Podestplatz

Ist es ein weibliches Phänomen, oder ein mütterliches? Dieses ewige Ziehen von Vergleichen mit dem Resultat, dass man selber vollkommen flach herauskommt, die andere Frau hingegen als Superwoman? „Wie du das alles schaffst. Ich würde das nie hinkriegen!“ „Für dich ist das alles ja kein Problem, aber ich komme einfach nicht klar damit.“ „Ich bewundere dich: Bei dir ist immer alles tadellos aber bei mir herrscht das absolute Chaos.“ Vielleicht irre ich mich ja, aber wenn Männer sich unterhalten, höre ich solche Sätze nie, wenn Frauen miteinander reden aber immer mal wieder. In unzähligen Variationen zwar, aber stets mit dem gleichen Effekt: Die andere Frau steht auf dem Podest, man selber liegt im Staub und schämt sich seiner Unvollkommenheit.

Natürlich aber will die andere Frau gar nicht auf dem Podest stehen, denn sie selber ist sich ihrer eigenen Unvollkommenheit mehr bewusst, als ihr lieb ist. Und darum beginnt sie, ganz offen von ihren Schwächen zu erzählen. Doch ob sie nun erzählt, sie blicke auch jeden Morgen voller Entsetzen ihrem zerknitterten Spiegelbild entgegen, oder ob sie in den buntesten Ausschmückungen ihr letztes Totalversagen als Mama schildert, oder ob sie gesteht, dass sie sich zuweilen so sehr hasst, dass sie sich selber in die Wüste schicken möchte, man glaubt ihr nicht. Sich selber traut Frau jedes Versagen, jeden Makel zu, aber die andere, die ist doch perfekt, die macht ganz bestimmt nichts falsch. Die erzählt bestimmt nur von ihren Problemen, damit ich mich nicht so minderwertig fühle und nicht, weil tatsächlich nicht alles so rosig ist, wie es aus der Ferne betrachtet aussieht.

Und so sehen wir Frauen- oder vielleicht nur wir Mütter? – unser Umfeld bevölkert mit lauter Statuen von makelloser Schönheit und absoluter Perfektion. Wir denken, dass sie alle voller Abscheu auf uns hinabsehen, auf uns, die wir es einfach nicht so hinkriegen, wie wir sollten. Obschon wir in den Augen der anderen wohl ebenso auf einem Podest erscheinen, wie sie in unseren, fühlen wir uns winzig klein und unbedeutend. Nur hin und wieder wachen wir auf, nämlich dann, wenn eine der vermeintlich so Starken und Fehlerlosen vom Podest stürzt und mit viel Getöse zerbricht. Dann reiben wir uns erstaunt die Augen und sagen: „Aber sie war doch so perfekt. Ich hätte nie gedacht, dass ihr so etwas passieren könnte.“

Wie? Das hätte man nie denken können? Aber klar hätte man: Wenn man genauer hingehört hätte und nicht vor lauter Selbstzweifeln überhört hätte, dass die andere nicht nur sagt, sie sei nicht perfekt, sondern dass sie es tatsächlich nicht ist.

Weil eben keine von uns perfekt ist.

2 Gedanken zu “Podestplatz

  1. Ich staune auch immer wieder, was „Meiner“ alles sieht, wenn er durchs Leben geht. Ich sehe diese Bilder nie und ich bin so froh dass er sie für mich sichtbar macht.

  2. Stimmt, alle sitzen wir doch im selben Boot.
    Aber das Foto, um das auch wieder mal zu sagen, das ist wie immer – perfekt 😉

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