Es wäre mal wieder Zeit…

„Es wäre mal wieder Zeit“, sagt die Urmutter.

„Zeit wofür?“, fragt Mama Venditti.

„Wofür wohl? Denk mal nach.“

Mama Venditti denkt lange nach. Aber es will ihr einfach nichts in den Sinn kommen.

„Wie kannst du bloss so beschränkt sein. Ist doch klar, wofür es Zeit ist: Für ein neues Baby!“

Ein sehnsüchtiger Seufzer entfährt Mama Venditti: „Ein neues Baby. Das tönt verlockend. So ein süsses kleines Ding, hilflos und doch so stark, dass es mich im Sturm erobert.“

Doch dann landet Mama Venditti wieder auf dem harten Boden der Realität: „Du weisst ganz genau, dass ein neues Baby nicht drinliegt. ‚Meiner‘ und ich haben abgeschlossen damit. Es gibt keins mehr. Fertig. Aus.“

„Jetzt sei doch nicht so! Klar warst du nach jeder Schwangerschaft ein wenig erschöpfter. Klar ist dein Körper nicht mehr so belastbar wie früher. Klar, hast du zuweilen das Gefühl, du könntest nicht all deinen Kinder gerecht werden. Aber was tut das schon zur Sache, wenn man einem neuen, einzigartigen Menschlein das Leben schenken darf? Erinnerst du dich noch an dieses wunderbare Gefühl der ersten Kindsbewegung im Bauch? Weisst du noch, wie wunderbar es war, dein Kind zum ersten Mal im Arm zu halten?“

„Natürlich weiss ich es noch. Aber ich weiss auch noch, wie oft ich nicht mehr schlafen konnte vor lauter Rückenschmerzen. Ich weiss auch noch, wie oft ich geheult habe, wenn ich wieder mal mit einer Brustentzündung flach lag und mich nicht um die Familie kümmern konnte. Ich weiss auch noch, wie unzulänglich ich mich immer wieder gefühlt habe, wenn das Jüngste zu kurz kam, weil ich auch die Grossen nicht vernachlässigen wollte.“

„Ach, das war doch alles gar nicht so schlimm. Du hast das doch ganz gut hingekriegt. Und wenn du bedenkst, wie reich dein Leben durch all die Kinder geworden ist, dann musst du doch sehen, dass eines mehr dich noch unendlich viel reicher machen würde. Stell dir mal vor: So ein winziges, hübsches Mädchen. Vielleicht mit blonden Locken, wie Luise sie einst hatte… Oder ein Mädchen, das ‚Deinem‘ wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Sowas hast du noch nicht. Oder…“

„… oder ein Mädchen mit dunklen Augen und blonden Haaren, so wie das Prinzchen. Oder das Mädchen, von dem ich schon so oft geträumt habe, das Mädchen, das dem FeuerwehrRitterRömerPiraten so sehr gleicht . Oder vielleicht Zwillinge, eins mehr wie Karlsson, das andere mehr wie der Zoowärter…“ Mama Venditti gerät ins Schwärmen.

„Siehst du!“, triumphiert die Urmutter. „Du hast noch längst nicht genug. Ich hab’s ja gewusst: Jetzt, wo das Prinzchen grösser wird, hast du wieder den Mut, dich für ein weiteres Kind zu entscheiden. Der Zeitabstand wäre perfekt.“

„Ja, den Mut hätte ich schon, der Abstand wäre perfekt. Aber es ist dennoch zu spät.“, sagt Mama Venditti und kann die Traurigkeit in ihrer Stimme nicht unterdrücken.

„Zu spät? Warum denn?“, protestiert die Urmutter. „Du bist noch nicht zu alt, Platz habt ihr im Haus…“

„Ja, aber ‚Meiner‘ und ich haben mit dem Kapitel abgeschlossen.“

„Dann such dir eben einen neuen Mann…“, sagt die Urmutter kaltblütig.

Aber das lässt Mama Venditti nicht gelten: „Nein, ein neuer Mann kommt mir nicht ins Haus. Entweder, ‚Meiner‘ ist der Vater, oder ich will kein weiteres Kind. Verstanden?“

Die Urmutter macht sich enttäuscht aus dem Staub und Mama Venditti schaut ihr lange nach. Sie weiss, dass sie nie wieder Mama werden wird, auch wenn die Urmutter Sehnsüchte in ihr wach gerufen hat, die sich nicht leugnen lassen.  Aber Mama Venditti weiss, dass der Lebensabschnitt des Kinderkriegens für sie vorbei ist. Und wie immer, wenn etwas Schönes vorbei ist, lässt man es nicht ohne Wehmut ziehen.

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