„Lieber“ Herr Vasella
Mir ist klar, dass eigentlich alles gesagt ist, was gesagt werden muss, aber dennoch kann ich es mir nicht verkneifen, auch noch meinen Senf zur Sache loszuwerden. Lange habe ich versucht, meinen Mund zu halten, aber es muss jetzt einfach raus, sonst muss sich „Meiner“ noch hundertmal die Dinge anhören, die ich eigentlich Ihnen an den Kopf werfen möchte. Herr Vasella, mit ihrem gedankenlosen Aussagen zwingen Sie mich heute dazu, etwas zu tun, was ich im Grunde genommen zutiefst verabscheue: Sie treiben mich dazu, schwülstig zu werden.
Sie haben nämlich immer mal wieder trotzig gefordert, Sie möchten den Menschen sehen, der auf das Geld verzichtet, wenn es ihm angeboten wird. Vermutlich stimmt dies für Menschen Ihres Kalibers, die im Laufe der Jahre vom süssen Gift des „immer mehr und alles nur für mich“ abhängig geworden sind und deshalb nicht mehr fähig sind, das Gift in noch höheren Dosen abzulehnen. Vermutlich wird auch kein Fabrikarbeiter die Lohnerhöhung von Fr. 56.75 pro Monat zurückweisen, wenn sie ihm angeboten wird. Abgesehen von diesen Ausnahmen muss ich Ihrer Aussage aber leider widersprechen. Es gibt nämlich durchaus Menschen, die verzichten und darum wird es jetzt schwülstig.
Da gibt es zum Beispiel Leute – vorwiegend Frauen -, die ihren Job an den Nagel hängen, um ihre pflegebedürftigen Eltern zu umsorgen. Kostenlos, bei klarem Bewusstsein, dass sie mit diesem Schritt nicht nur weniger Freizeit, sondern auch weniger Geld haben werden. Es gibt auch solche, denen mehr daran liegt, Schulkinder in Fuss- oder Volleyball zu trainieren, Brände zu löschen oder liegengebliebenen Abfall einzusammeln, anstatt immer mehr Geld zu scheffeln. Ich habe gar Menschen getroffen, die beruflich zurückstecken, obschon sie durchaus das Zeug dazu hätten, eine grosse Karriere zu machen. Es bedeutet ihnen mehr, neben dem Beruf noch Zeit für die Familie zu haben, als die Karriereleiter bis in schwindelerregende Höhen hochzuklettern. Schliesslich – und das werden Sie mir jetzt kaum glauben – leben in unserem reichen Land Menschen, die nur gerade das Nötigste besitzen und die das Wenige, das sie haben, auch noch teilen mit anderen Notleidenden. Nein, Herr Vasella, das ist kein Märchen, ich kenne solche Menschen persönlich. Ach ja, und dann sind da noch jene, die wirklich viel haben, die sich ihres Reichtums aber nur dann richtig freuen können, wenn möglichst viele etwas davon haben.
Ja, Herr Vasella, das alles klingt ziemlich kitschig, kommt aber in der Realität, in der wir Normalverdiener leben, erstaunlich häufig und in den verschiedensten Facetten vor. Warum? Vielleicht, weil wir dank unserer beschränkten Mittel besser wissen, dass sich gewisse Dinge nicht kaufen lassen.

Oh naja bei dieser Riege Menschen kenne ich zwei sich gegenüber stehende Parteien: zum einen die, die sich wirklich alles selbst erarbeitet haben, wissen, wie schwer es war und daher auch anderen helfen. Die sind leider eher rar und auch hier kommt es wieder drauf an, aus welcher Schicht sie kamen.
Und dann gibt es die, die du angesprochen hast: „Wenn ich das kann, dann können andere das ja wohl auch! Die sollen sich das gefälligst selber erarbeiten! Mir hat ja auch keiner geholfen! Und wer scheitert, ist selbst Schuld!“ Solche Leuten wünsche ich übrigens die Krätze an den Hals 😉
Mir fällt auf, dass vor allem jene, die das Gefühl haben, sie hätten sich alles selbst und ohne günstige Umstände erarbeitet, am hartherzigsten. Sie glauben dass jeder, der sich ausreichend anstrengt, das Gleiche schaffen kann wie sie und Ziegen erschreckend wenig Verständnis für Menschen, die durch Schicksalsschläge aus der Bahn geworfen wurden.
Dieses (meist noch etwas zaghafte) Umdenken nehme ich auch wahr. Hoffen wir mal, dass es weitergeht.
Herr Vasella ist der zurzeit meistgehasste Abzocker der Schweiz. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle sein komplettes Sündenregister aufzulisten. Momentan erhitzen sich die Gemüter, weil er nach seinem Abgang bei Novartis auf 6 Jahre verteilt 72 Mio. erhalten hätte, damit er nicht zur Konkurrenz geht. Vor einigen Tagen hat er nun verkündet, er werde auf das Geld verzichten, auch wenn er noch immer nicht verstehen kann, weshalb man sich so sehr über die Summe entrüstet.
ich seh das auch so: Ich glaueb soagr,dass es ein Umdenken gibt. Dass nicht mehr alle nur nach Geld schielen, sondern Erfüllung in anderen Ebenen suchen.
Aber: Wer ist Hr Vasella?
Das hast du sehr schön geschrieben! Genau das ist nämlich der Punkt. Es gibt leider zu viele Menschen, die meinen, dass alle so gierig wie sie wären. Stimmt aber zum Glück nicht!
Meine Erfahrung ist auch die, dass besonders solche Menschen gerne teilen, die entweder selber nur wenig haben oder aber die einst mit wenig auskommen mussten. Die können sich ganz einfach vorstellen, wie schlimm es ist, an oder unter der Armutsgrenze zu leben und helfen deswegen anderen, die Hilfe benötigen.
Vielleicht -und das ist nur meine Theorie- ist das „Problem“ der Nichtteiler, die gerne aus den obersten gesellschaftlichen Schichten kommen, dass sie nie auf etwas verzichten mussten, weil sie schon im Reichtum aufgewachsen sind. Für die ist es dann natürlich sehr viel schwieriger, ein Bewusstsein dafür zu entwickelt, was es physisch als auch psychisch heißt, Not zu leiden. Immerhin müssen die sich dieses Bewusstsein selber erarbeiten – im Zwiegespräch mit sich selbst, mit anderen und vor allem mit Menschen aus anderen Welten.
P.S.: ich will damit nicht sagen, dass alle aus der Oberschicht nicht teilen oder dass Nichtteiler ausschließlich aus dieser Schicht kommen. Nichtteiler gibt es überall und es gibt auch Oberschichtler, die gerne teilen. Es ist nur meine eigene, subjektive Beobachtung, dass das Nichtteilen dort häufiger vorkommt.