In der Höhle des Drachens

Tage, an denen man sich schon am frühen Morgen zum ersten Mal in einen Drachen verwandelt, sind nicht die besten. Aber hat man denn eine Wahl, wenn die kinderlose Arbeitskollegin des Mannes um zehn nach sieben anruft um zu fragen, ob er über Mittag auch ins Schwimmbad komme? Bleibt einem da als Ehefrau und Mutter etwas anderes, als die liebe Frau zu bitten, nicht mehr so früh anzurufen, weil die Kleinen noch schlafen? Nachdem man aufgehängt hat, fühlt man sich natürlich ganz mies, denn die gute Frau weiss ja gar nicht, was sie falsch gemacht hat. Sie hat doch nur eine harmlose Frage gestellt. Meint sie. In Wirklichkeit hat sie bereits morgens um sieben drei gravierende Fehler begangen, die den Tag der Mutter in gefährliche Bahnen lenken können. Um das bessere Verständnis zwischen Kinderlosen und Kinderreichen zu fördern, sei hier kurz darauf hingewiesen, was an diesem Anruf in den Augen der Mutter so schlimm war.

Erstens: Es gibt tatsächlich Kleinkinder, die morgens um sieben noch schlafen. Auch wenn die Mehrzahl der Eltern immer wieder jammert, die Kleinen seien bereits um fünf Uhr wach, so gibt es doch auch Kinder, die gerne bis acht oder neun Uhr schlafen. Manche sogar bis zehn. Und, man lese und staune, die Mütter sind gar nicht so unglücklich darüber, besonders dann, wenn sie noch grössere Kinder haben, um die sie sich kümmern müssen.
Dies führt uns zum zweiten Punkt. Morgens um sieben ist bei den meisten Familien mit schulpflichtigen Kindern die Hölle los. Der Morgenmuffel (bei uns in weiblicher Form vertreten, doch was ist die weibliche Form von Morgenmuffel?) will nicht wach werden und lässt sich nicht aus dem Bett bewegen. In der Küche schreit einer nach Kakao und selber möchte man eigentlich auch noch gerne etwas zwischen die Zähne bekommen. Wenn endlich alle satt sind, kommt das nächste Problem: Das Anziehen. Der eine möchte lieber Bilderbücher anschauen, während die andere allen Ernstes lange Hosen und Pullover aus dem Schrank zieht, weil sie fürchtet, bei 32 Grad Hitze zu erfrieren. So geht das eine Stunde lang weiter. Dass man in diesem Chaos keine Kleinkider brauchen kann, die gewickelt werden müssen, dürfte jedem einleuchten.
Kommen wir zum dritten und wichtigsten Punkt. Liebe Kinderlose, erinnert nie, aber auch gar nie, eine schwangere Mutter von vier Kindern am Morgen eines Hitzetages daran, dass ihr Mann in der Mittagspause ins Schwimmbad gehen könnte. Dass er in diesem Schwimmbad nicht bloss am Rand des Planschbeckens sitzen müsste, sondern dass er echte Chancen hätte, ins Wasser zu springen und sich abzukühlen. Dass er im Schatten liegen könnte und ein Buch lesen könnte. Mit solchen Bildern vor Augen muss die Mutter einfach zum Drachen werden, ob sie es will oder nicht.
Gott sei Dank hasst der liebe Mann nichts so sehr wie Schwimmbäder. Ansonsten hätte der harmlose Anruf zu einer ernsthaften Ehekrise geführt. Und dies war garantiert nicht die Absicht der Arbeitskollegin.

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