In meinem Leben gibt es einen einzigen Erziehungsgrundsatz, den ich – wenn ich mich recht erinnere und nicht die absoluten Tiefstpunkte ausblende – von Anfang an bis heute konsequent durchziehe. Es ist der Grundsatz, der da lautet: Entschuldige dich bei deinem Kind, wenn du Mist gebaut hast und mach dir das zur Gewohnheit, bevor du fürchten musst, dein Gesicht zu verlieren, wenn du endlich damit anfängst. Noch vor Karlssons Geburt fasste ich diesen Entschluss, denn als impulsiver und ziemlich launenhafter Mensch ahnte ich, dass ich wohl das eine oder andere Mal meinen hohen Idealen der Kindererziehung untreu werden könnte. (Das war lange bevor ich wusste, wie gewieft so ein kleiner Mensch die richten Knöpfe bei mir drücken kann, um meine Impulsivität und Launenhaftigkeit zu ihrer vollen Entfaltung zu bringen.)
So sass ich dann also – lange bevor der kleine Mensch der schweizerdeutschen Sprache mächtig war – jeweils abends an seinem Bettchen und sagte Dinge wie: “ Es tut mir leid, dass ich vorhin so laut geworden bin, als du so lange geschrien hast. Ich weiss, du kannst nicht anders, aber ich sollte anders können. Nur gelingt es mir leider nicht immer, wenn ich übermüdet bin.“ Glaubt mir, manchmal fühlte ich mich ziemlich doof, einem zahnlos lächelnden Baby ein Geständnis abzulegen, aber ich zog das durch, auch als weitere Kinder hinzukamen und auch als die Kinder anfingen, aktiv und bewusst zu den Alltagskrisen beizutragen. Meine Entschuldigungsreden lauteten dann etwa so: „Hört mal, dass ich euch vorhin angebrüllt und auf eure Zimmer geschickt habe, war ungerecht. Klar, ihr wart laut, aber ihr habt nichts Falsches gemacht. Ich bin heute furchtbar schlecht drauf und habe das an euch ausgelassen. Bitte verzeiht mir.“ Zuweilen meldete sich in solchen Momenten eine leise Stimme zu Wort, die flüsterte: „Versagermama! Erst baust du Mist und dann machst du dich auch noch vor deinen Kindern zur Schnecke“, aber ich habe gelernt, dieser Stimme nicht allzu viel Gehör zu schenken, weil sie in meinen Augen schlicht Unrecht hat.
Warum mir das mit dem Entschuldigen so wichtig ist? Nun, zum einen, weil bei uns Fehler erlaubt sein sollen. Dann auch, weil ich der Meinung bin, Kinder sollten nicht Schuld auf sich nehmen müssen, die nicht die Ihre ist. Kinder neigen ja bekanntlich dazu, sich für Dinge verantwortlich zu fühlen, die ein anderer verbockt hat und darum finde ich es wichtig, klar und deutlich zu meinem Versagen zu stehen. (Dafür nehme ich mir auch die Freiheit heraus, klar und deutlich mit ihnen zu reden, wenn sie Mist gebaut haben, den sie mir in die Schuhe schieben wollen.) Zudem sollen sich unsere Kinder nicht rechthaberischen, unnachgiebigen Eltern ausgeliefert sehen, die nie zu ihren eigenen Fehlern stehen. Wie schmerzhaft es sein kann, wenn empfundenes Unrecht von Eltern beschönigt und gerecht geredet wird, habe ich in meiner Schwiegerfamilie mehr als genug erlebt. Schliesslich hoffte ich insgeheim natürlich auch, unseren Kindern würde ein „Tut mir leid, das habe ich verbockt“ leichter über die Lippen kommen, wenn ich mit gutem Beispiel vorangehe.
Es hat ein wenig gedauert, bis diese Hoffnung in Erfüllung gegangen ist, doch neulich bekam ich doch tatsächlich das Geständnis „Das war ich, Mama. Es tut mir leid. Kann ich es wieder in Ordnung bringen?“ zu hören, als „der andere“ mal wieder sein Unwesen getrieben hatte. Karlsson ist inzwischen gar richtig gut darin, sich bei uns zu entschuldigen, wenn er – ganz nach der Art seiner Mama – wegen einer Kleinigkeit ausgerastet ist. Dass er inzwischen auch auswärts auf die üblichen Teenager-Ausreden* verzichtet und seiner Lehrerin unumwunden gesteht, er habe bei einer grösseren Arbeit Zeit vertrödelt und sei deshalb ins Hintertreffen geraten, erfüllt mich insgeheim mit Stolz. (Na ja, ich habe ihm zwar nahegelegt, doch immerhin das Wenige, das er bereits geleistet hat, vorzuweisen, damit die Lehrerin nicht denkt, er hätte gar nichts gemacht aber Karlsson fand, das sei unehrlich.)
Sieht also fast danach aus, als beginne mein einziger konsequent durchgezogener Erziehungsgrundsatz erste Früchte zu tragen. Allzu laut jubeln darf ich aber noch nicht, denn der härteste Brocken liegt noch vor mir. Prinzchen ist nämlich so perfektionistisch veranlagt, dass er sich selber nicht mal Rechtschreibfehler verzeiht und dies, bevor er offiziell lesen und schreiben können muss. Könnte also ein wenig dauern, bis er sich sich selber Fehler zugesteht und noch eine Weile länger, bis er auch den Mut aufbringt, dazu zu stehen.
* Zum Beispiel: „Mir ist die blaue Tinte ausgegangen, weil mein Hamster alle Patronen angefressen hat und ich konnte keine Ersatzpatronen kaufen, weil meine Mutter zum Mittagessen so mies gekocht hat, dass ich ganz geschwächt war und keine Kraft hatte, mich aufs Velo zu schwingen.“
Freue mich auch immer wieder über diese „merkwürdig vernünftigen Teenager“, obschon sie mir manchmal fast unheimlich werden. (Vor allem dann, wenn ich selber mich unvernünftiger aufführe als sie…)
Diese kleinen Momente des „Dazustehen“ sind so kostbar. Ich habe aus den schlechten Erfahrungen mit meinen Eltern gelernt und es bei meiner Großen anders gemacht. Als Dank habe ich eine merkwürdig vernünftige Teenagern im Haus mit der es sich gut Diskutieren läßt aber ohne all die Gefühlexsesse und – erpressungen, die ich so kannte. Wichtig ist ja dabei, sich nicht vor dem Kind zu erniedrigen, sondern mit erhobenem Haupte vor ihnen einen Fehler einzugestehen. Schön gechrieben (wie immer!)
Liebe Tanja
Man braucht nicht Grossfamilie zu sein, um zu erleben, wie einem dieses Elternsein im Guten wie im Schlechten durchschüttelt. Unsere perfektionistisch veranlagten Söhne bekommen so tatsächlich viel Anschauungsmaterial in Sachen „Na, dann versuche ich eben, es beim nächsten Mal besser zu machen.“
Liebe Grüsse
Tamar
Liebe Tamar
Ich finde das einen ganz tollen Erziehungsgrundsatz. Auch ich versuche, mich daran zu halten. Und ich kenne das Gefühl des „Versagens“ nach den Momenten, in welchen man die Nerven verloren hat und dies vor dem Kind eingesteht und sich entschuldigt. Aber ich finde, dass das Kind so lernt, dass jeder Schwächen haben darf und es eine Stärke ist, wenn man zu seinen Schwächen steht und sich für seine Fehler entschuldigt! Und auch das mit dem perfektionistisch veranlagten Sohn kenne ich gut! 😉 Umso wichtiger ist es, vorzuleben, dass nicht alles perfekt sein muss (und dabei kann ich auch gleich dazulernen)!
Übrigens lese ich deine unterhaltsamen Texte seit einiger Zeit mit. Ich wünschte, ich könnte so kreativ und treffend schreiben! Ich finde mich in vielen Geschichten wieder, obwohl wir keine Grossfamilie sind! Ganz herzliche Grüsse!