Und wieder einmal endet ein an sich ganz netter Samstag in einem epochalen Familienkrach. Türenknallen, Tränen, böse Worte, ausgelöst – wie fast immer – durch eine Kleinigkeit. Genau so, wie wir uns das nie vorgestellt hatten. Genau so, wie wir es nicht möchten. Und doch gehört es wohl einfach zum Familienleben, zumindest bei solchen Hitzköpfen, wie wir sie sind. Was soll man da bloss tun? Es gibt nur eins: Dazu stehen, dass das mal wieder ein absoluter Taucher war, einander um Verzeihung bitten und wieder vorwärts schauen. Wir sind nicht perfekt, also müssen wir auch nicht so tun als ob.
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Ferien? Welche Ferien denn?
Die Herbstferien sind vorbei und an jeder Ecke trifft man auf Leute, die wissen wollen, wie denn die Ferien gewesen seien. Ferien? Welche Ferien denn? Ach so, die Woche im Piemont! Aber das ist doch schon eine Ewigkeit her. Mindestens…lass mich mal nachdenken…drei Monate? Vier? Oder war das letztes Jahr? Wie? Das war vor zehn Tagen? Kann gar nicht sein, in zehn Tagen schafft man es nie und nimmer, das ganze Gefühl von Erholung schon wieder verpuffen zu lassen. Wir waren doch so unglaublich entspannt, das kriegt man nicht so schnell wieder weg. Und über die guten Vorsätze, die „Meiner“ und ich uns auf dem Liegestuhl an der Sonne gefasst haben, ist auch bereits Gras gewaschen. Ein solcher Rasen wächst nie und nimmer in zehn Tagen heran. Man wird doch wohl nicht behaupten wollen, wir würden uns vom Alltag einfach wieder mitreissen lassen, als hätten wir uns keiner Zeit dazu genommen, darüber nachzudenken, wie sich unser Leben entschleunigen lässt. Nein, es ist absolut unmöglich, dass wir eben erst aus Italien zurückgekehrt sind. Schau dir doch bloss mein Schlafmanko an, das ich mir schon wieder angehäuft habe. Ich glaube, ich schaue mich mal nach einem günstigen Ferienangebot um. Wir waren schon so lange nicht mehr weg und ich fühle mich reif für Wellness.
Calm down, workaholic
Wie so oft nach den Ferien ist gegen Ende der ersten Arbeitswoche noch sehr viel Unerledigtes, das nicht bis nächste Woche warten kann. Überstunden sind angesagt, doch weil „Meiner“ abends weggeht, wird zu Hause gearbeitet. Was fertig ist, wird ins Büro gemailt. Im Nebenzimmer versucht das Prinzchen einzuschlafen, nach langer Zeit mal wieder mit Musik vom iPad, weil meine Stimme heute nicht so recht will und das Prinzchen Wert legt auf reine Töne. Ich erledige ein Dokument, schicke mir eine Mail ins Büro und schrecke auf. Hat da mein iPad nicht gerade den Eingang einer Nachricht signalisiert? In meiner privaten Mailbox aber ist nichts Neues angekommen, also muss es eine geschäftliche Sache sein. „Wer ist denn um diese Zeit noch am Arbeiten?“, brumme ich und mache mich an der nächsten Aufgabe zu schaffen. Die Sache ist schnell erledigt, also ab in die Mailbox damit und weiterarbeiten. Vielleicht bleibt dann noch etwas Zeit zum Bloggen. Aber was höre ich da? Schon wieder eine neue Nachricht, schon wieder nichts in der privaten Mailbox. „Du meine Güte, was ist denn heute Abend los?“, schiesst es mir durch den Kopf. „Hoffentlich ist nichts schief gelaufen. Muss nachher mal nachsehen, wer da geschrieben hat. Aber zuerst noch schnell dies…“ Ich arbeite weiter, wenig später wieder das Signal. So langsam werde ich richtig nervös, also unterbreche ich meine Arbeit und sehe nach, welcher Irre denn die Geschäftsmailbox so spät am Abend mit Nachrichten füllt.
Nun, es war kein Irrer, sondern eine Irre. Eine Irre, die momentan verzweifelt eine Antwort sucht auf die Frage, wie durchgeknallt man denn sein muss, nicht zu merken, dass man selber die Person ist, die einen zu später Stunde derart in Rage bringt?
Ach, lass sie doch…
Jeder in der Schweiz weiss, dass die Italiener Kinder über alles lieben und deshalb gibt es immer wieder Eltern, die ganz enttäuscht vom Italien-Urlaub zurückkehren. Die sind ja gar nicht kinderlieb, wird gejammert. Keine speziellen Kindermenüs im Restaurant, keine Farbstifte und Ausmalbilder, kaum Wickelstationen und wenn, dann total verdreckt, die Spielplätze oft vor Jahren liebevoll eingerichtet und danach dem langsamen Verfall überlassen. Auf die öffentlichen Toiletten wollen wir gar nicht näher eingehen, bloss diese eine Bemerkung sei erlaubt: Nachdem ich habe erkennen müssen, dass sich in diesem Bereich leider noch immer nichts gebessert hat, verstehe ich, weshalb es in jedem Supermarkt diese bunten Desinfektionssets für Kinder zu kaufen gibt. Würde ich in Italien leben, ich würde meine Kinder wohl auch nicht ohne aus dem Haus lassen.
Nein, wenn man Kinderfreundlichkeit an den speziell auf die Bedürfnisse kleiner Menschen zugeschnittene Einrichtungen misst, dann schneidet Italien wirklich schlecht ab. Und wenn man sich eine Stunde lang mit zwei Vorschulkindern durch einen italienischen Supermarkt gekämpft hat und tausendmal hat sagen müssen „Nein, das kaufe ich dir nicht. Ja, es ist schön bunt und ja, es gibt gratis ein Spielzeug dazu aber glaub mir, das ist pures Gift, was in dieser Verpackung steckt“, dann fragt man sich, ob es ein weiser Entscheid gewesen war, mit den Kindern in den Süden zu reisen. Gibt es sie wirklich, diese vielgerühmte Kinderliebe der Italiener?
Ja, es gibt sie und zwar dann, wenn es wirklich darauf ankommt. Am späten Abend zum Beispiel, wenn die Erwachsenen noch immer nicht genug geschlemmt haben, die Kinder aber müde und ungeduldig werden und nicht mehr auf den unbequemen Stühlen im Restaurant sitzen mögen. In der Schweiz würden jetzt die ersten spitzen Bemerkungen fallen, so in Richtung „Die müssten schon längst im Bett sein, diese kleinen Nervensägen“. In Italien aber stört sich keiner daran, dass die Kinder sich bemerkbar machen. Im Gegenteil, die Kellnerin schiebt gar zwei Stühle zusammen, damit das müde Prinzchen sich nicht auf den Fussboden legen muss. Hier ist es auch kein Problem, wenn ein Kind im Restaurant nach der dritten Vorspeise verkündet, dass es jetzt genug gegessen hat. Okay, man sorgt sich, ob der kleine Mensch nicht am Ende verhungern wird so ganz ohne Pasta, aber wenn er lieber spielen will, dann soll er und ein Dessert gibt’s am Ende trotzdem.
In der Schweiz erlebe ich es oft, dass das Umfeld gereizt reagiert, wenn die Kinder sich wie Kinder benehmen und ich ertappe mich dabei, wie ich an meinen Knöpfen herumnörgele, bloss weil ich die gehässigen Bemerkungen der Leute fürchte. Ich weiss nicht, wie oft ich in der vergangenen Woche genau so reagiert habe und dann mit Erstaunen festgestellt habe, wie das Umfeld völlig gelassen blieb: „Lass sie doch, sie sind Kinder also mach dir keinen Stress“, sagte man und wenn man es nicht sagte, dann liess man uns spüren, dass es vollkommen in Ordnung ist, wenn Kinder Kinder sind.
Eine äusserst entspannende Erfahrung. Was nicht heissen soll, dass eine anständige Toilette und hin und wieder ein sauberer Wickeltisch nicht auch willkommen gewesen wären.
Milano Centrale II
Samstag, 15. Oktober, ca. 14:30 Uhr. Familie Venditti hat es endlich geschafft, im Gewirr der Strassen den Weg zum Bahnhof Milano Centrale zu finden. Das Mietauto ist abgegeben, die Eltern stehen etwas ratlos da, umgeben von fünf überdrehten Kindern und zahlreichen Gepäckstücken. Vier Stunden bis zur Abfahrt des Zuges. Wie sollen wir die bloss totschlagen? Am einfachsten wäre es, das ganze Gepäck auf einen Gepäckwagen zu laden und sich nach etwas Essbarem umzusehen. Gepäckwagen? Der Bahnangestellte schüttelt den Kopf. So etwas gibt es hier nicht mehr, leider. Aber cinque Bambini? Bravissimi!
„Meiner“ deponiert Frau und Gepäck auf einer Bank und macht sich mit den cinque Bambini auf die Suche nach Schliessfächern. Gibt es hier auch nicht. Aber Sie können Ihr Gepäck selbstverständlich zur Aufbewahrung abgeben. Kostet nur vier Euro pro Gepäckstück. Macht für das Gepäck der Grossfamilie Venditti 48 Euro. Gestern haben wir alle zusammen für 80 Euro gegessen, Primo, Secondo, Wasser und Kaffee. Dann vielleicht besser keine Gepäckaufbewahrung, wir brauchen das Geld noch für das Abendessen. Also gilt es, vier Stunden am Bahnhof totzuschlagen und zwar so, dass das Gepäck dabei nicht allzu hinderlich ist.
Bloss wie? Vielleicht mit Ansichtskarten schreiben? Die Kinder möchten doch so gerne und in Alba hatten sie keine, zumindest nicht dort, wo wir nachgefragt haben. Ansichtskarten finden wir, aber dann müssen die Kinder aufs WC. Macht einen Euro pro Person, was nicht viel wäre, wenn das WC sauber wäre und ich Luise nicht WC-Papier durch die Türe reichen müsste, weil es bei ihr keines hat. Nach der WC-Pause noch schnell etwas essen, ein kurzes Wiedersehen mit dem fliegenden Händler aus Bangladesh, der sich unglaublich darüber freut, diesmal die komplette Familie zu Gesicht zu bekommen und dann müsste man nur noch Briefmarken haben. Aber schnell, der Zug fährt in einer halben Stunde. Doch die zwei Worte „schnell“ und „Post“ in einem einzigen Satz, das geht nicht in Italien, da muss man schon einen halben Tag einplanen, wenn man Briefmarken braucht. Irgendwann stehen wir vor der Wahl: Briefmarken oder Zug. Wir entscheiden uns für den Zug, auch wenn Karlsson nicht gerade glücklich ist, dass die Postkarten mit uns in die Schweiz reisen.
Als wir endlich alle auf unseren Plätzen sitzen, die Gepäckstücke, die für den ganzen Schlamassel verantwortlich waren, sicher verstaut, sind „Meiner“ und ich uns einig: Ein halber Tag Milano Centrale und die ganze Erholung ist im Eimer.
Wie? Ob es nicht mit weniger Gepäck gegangen wäre? Aber nicht doch. Wo hätten wir denn die Röstpfanne für die Kastanien verstauen sollen? Und ich habe ja auch eigens meine ausgelatschten Schuhe weggeschmissen, um Platz zu sparen und die Prinzchen-Schuhe, die der Siebenschläfer angefressen hat, sind auch nicht mehr mit nach Hause gekommen…
Ich mach‘ da nicht mit!
Da klagt Mama seit dem ersten Tag des neuen Schuljahres darüber, wie streng doch die Schule geworden sei und was tun die Kinder an ihrem ersten Herbstferientag? Richten sich im Garten ein Schulhaus ein, küren den Strengsten unter ihnen zum Lehrer – wo es in der richtigen Schule für zehn bis fünfzehn Regelverstösse eine Zeugniseintrag gibt, gilt es hier schon nach fünfen ernst – und schreiben freiwillig Tests, die „Meiner“ und ich dann auch noch unterschreiben sollten. Wir haben die Kinder spielen lassen, aber die Unterschrift habe ich verweigert. Wenn sie unbedingt auch in den Ferien Schulstress haben wollen, dann sollen sie von mir aus. Ich hingegen gönne mir ganz ohne schlechtes Gewissen eine Pause von all dem Druck, der mir offenbar mehr zusetzt als ihnen.
Ach ja, und neuerdings gilt auch noch die Regelung, dass jeder, der drucken oder kopieren will, 5 Rappen pro Ausdruck zahlen muss. So langsam werden sie mir unheimlich, meine Kinder.
Liebe unter erschwerten Bedingungen
„Warum hast du denn schon wieder nicht dran gedacht…?“ „Wie, nicht dran gedacht? Du hast doch vergessen…“ „Ich vergessen? Nie! Wenn ich überhaupt etwas vergesse, dann nur, weil du nicht…“ „Ach so, ich soll also mal wieder Schuld sein an allem. Als ob nicht du gestern genauso…“ „Gestern! Gestern! Gestern! Immer kramst du den alten Mist hervor, wenn dir die Argumente ausgehen. Was gestern war, ist doch egal, wir reden jetzt von heute. Aber wenn du schon mit gestern kommen willst, darf ich dich dann an vorgestern erinnern? Da hast du doch auch wieder…“ „Ha! Von wegen! Das von vorgestern war ganz alleine dein Fehler. Ich hätte das ja ganz anders gemacht und dann wäre es auch nicht derart schief gelaufen. Aber du weisst es ja immer besser als ich.“ „Das sagst ausgerechnet du. Wer muss immer darauf bestehen, dass niemand besser weiss als du…“ „Ich sag‘ ja nicht, dass es niemand besser weiss als ich, aber es ist nun mal so, dass meine Methode viel effizienter ist als deine…“ „Effizienter? Ich würde ja sagen unsorgfältiger und chaotischer, aber wenn du das unbedingt Effizienz nennen willst…“ „Chaotisch? Höre ich wirklich das Wort chaotisch? Aus deinem Mund? Wo du es noch nicht mal fertigbringst, die…“ „Das ist mal wieder typisch für dich: Ausgerechnet meinen einen grossen Schwachpunkt musst du herauspicken, um mir eins gegen das Schienbein zu treten. Du weisst genau, dass ich mit diesem Bereich einfach nicht klarkomme, das habe ich dir schon unzählige Male gesagt…“ „Oh ja, das hast du, jedes Mal, wenn du dich vor der Sache drücken wolltest. Weisst du überhaupt, wie ich es hasse, diesen Mist zu erledigen? Aber weil es ja dein „Schwachpunkt“ ist, bleibt die Sache jedes Mal an mir hängen…“ „Na und? Ich übernehme dafür immer den anderen Mist für dich, weil dir angeblich beinahe übel wird, wenn du es mal ausnahmsweise tun müsstest…“ „Jetzt kommst du wieder damit. Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du darin einfach viel besser bist als ich und dass ich die Sache deshalb lieber dir überlasse…“ „Dankeschön, wie grosszügig von dir. Du lässt mir die Drecksarbeit und glaubst, ich würde das als Kompliment auffassen, weil ich das ja soooooo viiiiel besser mache als du. Dann verleih mir doch eine Auszeichnung für meine meisterhafte Erledigung der Drecksarbeit…“ „Ach so, jetzt wünscht man auch noch Applaus für seine grossartigen Taten. Ich mache das ja alles ganz selbstverständlich und ohne einen Dank zu erwarten. Aber wenn du das machst, ist es natürlich etwas ganz Besonderes…“ „Jetzt hör schon auf damit. Wir führen uns ja auf wie ein altes Ehepaar…“ „Nun ja, wir sind ja auch ein Ehepaar und alt… na ja, man ist so alt wie man sich fühlt, sagt man und ich für meinen Teil fühle mich im Moment ausgesprochen alt. Weil du nie…“ „Können wir jetzt bitte endlich aufhören damit. Eigentlich hätte ich dich ja nur fragen wollen, ob du daran gedacht hast…Weisst du, wenn du daran gedacht hättest, dann hätten wir jetzt endlich mal wieder ein wenig Zeit nur für uns zwei. Mir scheint, wir haben uns in den vergangenen Wochen ein wenig auseinandergelebt…“ „Zeit nur für uns zwei? Das wäre himmlisch! Könntest du bitte damit aufhören, mir auf die Nerven zu fallen, dann mache ich uns einen schönen Tee…“ „Wer fällt hier wem auf die Nerven? Du hast doch vergessen…“ „Hab‘ ich nicht. Du hast doch…“ „Hab‘ ich nicht…“ „Hast du doch…“ „Ach, lass das doch endlich. Wir sind schon bald so, wie wir nie haben werden wollen…“
Die Nachhilfelehrerin
„Mama, hilfst du mir bitte bei den Mathematik-Hausaufgaben?“
„Besser nicht. Du weisst ja, wie ich es habe mit den Zahlen. Frag lieber den Papa.“
„Aber der Papa ist gerade im Garten und hat keine Zeit und um halb fünf muss ich zur Orchesterprobe. Also hilfst du mir jetzt bitte? Ich schaffe es alleine nicht.“
„Na gut, was musst du denn machen?“
„Diese schrecklichen Zahlendreiecke. Schau mal…“
„Hmmm…wie soll man das denn lösen? Solche Dinge gab es zu meinen Zeiten noch nicht…Also, ich würde mal versuchen, die Zahl hier von der anderen zu subtrahieren und dann…“
„Aber Mama, so geht das nicht. Man muss diese Zahl hier so und dann die andere so und am Schluss die dritte so und dann…“
„Hä? Ich hab kein Wort verstanden. Kannst du mir das bitte noch einmal erklären. Aber nicht so schnell, sonst komme ich nicht mit.“
„Also, noch einmal von vorn: Du beginnst hier, machst dann hier oben weiter und dann, mit dem Resultat löst du die Aufgabe hier unten. Klar?“
„Klar? Von wegen! Ich verstehe das alles überhaupt gar nicht. Komm, mach die Hausaufgaben, wenn der Papa wieder Zeit hat.“
„Aber Mama, das geht wirklich nicht. Ich muss die Aufgaben bis morgen fertig haben und heute Abend bin ich zu müde und wenn ich die Rechnungen nicht gelöst habe, bekomme ich einen grünen Strich und wenn ich zu viele grüne Striche habe, dann gibt’s einen Eintrag im Zeugnis. Du musst mir einfach helfen…“
„Wie soll ich dir denn helfen, wenn ich doch überhaupt nicht verstehe, was du hier machen musst? Ich verstehe nicht, weshalb diese Zahl hier mit der hier verrechnet werden soll und warum du addierst, anstatt zu subtrahieren und überhaupt ist das alles ein einziger blöder Mist! Sag doch dem Lehrer, dass nicht mal die Mama diese doofen Hausaufgaben versteht.“
Irgendwann kommt zum Glück der Papa ins Zimmer und erklärt dem Kind die Hausaufgaben, wenn man Glück hat noch bevor Mama und Kind in Tränen aufgelöst sind.
Es geht aber auch anders:
„Mama, diktierst du mir dieses Diktat?“
„Aber klar doch, mein Kind. Reich mir mal den Zettel, wir fangen an. Okay, bist du bereit?“
Kind malt Kringel aufs Blatt, schaut ins Leere und sagt, es sei bereit.
„Gut, dann legen wir los. ‚Die Pausenglocke‘
Kind schreibt ‚di pausengloke‘, Mama reisst sich ganz fest zusammen, um nichts zu sagen, diktiert dann aber weiter: „In dem alten Schulhaus…“
Kind schreibt ‚indem alten Sculhaus‘, Mama reisst sich noch etwas mehr zusammen und fährt fort: „hängt eine wunderschöne, alte Pausenglocke…“
Kind schreibt ‚hangt eine Wunder schöne, alte pausengloke‘, Mama seufzt tief, murmelt etwas Unverständliches vor sich hin und fährt fort mit dem Diktat. Das Kind strengt sich an, alles richtig zu machen, verliert aber mehr und mehr die Konzentration, weil es nicht begreifen kann, weshalb es diesen langweiligen Text über die Pausenglocke fehlerfrei schreiben soll.
„Ich schreib jetzt nicht mehr weiter“, protestiert es schliesslich. „All diese ie und h und Grosschreibungen sind mir viel zu schwer, das lerne ich nie.“
„Natürlich lernst du das“, sagt die Mama und sie weiss selber nicht, ob das nun ermutigend oder drohend daherkam. „Jetzt schauen wir uns noch einmal jeden einzelnen Fehler genau an und dann diktiere ich dir das Ganze noch einmal.“
„Aber ich hab das Diktat doch erst in drei Tagen. Da bleibt noch so viel Zeit zum Üben. Bitte Mama, können wir jetzt aufhören?“
„Nichts da, wir machen weiter. Mindestens noch zweimal ziehen wir das durch. Also, los geht’s: ‚In dem alten Schulhaus….‘
Zum Glück kommt irgendwann der Papa ins Zimmer und rettet das Kind von der Mama, die so versessen ist auf eine fehlerfreie Rechtschreibung, dass das arme Kind wohl bis Mitternacht üben würde, wenn die Wörter nicht perfekt daherkommen.
Man sieht, ich tauge eindeutig nicht als Nachhilfelehrerin.
Wer macht hier die Sauerei?
Heute waren wir ganz spontan bei Nachbars zum Mittagessen eingeladen. Nachbars sind sehr nette Menschen und wir haben die Zeit bei ihnen sehr genossen. Die Leute haben nur einen einzigen Fehler: Ihre Wohnung ist aufgeräumt. Damit könnte ich ja halbwegs leben, das Dumme ist nur, dass Nachbars nicht nur eine aufgeräumte Wohnung haben, sondern auch vier Kinder. Und damit gerate ich in Erklärungsnot. Es kommt ja öfters vor, dass wir bei Menschen mit aufgeräumtem Zuhause zu Besuch sind, aber wenn „Meiner“ dann über unser Chaos jammert, dann kann ich sein Gejammer schnell abstellen. „Die haben ja erst ein Kind und das krabbelt noch nicht mal“, kann ich zum Beispiel als Argument anführen. Oder: „Kein Wunder, dass es bei denen aufgeräumt ist. Die haben ja auch schon erwachsene Kinder und sie ist nicht berufstätig.“ Oder: „Die sind beide voll berufstätig und die Kinder sind den ganzen Tag in der Krippe. Die sind so selten zu Hause, dass gar niemand Unordnung machen kann.“ Was aber hätte ich heute sagen sollen? Nachbars haben nur ein Kind weniger als, die meisten ihrer Kinder sind so alt wie unsere, die Eltern sind beide ähnlich beschäftigt wie wir und doch stapeln sich bei ihnen keine ungelesenen Zeitungen und halbfertige Wäscheberge. Für einmal hatte ich rein gar nichts anzubringen zur Verteidigung unserer alltäglichen Unordnung, der wir uns übrigens sehr wohl entgegenstemmen, auch wenn man kaum etwas sieht von unseren Anstrengungen.
Nun, auch wenn ich meiner eigenen Unordnung überdrüssig bin, ich hätte mich wohl damit abfinden können, dass es bei Nachbars ordentlicher aussieht als bei uns. Klar, auch mir gefällt es besser, wenn sich nicht alles stapelt, aber wir sind nun mal nicht alle gleich. Dass Dumme ist nur, dass „Meiner“ sich von den aufgeräumten Zimmern sogleich hat inspirieren lassen. Kaum waren wir zu Hause, begann er, das Bücherregal auszumisten, Möbel zu verschieben und Vorträge zu halten, wie einfach es doch wäre, ein bisschen mehr Ordnung zu halten, wir hätten das ja jetzt mit eigenen Augen gesehen. Die Kinder, die sonst selten mit „Meinem“ einig gehen, wenn das Thema Ordnung zur Sprache kommt, pflichteten ihm artig bei. Und somit ist klar, wer an all der Unordnung Schuld ist: Ausgerechnet ich, die ich noch immer die Hauptverantwortung für den Haushalt innehabe. Oder innehätte, wenn ich mich denn nach all den Jahren relativ erfolglosen Haushaltens noch dazu aufraffen könnte, einen neuen Anlauf in Sachen Ordentlichkeit zu nehmen.
Ich habe eine Weile lang darüber nachgedacht, wie ich mit dem neu erwachten Ordnungsfanatismus meiner Familie umgehen soll. Muss ich mich einfach wieder mehr anstrengen? Oder soll ich vollends resignieren, weil der Kampf ohnehin aussichtslos ist? Ich bin dann zu dem folgenden Schluss gelangt: Sie dürfen liebend gern mehr Ordnung haben, wenn sie das so sehr wünschen. Ich stehe ihnen nicht im Weg, ich verlange nur, dass sie sich aktiver daran beteiligen. Denn so sehr sie nach mehr Ordnung schreien, den grössten Teil der Sauerei mache nicht ich, sondern sie. Und der Postbote, der jeden Tag so viel Papier ins Haus bringt.
Nein? Nein!
Das muss ich jetzt einfach mal klarstellen: Ich liebe Kinder. Meine eigenen natürlich am meisten, aber im Grunde genommen sind mir alle Kinder sympathisch, sogar die unsympathischen, wenn auch ein bisschen weniger. Ich mag auch Mütter und grundsätzlich bin ich sehr gerne bereit, einer Mutter in einer Notlage auszuhelfen. Ich weiss doch, wie mühsam es ist, wenn es eine Planänderung gibt und Mama deshalb nicht mehr weiss, wohin mit dem Nachwuchs. Also habe ich auch kein Problem damit, wenn man mich anfragt, ob ich kurzfristig einspringen kann. Solange man mir die Wahl lässt, nein zu sagen, wenn es wirklich nicht geht, helfe ich liebend gerne. Ganz ehrlich.
Wenn mir aber am Kindergarten-Elternabend jemand so ganz beiläufig eröffnet, dass nächste Woche ein Kind, das ich kaum kenne und das noch nie bei uns zu Besuch war, zweimal bei mir übernachten „muss“ und dass man mich dann noch anrufen wird, um mir genau Bescheid zu geben, wann das Kind vor meiner Haustüre stehen wird, dann sage ich nein. Nun ja, ich würde nein sagen, wenn ich nicht derart baff wäre ob dieser Dreistigkeit, dass mir die Worte fehlen. Ja, ich helfe gern, ja, es hat bei uns genügend Platz für zusätzliche Kinder und ja, wir alle machen gerne Platz für einen weiteren Esser am Tisch. Aber heisst das denn, dass man einfach so frei über uns verfügen kann? Nach dem Motto „Die haben ja schon so viele Kinder, da kommt’s denen auch nicht darauf an, ob sie auch noch auf meines aufpassen müssen. Und dann sind sie auch noch fromm, da dürfen sie gar nicht nein sagen…“ Und wenn das Kind einen Schock erleidet, weil es bei einer nahezu fremden und sehr lauten Familie übernachten muss, wer ist dann Schuld?
Natürlich macht es mir zu schaffen, in einem solchen Fall dann doch nein zu sagen. Natürlich zerbreche ich mir den Kopf, was denn jetzt die Mutter mit ihrem Kind tut. Und dennoch bleibe ich beim nein. Im Interesse des Kindes, dem ich nicht so gänzlich ohne Vorbereitung eine geballte Ladung Venditti-Chaos zumuten will. Im Interesse unserer Kinder, die sich durch solche Hauruck-Aktionen trotz grundsätzlicher Aufgeschlossenheit ziemlich gestresst fühlen. In meinem eigenen Interesse, weil ich mir die Freiheit, ohne Groll ja sagen zu können, erhalten will. Aber auch im Interesse der Mutter, denn welchen Dienst erweise ich ihr, wenn ich es ihr ermögliche, ihr Kind nach Belieben bei nahezu Fremden abzugeben?








