Okay, ich weiss, das Thema ist hoch unanständig und ich würde mich nicht darüber wundern, wenn ich den einen oder anderen Leser verliere, weil ich über solche Schweinereien schreibe. Aber nachdem sich in der Weihnachtszeit die Schlagzeilen zum Thema „Armut in der reichen Schweiz“ und „Working Poor“ wieder häufen und sich zudem zum Jahresende die Rechnungen bei uns türmen, komme ich nicht umhin, mich mal wieder mit den schmutzigen Geheimnissen unseres Lebens zu befassen.
Vergleicht man den Lebensstandard von uns Schweizern mit dem Lebensstandard eines Grossteils der Weltbevölkerung, dann muss man gestehen, dass hierzulande wohl kaum einer weiss, was es bedeutet, richtig arm zu sein. Also arm im Sinne von kein Dach über dem Kopf, keine warmen Kleider, keine Gewissheit, ob man morgen wieder etwas zum Essen haben wird. Diese Art von Armut kennen die Wenigsten von uns und wenn unsere Kinder jeweils wissen wollen, ob wir arm oder reich seien, erkläre ich ihnen genau dies: Dass wir, verglichen mit den meisten Menschen auf diesem Planeten, steinreich sind. Und es stimmt ja auch, wir haben mehr als genug. Ein Haus, Schränke voller Kleider, mehr als genug zu Essen und dann noch sehr viele Dinge, von denen die meisten Menschen nicht mal träumen können. Zum Beispiel, um nur etwas zu nennen, diesen Computer, in dessen Tasten ich jeweils meine Texte haue. Nein, arm sind wir wirklich nicht.
Und doch gibt es da dieses Gefühl von Ohnmacht, wenn an einem Tag wie heute die Krankenkasse mitteilt, dass sie uns hunderte von Franken an Leistungen zuviel ausbezahlt hätten, die wir nun gefälligst zurückzahlen sollten. Zur gleichen Zeit lassen sie uns wissen, wie hoch der Betrag sein wird, den wir ab nächstem Jahr zu bezahlen hätten und „Meiner“ und ich schauen uns nur noch schweigend an, weil wir uns fragen, wie wir das alles bezahlen sollen. Wo wir doch genau wissen, dass die Prämienverbilligung, die uns dabei hilft, die Krankenkassenprämien zu bezahlen, erst im Laufe des nächsten Jahres ausbezahlt wird. Wir wissen auch, dass neben den Krankenkassenrechnungen noch ganz viele weitere Rechnungen darauf warten, beglichen zu werden. Rechnungen, die einfach so ins Haus flattern, ohne dass wir einen Einfluss darauf hätten. Weil das Leben in der Schweiz eben etwas kostet. Und zwar ziemlich viel.
So viel, dass wir reichen Leute nicht umhin kommen, uns bei der Fülle an Auslagen, die wir kaum oder gar nicht beeinflussen können, zuweilen sehr arm fühlen. Diese Überforderung, sich abzurackern und doch nie genug zu haben, diese Angst vor unvorhergesehenen Auslagen, welche das Ganze Budget aus dem Lot zu bringen drohen, dieses Gefühl von Ohnmacht, weil der Reichtum, in dem der Durchschnittsschweizer lebt, einen sehr hohen Preis hat, das alles kann einem ganz schön zusetzen. Nein, ich will nicht jammern, zumal man mir sofort den Vorwurf machen würde, wir hätten eben nicht so viele Kinder haben sollen. Ich will dankbar sein für alles, was wir haben, aber zuweilen wünsche ich mir eine Verschnaufpause in dem endlosen, unglaublich kräfteraubenden Spiel von Geld einnehmen und Löcher stopfen. Hin und wieder träume ich von einem Leben, in dem die Angst vor dem finanziellen Abgrund nicht existiert.
Und dann träume ich auch von einem Leben, in dem es nicht als unanständig gilt, über solche Dinge zu reden. Wie viele von uns reichen Schweizern fühlen sich als absolute Versager, weil sie glauben, sie seien die Einzigen, die es einfach nicht schaffen, etwas für Notzeiten auf die Seite zu legen? Wie viele von uns machen sich selber schwere Vorwürfe, wenn ihnen die Monatsabrechnung mal wieder die Tränen in die Augen treibt? Wie viele von uns fürchten sich hin und wieder vor dem Tag, an dem sie den Kindern Winterschuhe kaufen müssen, weil sie nicht wissen, ob bis dahin wieder genug Geld auf dem Konto ist? Wenn ich mich in meinem Bekanntenkreis umsehe, habe ich jeweils das Gefühl, wir seien die Einzigen, denen es so geht. Wenn ich aber die Statistiken anschaue, wird mir bewusst, dass es noch ganz vielen anderen ähnlich gehen wird, dass aber jeder sich schämt, darüber zu reden, weil er glaubt, wenn er sich nur etwas mehr anstrengen würde, sähe es anders aus mit seinen Finanzen
Nein, ich will nicht klagen, denn bei uns ist es am Ende immer irgendwie aufgegangen. Manchmal besser, manchmal schlechter, aber irgendwie kommen wir immer über die Runden. Aber ich wünschte schon, dass ich nicht jeden Luxus, den wir uns hin und wieder leisten, später wieder bereuen müsste, wenn ich merke, dass das Geld dafür nicht gereicht hätte, wenn ich gewusst hätte, welche Rechnung demnächst wieder bei uns eintreffen würde. Und manchmal wünschte ich auch, dass andere Leute offener über die schmutzigen Geheimnisse in ihrem Leben reden würden. Damit wir uns nicht immer wie die einzigen Deppen in unserem reichen Land fühlen müssen.

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Doch, eigentlich sehr viel Trost, denn ist nicht eben auch das so frustrierend, dass man oft denkt, man sei der Einzige, der es einfach nicht schafft?
Das Kompliment für das Bild habe ich soeben an „Meinen“ weitergeleitet.
Das, was du beschreibst, kenne ich ebenfalls gut: Da möchte man so gerne Bio, Faitrade, Handmade, etc. Kaufen, muss am Ende aber doch mit einem Industrieprodukt Vorlieb nehmen. 😦
Dann reihe ich mich mal ein in die Gruppe der anonymen Übersgeldredner – ich kann viel von dem, was du anführst, unterschreiben. Unser Kühlschrank ist voll, die Kleiderschränke sicher auch, die Kinder gehen in anständige Schulen und Kindergärten, und wenn dann mal etwas übrig ist und wir denken „Hurra, ein neuer Esstisch samt Sitzbank, das wär doch fein!“, dann kann ich davon ausgehen, dass entweder die Bremsen des Familienautos erneuert werden müssen, es an einem Dachfenster reinregnet, die Heizung gewartet werden muss – oder am liebsten alles zusammen … Und dann starrt man abends auf den Kontostand und denkt „Nö, das kann doch alles nicht sein, da verdienen zwei Menschen gutes Geld und alles weg, schwuppdiwupp!“ Sicher kein Trost, oder doch?
Jaaaaaa, das liebe Geld 😉 Kann da auch ein Liedchen von singen. Nun, irgendwie reicht es dennoch immer, manchmal knapp, manchmal gut.
Und ja, verglichen mit so vielen Anderen geht es uns/mir extrem gut. Ich habe ein Dach überm Kopf, zu Essen, Klamotten, und bin auch gesundheitlich so einigermaßen im Level. Eigentlich bedeutet mir Geld ziemlich wenig, hab ich doch ein paar Dinge erlebt und hinter mir, die einen das Leben ganz anders sehen lassen (leider geht das im Alltagsstress immer wieder unter), und doch hätte ich zugegeben oft gerne mehr Geld. Nicht für mich, sondern um anderen, Freunden und Fremden, viel öfters eine Freude und Geschenke machen zu können. Und auch, um für Waren und Produkte, gerade aus dem handwerklichen und kreativen Bereich, den eigentlich angemessenen Wert zahlen zu können. Ich hasse es eigentlich wunderschöne Werke zu bewundern, und dann letztendlich doch wieder die hoffnungsvollen Augen der Künstler zu enttäuschen, weil ich es mir nichtmal ansatzweise leisten kann. Und dabei sind die Preise schon teils massiv unter dem eigentlichen „Wert“ des Produkts.
Naja, was ich eigentlich sagen wollte: „cooles Foto“ 😉
Oh ja, ins Grübeln komme ich jeweils auch, aber auch immer wieder ins Staunen, wenn mir bewusst wird, wie weit das Geld reichen kann, wenn man die Dinge richtig dreht und wendet.
Das mit dem Gejammer jener, die mehr als genug haben, macht mir auch zu schaffen. Wobei ich mich dann sogleich wieder frage, ob ich am Ende nicht auch zu jenen gehöre…
Danke. Wieder einmal mehr.
Bei uns auch so. Besonders seit ich in der Ausbildung bin. Die Kinderbetreuung kostet halt, mein Lehrlingslohn deckt diese bei weitem nicht.
Na ja. Irgendwie geht es immer.
Schlimm finde ich nur wenn ich Menschen höre die weit mehr an finanziellen Möglichkeiten haben, die aber weit weniger zufrieden sind mit ihrem Leben, denen 2-3 Ferien im Jahr nicht genug sind, usw. Den grundsätzlich fühlen wir uns nicht arm.
Wenn ich dann aber bei einer Besprechung wegen der finanziellen Unterstützung der Kinderbetreuung gefragt werde wie wir eigentlich überleben komme ich durchaus ins Grübeln.
Endless story das.
Das mit den Ergänzungsleistungen, etc. Ist bei uns zum Glück noch kein Thema, aber mir graut heute schon davor…
Ich finde es jedenfalls super, dass du den Anfang machst! Gerade während der Weihnachtszeit, gerade dann nämlich.
Genau so, wie du das beschrieben hast, fühle ich mich, wenn die unsäglich hohen Rechnungen für meine Mutter hereinflattern, die Ergänzungsleistungen auch nach sieben Monaten immer noch nicht ausbezahlt werden (wegen Arbeitsüberlastun auf dem Amt!!!) und ich nicht weiss, wie es im nächsten Monat weitergehen soll…