Wo, um Himmels Willen, leben wir denn bloss?

Heute habe ich mal wieder guten Grund, daran zu zweifeln, dass von dem, was ein durchschnittlich intelligenter Schweizer Schüler während seiner 9 obligatorischen Schuljahre mitbekommt, irgend etwas hängen bleibt. So zum Beispiel am frühen Morgen, als eine junge Frau von mir wissen wollte, wie denn das Wetter in den nächsten Tagen sein werde. Da ich nicht auch noch Zeit habe, mich mit Meteorologie herumzuschlagen, verwies ich sie an die Tageszeitung. Bald darauf sass sie am Küchentisch, vor sich die Wetterkarte mit Sonnen und Wolken. Eine Weile lang sagte sie nichts, dann fragte sie mich: „Wo wohnen wir denn überhaupt, im Norden oder im Süden der Schweiz?“ Um die Brisanz dieser Frage zu verstehen, muss man vielleicht noch wissen, dass es in der Schweiz relativ einfach ist, sich zu merken, wo Norden und wo Süden ist. Süden ist dort, wo die Einheimischen Italienisch reden, dort, wo immer die Sonne scheint, ausser an den Feiertagen, wenn die halbe Schweiz nach Süden pilgert, um dort das schöne Wetter zu geniessen. Norden ist dort, wo  die Einheimischen Deutsch reden, dort, wo es immer regnet, ausser an den Feiertagen. Aber dieses schöne Wetter bekommt im Norden gar keiner mit, weil alle im Süden hocken und über den Regen jammern. Weil ich dachte, dieser Umstand sei jedem, der in der Schweiz geboren und aufgewachsen ist, klar,  schaute ich sie mit gerunzelter Stirne an. Ich war mir nicht sicher, ob sie Witze machte oder nicht, aber bald wurde mir klar, dass die Frage ihr bitterer Ernst war. Also klärte ich sie darüber auf, dass wir im Norden leben. Worauf sie die Küche verliess und vor sich hin murmelte: „Norden, Süden, Westen und dann gibt es sonst noch was, aber ich habe vergessen, was es war….“

Wenig später kam ich vollbeladen mit meinem Monsterwocheneinkauf, der heute 10% weniger gekostet hatte, nach Hause. Wie immer half mir die junge Frau beim Auspacken. Auf dem Tisch türmten sich Nektarinen, Joghurts, Käse, Windeln, Eier …. und ausserdem ein Sack voller Aprikosen. Die junge Frau deutete auf die Aprikosen  und fragte mich: „Wo soll ich diese Orangen hintun?“ Ich bat sie, die Orangen, die eigentlich Aprikosen heissen, in die Früchteschale zu legen. Während sie dies tat, sagte sie: „Ich hasse Aprikosen. Das Zeug kann ich nicht essen.“ Weshalb dies denn so sei, wollte ich wissen, denn ich liebe Aprikosen über alles. „Ja weisst du, ich finde das Fell so grässlich“, erklärte sie mir. Wir mussten beide lachen und als wir fertig gelacht hatten, meinte sie: „Also ich habe natürlich die Kruste gemeint.“

Unmöglich?

Sind denn unsere Vorstellungen so unrealistisch, dass es einfach nicht klappen will? Man sollte  doch meinen, dass es in der Schweiz ein oder zwei, vielleicht sogar drei, junge Frauen gibt, die gerne mal für ein Jahr als Au-Pair arbeiten. Ich meine jetzt nicht Sklavenarbeit, sondern bloss dreissig Stunden die Woche ein paar Wäscheberge beseitigen und die Küche aufräumen, mit dem Zoowärter und dem Prinzchen spazieren gehen, dafür sorgen, dass die Kinder am Nachmittag eine Zwischenmahlzeit bekommen, wenn Mama Venditti sich im Büro verschanzt hat und dergleichen. Nett wäre ausserdem, wenn sie unsere Kinder nicht als lästiges Ungeziefer, sondern als nette kleine Menschen ansähe, die natürlich auch ihre Macken haben. Als Gegenleistung bekäme sie von uns ein sauberes Zimmer, ein eigenes Bad, warme Mahlzeiten, Bezahlung nach den gängigen Richtlinien und Familienanschluss. So schlimm kann das doch nicht sein, oder?

Nun, mag ja sein, dass es Ausnahmen gibt, aber die Kandidatinnen, die sich bis jetzt gemeldet haben, scheinen etwas andere Vorstellungen von einem Au-Pair-Job zu haben. Schimpft  mich ruhig eine Pessimistin, aber wenn die erste Frage lautet, wie weit es denn von uns bis nach Zürich sei, dann werde ich misstrauisch. Vielleicht bin ich in euren Augen ja ein Snob, aber wenn ich erfahre, dass die junge Dame in keiner Schule tragbar war, dann beschleichen mich ernsthafte Zweifel, ob sie der richtige Umgang für unsere Kinder sei. Ihr dürft auch sagen, ich sei kleinlich, aber wenn die junge Dame schon zum ersten Kennenlernen nicht erscheint, dann schrillen bei mir die Alarmglocken.

So langsam habe ich das Gefühl, dass ich mal wieder das Unmögliche will. Und deshalb habe ich heute Nachmittag kurzerhand beschlossen, unser Au-Pair-Suche auf den ganzen Planeten auszuweiten. Irgendwo auf dieser Welt wird es bestimmt eine junge Dame geben, – und weiblich muss sie sein, denn noch mehr Testosteron kann unser Haushalt nicht mehr ertragen – die es Zwölf Monate mit Vendittis aushält. Wir sind ja keine Monster, bloss etwas laut und chaotisch, aber damit sollte man leben können. Immerhin halten wir es auch aus mit uns selber und wir müssen uns selber schon ein ganzes Leben lang ertragen.