Es war mir von Anfang an klar, dass die Kinder eines Tages bemerken würden, dass es zweierlei Menschen gibt. Kein Problem, wirklich. Mir macht es nichts aus, wenn meine Söhne im kleinen Kindergarten zum ersten Mal bis über beide Ohren verliebt sind und dass Luise bei den Jungs gut ankommt, stört mich nicht. Im Gegenteil, ich finde es geradezu rührend, wie sie ihre ersten Gehversuche in Sachen Verliebtsein machen. Liebesbriefe, unschuldige Küsschen auf die Wangen, den Namen der Liebsten an die Zimmerwand schreiben – alles vollkommen in Ordnung für mich.
Rasend macht mich hingegen, wie früh das Ganze sexuell aufgeladen wird. Drittklässler, die Spiele spielen, die wir mit fünfzehn gespielt hatten. Mädchen, die noch vor dem zehnten Geburtstag ihr erstes „Date“ haben und sich dazu aufreizend anziehen. Anzügliche Bemerkungen von grösseren Mitschülern bevor die Mädchen überhaupt richtig aufgeklärt sind. Primarschülerinnen, die in der Schulstunde den neuesten Tanz vorführen und zwar mit solch eindeutigen Posen, dass mir schon von Luises Erzählung beinahe übel wird. Zum Heulen finde ich das.
Okay, es war uns von Anfang an klar, dass unsere Kinder in keine heile Welt hineingeboren worden sind. Wir ahnten, dass das Thema schon in der Primarschule aufkommen würde, darum haben wir mit der Aufklärung begonnen, sobald die Knöpfe ihre ersten Fragen stellten. Wir versuchen ihnen zu vermitteln, dass es hier um etwas sehr Kostbares und Zerbrechliches geht, etwas, was weder lächerlich noch schmutzig ist. Darum stimmt es mich traurig, dass wir jetzt schon Gegensteuer geben müssen gegen eine Vorstellung von Sexualität, die geprägt ist von Anzüglichkeiten, billiger Anmache und einem himmeltraurigen Frauenbild.

Dass die Verantwortung vorallem bei den Eltern liegt, sehe ich auch so. Aber ich denke, viele Eltern gehen diesem Thema nicht nur aus dem Weg, sondern sind damit überfordert oder sehen die Notwendigkeit nicht bzw. machen es aus kulturellen Gründen nicht. Meine Eltern waren sehr offen mir gegenüber, ich komme aus einer ländlichen Umgebung, bin behütet aufgewachsen und so bin ich bei den Schulbesuchen immer wieder erstaunt über die Schüler/Schülerinnen. Unsere letzte Schule war eine gesamtschule in einem eher schwierige nStadtviertel. Der Ausländeranteil in meiner Studienstadt sehr hoch ist, die Jungs werden oftmals von älteren Brüdern / Cousins oder deren Kumpels „sexuell sozialisiert“. Und da ist das gewaltätige Bild von Sexualität dann gepaart mit einer extrem frauenverachtenden Einstellung. Wenn 13-Jährige fragen, wie man am leichtesten ein Mädchen ins Bett bekommt ohne mit ihr zusammen zu sein… Oder erklären, es sei völlig normal, dass Jungs viele Freundinnen haben (den sie hätten ja einen super Schlüssel der in alle Schlösser passe, die Mädels hingegen hätten ein sehr mieses Schloss, da alle Schlüssel passen würden), dann macht mich das wütend und traurig. Vorallem, weil es sie viele Mädchen gibt, die sich darauf einlassen, die von ihren Eltern nicht stark gemacht wurden von solchen Typen die Finger zu lassen. Die mir erklären, es sei schon sehr abtörnend für den Jungen, wenn man ihm erklärt, dass man keine Lust hat auf Sex und dass man sich dann halt geil machen lassen müsse…
Wir waren auch schon in Gymnasien, da waren die Schüler (bis auf wenige Ausnahmen) anders, interessierter an dem, was wir erzählt haben, eine Minderheit hatte schon sexuelle Erfahrungen gesammelt, wir konnten über die Wichtigen Punkte in einer Beziehung sprechen ohne dass die Schüler sich gegenseitig mit ihren Erfahrungen übertrumpfen wollten.
(Das sind keine Vorurteile sondern Erfahrungen, die ich so gesammelt habe. Als ich im Gymnasium war gab es auch Mädchen in meiner Klasse, die schon mit 14 einen Freund hatten. Aber das wurde nie so in den Mittelpunkt gerückt).
Nun ja, immerhin haben sie Väter, die sie beschützen… 😉
Ich denke, dass in diesem Bereich nicht nur die Schulen ihre Verantwortung scheuen, sondern vor allem auch die Eltern. 8. Klasse ist eindeutig zu spät, denn Fragen haben die Kinder ja schon viel früher. Bloss, wen fragen, wenn die Eltern dem Thema aus dem Weg gehen oder selber Sexualität als etwas Schmieriges ansehen und darum nicht angemessen darüber reden können? Mir persönlich ist das Thema zu wichtig, als dass ich es einfach anderen überlassen möchte. Obschon ich es wirklich begrüssenswert finde, dass es solche Projekte gibt.
Es erstaunt mich auch immer wieder… Über ein Projekt meiner Fakultät gehen wir als Medizinstudentin in weiterführende Schulen, um mit den Schülern über sexuell übertragbare Krankheiten und Verhütung zu sprechen (ich studiere Medizin).
Meist werden wir von den Schulen für 8. Klassen angefragt, also Schüler zwischen 13 und 15. Wir machen eine gemeinsame Einführung, dann trennen wir die Klassen nach Geschlecht, zu den Jungs geht ein Student, zu den Mädels eine Studentin. Zum einen ist mir ein deutlicher Unterschied zwischen den einzelnen Schularten aufgefallen. Was mich in der letzten Klasse (Gesamtschule) aber am meisten erschreckt hat: bei der Frage, wer schonmal Pornos im Internet gesehen habe, haben sich alle Mädels gemeldet, dann Details erzählt bei denen mir (23) schon vom Zuhören ganz anders wird. Als ich versucht habe mit den Schülern zu erarbeiten, was denn eine Beziehung ist, was in einer Beziehung wichtig ist und das Pornos nicht der Realität entsprechen (schon gar nicht bei 14-jährigen) hatten die mädchen wenig Interesse, sie hätten alle schon einen Freund und wüssten das. Und es wurde mir erklärt, dass ich wohl schon etwas zu alt sei, um zu verstehen, dass Jugendliche viel ausprobieren wollen. Leid tat es mir um die beiden schüchternen Mädchen, die dann in der Pause zu mir kamen und mir gesagt haben, sie hätten noch keinen Freund, hätten noch keine Pornos geschaut aber sie wollen nicht, dass die anderen das mitbekommen. Die Hälfte der Jungs aus dieser Klasse dachte übrigens, dass die Pille vor sexuell übertragbaren Krankheiten schützt….
Eigentlich müssten wir einen viel stärkeren Schwerpunkt setzen auf Beziehung, auf den Umgang miteinander, Respekt und Achtung voreinander – nur sind 4 Stunden da reichlich knapp.
Ja das auch, denke ich!
Mein Mann und mein Schwager haben irgendwann mal beschlossen, dass jeder durch ein Casting muss ehe er die Chance bekommt eines der Mädchen näher kennen zu lernen. Arme Mädchen… 🙂
Vielleicht haben wir so grosse Mühe damit, weil wir selber mal Mädchen waren und wissen, was da alles auf einen zukommen kann?
Schlimm finde ich einfach, dass man die jungen Pferde an vielen Orten noch antreibt…
Mir wird schlecht!
Das war leider einer meiner ersten Gedanken, als ich erfahren habe, dass wir ein Mädchen bekommen. Wie sollen wir sie davor schützen?
Ich habe mir immer eine Tochter gewünscht, aber einen kleinen Moment war da auch der Gedanke an einen grossen Bruder…
Schade eigentlich…
Ja.
Sehe ich ganz genau so!
Immer langsam mit den jungen Pferden….
GLG anabel