Der Mythos vom eigenen Zimmer

Wer bei Google nach dem Thema „eigenes Zimmer für Kinder“ sucht, stösst schnell einmal auf Foren, in denen Eltern einander gegenseitig in der Meinung bestärken, dass ein Kind ohne eigenes Zimmer ein ganz unglückliches Kind ist. „So früh wie möglich“ solle man die Kinder in ein eigenes Zimmer stecken, liest man da. „Ein eigenes Zimmer zu haben ist nie zu früh“, schreiben andere. Auf einer anderen Seite stosse ich auf den Hinweis, dass in Deutschland Hartz IV-Empfängern der Umzug in eine grössere Wohnung, damit jedes Kind ein eigenes Zimmer habe, nicht verweigert werden dürfe (was ich übrigens vollkommen richtig finde).

Bevor ich nun weiter auf die Frage nach den eigenen Zimmer eingehe, hier ein kleiner Hinweis: Dies ist kein Beitrag zur Diskussion über Hartz IV-Empfänger. Eine Diskussion, die, wie ich beim Surfen festgestellt habe, äusserst gehässig ist. Erstens verstehe ich als Schweizerin von Hartz IV viel zu wenig und zweitens bereiten mir schon all die Schweizer schlaflose Nächte, die über „Sozialschmarotzer“, „Scheininvalide“ und anderes „Gesindel“ herziehen. Also bitte keine Kommentare, die in die Richtung gehen, ob ein Sozialhilfeempfänger auch ein Recht auf Leben habe oder nicht. Klar? Okay, dann kann ich ja jetzt wieder auf mein eigentliches Thema zurückkommen.

Zurück also ins Kinderzimmer. „Meiner“ und ich haben uns damals, als wir noch mehr Kinder als Kinderzimmer hatten, grosse Vorwürfe gemacht weil man ja eben weiss, dass jedes Kind so früh wie möglich ein eigenes Zimmer braucht. Gut, ich als Jüngste von sieben Kindern habe mir da nicht allzu viele Sorgen gemacht. Wusste ich doch genau, dass man erst abends, wenn es dunkel ist, erfährt, in wen die grosse Schwester verliebt ist und solche Geheimnisse musste man einfach wissen, wenn man bei Tageslicht eine Erpressungsmöglichkeit in den Händen halten wollte. Wollte man erfahren, dass auch der grosse Bruder nur ein normaler Mensch mit Ängsten ist, musste man warten, bis im Haus alles still war und er einem das Herz öffnete. Solche Dinge erfuhr man nur, wenn man miteinander das Zimmer teilte. Aber ob heutige Pädagogen und andere Experten diese Erfahurngen noch gutheissen würden, wusste ich natürlich nicht.

Seit einiger Zeit nun hat jedes unserer Kinder sein eigenes Zimmer. Oder besser gesagt hätte jedes unserer Kinder sein eigenes Zimmer. Wenn nicht der Zoowärter und der FeuerwehrRitterRömerPirat sich standhaft weigern würden, ein eigenes Zimmer zu beziehen. Und nicht nur das, sie weigern sich auch, in ihrem eigenen Bett zu schlafen. Und so stehe ich jeden Morgen im Halbdunkel neben ihrem Bett und suche zwischen Bergen von Stofftieren und Kuscheldecken nach dem Kind, das ich wecken muss, damit es nicht zu spät in den Kindergarten kommt. Und probiere gleichzeitig um alles in der Welt zu verhindern, dass das Kind, das noch zu Hause bleiben darf, dabei aufwacht. Eigentlich habe ich kein Problem damit, dass die zwei ihr Zimmer teilen wollen, nur morgens, wenn nicht beide gleichzeitg wach sein sollten (und abends, wenn sie sich gegenseitig vom Schlafen abhalten) verstehe ich, warum man für getrennte Kinderzimmer plädiert: Für die Eltern ist es eindeutig bequemer.

Ach ja und dann gibt es noch das Argument der Privatsphäre. Alle Kinder brauchten nachts ihre Privatsphäre, sagt man. Ob das wohl stimmt? Wo doch fast alle Kinder – mit Ausnahme von Karlsson, der es hasst, mit jemandem sein Bett zu teilen – jeweils nachts ins Elternbett geschlichen kommen. Man könnte also auch die Behauptung aufstellen, dass einzig die Eltern so bald als möglich ihre Privatsphäre haben wollen. Und um diese zu bekommen, sollten sie ihre Kinder so lange als möglich im gemeinsamen Zimmer schlafen lassen. Aber ich werde mich davor hüten, diese Behauptung in Stein zu meisseln. Weiss ich doch genau, dass bei der Kindererziehung die Worte alle und immer gefährliche Worte sind.

12 Gedanken zu “Der Mythos vom eigenen Zimmer

  1. Absolut. Aber das erfordert einfach ein anderes Denken als nach „Schema F“ vorzugehen und die Fähigkeit zur (Selbst-)Reflexion, ehrlicher Reflexion. Und das geht doch vielen, vielen Menschen ab 😉

  2. Es ist schon verrückt, wie man sich als Kind oft genau das Gegenteil von dem wünscht, was die Allgemeinheit als Privileg ansieht.

  3. Wenn es etwas gibt, was man wirklich verallgemeinern kann, dann deine Lösung: Man findet heraus, was für die eigene Familie am besten ist und passt die Lösungen wieder an, wenn es nötig wird.

  4. Das kann man wohl auch nicht verallgemeinern. Wie fast nix 😉

    Unsere Kinder hatten ja bis vor kurzem ein gemeinsames Spiel- und ein gemeinsames Schlafzimmer. Grundsätzlich wäre es mir (und dem Grossen) immer noch lieber so. Aber da er (der Grosse) nur mit Festbeleuchtung und die Kleine nur mit „fast ganz Dunkel“ einschlafen kann mussten wir trennen… Zuvor haben sie fast immer in einem Bett geschlafen – freiwillig natürlich.
    Die Kleine schläft seither durch. Der Grosse wieder bei uns. Er mag nämlich nicht alleine in seinem Zimmer schlafen. Und manchmal machen sie das auch so, wenn nämlich beide noch nicht schlafen mögen schauen sie gemeinsam in einem der Zimmer Bücher an und spielen noch ein wenig ^^

    Ich hätte damals NIE das Zimmer mit meiner 4 Jahre jüngeren Schwester geteilt. Ich war froh wenn ich meine Ruhe hatte.

  5. Ich war eins der (damals) privilegierten Kinder mit eigenem Zimmer. Wie oft habe ich mich danach gesehnt, NICHT privilegiert zu sein!!

  6. Die Mischung und die Wahlfreiheit. Ich nehme mal an, wenn man die Kinder zwingen würde, zusammen in einem Zimmer zu schlafen, dann würden sie sich quer stellen. Und umgekehrt.

  7. Bei uns ist wochentagsabhängig…. am Wochenende ziehen die Herren zusammen – Hörbücher kann man zu zweit eben besser geniessen – gerade wenn sie etwas gruselig sind.
    Allerdings geniessen sie ihre Ruhe vor dem anderen ganz besonders seitdem wir während der Schwammrenovierung teilweise zu viert oder fünft in einem Zimmer geschlafen haben. Die Mischung macht es wohl.

  8. Ich glaube, dass das mit der Privatsphäre von Kind zu Kind verschieden ist. Karlsson zum Beispiel ehnte sich schon sehr früh danach, während Luise noch immer sehr viel Nähe braucht. Mir ist es wichtig, dass ich hier jedes Kind nehme, wie es ist und deshalb habe ich auch so grosse Mühe mit pauschalen Aussagen wie „Jedes Kind muss so früh als möglich ein eigenes Zimmer haben“.

  9. Kann deine Ausführungen nur unterschreiben. Unsere Kinder schlafen auch am liebsten in einem Bett/Zimmer obwohl sie beide eins haben. Ich denke auch bei Kleinkindern ist es eher bequem für die Eltern oder eben Stau und Spielfläche.

    Ab der Schulzeit und spätestens in der Pupertät denke ich fangen Kinder an sich wirklich nach Privatssphäre zu sehen. Aber ich denke auch es schadet niemand sich als Kind ein Zimmer geteilt zu haben, es schult das soziale Miteinander, aber auch das Durchsetzungsvermögen. Denn so wie mit Gewistern streitet man sonst eher selten bis nie.

    Und das Elternbett ist auch bei uns der begehrteste Ort. Daher ich denke auch wir übertragen häufig unsere Wünsche auf die der Kinder. ..

  10. Oh ja, diese Zeiten werden wohl schon bald kommen. Aber im Moment verschliesse ich meine Augen noch gaaaaaanz fest davor. Ich möchte noch ein wenig in meiner rosarote Kleinkinderwelt bleiben. Also ja, so rosarot wie diese eben ist…

  11. Kinderzimmer sind sehr wichtig: Sie dienen in den ersten Jahren vor allem als Rumpelkammer für alle zu kleinen Kinderkleider, Stubenwagen, Babybadewanne, Reisebetten etc. 😉 Irgendwo muss man das Zeug ja aufbewahren. Das Elternschlafzimmer bzw. das Elternbett und die freie Bodenfläche im gleichen Zimmer für Matratzen kann jedoch nie gross genug sein… Spätestens, wenn deine Kinder in der Pubertät stecken, wirst du dir wahrscheinlich wünschen, sie würden etwas weniger Zeit hinter verschlossener Tür in ihren (Kinder)-Zimmern verbringen… 😉

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