Interkulturelle Dialogversuch, Nachtrag

Zwei Menschen, die liebend gerne im Dreck wühlen, um ihr eigenes Gemüse zu ziehen, würden sich immer verstehen, egal welche Sprache sie sprechen, habe ich vor einigen Tagen grossmäulig behauptet. Ganz Unrecht hatte ich damit natürlich nicht, denn in den groben Zügen verstehen wir uns wirklich erstaunlich gut, die Nachbarin aus Griechenland und ich. Eine gemeinsame Sprache, die etwas mehr beinhaltet als Gestik, Mimik und den einen oder anderen Wortfetzen wäre trotzdem ganz praktisch. Mit dem Überreichen des halben Kürbisses wollte unsere Nachbarin mir nämlich nicht bloss ihre Sympathie bekunden, sie überbrachte mir auch eine wichtige Botschaft und zwar die Folgende: 

„Hör mal, ich verreise jetzt wieder für ein paar Monate nach Griechenland und dieser Kürbis würde im Keller verrotten, also nimm ihn und mach etwas Gutes daraus. Er hat noch Samen drin, die du vielleicht für deinen Garten brauchen kannst. Ach, und vergiss bitte nicht, gut auf Prinzchens besten Freund aufzupassen, bis ich wieder nach Hause komme. Du weisst ja, dass ich ihn normalerweise betreue, wenn seine Mama arbeitet, aber wenn ich in Griechenland bin, geht das leider nicht und bei dir fühlt er sich ja ebenso wohl wie bei mir. Und du hast ja auch gewusst, dass du mich im Sommer vertreten wirst, ich hab‘ bloss vergessen, dir zu sagen, wann wir abreisen. Also mach’s gut. Wir sehen uns im Herbst wieder.“

Das also hätte sie mir sagen wollen, doch das dämmerte mir erst, als sie schon weg war. Aber eigentlich war es auch nicht weiter schlimm, dass ich die Botschaft des Kürbisses nicht verstanden habe. Prinzchen und sein bester Freund stecken ohnehin vom frühen Morgen bis zum späten Abend zusammen, da macht es eigentlich keinen Unterschied, ob sie nun hier ist oder in Griechenland.

Nur unsere Konversation beim Jäten, die wird mir fehlen. 

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Interkultureller Dialogversuch, Teil VI

Für einmal nicht mit meiner Verwandtschaft aus Italien, sondern mit unserer Nachbarin, einer älteren Griechin, die ausser „Hallo“, „Tschüss“ und „Salat“ wohl kein Wort Deutsch spricht:

Ich bin im Garten am Jäten, unsere Nachbarin kommt an den Zaun und schaut mir zu. Sie zeigt strahlend auf mein Halbrundbeet und sagt ein Wort auf Griechisch, das keinerlei Ähnlichkeit mit einem mir bekannten Wort hat, von dem ich aber ziemlich sicher bin, dass es „Artischocken“ bedeuten muss, denn die wachsen dort, wo sie hinzeigt.

Ich: „Ja, Artischocken! Ich liebe sie.“ Meine irren Verrenkungen, die ich als Begleitung meiner Worte einsetze, sollen ihr zeigen, mit welchem Genuss ich die Dinger verspeise.

Nachbarin: Ergiesst einen griechischen Redeschwall über mich, gestikuliert dazu und sagt mir damit wohl, dass sie Artischocken auch wunderbar findet.

Ich gehe ein paar Schritte weiter, um ein paar lästige Neophyten auszureissen, die Nachbarin folgt mir und plaudert munter weiter. Da sie gerade bei einer frisch erblühten Rose steht, nehme ich an, dass sich ihr Geplauder inzwischen um Rosen dreht.

Ich: „Rosen sind wunderbar, nicht wahr? Ich kann nicht genug bekommen von ihnen.“

Nachbarin: Plaudert munter weiter und zeigt jetzt auf die Erbsen, die gerade erblüht sind. Ihr Tonfall lässt mich ahnen, dass die wissen will, ob es wirklich Erbsen sind, oder ob ich eine Banause bin, die lieber nur Wicken anpflanzt.

Ich: „Ja, das sind Erbsen. Auf der linken Seite eine alte, violette Sorte, rechts ebenfalls eine alte Sorte, aber sie sind früher reif und blühen weiss.“ Um sicher zu gehen, dass sie mich versteht, zeige ich ihr die Schoten, die bei der weiss blühenden Sorte bereits zu sehen sind.

Nachbarin: Strahlt über das ganze Gesicht, plaudert weiter und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie jetzt weiss, dass ich Erbsen gepflanzt habe, denn sie verwendet das eine Wort, das sie schon in ihrer Frage genannt hat, immer und immer wieder.

Wir gehen weiter, denn vorne an der Ecke hat es noch mehr Neophyten, die ich loswerden möchte. In der Nähe steht ein Fingerhut, der gerade seine ersten Blüten öffnet.

Nachbarin: Zeigt erst mit zornigem Blick auf den Fingerhut, dann schaut sie mich ganz besorgt an. Das Ganze natürlich von einem weiteren Redeschwall begleitet.

Ich: „Ja, ich weiss, Fingerhut ist giftig, aber keine Angst, die Kinder wissen das, sie werden sich also nicht daran vergreifen. Im Gegenteil, sie warnen mich jedes Mal, wenn ich die Pflanze nur schon anfasse.“

Ob sie wirklich auf die Giftigkeit der Blume hinweisen wollte und ob sie verstanden hat, dass ich verstanden habe, weiss ich nicht. Auf jeden Fall ist unser Gespräch jetzt erschöpft.

Ich: „Tschüss! Schönen Tag noch!“

Nachbarin: „Tschüss!“

Wie gut wir uns trotz unserer Sprachbarriere verstehen, zeigt sich ein paar Stunden später, als ich Zoowärter und Prinzchen im Nachbarhaus, wo auch Prinzchens bester Freund wohnt, abholen will. Als sie mich im Treppenhaus hört, ruft sie schnell den Vater von Prinzchens bestem Freund – ebenfalls ein Grieche – herbei. Die beiden unterhalten sich kurz, er fragt, ob wir Kürbis mögen, dann verschwindet sie in ihrer Wohnung. Augenblicke später kommt sie mit einem halben Kürbis zurück. „Sie hat die Samen drin gelassen. Für deinen Garten“, erklärt der Vater von Prinzchens bestem Freund und mir wird klar, dass zwei Menschen, die liebend gerne im Dreck wühlen, um ihr eigenes Gemüse zu ziehen, einander immer verstehen werden, egal, welche Sprache sie sprechen.

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Kettenreaktion

 

Aggressiver Mitschüler bringt Zoowärter zum Heulen.

Heulender Zoowärter findet zu Hause keine Mama vor, der er sein Herz ausschütten könnte.

Nicht mehr heulender, aber innerlich noch immer aufgewühlter und verletzter Zoowärter geht mit Prinzchen spielen.

Prinzchen verhält sich gegenüber dem nicht mehr heulenden, aber weiterhin aufgewühlten und zutiefst verletzten Zoowärter gegenüber unfair.

Nicht mehr heulender, aber weiterhin aufgewühlter und zutiefst verletzter Zoowärter mag sich nicht zur Wehr setzen, was ihn noch tiefer verletzt.

Nicht mehr heulender, aber noch tiefer verletzter und aufgewühlter Zoowärter sitzt beim Abendessen neben dem Prinzchen, dessen unfaires Verhalten weder vergeben noch vergessen ist. 

Prinzchen hebt sein Glas zum Trinken an, was beim nicht mehr heulenden, aber noch immer tief verletzten und aufgewühlten Zoowärter den Eindruck erweckt, der kleine, für sein unfaires Verhalten bekannte Bruder, strecke ihm die Zunge raus.

Nicht mehr heulender, aber zutiefst verletzter und aufgewühlter Zoowärter sieht seine Chance gekommen, um dem kleinen Bruder die Unfairness heimzuzahlen und schlägt mit der Faust gegen das Glas.

Heulendes Prinzchen reibt sich das schmerzende Nasenbein, nicht mehr heulender und vordergründig auch nicht mehr zutiefst verletzter und aufgewühlter Zoowärter grinst für den Bruchteil einer Sekunde triumphierend, was den Zorn seiner Mutter, die von der ganzen Geschichte nur den Schlag gegen das Glas mitbekommen hat, hervorruft. 

Mütterliches Donnerwetter bricht über den natürlich bald schon wieder heulenden, noch tiefer verletzten und aufgewühlten Zoowärter herein. 

Ahnungsloser Nachbar klingelt ausgerechnet in diesem Moment an der Tür und bekommt eine sehr aufgebrachte Mama Venditti zu Gesicht.

Ahnungsloser Nachbar macht, dass er so schnell als möglich wieder aus diesem Irrenhaus verschwinden kann, sehr aufgebrachte Mama zitiert den wieder heulenden, jetzt abgrundtief verletzten und vor lauter Aufgewühltsein zitternden Zoowärter herbei, um ihm so richtig die Leviten zu lesen.

Heulender, jetzt abgrundtief verletzter und vor lauter Aufgewühltsein zitternder Zoowärter erklärt schluchzend, dass an allem nur der aggressive Mitschüler schuld ist, der nicht nur heute, sondern seit Wochen schon für Zoff auf dem Pausenhof sorgt.

Nicht mehr so aufgebrachte Mama Venditti entschuldigt sich beim Zoowärter für ihr Donnerwetter, nicht mehr heulender, jetzt auch nicht mehr ganz so verletzter und nur noch leicht zitternder Zoowärter entschuldigt sich beim Prinzchen für den brutalen Schlag gegen das Glas, auch nicht mehr heulendes aber noch immer vom Schmerz gezeichnetes Prinzchen entschuldigt sich beim Zoowärter für seine Unfairness.

Müsste sich eigentlich nur noch der aggressive Mitschüler, der die ganze Chose ins Rollen gebracht hat, beim Zoowärter entschuldigen, aber diese Entschuldigung zu bekommen, könnte etwas schwieriger werden. 

(Und mit dem Nachbarn müssen wir vielleicht ein Warnsignal vereinbaren, damit er weiss, wann er an unserer Türe klingeln kann, ohne von einem Familienkrach überrollt zu werden.)

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Wenn dein Garten an der Strasse liegt,…

…und du dich irgendwann dazu entschliesst, dem Gehölz den Garaus zu machen, um aus der Einöde etwas Schönes entstehen zu lassen, dann kommst du mit jedem, der am Haus vorbeigeht, ins Gespräch. 

Der eine – ein netter Kerl, leicht handicapiert – erzählt dir, wie er jeweils zu Hause, in den Bergen oben, mit seinen Blumen plaudert und wie gut das beiden Seiten tut.

Der Nächste lässt dich ganz unverblümt wissen, es sei wirklich höchste Zeit, dass du das mit dem Garten mal endlich anpackst. So, wie das ausgesehen habe, sei es ja wirklich nicht mehr schön gewesen. 

Der Dritte sagt dir, mit der von euch angewendeten Methode würdet ihr die Wurzelstöcke nie und nimmer aus dem Boden kriegen und er bleibt auch bei seiner Meinung, als du erklärst, auf diese, Wege hättet ihr bereits ohne grossen Aufwand fünf hartnäckige, lästige Dinger ausgegraben. 

Ein älteres Ehepaar freut sich, dich mit „Deinem“ im Garten anzutreffen, findet, es sei doch besser, einen neuen Garten anzulegen, anstatt sich einen neuen Mann zu suchen und erzählt dann voller Stolz die eigene Liebes- und Lebensgeschichte.

Eine übellaunige Alte sagt zwar nichts, verzieht aber angewidert das Gesicht, weil auf der Feuerstelle gerade ein paar Wurzelstöcke, die zu gross sind für den Häcksler, ziemlich viel Rauch produzieren.

Manch einer meint nur: „Lieber du als ich“ und lässt zur Motivation ein paar Tipps zurück, nach denen du nicht gefragt hast.

Einige wollen wissen, was denn werden soll und sind erstaunt, wenn du dir deinen zukünftigen Garten ganz anders vorstellst, als sie es machen würden. 

Und dann gibt es noch so nette Menschen wie dein Nachbar und sein Kollege, die mit sinnvollen Tipps und Tricks, Werkzeugverleih und beherztem Anpacken dafür sorgen, dass die Arbeiten mit bedeutend weniger Schwielen und Schweissausbrüchen als erwartet vorangehen.

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Klepto-Katze

„Zehn Katzenbabys sind genug“, sagten „Meiner“ und ich letztes Jahr und brachten Katzenmama Henrietta zum Tierarzt, um sie vor weiterem Nachwuchs zu schützen. Gut zwölf Monate später müssen wir feststellen, dass die Dame gar nicht geschützt werden wollte, denn Nachwuchs zu haben liegt ihr offenbar so sehr im Blut, dass sie jetzt einfach pausenlos scheinschwanger ist. Und wenn sie (schein)schwanger ist, geht sie auf Raubzug in der Nachbarschaft. Solange es nur herrenlose Plastikbeutel und leere Zigarettenschachteln waren, ging das ja noch. Auch den einen oder anderen Vogel konnte ich ihr noch halbwegs nachsehen, obschon ich immer und immer wieder versuchte, sie zum Pazifismus zu bekehren. Seitdem sie mir aber fast täglich Gartenhandschuhe aus sämtlichen umliegenden Gärten anschleppt, mache ich mir ernsthafte Sorgen um den Frieden im Quartier. Ich meine, was sollen die Nachbarn denken, wenn sie in unserem Garten die Handschuhe entdecken, die bei ihnen fehlen? „Nicht mal genügend Geld für Gartenhandschuhe hat man also“, werden sie sagen. „Die schicken wohl ihre Rasselbande auf Raubzug, um sich irgendwie über Wasser halten zu können.“ Äusserst peinlich, die ganze Angelegenheit. Gut, beim einen oder anderen Handschuh gelang es uns, den ursprünglichen Besitzer ausfindig zu machen, doch was hilft das, wenn Henrietta Stunden später brav wieder herbringt, was wir in ihren Augen fälschlicherweise zurückgegeben haben? 

Um mich der Nachbarschaft zu erklären, habe ich beim Gartentor ein Körbchen angebracht, in das ich das Diebesgut lege. Auf einem kleinen Plakat bitte ich um Nachsicht für unsere kleptomanisch veranlagte Katze. Ich bitte die Leute auch, die Dinge mitzunehmen, die ihnen gehören. Das Plakat sorgt für ziemlich viel Erheiterung, manchmal ergibt sich auch ein nettes Gespräch, mitgenommen hat aber noch niemand etwas. 

Na ja, fast niemand. Henrietta bedient sich regelmässig aus dem Körbchen, um sich zu holen, was sie für ihren Besitz hält. 

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Auf eine gute Nachbarschaft

Früher, wenn ein Kind eine Scheibe einschlug, meldete sich der Hausbesitzer bei den Eltern, die Eltern entschuldigten sich für das Vergehen ihres Kindes, bezahlten die Scheibe, verdonnerten ihr Kind zu Hausarrest und dann war die Sache gegessen. Die Erwachsenen sagten zueinander „Wir waren ja alle mal Kinder“, lachten über die Angelegenheit und später, wenn das Kind seine Strafe abgesessen hatte, lachte es auch wieder.

Heute geht das ganz anders: Das Kind schlägt eine Scheibe ein, sagt aus Angst vor der Strafe seinen Eltern nichts davon, der Vater des Kindes sieht das Loch trotzdem und schreibt dem Herrn Nachbar einen Brief, dass er sich doch bitte melden solle, weil der Herr Nachbar nicht zu Hause ist. Der Herr Nachbar meldet sich nicht, satt dessen steht drei Tage später der Polizist vor der Türe und will wissen, ob man etwas von einer eingeschlagenen Scheibe wisse, der Herr Nachbar wolle Anzeige erstatten. Die Kinder seien ja auch sonst schon negativ aufgefallen. Die Mama, die noch im Pyjama dem Polizisten gegenüber steht, wird ziemlich laut, weil sie nicht begreifen kann, weshalb der Herr Nachbar nicht den Anstand besitzt, selber vorbeizukommen, sondern einen Polizisten in Haus schickt, der die Personalien des Kindes aufnimmt. Der Polizist ist peinlich berührt, versucht die aufgebrachte Mutter zu beruhigen und meint, der Herr Nachbar sei ja auch mal Kind gewesen, er werde sich bestimmt verständnisvoll zeigen und die Anzeige zurückziehen. Die Mutter aber, die mit dem Herrn Nachbarn so ihre Erfahrungen gemacht hat, fragt sich allmählich, ob ein Nebeneinanderleben so überhaupt noch möglich ist, oder ob sie eine hohe, dicke Mauer zwischen den zwei Grundstücken bauen muss.

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Fast wie Ferien

Da stand ich heute Nachmittag am Abwaschtrog, erledigte, was ich dem Geschirrspüler nicht mehr überlassen mag, weil der Kerl eine miserable Arbeitsmoral an den Tag legt und plötzlich donnerte mir mit lautem Krachen die Decke auf den Kopf. „Ich halte das nicht mehr aus in dieser winzig kleinen Welt“, jammerte ich. Immer die gleichen vier Wände, immer die gleiche Arbeit, die kein Ende nimmt, so sehr man sich auch darum bemüht, im Hintergrund stets die Streitereien von Karlsson und Luise, die sich mal wieder nicht ausstehen können. „Und gesellschaftsfähig bin ich auch nicht mehr“, heulte ich „Meinem“ die Ohren voll. „Spätestens nach zwei Stunden unter Leuten bin ich so ausgelaugt, dass ich nur noch schlafen möchte.“ Trotz aller Vorsätze, es nicht mehr so weit kommen zu lassen, nahm ich mal wieder ein Vollbad im Selbstmitleid.

Mitten in meine trübe Sonntagsstimmung, mit der ich der ganzen Familie die Laune verdarb, erschien die Nachbarin  mit einer spontanen Einladung zum Kaffee. Sie hätten gerade Gäste zum Griechischen Osterfest, da wäre es doch schön, wenn wir auch kämen. „Aber das kann ich doch nicht“, jammerte ich, nachdem sie gegangen war. „Was ist, wenn ich sie falsch verstanden habe und wir nicht alle zusammen hingehen sollen? Was soll ich anziehen? Immerhin ist das für sie ein hoher Feiertag und kein gewöhnlicher Sonntag wie für uns. Und wir können doch nicht einfach mit leeren Händen aufkreuzen…“ Doch Karlsson und Luise, die sich ausnahmsweise mal drei Minuten lang einig waren, liessen mein Gejammer nicht gelten. „Einladung ist Einladung“, meinte sie, „also zieh dir etwas Hübsches an, schnapp dir den Kuchen, den du gebacken hast und dann gehen wir.“

Natürlich wurden wir in Nachbars Garten herzlich willkommen geheissen, wir wurden in der Runde aufgenommen, als hätte man schon von Anfang an mit uns gerechnet und bald war meine miese Stimmung verflogen. Es entspann sich ein lebhafter Austausch über Kulinarisches, Politisches, Kulturelles und Familiäres und obschon wir nur auf der anderen Seite unserer Strasse waren, kam es mir vor, als wären wir mal kurz in die Ferien gefahren.

Ja, meine Welt ist derzeit tatsächlich winzig klein, aber Gott sei Dank leben ganz in der Nähe Menschen aus allen Himmelsrichtungen, die für frische Farbe sorgen, wenn mir in meinen vier Wänden alles zu eintönig wird.

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Warum tun wir uns das an? – Teil III

Nun sind wir also bereits eine Woche ohne Telefon und Internetanschluss. Ein Ende ist noch nicht in Sicht. Im Gegenteil: Inzwischen geht auch bei meiner Mutter, die bei uns im Haus wohnt, das Telefon nicht mehr. Ihr Anschluss läuft über die Swisscom, die Rechnungen erhält sie von econophone, wenn sie einen Anruf tätigen will, heisst es „Willkommen bei Sunrise – Bienvenu chez Sunrise – Benvenuti da Sunrise“ und wenn man auf die Testnummer anruft, um herauszufinden, welche Gesellschaft den Bock geschossen hat, landet man bei der Ansage von Tele4you. Alles ziemlich verwirrend und natürlich will keiner einen Fehler gemacht haben. Aber immerhin weiss ich nun, welcher Anbieter den nettesten Kundendienst hat, wo sie nicht die geringste Ahnung haben und wo man am längsten in der Warteschleife hängt. Wer sich darum kümmern wird, dass meine Mutter wieder telefonieren kann, haben wir allerdings noch nicht herausgefunden.

Dafür aber wissen wir seit heute, dass unser Internetanschluss frühestens am kommenden Freitag installiert wird, dass wir die neue Telefonnummer, die sie uns zugeteilt haben, behalten können und dass man uns irgendwann einen Techniker ins Haus schicken wird. Das ist doch immerhin schon mehr als vor zwei Tagen.

Und die Zeit ohne Telefon hat ja durchaus auch ihre VorteDur. Keine lästigen Werbeanrufe beim Mittagessen, keine Möglichkeit, von der Lehrerin zu erfahren, dass der FeuerwehrRitterRömerPirat schon wieder zu spät zur Schule gekommen ist, keine geschäftlichen Telefonate ausserhalb der Arbeitszeit. Das Allerbeste aber ist, dass die Nachbarn vorbeikommen müssen, wenn sie etwas von einem wissen wollen. Und wo sie schon mal da sind, kann man doch gleich ganz spontan einen netten Filmabend veranstalten.

Nun gut, irgendwann möchte ich dann schon gerne wieder telefonieren können. Ich weiss ja nicht, ob der ewige Junggeselle in unserem Quartier den gleichen Filmgeschmack hat wie wir. Was also müssten wir tun, wenn plötzlich er vor unserer Haustüre stünde, weil wir telefonisch nicht erreichbar sind?

Herr Nachbar

Glaubt mir, ich kann es durchaus verstehen, wenn die Leute in diesen Tagen abends zum Gartenschlauch greifen, um ihren Garten zu bewässern. Ich habe auch Verständnis dafür, dass der eine oder andere einen Rasensprenger installiert, um zu verhindern, dass das Gras bereits Ende April verdorrt. Warum aber, lieber Herr Nachbar, spritzen Sie abends Ihr Sonnendach, Ihre Steinplatten und Ihre Gartenmöbel ausgiebig mit dem Gartenschlauch ab und achten dabei fein säuberlich darauf, dass die Topfpflanzen und der Rasen keinen Tropfen Nässe abbekommen? 

Und plötzlich sieht alles ganz anders aus

Als der grösste Teil unseres Lebens sich noch im dritten Stockwerk abspielte, war uns so ziemlich egal, was um uns herum so alles geschieht. Man hörte nichts, man roch nichts und die Kleinwüchsigeren unter uns sahen auch nichts, weil die Fenster so hoch oben sind. Dies bedeutet, dass mit Ausnahme von „Meinem“ keiner je merkte, was sich draussen für Dramen abspielten. Jetzt, wo wir fast den ganzen Tag ein Stockwerk tiefer verbringen, merken wir plötzlich, dass wir Nachbarn haben. Und dass diese doch ganz eigenartig sein können.

Da ist zum Beispiel der ewige Junggeselle direkt gegenüber. In den zehn Jahren, die wir nun auf der anderen Strassenseite leben, hat er noch nie ein Wort mit uns gewechselt, obschon wir dank seiner geschwätzigen Mutter und seiner noch geschwätzigeren Grossmutter bestens über sein Leben informiert sind. Auch heute tat er, als kenne er uns nicht, als er „Meinem“ genüsslich dabei zusah, wie er erfolglos versuchte, im strömenden Regen das Sonnendach einzurollen. Bis heute hatte ich ja immer etwas Mitleid empfunden für den Kerl. Aber wie ich ihn da so sehe, we er sich den Bauch hält vor Lachen und sich nicht die geringste Mühe gibt, seine Schadenfreude zu verstecken, kann ich verstehen, dass er noch keine Frau gefunden hat, die bei ihm bleiben will.

Da gibt es auch den gelangweilten Teenager, der sich Tag für Tag einsam an unserem Haus vorbeischleppt. Seit ein paar Tagen bemüht er sich krampfhaft darum, sich das Rauchen anzugewöhnen. Man sieht, dass es ihm vor jedem Zug graut, aber er hält sich tapfer und ich bin sicher, dass er es bis Ende Sommerferien geschafft haben wird, süchtig zu sein. Wenn ihn das nur cooler machen würde!

Schliesslich sind da die Ordnungsliebenden, die immer exakt zur Schlafenszeit unserer Kinder irgend einen Staubsauger, einen Rasenmäher oder eine Schleifmaschine laufen lassen. Und zwar draussen, so dass auch die anderen etwas vom Lärm haben. Okay, zugegeben, bei uns hat fast rund um die Uhr eines der Kinder seine Schlafenszeit und wir können ja nicht in der ganzen Nachbarschaft die Tagespläne mit den unterschiedlichen Schlafenszeiten verteilen. Und natürlich wird man auch von uns im Laufe des Tages den einen oder anderen Pieps zu hören bekommen. Doch gewisse Ruhezeiten, so ungefähr mittags um Viertel vor eins und abends um acht, sind sogar uns, die wir sonst pausenlos auf die Pauke hauen, heilig.