Wenn Luise etwas braucht,…

… dann bekommt sie das früher oder später auch, denn unsere Tochter ist eine Kämpferin. Mit Argumenten, Lösungsvorschlägen und ausgeklügelten Bedarfsanalysen bearbeitet sie uns so lange, bis wir ein Einsehen haben. Und sollten wir uns ausnahmsweise mal ganz unvernünftig bockig zeigen, zieht sie ihr letzte Ass aus dem Ärmel: „Aber ich bin doch eure Lieblingstochter…“ und das lässt sich nun einmal nicht bestreiten. 

Man könnte denken, ein solches Kind würde an seinem Geburtstag mit besonders hohen Ansprüchen aufwarten, doch dem ist absolut nicht so. Erst einmal kann sie sich wochenlang nicht entscheiden, was sie sich überhaupt wünschen soll und schliesslich ringt sie sich dazu durch, überteuerte Schuhe zu wollen, die sie a) selber bestellt und b) teilweise mit ihrem eigenen Ersparten bezahlt. Auf den Tisch kommen Caesar Salad, Risotto und ein paar geschichtete Pfannkuchen, wie sie Kater Findus jeweils zum Geburtstag bekommt und gefeiert werden darf nur im allerengsten Kreis. So bescheiden ist das Ganze, dass man den grossen Tag für einen ganz normalen Mittwoch halten könnte, wenn „Meiner“ und nicht für etwas Deko-Glanz sorgen würden. 

Was auf den ersten Blick als widersprüchlich erscheint, ist eigentlich gar nicht so verwunderlich. „Wo liegt denn der Reiz“, scheint sich unsere willensstarke Tochter zu fragen, „wenn dir jeder Wunsch von den Augen abgelesen wird und du nicht mal kämpfen musst, um zu bekommen, was du dir wünschst?“

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Das hätten wir uns sparen können

Der Junge, über den die Primarlehrerinnen bei jedem Elterngespräch sagten, er müsse sich halt einfach mehr zutrauen, solle nicht so schüchtern sein und müsse mutiger zeigen, was in ihm steckt,…

… ist zu einem jungen Mann herangewachsen, der in den Prüfungen die Rechtschreibfehler seiner Lehrer korrigiert, sich nach der Stunde meldet, wenn ihm etwas nicht passt und der ohne Nervosität vor die Leute steht.

Hätte ich damals schon gewusst, dass der Durchsetzungswille, der schon von Anfang an in dem Kind steckte, die Schranken der Schüchternheit dann schon irgendwann überwinden würde, hätte ich mich durch solche Elterngespräche nicht so sehr verunsichern lassen. Aber dass sie sich einen Grossteil ihrer Sorgen hätten sparen können, wissen Eltern halt immer erst im Nachhinein.

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Zweite Chance

Spätabends, wenn alle schlafen möchten, den übermüdeten jüngeren Bruder so lange zum Spielen überreden, bis dieser bittere Tränen weint, weil er jetzt endlich ins Land der Träume entschwinden möchte.

Um Mitternacht noch hellwach im Bett liegen, Comics lesen und so laut lachen, dass die Eltern, die unten schlafen möchten, kein Auge zubekommen.

Gegen halb eins in der Nacht vom Hunger geplagt in die Küche schleichen und dort mit so viel Getöse Kakao zubereiten, dass die Eltern, die eben erst am Wegdämmern sind, aus ihren ersten Träumen hochschrecken.

Gegen zwei Uhr noch einmal durch die Wohnung tigern, in der Hoffnung, das Handy zu finden, das Mama und Papa in Gewahrsam genommen haben. Zu dumm, dass Mama und Papa nach jahrelangem Training einen furchtbar leichten Schlaf haben und darum dem Ansinnen einen Riegel schieben können. 

Bei den nächtlichen Wanderungen natürlich überall das Licht brennen lassen, so dass am Morgen, wenn die Familie erwacht und man selber eben erst ein paar Stunden Schlaf genossen hat, alles hell erleuchtet ist.

So mancher, der als Baby schon sehr bald einmal durchgeschlafen hat, bekommt in der Pubertät eine zweite Chance, seinen Eltern doch noch den Schlaf zu rauben…

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Fahr doch ohne uns!

Da hetzt du im Feierabendverkehr zwischen Tiefkühler putzen, Hausaufgaben überwachen und Elternabend zum Hallenbad, um deine zwei Jüngsten abzuholen und dann sagen die:

„Mama, fahr doch ohne uns wieder nach Hause. Wir möchten lieber zu Fuss gehen. Weisst du, wir haben einander noch so viel zu erzählen.“

Die brauchen nur die richtigen Worte zu wählen und die sentimentale alte Mama quält sich fröhlich alleine durch den Feierabendverkehr zurück, obschon sie doch wirklich keine Zeit hätte für solche Spässe.

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So etwas wie Selbstverwirklichung

Kleinkindmütter hätten sich selbst irgendwo zwischen Windel- und Wäschebergen verloren, las ich neulich in einer Kolumne. Die Kolumnistin beschrieb – meiner Meinung nach sehr treffend – wie es ist, wenn frau plötzlich ist, wie sie nie hatte werden wollen und warum sich das alles trotzdem nicht falsch anfühlt, weil es dabei ja um Glück und Wohlbefinden der Kinder geht. 

Solange sich die Schreiberin auf dem Boden ihrer eigenen Erfahrungen bewegte, war der Text wirklich gelungen. Dann aber wagte sie einen Ausblick auf das, was sie von der Zukunft erwartet. Von der Zeit, wenn sie ihre Tage nicht mehr am Rande eines Sandkastens verbringt, sondern wieder ganz relaxed und mit sich selbst im Reinen den Kleinkindmüttern dabei zuschaut, wie sie sich mit ihrem quengelnden Nachwuchs abmühen. Wenn die Kinder erst mal in der Schule seien, schrieb sie, habe frau wieder ganz viel Zeit, sich selber zu finden und das Leben zu geniessen. 

Anstatt an dieser Stelle zu erläutern, warum ich diese Sicht für allzu rosarot halte, zähle ich hier mal auf, was eine, die in dieser angeblich so entspannten Lebensphase angekommen ist, im Laufe einer Woche alles für ihre Selbstverwirklichung getan hat:

  • Beim Abfragen die Grundkenntnisse in Chemie und Physik aufgefrischt
  • Im Home Office die Konzentrationsfähigkeit geschärft, weil einer, der krank ist, sich in voller Lautstärke Filme reinzieht
  • Beim Verfassen von vier Arbeitsblättern für einen, der in der Schule ein wenig Unterstützung braucht, wieder einmal an einem schöneren Schriftbild gearbeitet
  • Beim Elterngespräch der Löwenmutter, die in mir steckt, ein wenig Auslauf gewährt
  • Sich beim Teenie-Romanzen-Filmabend mit der Tochter unglaublich jung gefühlt
  • Dank den Kauf von zwei Beuteln Maisstärke und einer Billig-Körperlotion neue Einblicke in die Experimentierfreude junger Menschen gewonnen
  • Die wundersame Erfahrung gemacht, dass auf dem Fussboden verstreute Maisstärke und mütterliche Nervenstärke friedlich Hand in Hand gehen können
  • Durch bemerkenswerte Zurückhaltung beim Kommentieren von mir gezeigten Teenie-Kleidungsstücken die diplomatischen Fähigkeiten geschliffen
  • Beim frühmorgendlichen „Happy Birthday“-Singen für einen geliebten Teddy endlich mal wieder ein wenig Stimmbildung betrieben
  • Beinahe unglaubliche Toleranz geübt, als eine minderjährige Person, die kurz zum Einkaufen geschickt wurde, ausserhalb der Saison mit Peperoni, Tomaten und Gurken nach Hause kam
  • Aufopferungsvoll den Schwedischkurs frühzeitig verlassen, auf dass der Mann zum Elternabend des Sohns gehen könne

Ich möchte mich keineswegs beklagen über diese vielfältigen Möglichkeiten der Selbstverwirklichung. Ohne sie wäre mein Leben um sehr viel ärmer. Ich bin mir jedoch ziemlich sicher, dass die Schreiberin der oben erwähnten Zeilen sich das mit der Selbstfindung nach der Kleinkindphase deutlich romantischer vorgestellt hat. 

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Wenn Teddy-Besitzer grösser werden

Zwei Teddy-Besitzer machen sich auf, um zur Schule zu gehen. Bevor sie das Haus verlassen, sorgen sie dafür, dass es ihre beiden Lieblinge – ein Braunteddy und ein Weissteddy – schön bequem haben im warmen Bett.

„Glaubst du, die beiden verstehen sich gut miteinander?“, fragt der eine Besitzer den anderen.

„Ja, warum denn nicht? Die sind doch beste Freunde“, gibt der andere erstaunt zurück.

„Na ja, ich dachte nur, weil der eine bei den Wahlen den Weissbären unterstützt und der andere den Braunbären…“

„Ach, glaubst du, die reden miteinander über Politik? Ich denke nicht. Und eigentlich sind sie ja beide links…“

Ich habe vorhin kurz nachgesehen, ob im Kinderzimmer noch alles friedlich ist. Sieht ganz danach aus, als liessen sich die beiden durch ihre kleinen politischen Differenzen nicht auseinander bringen.

Sind ja auch ganz vernünftige Bären und keine Menschen…

Redet euch ruhig den Mund fusselig

Wie viele Male muss ein Kind hören: „Du kannst das wirklich gut. Hab keine falsche Scheu, dein Talent zu zeigen“, ehe es eines Tages sagt: „Ich glaube, das sitzt jetzt. Ich sollte mal den nächsten Schritt wagen“?

Wie oft muss einem jungen Menschen gesagt werden: „Trink doch wenigstens ein Glas Wasser und iss eine Frucht, ehe du zur Schule gehst“, bis er oder sie morgens ein paar Minuten früher aus dem Bett kommt, um noch kurz zu frühstücken?

Wie viele Wiederholungen braucht es, bis der Rat „Räum doch gleich kurz deinen Kram weg, sonst dauert das in ein paar Wochen wieder endlose Stunden, bis dein Zimmer aufgeräumt ist“ endlich verstanden und umgesetzt wird?

Wie oft musst du zu deinem Teenager sagen: „Leg dein Handy weg, wenn du lernst, sonst bist du andauernd abgelenkt“, ehe er oder sie eines abends zu dir kommt und sagt: „Kannst du bitte auf mein Handy aufpassen? Ich muss lernen und da kann ich keine Ablenkung gebrauchen“? 

Keine Ahnung, wie oft. Ich habe nicht mitgezählt. Aber inzwischen weiss ich, dass es sich durchaus lohnt, sich in solchen Angelegenheiten den Mund fusselig zu reden. Das Hochgefühl, wenn deine Botschaft endlich angekommen ist, ist nämlich einfach unvergleichlich. 

snö

Elternwettbewerb

Allmählich überkommt mich das Gefühl, ich befände mich in einem Wettbewerb:

Wer von uns Mamas und Papas kann am besten Englisch, Französisch, Deutsch und Mathematik?

Bei wem zu Hause treffen sich die Kinder, wenn die Aufgabe lautet, in der Gruppe eine Arbeit zu erledigen? Wo erwarten sie die kompetenteste Hilfe?

Sind die Eltern gebildet genug, damit der Nachwuchs in der Schule mit schönen Formulierungen und ansprechenden Präsentationen auftrumpfen kann? Oder konnten Mama und Papa bloss mit einem rudimentären Schulwortschatz und Wikipedia-Wissen aufwarten, so dass sich das Kind vor den Mitschülern schämen muss? 

Ja, ich weiss, dass ich mich wiederhole, aber mich dünkt je länger je mehr, für den Übertritt an die Oberstufe sei der elterliche Bildungsrucksack wichtiger ist als das, was das Kind an Fähigkeiten mitbringt. 

glass

 

Sind wir wirklich so?

Turbulent, lebhaft und stets nah dran am totalen Chaos – so sehe ich unseren Familienalltag. Vermutlich aus lauter Gewohnheit, weil es in den vergangenen Jahren halt einfach so war. Dass sich die Dinge vielleicht inzwischen ein wenig geändert haben, merke ich nur, wenn jemand von aussen reinkommt. 

Zum Beispiel, wenn die Fliesenleger, die am Morgen vor der Türe stehen, einen Blick auf den sauberen Fussboden werfen und schüchtern fragen, ob sie vielleicht die Schuhe ausziehen sollen, damit sie nichts schmutzig machen. Später dann unterhalten sie sich nur im Flüsterton miteinander, weil es im Haus trotz Schulferien so gespenstisch still ist, dass man glauben könnte, wir seien furchtbar wohlerzogen und hätten unsere Kinder dazu dressiert, nur zu sprechen, wenn sie dazu aufgefordert werden. Und dann fragen die Handwerker auch noch höflich, ob sie sich nach getaner Arbeit vielleicht die Hände in unserem Bad waschen dürfen – gerade so, als wäre unser Lavabo noch nie mit Dreck in Berührung gekommen. 

So schön es auch sein mag, dass bei uns nicht mehr das totale Chaos herrscht – die Familie, die man heute offenbar in uns gesehen hat, ist mir nicht gerade sympathisch.

Zum Glück war da auch noch der Pizza-Lieferant, den wir wegen der Arbeiten in der Küche kommen lassen mussten: Der kennt mich inzwischen nicht nur mit Namen, der schüttelte mir auch die Hand und erkundigte sich nach meinem Befinden, bevor er mir das Mittagessen überreichte. Das zeigt mir, dass wir doch immer noch ziemlich häufig improvisieren müssen. Und das finde ich irgendwie beruhigend…

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Die hohe Kunst der Menüplanung

Karlsson reicht es nicht mehr, mal spontan einen Blick in den Kühlschrank zu werfen und etwas zu kochen, wonach ihm gerade ist. Nein, jetzt wo er in Küchenangelegenheiten etwas erfahrener ist, fühlt er sich reif, die hohe Kunst des Menüplans zu erlernen. Wobei ihm natürlich bis anhin nicht bewusst war, dass es sich hierbei um eine hohe Kunst handelt. In seinen Augen sieht es offenbar nach einem puren Vergnügen aus, wenn ich mich einmal wöchentlich an den Esstisch setze, um Kochbücher, Apps und Websites nach Menüvorschlägen zu durchforsten.

Also tat er es mir gleich, setzte sich mit Papier, Stift und einem Stapel von Kochbüchern an den Tisch und fing an zu planen. Was ihm dabei nicht bewusst war: Die Gerichte, die es auf unseren Menüplan schaffen wollen, müssen

a) köstlich
b) bei möglichst vielen Familienmitgliedern beliebt
c) bezüglich Schärfe, Süsse, Würze – oder was auch immer – wandelbar
d) saisonal und auch sonst möglichst umweltverträglich
e) budgetfreundlich
f) ausgewogen und gesund
g) bezüglich Zubereitungsaufwand abgestimmt auf das jeweilige Tagesprogramm
h) vorwiegend vegetarisch oder ohne grossen Aufwand in ein vegetarisches Gericht umwandelbar
i) so hausgemacht wie nur immer möglich

sein und ausserdem

j) während sieben Tagen einen guten Mix aus bislang Unbekanntem, Altbewährtem, Internationalem und Einheimischem bieten. 

Zum Glück hat Karlsson mir seinen Menüplan vorgelegt, ehe wir einkaufen gingen. Jetzt weiss er all das.

Und er weiss auch, dass seine vegetarische Mama – die für ihn schon voller Liebe und Abscheu Leber durch den Fleischwolf gedreht hat – es ganz und gar nicht schätzt, wenn ihr Sohn es versäumt, für die Tage, an denen es Luzerner Chügelipastete, hausgemachte Hamburger oder Zürcher Geschnetzeltes geben soll, eine vegetarische Variante einzuplanen. 

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