Als der grösste Teil unseres Lebens sich noch im dritten Stockwerk abspielte, war uns so ziemlich egal, was um uns herum so alles geschieht. Man hörte nichts, man roch nichts und die Kleinwüchsigeren unter uns sahen auch nichts, weil die Fenster so hoch oben sind. Dies bedeutet, dass mit Ausnahme von „Meinem“ keiner je merkte, was sich draussen für Dramen abspielten. Jetzt, wo wir fast den ganzen Tag ein Stockwerk tiefer verbringen, merken wir plötzlich, dass wir Nachbarn haben. Und dass diese doch ganz eigenartig sein können.
Da ist zum Beispiel der ewige Junggeselle direkt gegenüber. In den zehn Jahren, die wir nun auf der anderen Strassenseite leben, hat er noch nie ein Wort mit uns gewechselt, obschon wir dank seiner geschwätzigen Mutter und seiner noch geschwätzigeren Grossmutter bestens über sein Leben informiert sind. Auch heute tat er, als kenne er uns nicht, als er „Meinem“ genüsslich dabei zusah, wie er erfolglos versuchte, im strömenden Regen das Sonnendach einzurollen. Bis heute hatte ich ja immer etwas Mitleid empfunden für den Kerl. Aber wie ich ihn da so sehe, we er sich den Bauch hält vor Lachen und sich nicht die geringste Mühe gibt, seine Schadenfreude zu verstecken, kann ich verstehen, dass er noch keine Frau gefunden hat, die bei ihm bleiben will.
Da gibt es auch den gelangweilten Teenager, der sich Tag für Tag einsam an unserem Haus vorbeischleppt. Seit ein paar Tagen bemüht er sich krampfhaft darum, sich das Rauchen anzugewöhnen. Man sieht, dass es ihm vor jedem Zug graut, aber er hält sich tapfer und ich bin sicher, dass er es bis Ende Sommerferien geschafft haben wird, süchtig zu sein. Wenn ihn das nur cooler machen würde!
Schliesslich sind da die Ordnungsliebenden, die immer exakt zur Schlafenszeit unserer Kinder irgend einen Staubsauger, einen Rasenmäher oder eine Schleifmaschine laufen lassen. Und zwar draussen, so dass auch die anderen etwas vom Lärm haben. Okay, zugegeben, bei uns hat fast rund um die Uhr eines der Kinder seine Schlafenszeit und wir können ja nicht in der ganzen Nachbarschaft die Tagespläne mit den unterschiedlichen Schlafenszeiten verteilen. Und natürlich wird man auch von uns im Laufe des Tages den einen oder anderen Pieps zu hören bekommen. Doch gewisse Ruhezeiten, so ungefähr mittags um Viertel vor eins und abends um acht, sind sogar uns, die wir sonst pausenlos auf die Pauke hauen, heilig.