Streiten im Wandel der Zeit

Als ich noch ein ganz junges Ding war, warf ich mal auf offener Strasse mit einem Blumenkohl nach ihm, weil ich so zornig war. Die zwei Männer aus Sri Lanka, die uns beim Streiten beobachteten, machten von diesem Tag an wohl einen weiten Bogen um rabiate Schweizer Furien. Natürlich war mir klar, dass man Menschen, die man liebt – und auch andere Menschen -, nicht mit Dingen bewirft und da es um meine Treffsicherheit ohnehin noch nie besonders gut bestellt war, blieb es bei diesem einen Blumenkohl. 

Dafür landete später, als wir einen gemeinsamen Haushalt hatten, hin und wieder ein Teller oder eine Tasse mit viel Schwung auf den Fussboden. Auch dies war nicht besonders nett und natürlich war unser Budget über unser Temperament nicht sonderlich erfreut, aber immerhin hatten wir gelernt, unsere Streitigkeiten in den eigenen vier Wänden auszutragen.

Mit zunehmendem Alter wurden wir beide ruhiger. Nicht nur, weil man mit fünf Kindern die knappe Zeit zu zweit nicht für Streitigkeiten verschwenden will. Sondern weil sich eine gewisse Gelassenheit in Alltagsfragen entwickelt hatte. Zu Beginn unserer Ehe konnten wir uns ob der Frage, ob man vor oder nach dem Putzen duscht, noch richtig in die Haare geraten, doch mit der Zeit liessen uns solche Dinge kalt. Gestritten wurde nur noch um die wirklich wichtigen Dinge – und wenn die Nerven total blank lagen. Dabei warfen wir nicht mehr mit Gegenständen um uns, sondern ausschliesslich mit gehässigen Worten. 

Weil man die gehässigen Worte in der Regel bitter bereut, sobald man sich wieder beruhigt hat, gehen wir auch damit immer sparsamer um. Streiten tun wir uns natürlich trotzdem noch gelegentlich.

Er, indem er überhaupt nichts mehr sagt und sich schmollend im Schlafzimmer verkriecht.

Ich, indem ich voller Zorn durch seinen Instagram-Account scrolle und sämtliche Herzen entferne, die ich unter seine Bilder gesetzt habe. 

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Darüber redet natürlich keiner

Altersunterschiede sind heutzutage ja (fast) kein Thema mehr. Natürlich tuschelt man zuweilen hinter vorgehaltener Hand, wenn sich zwei, die sich im Bezug aufs Alter so gar nicht ähnlich sind, ineinander verlieben, aber im Grossen und Ganzen gibt man sich diesbezüglich tolerant. Eigentlich finde ich es begrüssenswert, dass man zumindest so tut, als würde man sich nicht in fremde Beziehungsangelegenheiten einmischen. Dennoch täte es meiner Meinung nach gut, wenn man hin und wieder offen über Altersunterschiede in Paarbeziehungen redete – oder zumindest über den nicht vorhandenen Altersunterschied von zwei Gleichaltrigen, die zueinander finden.

Ja, ich weiss, auf den ersten Blick sieht so etwas ganz wunderbar aus. Die beiden mussten in ihrer Kindheit die gleichen Entbehrungen durchmachen, blamierten sich als Teenager mit ähnlichen Geschmacksverirrungen, hangelten sich als junge Erwachsene mithilfe der gleichen seichten Sinnsprüche durchs Leben und entwickelten so im Laufe der Jahre ähnliche Ansichten. Weil sie beide zur gleichen Zeit in der gleichen Lebensphase steckten, verliefen die grossen Diskussionen über die grossen Entscheidungen – Job, Kinder, eigenes Haus – relativ reibungslos. Alles in allem also eine ziemlich harmonische Angelegenheit.

Bis eines Tages die Lebensphase beginnt, in der den beiden jederzeit die Hexe aus dem Hinterhalt in den Rücken schiessen kann. Glaubt mir, diese Hexe nimmt keinerlei Rücksicht darauf, ob sie vorgestern bereits ihn getroffen hat. Wenn die gerade in Stimmung ist, schiesst die zwei Tage später auch auf sie, obschon er noch immer humpelt. Die Hexe schert sich einen Dreck darum, ob die beiden Kinder, Job und Haushalt haben – wenn sie zwei Gleichaltrige sieht, die zu ihrer Zielgruppe gehören, dann schiesst sie, wann immer es ihr passt. Tja, und dann können die beiden mal sehen, wie sie jetzt ihr ach so harmonisches Leben meistern wollen…

Wäre eine(r) der beiden deutlich jünger, könnte so etwas nicht passieren. Das sollte man unbedingt bedenken, ehe man sich dazu entschliesst, mit einem Gleichaltrigen durchs Leben zu gehen.

Aber so etwas sagt dir natürlich keiner. Erst recht heutzutage nicht, wo Altersunterschiede (fast) kein Thema mehr sind…

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Elterliche Pflichten

Als Eltern hat man gewisse Pflichten. Zum Beispiel diejenige, eine Gelegenheit, spontan einen Abend zu zweit zu verbringen, nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, ganz egal, wie müde und abgekämpft man auch sein mag.

Wenn der FeuerwehrRitterRömerPirat ohnehin die ganze Woche ausser Hause ist,…

… Karlsson und der Zoowärter am Montag verkünden, sie seien heute Abend eingeladen,…

… das Prinzchen bittet, bei einem Freund übernachten zu dürfen, wo doch morgen die Schule ausfalle…

und sich schliesslich bei der Luise, die seit Samstag an einer heftigen Halsentzündung leidet, endlich deutliche Anzeichen der Besserung bemerkbar machen, so dass ihr eine Freundin am Abend Gesellschaft leisten kann, 

dann hat man als Eltern gar keine andere Wahl, als sofort das Kinoprogramm zu studieren, sich über die Öffnungszeiten diverser Wellness-Tempel zu informieren und kurz Rücksprache mit dem Bankkonto zu halten, um zu entscheiden, was am ehesten drin liegt.  Es spielt – wie bereits gesagt – keine Rolle, ob man gerade in Stimmung ist, auszugehen. Es spielt auch keine Rolle, für welches Programm man sich am Ende entscheidet. Ja, es ist nicht einmal von Bedeutung, ob man lange oder kurz wegbleibt. Es geht einzig und allein darum, der elterlichen Pflicht nachzukommen, die da heisst, sich einen Szenenwechsel zu gönnen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet.

Man weiss ja nie, wann die Umstände wieder ähnlich günstig sein werden. 

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Schluss mit den heiligen Pfannen

Bitte erzählt Schwiegermama nichts von dem Frevel, den ich heute begangen habe: Ich habe damit begonnen, ihre Pfannen auszumisten.

Jawohl, die heiligen Pfannen, die sie für viel Geld erstanden hat, um sie ihrem einzigen Sohn an seinem 15. Geburtstag zu überreichen. 

Die Pfannen, in denen eines Tages das nette italienische Mädchen, das er bestimmt irgendwann kennen lernen würde, Pasta Bolognese, Osso Buco und Frittata zubereiten würde, um dafür zu sorgen dass der viel zu dünne junge Mann endlich ein bisschen Fleisch auf die Knochen bekäme. 

Die Pfannen, die niemals in die Hände dieser kleinen, vorlauten Schweizerin hätten geraten dürfen, die sich standhaft weigerte, ausschliesslich italienische Kost darin zu kochen.

Die Pfannen, die gemäss dem Versprechen des Herstellers ein Leben lang halten sollten, die dann aber doch nach Jahren der intensiven Nutzung ihre Griffe fallen liessen. (Was vielleicht nur daran lag, dass sie in die Hände der falschen Frau geraten waren…)

Die Pfannen, die ich leidenschaftlich hasste, weil sie mir nicht gestatteten, so zu kochen, wie es mir entspricht. Und weil sie mich täglich daran erinnerten, wie sehr „Meiner“ und ich uns in den Anfängen unserer Beziehung um des lieben Friedens Willen durch Schwiegermama bevormunden liessen.

Die Pfannen also, die ich schon so lange gerne losgeworden wäre, die ich aber auf gar keinen Fall loswerden durfte, weil sie sozusagen die Mitgift waren, die „Meiner“ in die Ehe gebracht hat. (Wobei ich natürlich mit leeren Händen dastand, da meine Eltern nicht weitsichtig genug gewesen waren, mir zum Fünfzehnten ein Pfannenset zu schenken. Die schickten mich lieber in ein Austauschjahr.)

Es blieb mir also nichts anderes übrig, als mich mit den ungeliebten Pfannen zu arrangieren. 

Es sei denn, ich hätte eine Ausrede… 

Zum Beispiel einen Induktionsherd…

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Peacemaker

Früher war’s ja noch einfach, wenn „Meiner“ und ich uns mal streiten wollten. Wir mussten einfach dafür sorgen, dass die Kinder ausser Hörweite waren und dann konnten wir einander all die bösen Dinge an den Kopf werfen, für die wir uns, sobald sich unsere Gemüter wieder etwas abgekühlt hatten, hundertmal entschuldigen mussten.

Irgendwann fingen die Kinder an zu spüren, dass da etwas im Busch war, also liessen sie uns keinen Moment aus den Augen, wenn dicke Luft herrschte. Ihre besorgten Blicke und die vorsichtigen Fragen, was denn los sei, waren nur schwer zu ertragen, also versuchten wir, unsere Streitereien hinter verschlossenen Türen auszutragen, was aber wenig half, da „Meiner“ und ich ziemlich temperamentvoll sind, wenn wir wütend sind.

Mit zunehmendem Alter begannen die Grossen, ihre Erzeuger etwas kritischer als auch schon zu betrachten und so fielen plötzlich Sätze wie: „Aber Mama, das kannst du Papa wirklich nicht vorwerfen.“ Oder: „Papa, du weisst genau, dass Mama das nicht so gemeint hat.“ Oder: „Hört endlich auf, das ist ja nicht zum Aushalten.“ Gar nicht so einfach, unter der Aufsicht solcher Kommentatoren einen Streit zu Ende zu führen, aber auch das kriegen wir noch irgendwie hin.

Dass wir uns irgendwann ganz tüchtig vor unserem Nachwuchs blamieren würden, war also schon seit einiger Zeit absehbar. Heute war es soweit. Da befanden sich „Meiner“ und ich in einer wüsten „Wenn du nicht so stur gewesen wärst, dann hätten wir…“-Zankerei, als Karlsson auf dem Hintersitz sprach: „Wisst ihr, was mich total nervt an euch? Da haben wir eben erst eine KZ-Gedenkstätte besucht und gesehen, wie schlimm das alles war und jetzt streitet ihr euch wegen irgend einem banalen Mist.“

Tja, was kann man da noch anderes tun als erst einmal beschämt zu schweigen und dann so rasch als möglich Frieden zu schliessen?

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Noch immer

Als „Meiner“ und ich erst ganz kurz verheiratet waren, unterhielt ich mich mit einer Frau, die nach sechzehn Jahren Ehe kurz vor der Scheidung stand. Sie, die gerade dabei war, ein für sie ziemlich trauriges Kapitel abzuschliessen, sah die Dinge natürlich ein wenig anders als ich, die ich noch fast ununterbrochen auf Wolken schwebte. „Die Ehe ist Scheisse“, sagte sie bitter. „Wenn du erst mal fünfzehn Jahre verheiratet bist, wirst du mich verstehen.“ 

Im Laufe der Jahre kam mir dieses Gespräch immer mal wieder in den Sinn. 

Zum Beispiel, wenn „Meiner“ und ich einander wutschnaubend gegenüber standen, beide darum bemüht, den Splitter im Auge des anderen zu sehen, um den eigenen Balken nicht beachten zu müssen. Keiner bereit, den ersten Schritt zu tun, um den Frieden wieder zu finden. 

Oder in den Zeiten, als wir – ohne es zu wollen und doch teilweise selbstverschuldet – in einer traditionellen Rollenteilung festgefahren waren, was uns beiden nicht entsprach, weshalb das Familienleben eine ziemliche Qual war.

Oder dann, wenn wir nichts weiter als ein gut eingespieltes Arbeitsteam waren, jeder darum bemüht, seinen Teil des Jobs so zu erledigen, damit dem andern keine Steine im Weg lagen, während das verliebte Paar, das wir einst gewesen waren, allmählich in den Nebelschwaden der Erinnerung entschwand. 

Oder an den Abenden, an denen wir eigentlich die seltene Gelegenheit gehabt hätten, spontan miteinander auszugehen und wir vor lauter Müdigkeit nichts zu nichts weiter zustande brachten, als gemeinsam zur Tankstelle zu spazieren, um eine kühle Cola zu kaufen. 

Die Momente, in denen mein Leben mit „Meinem“ meilenweit entfernt ist von den Vorstellungen, die ich früher mal hatte, gab und gibt es immer wieder. Man mag es nicht für möglich halten, aber manchmal nervt er sogar ganz gewaltig, der Mann an meiner Seite. (Seine Behauptung, das sei bei mir nicht anders, ist selbstverständlich gänzlich aus der Luft gegriffen.)

Dennoch könnte ich heute genauso wenig wie damals unterschreiben, was meine Bekannte in ihrer Bitterkeit – die in ihrer Situation durchaus nachvollziehbar war – über die Ehe sagte. Ich bin dankbar, dass wir das trotz aller Turbulenzen noch immer ganz anders erleben.

Inzwischen schon seit fast achtzehn Jahren. 

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Sommerabend

Am einen Nebentisch prahlt ein zwielichtiger Kerl in breitem Basler Dialekt mit seinen unsauberen Geschäften, am anderen Nebentisch behauptet ein eingebildeter Schnösel, Krankenpflege sei etwa ähnlich anspruchslos wie bei Lidl die Kasse zu bedienen, etwas weiter vorne grölen Fussballfans. Der überteuerte Apéroteller kommt mit Bergen von leicht verfärbtem Fleisch, ein paar gummiartigen Käsewürfeln und blassen Baguettes, die den Vakuumbeutel eben erst verlassen haben, daher. Beim Spaziergang durch die Stadt musst du aufpassen, dass du den Italien-Fans, die in den Strassencafés gebannt vor dem Bildschirm sitzen, nichts durchs Bild läufst und beim Bezahlen im Parkhaus findest du dich plötzlich von einem Trupp schnatternder Mittfünfzigerinnen umringt, die eben aus dem Kino gekommen sind und sich über den Film austauschen müssen. (In Unkenntnis des aktuellen Kinoprogramms habe ich auf Nicholas Sparks getippt, aber nachdem ich nachgeschaut habe, bin ich ziemlich sicher, dass es Jojo Moyes gewesen sein muss.)

Wäre da nicht dieser traumhaft schöne Sommerhimmel und dieser hinreissende Mann, den ich im Schuljahrsendspurt kaum je zu Gesicht bekomme und den ich jetzt endlich wieder einmal ganz für mich habe, dann könnte man diesen Abend als vergeudete Zeit abtun. So aber ist er etwas vom Schönsten, was ich in den vergangenen Wochen erlebt habe.

Na ja, das Ganze hätten wir auch im eigenen Garten mit weniger Lärm und für fast gar kein Geld haben können. Wir hätten bloss warten müssen, bis die Meute schläft.

War vielleicht doch besser, dass wir nicht zu Hause geblieben sind. Den letzten Nachtschwärmer habe ich kurz nach der Heimkehr so gegen zwanzig nach elf erwischt…

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Vertrauensselig

Wäre ich die Mutter eines seiner Schüler, hätte ich erst mal ungläubig den Kopf geschüttelt ob der Nachricht, die Schulreise finde heute statt. Dann hätte ich alle verfügbaren Regenkleider im Haus zusammengesucht und einen Reiseproviant zusammengestellt, der ganz bestimmt ohne Feuer auskommt. Vielleicht hätte ich dabei leise gebrummt, der Lehrer habe sie doch nicht mehr alle.

Weil ich nicht die Mutter eines seiner Schüler bin, sondern die Frau, die seit mehr als zwei Jahrzehnten mit ihm durchs Leben geht, habe ich versucht, ihm die Sache auszureden. „Hast du dir die Wetterprognose denn nicht angeschaut?“, fragte ich. „Natürlich habe ich“, versicherte er mir. „Es heisst, in der Gegend, wo wir hingehen, werde es genau anderthalb Stunden lang regnen.“ „Ich verstehe ja nicht viel von Meteorologie“, entgegnete ich mit hochgezogenen Augenbrauen, „aber ich habe gelesen, in diesen Tagen sei es ausgesprochen schwierig, vorherzusagen, wo der Regen niedergehen wird. Blas die Sache ab, es ist viel zu nass.“ Natürlich hörte er nicht auf mich. Warum auch? Das Schuljahresende steht vor der Tür und wenn seine Schüler überhaupt noch in den Genuss einer Schulreise kommen sollen, bleibt nicht mehr viel Zeit. Erst recht nicht, wenn die Wetterpropheten, die in naher Zukunft keine namhafte Wetterbesserung sehen, recht behalten. „Meine Schüler sind walderprobt. Denen macht ein bisschen Regen nichts aus“, sagte er und ging heute Morgen wie geplant mit ihnen los.

Natürlich regnete es Bindfäden. Bei uns zu Hause fast den ganzen Tag, dort wo er war angeblich nur zwei Stunden. Sie hätten trotzdem viel Spass gehabt, hätten sogar ein Feuer gemacht und die Eltern hätten ihre Kinder in nahezu trockenem Zustand wieder in Empfang nehmen können. „Ich hab‘ dir doch gesagt, meine Schüler sind walderprobt“, meinte er triumphierend.

Einen Moment lang überlegte ich, ob ich unsere Freunde, die in der Gegend wohnen, fragen soll, ob sie heute tatsächlich so viel weniger Regen hatten als wir, liess es dann aber bleiben. Stattdessen ging ich in die Migros, kaufte ihm eine Schachtel Pralinen und überreichte sie ihm als Auszeichnung. Immerhin ist er der einzige Mensch, der hierzulande noch gutgläubig genug ist, um einer Wetterprognose zu trauen, die behauptet, es werde gerade mal anderthalb Stunden am Tag regnen. Und vermutlich auch der einzige Lehrer, der den Mumm hatte, heute auf Schulreise zu gehen. 

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Nur der Feinschliff fehlt noch

Eigentlich wäre er dazu ausersehen gewesen, ein richtiger süditalienischer Macho zu werden, doch zum Bedauern seiner Verwandtschaft liessen ihn Fussball und schnelle Autos kalt, lautes Prahlen war auch nicht sein Ding und nachdem er im frühen Kindesalter Farbstifte und Papier für sich entdeckte, ging es nur noch bergab mit ihm.

Mit sechzehn färbte er sich die Haare in verschiedenen Rottönen.

Mit siebzehn schleppte er eine Schweizerin an.

Mit knapp zwanzig entschied er sich, Primarlehrer zu werden, anstatt einen Beruf zu wählen, bei dem man den ganzen Tag wichtigtuerisch in Anzug und Krawatte herumstolzieren konnte.

Mit einundzwanzig trat er aus der katholischen Kirche aus.

Mit vierundzwanzig reiste er im Sommer lieber nach England als nach Italien.

Mit vierunddreissig war er Vater von fünf Kindern, obschon seine Mama ihm geraten hatte, nach zwei damit aufzuhören.

Und was für ein Vater er war. Einer, der sich nicht genierte, nachts aufzustehen, seinem Nachwuchs die Windeln zu wechseln und bei den Hausaufgaben zu helfen. Einer der seine Männlichkeit nicht in Frage gestellt sah, wenn er im Kochtopf rührte oder mit dem Staubsauger durch die Wohnung wetzte.

Für seine Verwandtschaft blieb er ein Rätsel, auch wenn sich mit der Zeit eine gewisse Bewunderung bemerkbar machte, denn auch in Süditalien sind Machos inzwischen nicht mehr so gefragt. 

Für seine Frau ist er ein Glücksfall, denn sie kann sich darauf verlassen, dass er, wenn sie ausser Hause ist, den Karren zieht. Anders als sie zwar, aber ganz bestimmt nicht schlechter. (In den meisten Fällen sogar besser, wenn man mal von den ewigen Streitereien mit seiner einzigen Tochter absieht.) Inzwischen spielt es eigentlich keine Rolle mehr, ob sie oder er zu Hause ist.

Na ja, es spielt fast keine Rolle mehr. Er muss nur noch lernen, wie die richtige Antwort lautet, wenn sie nach einem langen Arbeitstag nach Hause kommt und fragt, ob die Kinder am nächsten Tag Sporttag haben.

Seine Antwort: „Sporttag? Keine Ahnung. Die Kinder haben nichts davon gesagt.“ Und das natürlich um eine Zeit, als nachfragen bei den Knöpfen nicht mehr möglich ist, weil alle schon tief und fest schlafen. (Proviant kaufen ginge übrigens auch nicht mehr, da nicht mal mehr Tankstellenshops offen sind.)

Die richtige Antwort hätte gelautet: „Nein, der Sporttag findet morgen nicht statt. Ich hatte es ja schon geahnt, denn die Wetterprognose ist wirklich mies. Und meine Vermutung hat sich mit dem Elternbrief, den die Kinder nach Hause gebracht haben, bestätigt. Was eigentlich schade ist, denn selbstverständlich habe ich bereits den ganzen Proviant für den morgigen Tag eingekauft.“

So müsste das eigentlich laufen, aber wenn man bedenkt, dass er eigentlich dazu ausersehen gewesen wäre, ein südländischer Macho zu werden, wollen wir mal grosszügig über diesen Schnitzer hinwegsehen.

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