Montagmorgen blieb mein Auge an dem nicht gerade einfallsreich formulierten Titel „Frau, aber richtig“ hängen. Erst wollte ich mich ja über den Umstand empören, dass sich da eine Frau dazu hinreissen lässt, in einer Zeitung, die im Allgemeinen einen ganz anständigen Ruf geniesst, den Frauen vorzuschreiben, wie sie in welchem Alter zu sein haben, doch mein Zorn wurde besänftigt, als ich las, vor zwei Wochen hätte man den Männern den gleichen Mist zugemutet. Aber natürlich lieferte die Zusammenstellung auch so noch ausreichend Stoff für Ärger.

Keine Angst, hier folgt keine ausführliche Abhandlung über einen Artikel, der es verdient hat, gleich wieder vergessen zu werden. Ich lasse mich nur über diesen einen kleinen Textschnipsel aus, der mir in der Spalte „Wie Sie im Spannungsfeld von Schlampe und Dame den Stil finden, der anzieht“ besonders sauer aufgestossen ist. Okay, ich weiss, alleine dieses Schlampen- und Damenzeugs hätte eine kritische Auseinandersetzung – die in einem totalen Verriss gipfelt – verdient, aber das überlasse ich anderen und wende mich ganz egoistisch nur diesem einen Ratschlag zu, der mich zutiefst beleidigt. 

In dieser unsäglichen „Schlampen- und Damenrubrik“ steht nämlich in der Spalte für die Vierzigjährigen das folgende Ärgernis: „Ja zu monochromatischen Kleidern, gedeckten Farben und Pastell.“ Himmel, spinnt ihr denn? Monochromatisch allein ginge noch, denn man kann ja auch monochromatisch ziemlich bunt sein, aber warum in aller Welt soll Frau einen auf „gedeckt“ und „Pastell“ machen, bloss weil sie die Vierzig überschritten hat? Gerade so, als sollten wir so allmählich unsichtbar werden in der eintönigen Alltagskulisse, wir Frauen mittleren Alters. Und das ausgerechnet in der Lebensphase, in der die meisten von uns damit anfangen, darauf zu pfeifen, was andere von uns denken. Soll man uns das etwa nicht ansehen dürfen? 

Mit acht, da lässt man sich von der Mama noch sagen, Pink und Orange an einem Tag und an einem Körper, das gehe nun mal nicht. Man mag das bedauern und leise murmeln „Aber ich finde das schön“, doch Mama lässt einen trotzdem nicht so aus dem Haus gehen. Mit vierzehn verspricht man dem Teenieschwarm hoch und heilig, nie, aber auch gar nie mehr die geringelte Hose anzuziehen. (Okay, man verspricht das natürlich nicht wörtlich, aber aus Angst, den Verehrten nie zu bekommen, landet die geringelte Hose dennoch auf Nimmerwiedersehen im hintersten Winkel des Schranks.) Irgendwann, so zwischen Ende der Pubertät und Beginn des Erwachsenenlebens mögen es einige auch in Sachen Kleidung ein wenig bunt treiben, doch spätestens mit fünfundzwanzig glaubt man allen Ernstes, sich aus Rücksicht auf die in der Arbeitswelt geltenden Regeln der knallbunten Klamotten entledigen zu müssen. Früher oder später kommen dann bei den meisten die Schwangerschafts- und Kinderjahre, in denen man froh sein muss, überhaupt je aus dem Pyjama zu kommen, danach ein paar Jährchen der Umgewöhnung an die neuen Körpermasse, in denen sogar ein Mensch wie ich ganz dankbar ist für die dezenteren Farbtöne. Dann aber, zwischen vierzig und fünfzig, sollte man durch all die Höhen und Tiefen des Lebens endlich so weit zu sich selber gefunden haben, dass man sich nur noch mit „gedeckt“ und „Pastell“ zufrieden gibt, wenn man das Zeug auch wirklich mag. Alle anderen sollen jetzt gefälligst so bunt herumlaufen, wie es ihnen beliebt, denn das Leben ist schon grau genug. 

Darum habe ich mir, als ich diesen elenden Artikel (in dem auch noch sehr viel über Orangenhaut, schnarchende Partner und anderen Unsinn stand) zu Ende gelesen hatte, hoch und heilig geschworen, mich erst dann wieder aus den knallbunten Klamotten zu schälen, wenn ich mir selber nicht mehr gefalle darin. Und ganz bestimmt nie, weil mir irgend eine dahergelaufene Schreibende einreden will, ich sei jetzt zu alt für solchen Kram. 

tutti caduti; prettyvenditti.jetzt

tutti caduti; prettyvenditti.jetzt

Beauty Event

Die Frau wird wohl nie erfahren, welch grossen Gefallen sie mir mit ihrem rüden Auftritt an der Warenhauskasse getan hat. Da will ich nur mal schnell ein paar Kleinigkeiten bezahlen und die Verkäuferin fängt an, mich zu beschwatzen. Irgend etwas von einem „Beauty Event“, bei dem man sich die Haare machen lassen kann, die Nägel und das Make-up. „Warum sucht die gerade mich als Opfer aus?“, denke ich verzweifelt, währenddem die Kassiererin alle Register zieht, um mir den Anlass schmackhaft zu machen. Von Rabatten erzählt sie, von speziellen Neuheiten und noch einmal von den Nägeln, gerade so, als wäre ihr beim Einkassieren nicht aufgefallen, wie wenig sich meine Nägel für Lack und dergleichen interessieren. Sie redet und redet und redet und ich suche vergeblich nach einer Lücke zwischen ihren Sätzen, die es mir erlauben würde, mein Desinteresse zu verbalisieren. Was mir nicht gelingen will, schafft die Kundin neben mir mit einem einzigen Satz: „Können bitte schnell machen? Mein Bus läuft“, knurrt sie und ich bin frei, zu gehen.

Nicht zur Bushaltestelle, nein, denn mein Bus „läuft“ erst etwas später, aber ich könnte der Dame trotzdem die Füsse küssen vor lauter Dankbarkeit. Nachdem ich mir gestern eine Packung Henna aufs Haar und ein paar Salben ins Gesicht geklatscht habe, ist bereits mehr als genug für meine „Beauty“ getan, da brauche ich nicht auch noch „Events“.

prettyvenditti.jetzt

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Abnehmfronten

Mit dem Gedanken, mal ein paar Kilos loszuwerden, spiele ich schon länger und gerade jetzt stimmen die Bedingungen, um die Sache mal endlich anzugehen. (Ein noch nicht ganz erledigter Magen-Darm-Käfer sorgt schon mal für Starthilfe.) Nur eine klitzekleine Angst hat mich bis anhin davon abgehalten, den Gedanken in die Tat umzusetzen. Nein, nicht die Angst, es ohne Schokolade nicht auszuhalten, denn auch wenn ich das Zeug mag, finde ich doch, es sei ziemlich überbewertet. Lohnt sich doch wirklich nicht, für einen Augenblick des Genusses drei Stunden Sodbrennen in Kauf zu nehmen. Es ist die Angst, zwischen die Fronten zu geraten, die mich zögern lässt, mein Vorhaben anzugehen. Die Fronten? Na ja, ihr wisst schon, die Abnehmfronten.

Auf der einen Seite die Frauen, die glauben, nur wer sich hart an der Grenze zur Anorexie bewege, sei in der Lage, ein glückliches Leben zu führen. Die Frauen, die hinter deinem Rücken sagen: „Wenn ich Grösse 38 tragen müsste, würde ich mir die Kugel geben.“ Die Frauen, die dir um den Hals fallen, wenn du die ersten Kilos geschafft hast und quietschen: „Du siehst sooooooo viel besser aus! Ist doch bestimmt ein ganz anderes Lebensgefühl so.“ Die Frauen, die glauben, mit etwas weniger Speck auf den Rippen würdest du dich plötzlich für Frauenzeitschriften, Nail Design und die aktuellen Modetrends interessieren, weil sie meinen, du hättest diese Dinge bis anhin nur gemieden, weil du zu fett warst dafür. 

Auf der anderen Seite die Frauen, die fürchten, mit dir könne man jetzt keinen Spass mehr haben, du hättest die Fronten gewechselt und würdest dir nun nur noch den Kopf darüber zerbrechen, ob der Macchiato noch drin liegt, oder ob das schon ein paar Kalorien zuviel sind. Die Frauen, die meinen, du wolltest irgend einem unrealistischen Ideal nacheifern, egal, wie oft du ihnen versicherst, du möchtest nicht aussehen wie damals mit zwanzig, sondern dich einfach wieder etwas wohler fühlen. Die Frauen, die deinen Entschluss schon fast als Verrat an der Emanzipation verstehen und insgeheim denken, du wolltest das nur tun, weil „Deiner“ ein böser Sexist ist, der droht, dich zu verlassen, wenn du nicht innert fünf Monaten spindeldürr wirst. 

Nun könnte man natürlich einwenden, man müsste einfach nichts übers Abnehmen sagen, dann sei das mit den Fronten kein Problem, aber das kann nur jemand sagen, der noch nie zuvor ein paar Kilos losgeworden ist. Ich rede da aus Erfahrung: Spätestens wenn die ersten fünf Kilos weg sind, wird die Sache zum Thema, und zwar auf beiden Seiten, ob dir das nun passt oder nicht. Also sage ich lieber zum Vornherein, was ich vorhabe, damit ihr Frauen da draussen wisst, dass ihr gefälligst eure Klappe halten sollt, falls ich wirklich ein paar Kilos loswerde.

Und falls ich es nicht schaffe, gibt es dann keine Kommentare? Mit Sicherheit nicht. Die einen werden nichts sagen, weil sie mich wegen meines Misserfolgs zutiefst bemitleiden (Na ja, die hier würde vermutlich schon etwas sagen, wenn sie etwas von meinem Vorhaben wüsste….), die anderen werden schweigen, weil sie mich nicht auf die Idee bringen wollen, es noch einmal zu versuchen. 

ottant' anni

ottant‘ anni; prettyvenditti.jetzt

Anti-aging

Zugegeben: Es war wohl mal wieder grenzenlos naiv von mir, zu glauben, meine Töpfchen und Tiegelchen – von denen ich übrigens nicht allzu viele besitze – seien jetzt, wo auch das Prinzchen halbwegs gross ist, vor überneugierigen Kinderfingern geschützt. Dass der Kampf ums Fond-de-Teint-Döschen mit Luises ersten Pickeln erst richtig entbrennen würde, ahnte ich erst, als sie mich eingehend befragte, wie man das Zeug denn anwenden müsse. Da diese Familie aber schon öfters mal eine mütterliche „Wer hat sich schon wieder an meinen Sachen vergriffen? Wisst ihr eigentlich, wie teuer das Zeug ist?“-Schimpftirade erlebt hat, glaubte ich trotzdem, die Zeit der plötzlich leeren Töpfchen sei endlich überstanden. 

Ist sie aber nicht. Als ich mir heute Morgen vor dem Einkauf ein wenig Farbe ins Gesicht klatschen wollte, griff ich mal wieder ins Leere. Nein, nicht in dieses „Mit etwas Mühe bringe ich vielleicht noch einen winzigen Rest raus“-Leere, sondern in das jeder Mutter bekannte „Die haben das doch nicht etwa ausgeleckt?“-Leere, von einfacheren Gemütern auch einfach „L-E-E-R“-Leere genannt. Eine Leere, die mich dazu zwang, vollkommen farblos aus dem Haus zu gehen.

Was nicht weiter schlimm wäre, wenn ich mir die Farbe ins Gesicht schmieren wollte, um etwas besser auszusehen, aber in meinem Fall ist die Farbe ein soziales Engagement, da mein ungeschminktes Antlitz mein Umfeld in tiefe Sorge stürzt. (Also so etwas wie: „Geht’s dir wirklich gut, oder soll ich vielleicht doch lieber einen Krankenwagen rufen?“) Ein Hauch von Farbe ist also Pflicht und darum musste beim Einkauf auch sofort ein neues Döschen her.

Bloss, wie schütze ich das Ding vor Luises Zugriff? Ich glaube, ich habe eine Lösung gefunden: Ich habe mir einfach das Ding mit der fetten „Anti-aging“-Aufschrift geschnappt. Jetzt muss ich Luise nur noch weismachen, „anti-aging“ bewirke bei Menschen unter vierzig, dass sie innert einer Woche so abgekämpft und übermüdet aussähen wie ihre eigene Mutter, und das Problem ist gelöst.  

Zumindest hoffe ich das. Luise behauptet nämlich standhaft, sie habe sich gar nicht an meinem Farbtöpfchen vergriffen und da auch die anderen vier kleinen bis mittelgrossen Vendittis glaubhaft versichern, sie hätten nichts damit zu tun, muss ich davon ausgehen, dass mal wieder „der andere“ zugeschlagen hat und dass der sich durch „anti-aging“ beeindrucken lässt, ist zu bezweifeln. 

retrospettiva colorata

retrospettiva colorata; prettyvenditti.jetzt

Ach, Höflichkeit, wo bist du bloss geblieben?

Keineswegs möchte ich behaupten, früher sei alles besser gewesen und eigentlich finde ich es ganz angenehm, dass man heutzutage im Alltag fast ganz ohne gekünstelte Höflichkeit auskommt. In gewissen Momenten wünschte ich mir trotzdem, man müsste sich im Gespräch mit flüchtigen Bekanntschaften an gewisse Anstandsregeln halten. Zum Beispiel neulich, als ich beim Einkauf eine Bekannte meiner Schwester traf…

Sie: „Hast du abgenommen?“ (Alleine schon diese Frage gehört meiner Meinung nach verboten. Was, wenn ich nicht mit Absicht abgenommen hätte, sondern weil ich an einer schlimmen Krankheit litte?)

Ich: „Na ja, ein bisschen wohl schon, aber ist gar nicht so einfach…“ (Warum lasse ich mich von solchen Fragen immer in die Ecke drängen?)

Sie: „Warst du schon immer eher etwas…“ (Glaub bloss nicht, ich würde dich ausreden lassen. Ich lasse mir kein Adjektiv anheften, das in den kommenden Wochen und Monaten über meinem Spiegelbild aufblinkt.)

Ich: „Spindeldürr war ich nie, aber ich habe eigentlich immer problemlos abgenommen, wenn es nötig war. Erst nach der letzten Geburt…“ (Himmel, Frau Venditti, fühlst du dich noch immer verpflichtet, solche Fragen zu beantworten?)

Sie: „Aber deine Schwestern sind alle schlank…“ (Mal wieder die uralte Schallplatte. Bekam ich schon als Teenager immer zu hören, damals einfach mit dem Adjektiv „hübscher“.)

Ich: „Tja, so ist das halt… ( Was hätte ich denn sonst sagen sollen?)

Sie: „Aber dein Mann liebt dich ja sicher auch so, wie du bist.“ (Jetzt bin ich aber echt baff. So offen hat mir noch keine gesagt, dass auch ich bestimmt ein paar liebenswerte Seiten habe, obschon ich offenbar hässlich bin wie die Nacht.)

Ich: „…“ (Tut mir Leid, aber dazu fällt mir jetzt wirklich nichts mehr ein. Eigentlich habe ich mich längst damit abgefunden, nicht dem gängigen Schönheitsideal zu entsprechen, aber das ist jetzt doch ein bisschen viel.)

Versteht ihr, weshalb ich mich nach dieser Begegnung einen Moment lang in ein Zeitalter gewünscht habe, in dem die allgemeine Höflichkeit ein solches Gespräch verboten hätte?

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Kantine, meine Vrouw

Zuerst haben sie tagelang über meinen „Haarschnitt“ – der letzte Coiffeurbesuch liegt eine Weile zurück – gespottet, haben spitze Bemerkungen über meine grauen Haare gemacht und schliesslich, als ich einfach nicht reagieren wollte, frech behauptet, ich hätte einen Vokuhila. Das hat mein in Schönheitsangelegenheiten ohnehin nicht ganz stabiles Selbstbewusstsein natürlich gehörig erschüttert, aber wenn ich keine Lust auf eine neue Frisur habe, kann ich ziemlich störrisch sein. Also wies ich meine Liebsten auf unser Budget hin, das derzeit nicht gerade erfreut wäre über Coiffeurbesuche und hoffte, damit sei die Diskussion beendet.

Blöd nur, dass „Meiner“ die Zeiten, als er mir regelmässig die Haare schnitt und färbte, nicht vergessen hat; noch blöder, dass unsere Kinder die Vorstellung, wie Papa die Mama verschönert, ziemlich romantisch finden. Also fingen sie an, mich Abend für Abend zu bedrängen: „Lass dir jetzt endlich von Papa die Haare schneiden. Du weisst doch, er macht das ganz toll.“ Doch ich wollte nicht, denn offen gestanden fürchte ich mich ein wenig vor meiner Coiffeuse. Okay, sie ist die netteste Coiffeuse, die ich je hatte, aber genau darum will ich sie nicht enttäuschen, indem ich ihr in der Migros mit einer neuen Frisur, an der sie nicht gearbeitet hat, über den Weg laufe. Wie sollte sie mir da noch glauben, dass sie die Einzige ist, die ich an meine Haare lasse? Sie wäre zu Recht eingeschnappt und würde sich bei meinem nächsten Besuch – den ich für November oder Dezember vorgesehen habe – mit einem fürchterlichen Haarschnitt für meine Treulosigkeit rächen. 

Natürlich sagte ich meiner Familie nichts von meiner Angst und das war wohl ein Fehler, denn so konnten sie nicht begreifen, wie ernst es mir mit meinem Nein war und zerrten mich heute Nachmittag vor das Regal mit den Haarfärbemitteln. „Welche Farbe willst du?“, fragten „Meiner“ und Karlsson. „Gar keine“, sagte ich störrisch, doch sie taten, als hätten sie nichts gehört und hielten mir eine Packung nach der anderen vor die Nase, eine Farbe hässlicher als die andere. Was anderes hätte ich da tun sollen, als die Flucht nach vorn zu ergreifen, in der Hoffnung, sie dermassen zu erschrecken, dass sie von mir ablassen würden? „Wenn schon Haare färben, dann orange“, sagte ich und um dem Ganzen noch eins aufzusetzen, fügte ich hinzu: „Orange und dann richtig kurz schneiden, vielleicht sogar mit Stirnfransen.“ Das sagte ich natürlich nur, weil ich mich damit auf der sicheren Seite wähnte, denn erstens hatte es im Regal keine orange Haartönung und zweitens hatten meine Liebsten mich ja jetzt seit Wochen nicht mehr ernst genommen, also würden sie nicht ausgerechnet jetzt auf mich hören.

Ach, was bin ich doch für ein unendlich naives Stück Mensch. „Meiner“ und Karlsson liessen das Prinzchen und mich stehen, rannten in den nächsten Laden – angeblich, um dort aufs WC zu gehen – und kehrten mit einer Haartönung in knalligem Orange zurück. Ja, und dann kam es, wie es früher oder später kommen musste: „Meiner“ schnitt mir genau die Frisur, die ich ihm angedroht hatte, und jetzt sehe ich ziemlich genau so aus:

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Also ja, natürlich nicht blond, sondern orange und mit Brille. Und wer nicht weiss, wer diese Frau ist: Unbedingt „Asterix bei den Belgiern“ lesen.