Kinderkram

Wo er sich schon mal daran gewöhnt hat, sich um den alltäglichen Kleinkram zu kümmern, hat „Meiner“ diese Woche gleich weitergemacht. Am Donnerstag setzte er sich hin, um ein paar Mails zu schreiben.

Er bestellte beim Tageselternverein eine Bescheinigung für Zoowärters Mittagstischbetreuung.

Antwort: „Liebe Frau Venditti…“

Er fragte bei der Tagesschule nach, ob die Bestätigung für die Einforderung der Kinderzulagen bereits verschickt worden sei.

Antwort: „Liebe Frau Venditti…“

Er erkundigte sich, wie das nun mit Prinzchens Kochkurs sei, der im April Corona-bedingt ins Wasser gefallen war.

Antwort: „Liebe Frau Venditti…“

Er fragte beim Schlüsselservice nach, welche Angaben benötigt werden, um Hausschlüssel nachmachen zu lassen.

Antwort: „Lieber Herr Venditti…“

Kleinkram

Corona hat etwas bewirkt, was ich nach all den Jahren des Familienlebens nicht mehr für möglich gehalten hätte: Der ganze Kleinkram, der tagtäglich von diversen Schulen, Freizeiteinrichtungen, familienergänzenden Betreuungseinrichtungen und Vereinen in unser Haus gespült wird, landete öfter mal bei „Meinem“. Zum ersten Mal in unserem Familienalltag verteilte sich die berühmt-berüchtigte Mental Load mehr oder weniger gleichmässig auf unser beider Schultern.

Dies, weil ich mich in jenen ersten verrückten Wochen im März tagelang oben in meinem Büro einbunkerte, um mit meiner Arbeit irgendwie fertigzuwerden, während „Meiner“ sich unten am Esstisch parallel um seine Schulklasse und um die unterschiedlichsten Bedürfnisse unserer Kinder kümmerte. Und auf einmal war möglich, worum wir uns vorher jahrelang vergebens bemüht hatten: „Meiner“ wurde von diversen Lehrpersonen und Schulsekretärinnen zur ersten Ansprechperson im Hause Venditti befördert.

Die Infos über Stundenplanänderungen, vergessene Hausaufgaben und ins Wasser gefallene Schulschlussfeiern wurden auf einmal an ihn adressiert, die Online-Trompetenstunde des FeuerwehrRitterRömerPiraten fand auf seinem iPad statt, die Klavierlehrerin teilte ihm mit, welche Stücke das Prinzchen üben sollte. Als der Bundesrat die ersten grossen Lockerungsschritte verkündete, war der Gipfel der Gleichstellung erreicht: „Meiner“ wurde Teil einer Gemeinschaft, die Vätern hierzulande in der Regel nicht offen steht, er wurde aufgenommen in den Organisations-Chat für eine Geburtstagsparty. Und das alles ganz ohne mein Wissen; von der Fete erfuhr ich erst, als das Geschenk gekauft und die Tasche zum Übernachten gepackt war.

Ich war tief beeindruckt – und erlebte zum ersten Mal, wie schön das Leben sein kann, wenn solche Dinge einfach irgendwo im Hintergrund an einem vorbeiziehen, ohne dass man sich um sie kümmern muss. Von mir aus könnte es immer so weitergehen.

In gewisser Weise tut es das auch, denn so kurz vor Schuljahresende ändert kein Schulsekretariat die Kontaktlisten, die Infos kommen weiterhin zuverlässig bei „Meinem“ an. Und bist du erst mal in einem Organisations-Chat drin, wandert deine Nummer automatisch in den nächsten weiter, wenn in ähnlicher Zusammensetzung etwas Neues geplant wird.

„Meiner“ weiss deshalb, dass Zoowärters Klasse nun doch noch einen Schulausflug macht, er hat den Überblick, zu welchen Geburtstagspartys das Prinzchen eingeladen ist und was sich das Geburtstagskind wünscht, er hat sich notiert, wann der FeuerwehrRitterRömerPirat, der weiterhin bloss nachmittags Schule hat, ausnahmsweise schon am Vormittag antraben muss. Und weil „Meiner“ sich inzwischen daran gewöhnt hat, sich ganz alleine um solche Dinge zu kümmern, bleiben alle diese Infos auch bei ihm. So habe ich weiterhin nicht die leiseste Ahnung, was in den nächsten Tagen alles auf dem Programm steht und reibe mir verwundert die Augen, wenn plötzlich einer sagt: „Mama, ich brauche noch einen Zmittag für die Wanderung morgen. Und weisst du, ob der Schlafsack schon gewaschen ist? Den brauche ich nämlich für die Übernachtung in der Schule.“

Manchmal erfahre ich von einer Sache sogar erst, wenn es schon zu spät ist, nämlich dann, wenn „Meinem“ im Trubel etwas Wichtiges untergegangen ist und ich deswegen eine verärgerte Therapeutin oder einen enttäuschten Musiklehrer am Telefon habe. Denn „Meiner“ mag inzwischen zwar auf jeder Mailingliste als Kontakt aufgeführt sein – auf sämtlichen Notfallblättern steht weiterhin meine Nummer zuoberst. Und so landet jeder Rüffel bezüglich unseres elterlichen Versagens zuverlässig bei mir.

Mag unsere Welt auch noch so sehr ins Wanken geraten, diese eine Gewissheit bleibt: Läuft etwas schief, ist Mama schuld.

Ins Bild gesetzt

Heute mal wieder Bildersuche in einer der grossen Bilddatenbanken. Ein Foto zum Thema „Hausarbeit in der Schwangerschaft“ musste her. Während die Suche vor ein Paar Jahren vermutlich ausschliesslich abgekämpfte Hochschwangere mit Putzlappen und Eimer hergegeben hätte, zeigt sich heute ein etwas vielfältigeres Bild. Inzwischen findet man neben all den abgekämpften Hochschwangeren, die sich alleine mit der Hausarbeit abplagen, auch…

…abgekämpfte Hochschwangere, die dem Erzeuger ihres Kindes mit kritischem Blick dabei zuschauen, wie er ein Hemd bügelt oder das Wohnzimmer saugt.

…abgekämpfte Hochschwangere, die den Erzeuger ihres Kindes anhimmeln, weil er ganz ohne ihre Hilfe ein Hemd bügeln oder das Wohnzimmer saugen kann.

…nicht ganz so abgekämpfte Hochschwangere, die entspannt auf dem Sofa liegen und sich nur mit Mühe ein Grinsen verkneifen können, weil der Erzeuger ihres Kindes sich mit dem Bügeleisen oder mit dem Staubsauger so ausgesprochen doof anstellt.

…überglückliche Erzeuger mit leicht glasigem Blick, die der überglücklichen werdenden Mutter bei der Hausarbeit unter die Arme greifen und zwar buchstäblich, indem sie sie fürsorglich von hinten umarmen, während sie eine Tasse ausspült, eine Peperoni schneidet oder einen Lappen auswringt.

…strahlend schöne, adrett gekleidete Paare, die überglücklich in ihrer perfekten Küche an ihrem perfekten Spültrog stehen und lachend ihr perfektes Geschirr abwaschen.

So wichtig, dass man werdenden Eltern ein realistisches Bild vermittelt.

Schweiz, 2020

Ich sitze im Büro bei der Arbeit, mein Handy klingelt.

„Grüezi Frau Venditti, ich bin die Therapeutin Ihres Sohnes. Hätten Sie kurz Zeit für ein Gespräch?“

„Das ist leider grad ziemlich ungünstig. Ich bin bei der Arbeit und stecke mitten in einer Sache, die vor Feierabend noch fertig werden muss. Ginge es vielleicht in zwei Stunden?“

„Ach so, Sie arbeiten? Ist ja interessant. Was denn, wenn ich fragen darf?… Als Redakteurin? Spannend!… Im Homeoffice?…Immer, nicht nur wegen Corona?…. Wirklich ausgesprochen spannend, dann haben Sie uns allen ganz viel voraus in diesen Zeiten. Aber jetzt müssen Sie ja arbeiten, ich will Sie nicht länger aufhalten.“

Zwei Stunden später:

„Also, Frau Venditti, es ist so, dass wir die Gelegenheit hätten für einen kurzen Austausch mit einer Fachperson. Ihr Sohn könnte ja in gewissen Bereichen durchaus noch Unterstützung brauchen und da wäre ein solches Gespräch bestimmt hilfreich.“

Ich stimme ihr zu, dass eine derartige Standortbestimmung nicht schaden würde und wir unterhalten uns darüber, was denn bei diesem Gespräch alles besprochen werden müsste, wer dabei sein sollte, wann es stattfinden wird (der Termin ist bereits fix, in zwei Wochen, morgens um 9, Verschieben nicht möglich, aber Frau Venditti arbeitet ja im Homeoffice und kann sich bei Bedarf beliebig verrenken, damit alles passt) und welche Formalitäten im Voraus noch zu erledigen sind.

Da alles ziemlich kurzfristig sei, müsse sie schauen, ob sie das alles noch rechtzeitig aufgleisen könne, meint die Frau, aber sie werde das schon irgendwie hinkriegen, wenn sie sich jetzt gleich an die Arbeit mache. Als alles fertig besprochen ist, sagt sie:

„Gut, dann rufe ich Sie morgen noch einmal an. So haben Sie heute Abend noch etwas Bedenkzeit und können sich überlegen, ob Sie das Gespräch möchten oder nicht.“

„Bedenkzeit? Die brauche ich eigentlich nicht, für mich ist es okay so, wie wir das besprochen haben.“

„Ach, Sie können das so spontan entscheiden? Aber müssen Sie denn nicht erst noch Ihren Mann fragen, ob er auch einverstanden ist?“

Ja, und jetzt weiss ich halt auch nicht, ob ich nicht vielleicht etwas zu weit gegangen bin. Immerhin habe ich grad ohne mit der Wimper zu zucken zugesagt, mich 45 Minuten lang mit Fachleuten über die Zukunft unseres Sohnes zu unterhalten – und das, ohne meinen Mann um Erlaubnis zu bitten.

Soweit ist es nun also schon gekommen mit mir.