So haben wir uns das nicht vorgestellt

Als wir damals, vor etwas mehr als zwölf Jahren, ja gesagt haben zueinander, haben „Meiner“ und ich uns nicht vorgestellt, dass unsere Abende so aussehen würden: „Meiner“ am Telefon für irgend ein Projekt, das weder ihm noch mir etwas bringt, ich am Arbeiten, später dann vielleicht am Solitaire-Spielen, weil ich vor lauter Übermüdung nichts anderes mehr zustande bringe, er auf dem Sofa am Schnarchen, weil die Woche so anstrengend war.

Einen einzelnen Abend in diesem Stil könnte man ja noch verkraften. Aber nach vier, fünf, sechs oder gar sieben Abenden, die vollgestopft sind mit Sitzungen, Rechnungen begleichen, Fernsehsendungen, die man nur schaut, weil man zu müde ist, um etwas Schlaueres anzufangen, Briefen, die man noch „ganz schnell schreiben muss, bevor man Feierabend machen“ kann, aufräumen, was tagsüber liegen geblieben ist, Anrufen, die man „nur schnell“ tätigen muss, weil man später nicht mehr anrufen darf und schließlich erschöpftem ins Bett sinken, ….Mist, jetzt habe ich doch glatt den roten Faden des Satzes verloren.

Also, ich wollte sagen, dass es uns gelinde gesagt stinkt, wenn solche Abende zur Normalität werden. Und darum muss jetzt die Notbremse gezogen werden, allenfalls mit der Konsequenz, dass man hin und wieder ein unbequemes Nein wird verlauten lassen müssen.

Hat man mal ja gesagt zueinander, muss man eben hin und wieder zu anderen Dingen nein sagen. Zumindest, wenn einem das Ja zueinander mehr bedeutet, als all die Ja zu anderen Dingen, die man im Laufe der Jahre allzu leichtfertig ausgesprochen hat.

Ja

Zwölf Jahre ist es her, da haben „Meiner“ und ich ja gesagt. Ja zu einem Leben zu zweit, zu einem Leben, das wir uns etwa so vorgestellt hatten: Ein paar Jahre die Zeit zu zweit geniessen, ein wenig reisen, ein wenig studieren und ein wenig Geld verdienen, „Meiner“ zuerst mit unterrichten, dann mit etwas Kreativem, ich vielleicht als Journalistin, vielleicht auch als Gymnasiallehrerin oder vielleicht auch als etwas ganz anderes. Dann irgendwann eins, zwei, drei, vier Kinder, alle schön nacheinander, in gut verkraftbaren Abständen, Junge, Mädchen, Junge, Mädchen oder vielleicht auch Mädchen, Junge, Mädchen, Junge, auf alle Fälle schön gleichmässig nach Geschlechtern aufgeteilt. Ein eigenes Haus würden wir nie besitzen, ein eigenes Auto erst recht nicht.

Zwölf Jahre sind vergangen und alles ist ein wenig anders geworden, als wir es uns damals gedacht hätten: Wir besitzen zwei Drittel eines Hauses, auf dem Vorplatz steht ein eigenes Auto – gut, inzwischen ist es wenigstens kein Siebenplätzer mehr, sondern nur noch ein nettes himmelblaues Kleinwägelchen -, in den Kinderzimmern schlafen fünf Kinder, Junge, Mädchen, Junge, Junge, Junge und die Kinderchen sind nicht schön brav dann gekommen, wann wir sie geplant hätten, sondern dann, wenn ihnen gerade danach war, zu unserer Familie zu stossen. Unser Leben zu zweit dauerte gerade mal anderthalb Jahre, dann waren wir schon zu dritt.

Unser Leben zu zweit, dann zu dritt, zu viert, zu fünft, zu sechst und schliesslich zu siebt steckte voller Überraschungen, viele davon wunderschön, viele davon aber auch niederschmetternd. Wie oft haben wir gestaunt über Dinge, die wir nie für möglich gehalten hätten? Wie oft haben wir geweint, weil wir uns das alles etwas einfacher vorgestellt hatten? Wie oft haben wir gezweifelt, ob unser Weg noch in die richtige Richtung geht? Wie oft haben wir gejubelt, weil Träume wahr geworden sind? Wie oft haben „Meiner“ und ich uns angebrüllt, weil der andere mal wieder so unmöglich war? Wie oft haben wir uns gesagt, wie unendlich glücklich wir uns schätzen, miteinander unterwegs sein zu dürfen?

Zwölf Jahre schon leben wir das, was viele Menschen für ein Auslaufmodell halten. Zwölf Jahre schon fahren wir auf der Berg- und Talbahn des Familienlebens. Zwölf Jahre schon? Oder sind es nicht viel eher zwölf Jahre erst? Denn auch wenn es mir so vorkommt, als wären wir schon seit Ewigkeiten verheiratet, die Zeit verging dennoch wie im Flug.

Nun, wie dem auch sei, wichtig ist daran nur eines: Auch wenn kaum etwas so geworden ist, wie wir uns dies vor zwölf Jahren mal ausgemalt hatten, Ja sagen würde ich auch heute wieder. Wenn auch auf ziemlich andere Art und Weise als damals. Vielleicht könnten „Meiner“ und ich ja noch einmal heiraten….

Explodiert

Was ist bloss mit „Meinem“ und mir los? Kaum taucht am Beziehungshorizont die geringste Unstimmigkeit auf, schieben wir sie beiseite. Nicht, weil wir nicht streiten könnten, oh nein! Ich werde nie den Tag vergessen, an dem ich „Meinem“ auf offener Strasse einen Blumenkohl an den Kopf geschmissen habe – Okay, ich habe probiert, ihm einen Blumenkohl an den Kopf zu schmeissen, aber getroffen habe ich natürlich nicht, denn ich treffe nie-, weil er mir derart auf die Nerven fiel. Die Männer aus Sri Lanka, die uns bei diesem Krach beobachtet haben, sind wohl schleunigst aus der Schweiz abgereist, aus Angst, dass sie dereinst auch mit einem rabiaten Schweizerweib zu tun bekommen könnten. Auch die Zeiten, in denen der Brownie-Teig gegen die Küchenwand flog, weil „Meiner“ sich zu schnell duckte, werde ich nicht so schnell vergessen. Oder die Abende, an denen „Meiner“ wutentbrannt aus dem Haus stürmte, um den Bäumen im Wald zu klagen, was für eine Nervensäge er doch geheiratet habe. Ja, wenn „Meiner“ und ich streiten, dann fliegen die Fetzen.

Oder zumindest flogen die Fetzen. In den letzen Jahren sind wir weiser geworden und deshalb tönt es bei uns jetzt plötzlich so: „Ach, weisst du was? Ich will gar nicht streiten mit dir. Wir haben viel zu wenig Zeit füreinander und die wollen wir nicht mit Krach vergeuden. Und überhaupt liebe ich dich viel zu sehr…“ Ha, wie soll man da noch mit Blumenkohl um sich schmeissen können? Nun, ich habe  ja nichts gegen Harmonie, aber da ich zu viele Paare kenne, die sich „nie gestritten und immer bestens verstanden“ haben, die eines Tages „aus heiterem Himmel“ geschieden werden, werde ich bei zu viel Harmonie schnell einmal misstrauisch. Denn wo hört die Harmonie auf und wo fängt die Gleichgültigkeit an?

Deshalb bin ich ganz froh, wenn „Meiner“ und ich uns hin und wieder in die Haare geraten. Das beweist mir, dass unsere Beziehung noch lebt. Wenn er mich ankeift, weil ich die Wäsche nicht gemacht habe, obschon ich dies versprochen hatte, wenn ich ihn einen Macho schimpfe, weil er findet, ich hätte die Wäsche machen sollen, wo doch Waschen ganz eindeutig Männerarbeit ist, wenn er mir sagt, er sei froh, wenn er am Montag wieder arbeiten könne, weil ich so anspruchsvoll sei und ich ihm an den Kopf werfe, er solle mich nicht immer bevormunden, dann ist die Welt noch in Ordnung. Klar, so einen Krach brauche ich nicht jeden Tag, auch nicht jede Woche, von mir aus nicht einmal monatlich. Aber hin und wieder mal erleben, dass uns unser Zusammenleben noch immer so wichtig ist, dass wir es verbessern wollen, das gehört für mich ebenso zur Ehe wie romantische Abende, Ferienpläne schmieden und lange Gespräche über unsere Kinder. Hin und wieder mal spüren, dass „Meiner“ auch nach 18 Jahren Beziehung noch die ganze Bandbreite an Gefühlen in mir wecken kann, das gehört doch einfach dazu. Denn nach der rasenden Wut, den Tränen und dem Brüllen stehen wir beide plötzlich ganz ausgelaugt da, starren uns an und plötzlich wissen wir wieder, dass wir eigentlich nur das Beste füreinander wollen. Und auf einmal sind wir wieder verliebt wie am ersten Tag…

Schlechte Aussichten

Wer glaubt, seine Ehe habe gute Aussichten, nicht vor dem Scheidungsrichter zu enden, hängt einem Wunschdenken nach. Diesen Eindruck bekommt man zumindest, wenn man die Schlussfolgerungen einer Studie der Genfer Fachhochschule für Wirtschaft betrachtet. Wenn ich die Ehe von „Meinem“ und mir im Lichte dieser Studie, oder zumindest im Lichte dessen, was die Zeitung über diese Studie geschrieben hat, anschaue, so sieht es ziemlich düster aus für uns.

Nehmen wir nur schon mal das erste Kriterium: „Beide sind Schweizer“. Da kann schon mal der grösste Teil der Weltbevölkerung den Scheidungsantrag ausfüllen. Und auch ein nicht unerheblicher Anteil der in der Schweiz wohnhaften Personen, zumindest, wenn man den Begriff „Schweizer“ so eng definiert wie dies gewisse rechtsgerichtete Kreise tun. In deren Augen zum Beispiel ist und bleibt „Meiner“ ein Ausländer, auch wenn er hier geboren und aufgewachsen ist, hier das Lehrerdiplom erworben hat, hier fünf Schweizer Bürger gezeugt hat und seit ein paar Jahren den Schweizer Pass besitzt. Und deshalb weiss ich nicht, ob unsere Ehe in den Augen der  Verfasser der Studie gute oder schlechte Chancen hat. Denn ob „Meiner“ ein Schweizer ist oder nicht, liegt hierzulande im Auge des Betrachters.

Aber schauen wir uns das nächste Kriterium für eine glückliche Ehe an: Die Eheleute „haben keine früheren Scheidungen hinter sich“. Nun, zumindest hier sind wir auf der sicheren Seite, da wir noch immer in erster Ehe leben und auch weiterhin vorhaben, dies zu tun. Ob wir das jedoch schaffen werden, ist fragwürdig, da ja die Frage, ob „Meiner“ nun Schweizer ist oder nicht, nicht abschliessend geklärt werden kann. Und auch bei Punkt drei sieht es für uns nicht gerade rosig aus.

„Er ist mindestens fünf Jahre älter als sie“. Okay, ich denke mal, ich muss doch die Scheidungspapiere bestellen. Allein der Altersunterschied von „Meinem“ und mir von 36 Stunden scheint ein schlimmes Handicap zu sein. Dass aber ich diejenige mit den 36 Stunden Vorsprung bin, vergrössert das Risiko einer Scheidung bestimmt ungemein. Ich meine, man stelle sich bloss all die Spannungen vor, die „Meiner“ und ich wegen meiner viel grösseren Lebenserfahrung durchzustehen haben…

Einen kleinen Hoffnungsschimmer bietet das letzte Kriterium: „Sie ist gebildeter als er“. Ich finde zwar, „Meiner“ und ich stünden hier etwa auf gleichem Niveau, aber vielleicht hilft es ja unserer Ehe doch, dass ich die Uni von innen gesehen habe, während „Meiner“ auf den akademischen Werdegang ganz verzichtet hat.

Wie man sieht, räumt die Studie unserem Eheglück keine grossen Chancen ein. Einfach erstaunlich, dass ich in den fast zwölf Jahren, die wir nun verheiratet sind, noch nichts von all den Problemen gemerkt habe. Vielleicht ist „Meiner“ eben doch ein „richtiger“ Schweizer…