Wenn Vendittis ans Meer fahren…

Also, bei Karlsson braucht das immer so ein bisschen Überzeugungsarbeit. „Du kannst ja ein Buch mitnehmen. Und es ist nicht so ein überlaufener Touristenstrand, eher so ein Naturding…“ Luise hingegen kommt immer gerne mit. Immer, ausser heute, denn heute ist sie nicht so im Strumpf. Aber, na ja, wenn’s unbedingt heute sein muss… „Meiner“ findet, vor der Abfahrt müsste zuerst noch etwas Ordnung gemacht werden, was dem FeuerwehrRitterRömerPiraten Zeit verschafft, über das Ziel unseres Ausfluges nachzudenken. „Muss es denn unbedingt das Meer sein?“, fragt ausgerechnet er, der sich beim letzten Mal nur noch mit grosser Mühe aus dem Wasser hatte locken lassen. „Dort ist es mir irgendwie zu salzig. Und es hat Blutegel…“ „Hat es nicht. Blutegel leben im Süsswasser“, sage ich, also packt der FeuerwehrRitterRömerPirat sein Schwimmbrett und will losfahren. So schnell geht das aber nicht, denn der Zoowärter findet seine Badehose nicht, Prinzchen muss überlegen, ob er seinen Malkasten mitnehmen soll und wenn ja, wie viel Papier er für die Stunden am Meer benötigt, Luise findet das richtige Bikini nicht, Karlsson sucht nach der Lektüre, die ich eigentlich schon für die Heimreise verstaut habe, „Meiner“ brabbelt noch immer irgend etwas von „zuerst aufräumen“, keiner packt Badetücher ein und ich finde – völlig irrational natürlich -, wo ohnehin noch keiner zur Abfahrt bereit sei, könnten wir ja noch kurz die Wäsche versorgen. 

Nach einer gefühlten Ewigkeit stehen alle Taschen bereit, die Wohnung ist halbwegs aufgeräumt und hätte einer dran gedacht, Badetücher einzupacken, könnten wir jetzt losfahren, aber weil hier keiner denkt, muss „Meiner“ nochmal zurück, als wir alle schon im Auto sind oder zumindest neben dem Auto stehen. Endlich fahren wir dann doch los und fünf Minuten lang ist alles bestens. Dann aber fange ich Streit an mit der GPS-Tante, die irgend einen verwinkelten Weg rausgesucht hat, anstatt uns mit klaren Anweisungen zum Ziel zu lotsen. Sie und ich zanken uns den ganzen Weg über, denn inzwischen scheine ich mich hier deutlich besser auszukennen als sie. Schliesslich gelange wir doch ans Meer, wir parkieren, steigen aus, lassen uns im Sand nieder und jetzt ist alles gut.

Alles gut? Nicht mit uns. Ich muss dringend aufs WC, einer findet, der Sand sei zu nass, der andere motzt, an diesem Naturstrand habe es aber etwas gar wenig Natur, der Dritte beklagt sich über den kalten Wind. Und überhaupt: Etwas anständiges zum Essen haben wir auch nicht dabei. Damit ich mich nicht über das Gejammer aufregen muss, stecke ich die Nase in ein Buch, was von einigen Familienmitgliedern als Aufforderung verstanden wird, mit mir eine angeregte Unterhaltung anzufangen. Also lege ich das Buch wieder beiseite und lausche stattdessen einem erbitterten Streit um den einzigen Liegestuhl, den wir mitgebracht haben. Die wenigen, die den Mut aufgebracht haben, sich in die Wellen zu stürzen, sind wieder zurück und verlangen nach ihren Kleidern, Luise verschwindet im Auto, weil es ihr hier viel zu kalt ist, sie sich wirklich nicht wohl fühlt und wir alle immer nur nerven. Nach vierzig Minuten das erste „Müssen wir noch lange hier bleiben?“, nach neunzig Minuten brechen wir die Übung entnervt ab und fahren – diesmal ohne die unsäglichen Anweisungen der GPS-Tante – in die nächst gelegene Stadt, um uns mit Eis und Milk-Shake von unserem Strandausflug zu erholen.

Noch irgendwelche Fragen, warum wir demnächst keine Strandferien planen?

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Meine lieben Franzosen

Glaubt mir, inzwischen mag ich euch wirklich ganz gut. Ihr seid ausgesprochen höflich – wenn ihr uns nicht gerade auf der Strasse so dicht auffahrt, dass man es mit der Angst zu tun bekommt. Ihr plaudert liebend gerne mit uns darüber, ob das alles unsere Kinder sind und wie alt wir waren, als wir sie bekommen haben, weil wir noch so furchtbar jung aussehen. Bei Touristenfallen weist ihr artig darauf hin, dass eine Sehenswürdigkeit vielleicht nicht so das Wahre für unsere Kinder ist, obschon ihr euch damit der Gelegenheit beraubt, uns ein teures Kombiticket anzudrehen. Ihr lächelt unser wild gelocktes Prinzchen freundlich an, obschon er das offizielle „Jöööööö“-Alter längst überschritten hat. Ihr erträgt geduldig unsere Stammeleien, wenn uns mal ein Wort entfällt und haltet nichts von der Unsitte, mit jedem Fremden Englisch zu reden, bloss weil er gerade einen Knoten in der Zunge hat. Ihr gebt jedem Schweizer hier das Gefühl, er sei etwas ganz Besonderes, dabei hat jedes zehnte Auto hier ein Schweizer Nummernschild. Ja, ihr schenkt uns sogar regelmässig frische, knackige Salate. 

Das alles freut uns sehr. Aber wäre es euch vielleicht möglich, nicht andauernd jede Kritik zu äussern, die euch auf der Zunge liegt? Mag sein, dass wir uns in euren Augen sonderbar aufführen, aber könnten wir uns nicht darauf einigen, dass ihr uns gewähren lässt, solange wir uns im Grossen und Ganzen nach euren Gepflogenheiten richten und euer wunderschönes Land mit der ihm gebührenden Bewunderung und Respekt bereisen? So viele Massregelungen habe ich seit meinem letzten – und einzigen – Hausarrest mit fünfzehn nicht mehr über mich ergehen lassen müssen. Dabei führe ich mich inzwischen weitaus gesitteter auf als damals. 

  

Am Wasser

Da liegt es also vor uns, tiefblau und friedlich. Eine kleine, saubere Bucht, Muscheln, kreischende Möwen und nette kleine Wellen. Sandburgen bauen, Muscheln sammeln, planschen, bis man so nass ist, dass man auch ein Bad im noch zu kühlen Wasser wagen kann. Familienfrieden pur, zumindest so lange, bis einer etwas mehr Wasser abbekommen hat, als ihm lieb gewesen wäre. 

Kann das wirklich das gleiche Wasser sein? Das Wasser, von dem sie wieder andauernd reden, in den Nachrichten, in Diskussionsrunden, in Parlamenten? Das Wasser, das den einen Vergnügen bereitet, den anderen den Tod? Dort ihr Elend, hier unser Glück.

Ein Urteil ist so leicht gesprochen, wenn man am sicheren Ufer sitzt. 

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Grenzen(los)

Man sagt ja, wir lebten in einer globalisierten Welt, einer Welt, die zumindest innerhalb von Europa kaum mehr Grenzen kennt. Irgendwie stimmt das ja auch. Zumindest ist es eine ganze Weile her, seitdem ich zum letzen Mal an einer innereuropäischen Grenze ein Reisedokument habe vorweisen müssen und das, obschon wir Schweizer ja nicht so richtig dazugehören (wollen). Dafür aber stößt man im virtuellen Bereich immer wieder auf überraschende Grenzen. Zum Beispiel kann ich mir bei Netflix meine „Tudors“ ganz ungehindert zu Ende reinziehen,  „Meiner“ aber wird bis Juni warten müssen, um zu erfahren, wie „The Americans“ ausgeht, denn das gibt’s hier nicht. Dafür aber eine seichte Romcom über einen traurigen Koch, die wir uns nur angesehen haben, weil das zu Hause nicht geht (und wir uns an jenem Abend wirklich gar nichts zu sagen hatten, da wir einander tagsüber mehrmals in die Haare geraten waren). Wir hätten natürlich auch „Downton Abbey“ haben können, dafür aber kein „House of Cards“, was in der Schweiz genau umgekehrt wäre. 

Will ich mich beim Schweizer Fernsehen darüber informieren, was zu Hause so läuft, kann ich das immer erst dann tun, wenn die Sendung im Archiv ist, live geht nicht, aus rechtlichen Gründen, wie mir ein Popup erklärt. Was aus Patrick Jane wird, kann „Meiner“ entweder auf Französisch erfahren, oder gar nicht, denn was in Deutschland ausgestrahlt wird, darf offenbar in Frankreich nur über den Fernseher empfangen werden, aber der hier im Haus empfängt ausschließlich französische Sender, was auch gut ist, denn sonst kämen die Kinder noch auf die Idee, bei diesem Prachtwetter vor der Glotze abhängen zu wollen. So müssen sie sich mit Handy und iPad zufrieden geben, was bei den streng bewachten Internetgrenzen aber…. Ach, ich glaube fast, das habe ich schon erklärt. 

Darum ziehen sie sich jetzt halt Carmen und Robert Geiss auf youtube rein. Für Trash gibt’s offenbar keine Grenzbestimmungen. 

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Was mir an Frankreich gefällt

Nach einer pubertären Schwärmerei für die Französische Revolution (und einer Begeisterung für Napoleon, die wohl in krankhaftem Zusammenhang mit meiner mangelhaften Körpergrösse stand) sowie einem Ferienflirt mit einem hundeäugigen Franzosen (der sich später in seinen Liebesbriefen als psychisch schwer angeschlagen herausstellte), wandte sich meine Leidenschaft mit zunehmendem Alter den Angelsachsen zu. In der Folge kühlte meine Begeisterung für Frankreich merklich ab, denn ein Herz kann wohl nicht zugleich für England und Frankreich schlagen. Es kostete mich also einige Überwindung, mich auf unseren Aufenthalt in der Provence zu freuen. Inzwischen aber habe ich einige Dinge gefunden, die mir an Frankreich ganz gut gefallen:

  • Die Mayonnaise scheint einen deutlich höheren Essiganteil zu haben als unsere. Dadurch lösen sich die Nissen wie von selbst vom Haar, nachdem man die Läuse mit Mayonnaise erstickt hat. Folglich ist das Geschrei beim Auskämmen bedeutend leiser, worüber sich unsere Nachbarin eigentlich freuen sollte, aber sie weiss ja nicht, wie unsere Kinder schreien, wenn sie Essig in die Augen kriegen. (Ja, irgend jemand hat uns offenbar kurz vor der Abreise eine Portion Läuse mit auf den Weg gegeben. Soviel zu der Behauptung unserer Schule, es sei vollkommen ausreichend, wenn man den Eltern bei Lausbefall einen Brief nach Hause gebe, Lauskontrollen seien ganz und gar unnötig.)
  • Der „Café au Lait“ (Obschon ich ja eigentlich keine Kaffeetrinkerin bin.)
  • Alles hier fühlt sich sehr südländisch an und doch sind die Museen offen, wenn sie laut Angaben auf der Website offen sein sollten. (Ich will ja hier keine Klischees pflegen, aber in diesem Bereich habe ich in Italien ganz andere Erfahrungen gemacht. Nicht nur auf Sardinien und im Molise, auch im Piemont.)
  • Die Blumeninseln mitten im schlimmsten Strassenverkehr. Aktuell in „unserer“ Stadt gerade Mohn in leuchtendem Orange. Eine Augenweide. 
  • Öko-Putzmittel sind deutlich billiger als das ganze giftige Zeugs in grellen Verpackungen.
  • Der „Café au Lait“ (Ich bin wirklich keine Kaffeetrinkerin.)
  • Zum gleichen Preis, zu dem es zu Hause Tee mit Croissant für zwei gibt, frühstückt hier die ganze Familie. (Jawohl, die siebenköpfige. Orangensaft inklusive.)
  • Sehenswürdigkeiten, die so sehenswert sind, wie sie angepriesen werden. (Okay, die Schweden sind in diesem Bereich noch besser: Die preisen ihre Sachen überhaupt nicht an und dann kriegst du die Klappe nicht mehr zu vor lauter Staunen.)
  • Familieneintrittspreise, die diesen Namen auch wirklich verdienen. (An einem Ort waren doch tatsächlich „Kinder“ bis 18 gratis.) 
  • Der „Café au Lait“ (Echt jetzt, der ist himmlisch.)
  • Der frühe Beginn der Spargel-, Erdbeer- und Tomatensaison. (Lange hätte ich es mit diesem ewigen Wintergemüse nicht mehr ausgehalten, obschon ich durchaus wintergemüsefreundlich eingestellt bin.)
  • Die Blumenwiesen. (Bei uns hat man für sowas ja keinen Platz mehr, wirft kein Geld ab.)
  • Die Alleen (Ja, ich weiss, Bäume würden von sich aus nie so wachsen, aber sie gefallen mir halt doch. Vielleicht ein Nachklang meiner pubertären Napoleon-Schwärmerei. Laut Wikipedia soll der ja die Finger im Spiel gehabt haben.)
  • Der Zwang, die Sauce Hollandaise im Wasserbad zuzubereiten, weil es auf dem Gasherd schlicht nicht anders geht und Gasherd hat man hier eben noch. Noch nie war sie besser, meine Hollandaise. 
  • Die Salzbutter
  • Die Artischocken
  • Die vielen blühenden Bäume (Obschon: Habe ich da eben ein Niesen vernommen?)
  • Das Gesumme der Bienen (Eine Folge der vielen blühenden Bäume, natürlich)

Ach ja, habe ich den „Café au Lait“ bereits erwähnt?

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Kleinkarierte findet man überall

Eigentlich hätte ich ja heute über lauter schöne und nette Dinge geschrieben, aber nachdem unsere übernächste Nachbarin wutentbrannt in den Garten gerannt gekommen ist, um uns Schimpf und Schande anzuhängen, weil unsere Kinder es wagen, um halb sechs Uhr abends im Garten lauthals zu singen, ist mir die Lust dazu vergangen. Kleinkarierte gibt es offensichtlich überall. Auch hier, am äussersten Rand der Ortschaft, wo man uns bei der Ankunft versichert hatte, unsere Kinder könnten ganz ungeniert lärmen und sich austoben. Schön, dann dürfen wir also nun in den kommenden Wochen den Satz „Nicht so laut, sonst kommt die Nachbarin“ in unser Repertoire aufnehmen. 

Ach ja, entschuldigt habe ich mich übrigens nicht. Nur die Kinder gebeten, etwas leiser zu sein. Sie haben umgehend gehorcht und jetzt kann die Nachbarin wieder ungestört dem klangvollen Surren des Rasentrimmers lauschen, den ein anderer Nachbar seit Stunden schon im Einsatz hat. 

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Familienerlebnis

„Das wird bestimmt ein tolles Familienerlebnis für euch“, sagten die Leute zu Hause, als sie von unserer Reise erfuhren. Und das ist es ja tatsächlich, ein Familienerlebnis, meine ich. Toll ist es auch. Zum Beispiel, weil wir mal einfach unter uns sind, ohne die andauernden „Darf ich heute mit dem FeuerwehrRitterRömerPiraten spielen“-Anrufe, ohne „Frau Venditti, wann kommt ‚Ihrer‘ denn nach Hause?“-Arbeitsunterbrechungen und ohne auf die Minute durchgeplante Tagesabläufe. Toll ist auch die fremde Umgebung, die ungewohnten Düfte, die faszinierenden Geschmacksrichtungen, das traumhafte Wetter. Das alles versetzt uns täglich aufs Neue ins Staunen und uns dazu inspiriert, Dinge zu tun, die im Alltag wenig oder gar keinen Raum finden. Und toll ist natürlich auch, dass keiner dem anderen etwas vormachen muss. Jeder darf sein, wie er oder sie ist, wir sind schliesslich „en famille“.

Tja, dieses „en famille“… Wer selber eine Familie hat – Und wer hat das nicht, auf irgend eine Weise? -, kann sich ausmalen, was das auch noch bedeuten kann. In unserem Fall zum Beispiel, Mahlzeiten, bei denen der liebe Karlsson zu meiner Linken darüber nachsinnt, ob er die Schnecken, die er sich im Supermarché gekauft hat, nun wirklich verspeisen soll, oder ob das ethisch nicht vertretbar ist, während zu meiner Rechten das Prinzchen und der Zoowärter versuchen, die Salzkartoffeln zu Kartoffelbrei „wie neulich bei Ikea“ zu verarbeiten. Oder die zwei Teenager, die sich stundenlang Trash-TV reinziehen und einander danach im Garten lauthals „Rooooobert!“ zurufen, obschon sie ganz genau wissen, dass der nette Herr Vermieter gleich auf der anderen Seite des Zauns auf denselben Vornamen hört. Oder die drei kleinsten Vendittis, die allüberall das Feriengeld, das Schwiegermama ihnen vor der Abreise zugesteckt hat, loswerden müssen, weil es sonst schimmlig wird. Und dann natürlich die ganzen Streitereien – Ich gegen „Meinen“, der Zoowärter gegen den FeuerwehrRitterRömerPiraten oder Luise gegen den Rest der Welt -, die im Alltag auch immer zu kurz kommen. 

Familienerlebnisse halt… 

Foto by Karlsson

Foto by Karlsson

Schneeneidisch

Winter ist nicht so mein Ding. Klar, ich finde Schnee wunderschön und ich liebe es, den fallenden Flocken zuzuschauen oder das reine Weiss im Sonnenlicht zu bewundern. Mein Bedürfnis, mich in dem kalten Zeug zu tummeln oder irgendwo in einer Skihütte bei Ländlermusik abzuhängen ist jedoch mikroskopisch klein. Das Geld für eine anständige Skiausrüstung und Ferien im Schnee – so ich es denn habe – gebe ich lieber für andere Dinge aus. Für Krankenkassenrechnungen, zum Beispiel, oder für die Reparatur des undichten Fensters im Wohnzimmer. 

Dennoch packt mich in diesen Tagen der blanke Neid, wenn ich – zwischen Krankenbesuch (momentan gerade auf der Intensivstation), Arztgespräch, Streit schlichten, weil Luise beim „Monopoly“ wieder mehr einheimst als alle anderen und Mittagessen kochen – einen Blick auf mein Facebook-Profil werfe. Dort sieht es nämlich so aus, als tummle sich gerade alle Welt vollkommen sorgenfrei auf verschneiten Bergen, währenddem bei uns mal wieder alles aus dem Ruder läuft. Filmchen von putzigen Missgeschicken bei ersten Versuchen auf Skiern und glückliche Gesichter in der virtuellen Welt, sorgenvolle Mienen und gelangweilte Kinder in dem, was wir unser echtes Leben nennen. Und jetzt sind auch noch die Läuse zurückgekehrt….

Klar, mein Kopf sagt mir, dass das alles gar nicht so schlimm ist, dass das Dasein andernorts auf diesem Planeten wirklich elend ist, während wir nur eine Phase durchstehen, die halt eben zum Leben gehört. Mein Kopf sagt mir auch, dass ich eigentlich nicht die geringste Lust hätte, mir den Hintern am Rande einer Skipiste abzufrieren. Aber tief in mir drinnen haust auch ein kleiner Jammerlappen und der führt sich in diesen Tagen auf wie Rumpelstilzchen. „Alle haben Spass“, schimpft er, „nur wir müssen mal wieder am Rande stehen und zuschauen, wie sich die anderen vergnügen. Ich will auch in den Schnee!“ Und auch wenn er vollkommen stumpfsinniges Zeug von sich gibt, dieser Jammerlappen, zum Schweigen bringen lässt er sich halt doch nicht so leicht.

l' infanzia è finita; prettyvenditti.jetzt

l‘ infanzia è finita; prettyvenditti.jetzt

Bahngejammer

Liebe Deutsche Bahn

Nachdem ich mich von den Strapazen der Heimreise erholt habe, möchte ich gerne ein wenig von meinen Erfahrungen berichten, die ich mit dir gemacht habe. Da ich dir mitsamt Familie und Gepäck viele Stunden lang voll und ganz ausgeliefert war, ist es meiner Ansicht nach nicht mehr als anständig, wenn ich dir eine Rückmeldung gebe. 

Es fing alles sehr vielversprechend an, an einem heissen Juliabend vor etwas mehr als zwei Wochen. Pünktlich fuhr dein Zug im schweizerischen Baden ein, voller Vorfreude auf die Ferien in Schweden machten meine Familie und ich es uns auf unseren reservierten Sitzplätzen bequem. Bald einmal mussten wir allerdings feststellen, dass es im Zug warm war. Sehr warm. So warm, dass einem der Schweiss in die Augen lief. Die Klimaanlage sei leider ausgefallen, liess man uns Passagiere irgendwann wissen. Im Normalfall würde mich das nicht im Geringsten stören, bin ich doch keine Freundin von Klimaanlagen. An einem heissen Juliabend in einem voll besetzten Nachtzug, in dem man die kommenden zehn Stunden eingepfercht sein wird, wäre ein kühlendes Lüftchen dennoch ganz nett. Na ja, nett war immerhin deine Geste, den schwitzenden Gästen je einen halben Liter gekühltes Wasser zu schenken. Noch netter wäre es gewesen, wenn man ein Fenster hätte öffnen können, so wie man das früher, als Klimaanlagen noch nicht so üblich waren, noch tun konnte. 

Trotz Hitze fielen den meisten Fahrgästen irgendwann die Augen zu und sie wären auch zugeblieben, wäre nicht mitten in der Nacht ein betrunkener Fahrgast zugestiegen, der im Vorraum krakeelte, weil einer deiner Kondukteure – ich glaube, du nennst das lieber Schaffner – laut, deutlich und sehr ausführlich erklärte, in diesem Zug dürfe nur mitfahren, wer reserviert habe. Der Mann hatte nicht reserviert, mitfahren liessest du ihn dennoch und krakeelen durfte er auch so lange und so laut er wollte, obschon die Fahrgäste, die alle brav einen hohen Preis für ihre Reservation bezahlt hatten, nicht mehr schlafen konnten. Ich finde es ja eigentlich okay, dass du den Mann nicht aus dem Zug geschmissen hast. Vielleicht hat er gerade etwas Schweres durchgemacht und war deshalb so besoffen. Soll er doch mitfahren, der arme Kerl. Aber zur Ruhe hätte man ihn schon ermahnen können, nicht wahr?

Wäre alles andere reibungslos abgelaufen, könnte man gnädig über die Hitze und den Lärm hinwegsehen, doch leider war das nicht alles. In Hamburg, wo der Zug nach Kopenhagen wartete, wurde es nämlich erst richtig chaotisch. Der Zug war kurz, bot nur Platz für die Fahrgäste mit Reservation, doch auf dem Perron – du, liebe Deutsche Bahn, nennst das Bahnsteig, wenn ich mich nicht irre – warteten auch solche, die nicht reserviert hatten und zwar sehr viele. Und alle versuchten, sich in den winzigen Zug zu zwängen. Irgendwann dämmerte deinem Personal, dass das nicht gut gehen konnte und so wurde verkündet, wer nicht reserviert habe, müsse den Zug verlassen. Natürlich ging keiner raus, es wollten ja alle irgendwie weiterkommen. Also zwängte sich dein Personal durch den proppenvollen Zug, um die Fahrkarten zu überprüfen. Wer jung und unrasiert und ohne Reservation war, wurde rausgeschickt. Wer älter und gepflegt und mit irgend einer Bahnkarte aber ohne Reservation war, durfte bleiben, auch wenn er damit einem, der für die Reservation bezahlt hatte, den Sitzplatz wegnahm. Nicht ganz fair, finde ich, aber da diejenigen von uns, die auf ihren Sitz verzichten mussten, in einer Ecke kauern konnten, will ich mich nicht weiter über dieser Ungerechtigkeit aufhalten. Immerhin mussten wir die vier Stunden bis Kopenhagen nicht stehen.

Wobei wir gar nicht bis Kopenhagen fahren konnten, denn irgend eine ominöse „Technische Panne“ – mehr wolltest du partout nicht preisgeben – zwang uns alle dazu, mit Sack und Pack zu Fuss auf die Fähre nach Dänemark umzusteigen. Was drüben in Dänemark noch alles schief lief, will ich dir, liebe Deutsche Bahn, nicht ankreiden, obschon du mit der satten Verspätung, die du uns mit dem Chaos in Hamburg beschert hattest, nicht ganz unschuldig warst.

Weil ich ein optimistischer Mensch bin, traute ich dir durchaus zu, dass es auf der Heimfahrt anders sein würde. Und es war anders. Diesmal fuhr dein Zug nämlich bereits mit einer Verspätung ab, was ich dir aber auch nicht vorhalten möchte, weil diese Verspätung ja von den Dänen verursacht war. Die Dänen wollten dann auch partout nicht mit den zahlreichen nervösen Gästen darüber reden, ob man den Anschlusszug in Hamburg noch erwischen werde. Das würden uns die Deutschen sagen, hiess es lapidar. Doch in Deutschland sagte man uns auch nicht mehr als: „Fünfzehn Minuten vor Ankunft in Hamburg wissen wir mehr.“ Dafür versprach die Leuchtschrift über der Tür zum Abteil, alle Infos zu den Anschlusszügen könne man im Faltprospekt nachlesen. Dumm nur, dass der Faltprospekt nicht nur keine Ahnung von der Verspätung hatte, sondern auch für die Strecke Hamburg-Kopenhagen war und nicht für die Strecke Kopenhagen-Hamburg. Das Papier hättest du dir also sparen können. Und die Leuchtschrift auch.

Nun, wenige Minuten vor Ankunft in Hamburg erfuhren wir endlich, wie es weiter gehen würde: Wer in die Schweiz wolle, müsse den Zug nach Wien nehmen und in Göttingen umsteigen. Der Zug nach Wien stehe entweder auf Gleis dreizehn oder vierzehn, bitte rasch umsteigen! Mit Mühe und Not schafften wir es, fünf Kinder und zehn Gepäckstücke rechtzeitig in den Zug nach Wien zu verfrachten. Zur Begrüssung wurden wir von einem deiner Mitarbeiter angefahren: Wir hätten gefälligst hinten im Zug einsteigen sollen. Ich muss gestehen, dass ich ob dieser Unfreundlichkeit ziemlich ungehalten wurde und zwei deiner Kondukteure ankeifte. Darauf bin ich nicht unbedingt stolz, aber Karlsson hat mir gesagt, er finde es ganz in Ordnung, dass ich nicht immer Ruhe bewahre und freundlich lächle und ich gebe sehr viel auf Karlssons Meinung. Ein Teenager lobt seine Mama schliesslich nicht alle Tage.  

Im Laufe der Fahrt teilte man uns mit, man sei sich doch noch nicht sicher, ob wir unseren Zug in Göttingen erwischen würden, oder ob wir vielleicht an einem anderen Ort umsteigen müssten. Man versprach uns aber, man werde alle Fahrgäste, die in die Schweiz wollten, auf dem Laufenden halten. Man hielt dann allerdings nur einige von uns auf dem Laufenden, so dass wir erst nach viel Herumfragen erfuhren, dass wir vermutlich etwa zwanzig nach elf in Göttingen eintreffen würden. Ob es von Göttingen aus tatsächlich Richtung Schweiz gehen würde, wusste keiner von uns mit Sicherheit, denn keiner deiner Mitarbeiter sah sich dazu verpflichtet,  noch einmal zu informieren. Göttingen war richtig, auf welchem Perron unser Zug einfahren würde, konnten uns deine Zugbegleiter aber nicht sagen. Also mussten wir es selber herausfinden, so ganz nebenbei, zwischen Gepäckschleppen und schlaftrunkene Kinder zum Rennen antreiben. 

Ich weiss nicht, wie wir es geschafft haben, aber irgendwann sassen wir doch noch in den Liegesesseln, die wir reserviert hatten. Zum ersten Mal auf dieser Reise trafen wir auf Personal, das uns nicht nur freundlich begrüsste, sondern auch bereitwillig anbot, uns mit dem Gepäck zu helfen. Du darfst mir glauben, liebe Deutsche Bahn, dass ich an diesem Punkt bereit war, dir alles zu verzeihen, was du auf unserer Reise vermasselt hattest. Jetzt, wo alle meine Kinder tief und fest schliefen, wollte ich nur noch dankbar sein, dass wir friedlich schaukelnd unserem Zuhause entgegen rollten. Ich wollte meinen Frieden mit dir schliessen, aber ich konnte nicht, denn im Zug war es so kalt, dass sogar ich, die ich sonst nie friere, beinahe zu schlottern begann und dies trotz wärmender Decke. Während unseren zwei Wochen in Schweden war es dir offenbar gelungen, die Klimaanlage zu reparieren. Dumm nur, dass die jetzt nicht mehr gebraucht wurde, weil es keine heisse Julinacht, sondern eine eher kühle Augustnacht war. 

Man mag sich fragen, weshalb ich dir, liebe Deutsche Bahn, all dies vorhalte, wo man derzeit doch einfach froh und dankbar sein kann, wenn man in einem Teil der Welt lebt, wo man nicht um sein Leben fürchten muss. Sind ja eigentlich alles nur Luxussorgen. Für uns als Grossfamilie war es allerdings auch ein Luxus, mehr als 1600 Franken hinzublättern, um uns von dir in den Norden und wieder zurück fahren zu lassen und darum habe ich beschlossen, dennoch ein wenig über meine Reise mit dir zu jammern. Auch wenn mir sehr wohl bewusst ist, wie privilegiert wir sind, aus freien Stücken und einzig zu unserem Vergnügen reisen zu dürfen. 

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Reisenotizen

Der Dänische Kondukteur kann mich zusammenstauchen, weil ich es versäumt habe, die Tickets schön brav in der von ihm gewünschten Reihenfolge zu ordnen. Ob unser Anschlusszug in Hamburg auf uns warten wird und wie viel Verspätung wir haben werden, kann er mir aber leider nicht sagen. Ist ja auch nicht weiter wichtig. Hauptsache, die Tickets sind schön geordnet.

Die sommerliche Völkerwanderung scheint einem Zweiwochen-Rhythmus zu folgen. Wer vor zwei Wochen auf dem gleichen Weg wie wir gereist ist, kommt heute auf dem gleichen Weg wie wir wieder zurück. Und sowas nennt sich „Individualreise“.

Interessant, einem Schweden und einem Kanadier dabei zuzuhören, wie sie das Wesen der Schweizer ergründen. In der Schweiz waren sie übrigens beide noch nie. Dennoch lagen sie gar nicht so sehr daneben mit ihren Ausführungen. Nur in der Interpretation „unserer“ Eigenschaften waren sie meiner Meinung nach etwas zu gnädig mit „uns“.

Die Deutsche Bahn hat also doch klimatisierte Wagen. Hätte auf der Hinreise den Glauben daran beinahe verloren.

Wenn sich einer auf unsere reservierten Plätze setzt, reagiere ich zu meinem eigenen Entsetzen ziemlich kleinkariert. Peinlich, wenn ich feststellen muss, dass das gar nicht unsere Plätze waren…

Egal, wie viel mehr wir nach Hause bringen, als wir mitgenommen haben, wir bringen es jedes Mal fertig, alles in die gleichen Koffer zu stopfen. Möchte bloss wissen, weshalb wir immer einen oder zwei Koffer ruinieren, wenn wir reisen.

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