So einer

Es fühlt sich an, als kämen sie allmählich wieder zurück. Die Wörter, die Ideen, der unbeschwerte Blick auf die Dinge, die Sätze, die sich unwillkürlich im Kopf formen, währenddem ich mein unspektakuläres Leben lebe.

Wie habe ich mir doch den Kopf zerbrochen, als sie auf einmal immer weniger wurden, immer unschärfer, immer leerer – und irgendwann ganz verschwanden.

Lag es an den Kindern, die grösser und damit nicht unbedingt weniger herausfordernd wurden?

Lag es an den Umbrüchen des mittleren Alters, die mich dazu zwingen, zwischen längst nicht mehr gebrauchten Legosteinen, vergilbten Kinderzeichnungen und schmutzigen Geschirrstapeln Teile meiner selbst einzusammeln und zu etwas Neuem zusammenzufügen?

Lag es an der Arbeit, die den Raum einnahm, den die Familie freigab?

Lag es an meinen Interessen, die sich vermehrt in Richtung Pflänzchen, Beetgestaltung und (noch immer nicht vorhandenem) Komposthaufen verschoben?

Oder hatte ich mir das schlicht und ergreifend alles nur eingebildet mit den Wörtern, den Ideen, dem unbeschwerten Blick auf die Dinge, den Sätzen, die sich unwillkürlich im Kopf formen, währenddem ich mein unspektakuläres Leben lebe?

Nein, an alldem lag es nicht, das stellte sich im Laufe der Jahre deutlich heraus. Aber woran dann? Wie hatte ich verlieren können, was mir so lange die Welt bedeutet hatte? Ich wusste es nicht.

Tja, und dann stand ich letzten Mittwoch am Herd, rührte gedankenverloren in den Töpfen mit Zoowärters Geburtstagsessen und verfolgte in der Live-Übertragung mit, wie am anderen Ende der Welt ein Neuanfang versucht wurde. In dem Moment, als die Frau im blauen Mantel ihre Hand zum Schwur hob, wurde die Last auf einmal leichter und die Antwort auf meine Frage sonnenklar:

Es war wieder einmal passiert. Wieder einmal hatte so einer mit seinem Gebrüll geschafft, was sonst nichts und niemand schafft: mein Dauergequassel zum Verstummen zu bringen.

Man gebe mir eine Horde kleiner, nimmermüder Kinder, Erschöpfungszustände, wild zusammengewürfelte Ehrenämter, die ich alle nicht hätte annehmen sollen, einen Haushalt, der aus den Fugen gerät, das ewige Ringen um ausgeglichene Finanzen, endlose Kämpfe mit einem ungerechten Schulsystem, einen irren Kater, der sich an meinen selbst gezogenen Akeleien vergreift (Jawohl, die Akeleien, die ich aus dem kostbaren britischen Saatgut gezogen habe und wer weiss denn schon, ob es jemals wieder möglich sein wird, kostbares britisches Saatgut in die Schweiz liefern zu lassen…), deprimierende Abstimmungssonntage, einen Herrn Gemahl, dessen Augen nach einem langen Arbeitstag schon längst auf Halbmast stehen – mir doch egal, ich quassle dennoch unbeirrt weiter.

Aber wehe, es kommt so einer daher. Dann werde ich auf einmal stumm und starr.

Dass man so einem nicht nur auf dem Pausenhof, im Klassenzimmer, in Vereinen, in Kirchen, in Sitzungszimmern und auf der Chefetage begegnet, sondern dass er auch auf der Weltbühne ungestraft sein Unwesen treiben darf, hat mich offenbar zutiefst erschüttert. Dass jede Herzlosigkeit durchkommt, wenn einer nur laut und breitbeinig genug auftritt, hat mir die Sprache verschlagen. Und dass so mancher dieses Treiben offen oder insgeheim gutgeheissen hat, liess mich mut- und hoffnungslos werden.

Ja, ich weiss, ich hätte das alles wissen müssen (lebe ja nicht erst seit gestern auf diesem geschundenen Planeten) und eigentlich könnte es mir herzlich egal sein, wer am anderen Ende der Welt rumbrüllt. Zu meinem eigenen Erstaunen muss ich nun jedoch erkennen, dass ich mit diesem Gebrüll nie klarkomme – selbst dann nicht, wenn es mit mir persönlich überhaupt nichts zu tun hat.

Ob nun alles besser wird? Ich bezweifle es. Aber immerhin beginnen die Wörter und Ideen wieder in meinem Kopf zu kreisen. Zwar noch zaghaft und auf ziemlich krummen Bahnen, aber immerhin …

4 Gedanken zu “So einer

  1. Liebe Grüsse zurück – und hoffen wir, dass wir beide immer wieder die Sprache finden, um in Worte zu fassen, wie die Welt durch unsere Augen aussieht.

  2. Das freut mich 🙂
    Deine Texte haben in meinem Familienschlachtfeld nämlich gefehlt in den letzten Monaten…!

  3. Das würde mich aber freuen, wenn es hier bei dir wieder mehr sprudelt. Liebe Grüße, von einer, der es auch immer wieder die Sprache verschlägt

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