Und führe mich nicht in Versuchung…

Der Nachmittag in Astrid Lindgrens Värld ist mir in bester Erinnerung geblieben und dies nicht nur, weil die Welt von Michel, Pippi und Nils Karlsson Däumling einfach toll ist. Es war auch diese eine Begebenheit, die mich an jenem warmen – für schwedische Verhältnisse heissen – Tag beeindruck hat: Direkt neben einem der grössten Restaurants im Park gab es einen Badeteich, der an diesem Tag natürlich sämtliche Kinder magisch anzog. Das Problem war nur, dass kaum jemand daran gedacht hatte, Badehosen für die Kinder einzupacken. Wirklich ein Problem? Doch nicht in Schweden. Ohne zu zögern entledigten sich die schwedischen Kinder ihrer Kleider und sprangen ins kühle Wasser. Einige behielten zwar die Unterhosen an, die meisten aber waren splitternackt. Die einzigen, die sich über diese Unbekümmertheit erstaunt zeigten, waren wir. Nicht, weil uns die nackten Kinder gestört hätten, sondern weil wir uns nicht vorstellen konnten, dass Kinder in der Schweiz so frei sein dürften.

Wie ich heute bei „10 vor 10“ erfahren habe, soll hierzulande gar verboten werden, was in Schweden keinen stört. Die Kinder könnten einem Pädophilen vor die Kamera geraten, also seien sie zu schützen, indem sie beim Baden stets bekleidet seien, fordern einige Politiker. Diese Forderung ärgert mich, obschon ich Kinderpornographie und Pädophilie zutiefst verabscheue. Da sollen kleine, unschuldige Kinder nicht mehr nackt baden dürfen, weil sonst einige kranke Erwachsene auf verwerfliche Gedanken kommen könnten.

Irgendwie erinnert mich das an den alleinstehenden Mann mittleren Alters, der mich einst nach einem Gottesdienst bat, nächstes Mal doch bitte ein anderes Kleid zu tragen, weil er meinetwegen schmutzige Gedanken gehabt habe. Und wenn ich kein anderes Kleid anziehen wolle, solle ich gefälligst heiraten, damit er durch mich nicht zur Sünde verleitet würde. (Äh, nein, das ist nicht achtzig Jahre her, sondern knapp zwanzig.)

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Gotlandbrot

Einige (Facebook)-Freundinnen wollten wissen, wie ich das Gotland-Brot gebacken habe, mit dem ich heute auf meinem Profil geprahlt habe und wenn ich mir schon die Mühe nehme, das Rezept aufzuschreiben, kann ich es gleich hier tun, dann haben alle etwas davon. Das Rezept habe ich aus dem Kochbuch „Natürlich Schwedisch“ von Carina Brydling, aber ich habe es ein wenig angepasst, da ich in meiner Küche nicht alle Zutaten finden konnte und da ich die Tendenz habe zu glauben, ich wisse alles besser. Also, dann fangen wir mal an…

Gut, eigentlich muss man eine Woche früher anfangen, zumindest wenn man seine eigene Sauerteigkultur verwenden will. Wie man Sauerteig macht, kann man an jeder Ecke im www herausfinden, ich verzichte also auf eine langfädige Erläuterung. Natürlich kann man das Zeug auch im Reformhaus kaufen, aber wenn schon hausgemacht, dann richtig, finde ich.

Gestern Abend also mischte ich 900 Gramm Roggenmehl, 500 Gramm Weissmehl, ca. 1.9 Liter warmes Wasser (Frau Brydling empfiehlt 2,1 Liter, aber das schien mir dann doch etwas viel) und 1 Deziliter Sauerteig zu einem Vorteig. Faul, wie ich nun mal bin, liess ich Sophie diese Arbeit erledigen, damit ich mich im der Zwischenzeit um den Sirup kümmern konnte.

In Schweden nimmt man dafür „dunklen Sirup“, ich nahm Melasse. Dann käme noch die Schale einer Pomeranze hinzu, doch die hatte ich auch nicht zur Hand, also nahm ich Bio-Zitrone. Schliesslich bräuchte man noch Anis und Fenchelsamen, doch aus mir unerklärlichen Gründen fand ich weder das eine noch das andere in meinem Gewürzschrank, also half ich mir mit Ajwar aus. Ob man sich nun an das eine oder an das andere Rezept hält, der Sirup wird immer auf die gleiche Weise zubereitet: 2 Deziliter Wasser (Wasser) mit 1 Deziliter Melasse (dunklem Sirup), 2 Messerspitzen Ajwar (je einer Messerspitze Anis und Fenchelsamen) und Streifen der Zitronen (Pomeranzen-)schale aufkochen. Frau Brydling würde jetzt noch das Weisse aus der Schale entfernen und das Zeug kleinschneiden, aber ich habe darauf verzichtet und das Ganze über Nacht stehengelassen. Das Gleiche habe ich mit dem Vorteig getan: Tuch drüber und ab ins Bett. Und auf gar keinen Fall mehr Mehl beigeben, die Masse muss glatt und klebrig sein!

Am Morgen löste ich zwei Würfel Bio-Hefe (ca. 80 Gramm) mit ca. 80 Gramm Zucker in 3 Deziliter warmem Wasser auf. Frau Brydling nimmt 150 Gramm Zucker, aber wir wollen mal nicht übertreiben. Den Sirup goss ich durch ein Sieb, dann kamen Sirup, aufgelöste Hefe, 300 Gramm Weizenvollkormnehl, 150 Gramm Roggenmehl und 150 Gramm Weissmehl in den Vorteig. Das Kneten überliess ich wieder Sophie, denn Frau Brydling hatte mich gewarnt, dass dies eine „sehr klebrige und schwere Arbeit“ sei. Sophie scheint mit ihr einig zu gehen, aber das ist nun mal ihr Job. Der Teig war tatsächlich ziemlich klebrig und sehr feucht, doch ich widerstand der Versuchung, mehr Mehl zuzugeben. Stattdessen legte ich wieder mein Tuch über die Schüssel und liess den Teig 45 Minuten ruhen.

Als diese Zeit um war, quoll der Teig schon fast über den Rand der Schüssel. Darum liess ich Sophie noch einmal ein wenig arbeiten, ehe ich die weiteren Zutaten zufügte: 50 Gramm Salz (Frau Brydling nimmt 75 Gramm), 3 Deziliter Melasse (dunklen Sirup), 200 Gramm Roggenmehl, 300 Gramm Weissmehl und 500 Gramm Weizenvollkornmehl. Sophie durfte dann noch einmal kräftig kneten, dann ruhte der Teig, der jetzt übrigens ohne weitere Wasser- oder Mehlzugabe perfekt war, noch einmal 45 Minuten unter dem Tuch, allerdings nicht mehr in Sophies Schüssel, sondern in einem grösseren Gefäss, da der Teig ein wenig voluminös geworden war.

Den aufgegangenen Teig formte ich zu vier Brotlaiben, die noch einmal 10 Minuten ruhen durften, ehe ich sie in den 200 Grad heissen Ofen schob, wo sie 50 Minuten (bei Frau Brydling dauert es eine Stunde, aber die hat vielleicht keinen Umluftofen) blieben. Zum Schluss mischte ich dann noch etwas Kaffee mit Melasse und bestrich die warmen Brote damit.

Tja, das war’s dann auch schon und wenn Frau Brydling nicht übertreibt, halten sich die Brote in Küchentücher eingeschlagen bis zu zwei Wochen. Ich werde dies vermutlich nie überprüfen können, denn länger als drei Tage werden die Brote bei uns nicht überleben. Soll ja auch das beste Brot der Welt sein, wie die Autorin ganz unbescheiden behauptet.

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Beziehungskiste

Es hätte so etwas wie ein Abschiedsbesuch werden sollen. Vor einiger Zeit schon habe ich mich innerlich vom blau-gelben Möbelhaus zu lösen begonnen, fuhr nur noch hin, wenn es unbedingt sein musste und setzte mich vertieft mit kritischen Artikeln auseinander. Es fiel mir nicht leicht, mich von dem Geschäft zu distanzieren, das mich von frühester Kindheit, über schwierige Teenagerjahre zur ersten Wohnung bis hin zu den Kleinkinderjahren unserer Kinder begleitet hatte. Doch eine zunehmend konsumkritische Haltung, einige enttäuschende Beziehungen zu Möbelstücken, die mehr versprachen, als sie halten konnten und der wachsende Wunsch nach Möbeln, die eine Geschichte haben, trieben mich vermehrt in die Arme der Brockenstuben. Daran änderte auch unsere Schwedenreise nichts, obschon es im Möbelhaus auch ein paar Lebensmittel zu kaufen gibt, die ich seit unserer Rückkehr schmerzlich vermisse.

„Ein letzter Besuch muss sein“, sagte ich gestern, als mir bewusst wurde, dass unsere Küchenschränke ein rundum erneuertes Innenleben benötigen, wenn ich je so etwas wie Ordnung herstellen will. Ich weiss, man bekommt solche Dinge auch andernorts, aber „Meiner“ hat gerade eine Weiterbildung zu bezahlen und da liegt das blau-gelbe Möbelhaus am ehesten im Bereich des Bezahlbaren. 

Also fuhr ich heute Morgen mit meinem sehr schwedisch aussehenden  Prinzchen – die Michel aus Lönneberga-Verkleidung ist zu seiner zweiten Haut geworden – und einer langen Einkaufsliste los und das war eindeutig ein Fehler. Die Blau-Gelben haben nämlich ganz offensichtlich gespürt, dass ich mich von ihnen zu entfremden begann und mir scheint, dass sie so ziemlich alle Register gezogen haben, um mich zurückzugewinnen: Fröhlichere Farben, fantasievollere Muster, eine Rückbesinnung auf die småländischen Wurzeln, etwas weniger „Made in China“, Zusammenarbeit mit meinem bevorzugten Vegi-Restaurant, ein paar bestechende Aufbewahrungsideen und eine Lehrlingsarbeit, die ich am liebsten nachmachen würde, wäre ich handwerklich nicht vollkommen unbegabt.

Als wäre das alles nicht genug, mussten diese Angestellten, die gewöhnlich ziemlich schroff und distanziert sind, ein Riesentamtam um mein herziges kleines Prinzchen machen, das sie alle zum Anbeissen fanden. Wissen die denn nicht, dass es in der Schweiz streng verboten ist, fast fünfjährige Jungen süss zu finden? Spätestens im Alter von drei Jahren wechseln die  Jungen hierzulande in die Kategorie „unausstehliche Rotznase, der man nicht über den Weg trauen kann“, aber das kümmerte die Damen einen Dreck, sie bezirzten das Prinzchen, als wäre er gerade mal ein halbes Jahr alt. 

Ja, und jetzt bin ich voll im Clinch: Bleibe ich bei meinem Entschluss, diese Beziehung zu beenden? Lasse ich die ganze Sache auf Sparflamme köcheln, in der Hoffnung, dass das blau-gelbe Möbelhaus eines Tages zu einem Fair-Trade-Unternehmen erster Güte wird? Oder lasse ich mich durch die neue Farbenvielfalt zu einer neuen Liebesbeziehung verführen, wohl wissend, dass ich diese nie mehr mit reinem Gewissen werde geniessen können, weil ich bereits zu viel hinterfragt habe?

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10 Dinge, die ich vermissen werde

Als wir heute die Öresundbrücke in der falschen Richtung überquerten, war mir klar, dass nicht einfach eine Ferienreise zu Ende geht, sondern eine Zeit, in der alte Sehnsüchte und neue Träume wach geworden sind. Es ist schwer, in Worte zu fassen, was „Meinen“ und mich – und bis zu einem gewissen Grad auch die Kinder – in diesen Wochen bewegt hat; ich weiss nicht, ob einiges davon früher oder später sicht- und fassbar wird, oder ob das hektische Leben in der Schweiz alles wieder ersticken wird, ehe es keimen konnte. Mehr als deutlich weiss ich aber jetzt schon, was ich zu Hause vermissen werde:

1. Das Grün: Glaubt mir, ich habe es versucht, aber man kann sich schlicht und einfach nicht satt sehen an all dem Grün. Dabei mag ich Grün als Farbe gar nicht besonders.

2. Die Stille: Nein, es war nie vollkommen still, da war stets ein Rauschen des Windes in den Bäumen, ein Zwitschern der Vögel oder nachts das Rascheln eines Tiers im Gebüsch und natürlich der Lärm, den unsere Kinder veranstalten. Doch all die Zivilisationsgeräusche, die ich zu Hause schon gar nicht mehr wahrnehme, weil sie auch an scheinbar abgeschiedenen Orten stets zu hören sind, die waren einfach ausgeschaltet. Erst in dieser Stille wurde mir bewusst, wie sehr mir die pausenlose Geräuschkulisse zusetzt. 

3. Die Dunkelheit: Ja, ich weiss, sommers wird es in Schweden nie so richtig dunkel, aber das meine ich auch nicht. Ich rede von den Strassenlampen, die eben nicht da waren und somit nachts nicht in mein Gesicht scheinen konnten, von den Leuchtreklamen, die nicht mal in den Städten besonders zahlreich anzutreffen sind, vom Mond und den Sternen, die dank der Abwesenheit von künstlichem Licht trotz der nächtlichen Helligkeit zu leuchten vermochten.

4. Die Tiere: Gut, die Tatsache, dass die in unserem Ferienhaus ein Gerät hatten, um Ratten fernzuhalten, hat mich leicht beunruhigt und die Sache mit den Schlangen ging mir nie ganz aus dem Hinterkopf. Doch wann habe ich zu Hause zum letzen Mal ein  Reh beobachten können, Feldhasen oder einen Raubvogel? Wo habe ich schon je so viele Kühe gesehen, die ihre Hörner behalten durften? Schafe mit grauem, gekräuseltem Fell, Pferde, die sich zu dritt eine Weide von der Grösse eines Fussballfeldes teilen? Oh ja, natürlich haben wir auch Elche gesehen, aber die waren in einem Gehege, also zählen die nicht wirklich.

5. Früher oder später musste ich ja aufs Essen zu sprechen kommen: Nein, die schwedische Küche bietet nicht allzu viel Abwechslung, schon gar nicht für Vegetarier. Aber wer braucht denn Abwechslung auf der Speisekarte, wenn er Blaubeer-, Hagenbutten- und Fruchtsuppen, Fruchtkräm in allen Variationen, Gurken, Zimt- und Kardamomwecken, geräuchten Käse, frische Beeren, Pfifferlinge, Pfannkuchen, Sauermilch und Lakritze  zur Auswahl hat? Keine Ahnung, wie ich zu Hause ohne all das Zeug auskommen soll.

6. Die Kinderfreundlichkeit: Nein, die Schweden machen nicht viel Aufhebens um Kinder, für sie gehören sie einfach dazu. Also werden sie nicht von Fremden angemotzt. Man lässt sie klettern, auch wenn das vielleicht aus Sicht eines Erwachsenen nicht unbedingt angebracht wäre. Man hat vor den Schulhäusern eine verkehrsberuhigte Zone . Man hat ein Kinderprogramm und zwar nicht irgend einen aufgesetzten Kitsch, sondern eine richtig gute Sache, die Erwachsene davon träumen lässt, noch einmal Kind sein zu dürfen. Man bekommt überall ein halbwegs anständiges Kindermenü und natürlich müsste man auch nie nach einem Wickeltisch suchen, wenn man denn ein Wickelkind hätte. 

7. Die Häuser: Man hat nie genug rote Häuser gesehen, denn kaum eines ist gleich wie das andere. Und dann gibt es die schmucken Dinger ja auch in Gelb, Blau, Rosa, Grün, Himmelblau, Braun… Ja, ich habe zum ersten Mal in meinem Leben ein schwarzes Haus gesehen, das mich wegen seiner Schönheit aus den Socken gehauen hätte, so ich denn welche tragen würde.

8. Die netten Menschen: In unseren Breitengraden glaubt man ja, nur im Süden seien die Menschen gastfreundlich und aufgeschlossen. Nun, vielleicht hatten wir einfach nur Glück, aber die Menschen, die wir getroffen haben, waren äusserst warmherzig, gastfreundlich und nur zu gerne bereit, uns die Schönheiten ihres Landes zu zeigen. So sehr, dass unsere Kinder das fast ein bisschen aufdringlich fanden…

9. Die Seen: Ich finde keine Worte, ihre Schönheit zu beschreiben. Man muss sie einfach gesehen haben, um es zu glauben.

10. Die vielen Cafés, Museen, Badestellen, Waldlichtungen,…, die wir nur von ferne gesehen haben und deretwegen wir unverzüglich unsere nächste Ferienplanung in Angriff nehmen müssen.

Aber ehe ich zu heulen anfange, geniessen wir noch ein paar Tage in Kopenhagen…

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Strandleben

Hätte mir vor zwanzig Jahren einer gesagt, ich würde dereinst mit Schwimmbrillen, Schwimmtieren und Kühltasche an einem kinderfreundlichen Strand mit Rutschbahnen und Hüpfkissen im Liegestuhl sitzen und mich von der Sonne bescheinen lassen, dann hätte ich ihn ausgelacht. „Meiner“ und ich am Strand und dann erst noch im Liegestuhl? Vergiss es! Auch Kinder werden uns nicht dazu bringen, so langweilige Ferien zu machen.

Währenddem ich diese Zeilen schreibe, tun „Meiner“ und ich genau das, was wir nie hätten tun wollen. Fast komme ich im Versuchung, zu verachten, was wir geworden sind. Aber nur fast, denn die Liegestühle, auf denen wir sitzen, gehören nicht uns, „Meiner“ hat sie nur geliehen. Von der Abfallsammelstelle auf einem Campingplatz und dort kommen sie auch wieder hin, wenn unser Ausflug ins Strandleben zu Ende ist.

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(Un)vorbereitet

Wir haben uns so ziemlich auf alles eingestellt, als wir zu Hause unsere Koffer packten: Auf die legendären schwedischen Mücken, von denen wir aber herzlich wenig merken und die laut unserer Vermieterin dieses Jahr tatsächlich kaum anzutreffen sind. Auf die Zecken, die entgegen eines weit verbreiteten Irrtums sehr wohl auch in Südschweden ihr Unwesen treiben. Auf kühle Abende, die man angeblich nicht ohne warmen Pulli überstehen kann. Auf Elche, die ausser uns wohl jedem Schwedentouristen irgendwann den Weg versperren. Auf die kinderfreundlichen Schweden, die es gemäss Berichten von Freunden nicht allzu sehr schätzen, wenn man die eigenen Kinder mit lauter Stimme in die Schranken weist. Ja, sogar mit der Existenz von Schlangen habe ich mich kurz – wenn auch äusserst widerwillig – auseinandergesetzt.

Nur etwas haben wir nicht bedacht: Dass im Norden die Sonne im Sommer nicht nur kaum untergeht, sondern dass sie trotz angenehmer Temperaturen durchaus auch brennen kann. Oh ja, wir haben die Sonnencreme von zu Hause mitgenommen, aber wir sind doch tatsächlich naiv genug, sie im Ferienhaus zu vergessen, wenn wir auf die Insel Öland ausfliegen. Nun ja, ganz so schmerzhaft, wie er im Süden ausfallen würde, ist der Sonnenbrand hier nicht.

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Zweite Etappe

Gewöhnlich würden unsere Familienferien ja spätestens nach zwei Wochen enden, doch diesmal folgte auf den Auszug aus dem roten Smålandhaus nicht die Rückreise in die Schweiz. Wir sind lediglich etwas weiter in den Süden gereist, in ein altes Schulhaus, wie es wohl die Bullerbü-Kinder besuchten. Eine gemütliche Wohnung mit traumhafter Aussicht, umgeben von hohen Bäumen und ganz nahe beim See gelegen. Noch einmal ein wahr gewordener Traum, diesmal in einer Gegend, in der alle paar Meter ein Hinweis auf eine Glasbläserei oder eine kulturelle Veranstaltung hinweist. Und das alles bei schönstem Sommerwetter.

Ehe ihr jetzt vor Neid erblasst, denkt bitte daran, dass wir nicht nur sehr viel Gepäck, sondern auch alle unsere Macken mit nach Schweden genommen haben. Deshalb brülle ich mehrmals am Tag: „Wollt ihr wohl endlich aufhören zu streiten! Könnt ihr denn nicht einen einzigen Augenblick lang die ganze Schönheit hier geniessen?“ Meistens sollten sich Luise und „Meiner“ angesprochen fühlen…

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Nach zwei Tagen…

…die wir damit verbracht haben, in winzige, bunte Holzhäuschen zu kriechen, auf riesengrosse Möbelstücke zu klettern, Michel, Klein-Ida, Nils-Karlsson Däumling, Madita, Karlsson vom Dach und Ronja Räubertochter auf der Bühne zu bewundern, an lauschigen Plätzen zu picknicken, die Kinder dabei zu bewundern, wie grossartig sie den „Nicht den Fussboden berühren“-Parcours meistern, zu diskutieren, ob Frau Petrells Haus nicht stattlicher sein müsste, nach dem perfekten Souvenir zu suchen und immer und immer wieder zu sagen, wie grossartig diese Frau Lindgren doch war, haben „Meiner“ und ich nur noch das eine Bedürfnis: Schlafen und vom einfachen Leben in Bullerbü träumen. Oh ja, wir haben die Besuche in Astrid Lindgrens Värld genossen, doch jetzt sind wir hundemüde.

Unsere Kinder aber haben dort nicht nur Zuckerstangen, Postkarten, Krumulus-Pillen, Kuckelimuck-Medizin und ein Madita-Kleidchen erstanden, sondern offensichtlich auch eine ganze Menge Energie. Und so spielen sie bis zur Dämmerung – also bis elf Uhr oder so – auf dem Rasen vor dem Haus das Leben in Lönneberga nach. Da werden Missetäter in den Tischlerschuppen geschickt, es werden Spukgeschichten erzählt, man tanzt einen abendlichen Walzer und immer wieder ertönt die Bitte: „Mama, singst du mit uns Klein-Idas Sommerlied und dann noch das Lied von Karlsson und dann noch…“. Ja, und dann glauben sie doch allen Ernstes, wir könnten vor dem Eindunkeln noch im nahe gelegenen See baden gehen, so, wie Michel und Alfred das getan haben.

Einfach herrlich, ich weiss und mir wird auch ganz warm ums Herz, wenn die Fünf so erfüllt sind von dem, was wir gesehen und erlebt haben. Aber werden die denn nie müde?

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Ansichtssache

„Meiner“ und ich bemitleiden den FeuerwehrRitterRömerPiraten jeweils wegen seines Geburtstags. Mitten in den Sommerferien, meist an einem Ort, wo Kuchenbacken nur unter erschwerten Bedingungen möglich ist und die Geschenke eine gewisse Grösse nicht überschreiten dürfen, weil sie sonst nicht mehr ins Reisegepäck passen. Die Geburtstagsparty mit Freunden muss entweder Wochen vorher oder Wochen nachher stattfinden, die Geschenke von Verwandten tröpfeln so nach und nach herein.

Das ist unsere Sicht, die Geschwister des FeuerwehrRitterRömerPiraten sehen das ganz anders: Er bekommt die ausgefallensten Tortendekorationen, die grösste Vielfalt an Süssigkeiten, die Luftballons, die es in der Schweiz nicht gibt. Nie muss er an seinem Geburtstag zur Schule gehen, wir alle haben Zeit, ihn den ganzen Tag zu feiern, meistens gibt es ein ausgefallenes Spezialprogramm.

Darum war das Protestgeheul gross, als „Meiner“ und ich verkündeten, wir würden Astrid Lindgrens Värld am Geburtstag des FeuerwehrRitterRömerPiraten besuchen. „Dann wird sich wieder alles nur um ihn drehen, dabei freuen wir uns seit Monaten auf diesen Ausflug“, protestierten die anderen. „Meiner“ und ich redeten uns den Mund fusselig, um die aufgebrachten Geschwister zu beruhigen, doch nichts half. Bis mir endlich das Argument in den Sinn kam: „An seinem Geburtstag lassen sie den FeuerwehrRitterRömerPiraten gratis rein. Das heisst, mehr Geld für uns alle. Vielleicht liegt dann ja sogar ein zusätzliches Souvenir drin…“ Da konnten sie natürlich nichts mehr einwenden, auch wenn sie es noch immer furchtbar unfair finden, dass der FeuerwehrRitterRömerPirat echte schwedische Zuckerstangen und „einen Ring Bratwurst von der Besten“ bekommt.

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Nicht alles Gold, was glänzt

Ja, ich weiss, wenn ich jetzt schreibe, in Schweden sei auch nicht alles perfekt, dann glaubt ihr mir nach meiner Schwärmerei der vergangenen Tage nicht mehr. Aber es gibt tatsächlich ein paar Dinge, mit denen ich absolut nich klarkomme:

1. An der riesigen Bonbon-Auswahl komme ich inzwischen locker vorbei. In meinem Alter lässt man sich nach dem ersten Zuckerrausch nicht mehr so leicht verführen. Bei den zig Varianten Lakritze wird es schon schwieriger, doch auch hier werde ich nur noch schwach, wenn der Einkauf mit den Kindern allzu herausfordernd war. Doch wie um alles in der Welt soll ich widerstehen können, wenn nach den Süssigkeiten und der Lakritze das Regal mit den Nüssen kommt? Wer ist denn schon stark genug, nein zu sagen zu Kardamom-Joghurt-Haselnüssen und Zimt-Mandeln?

2. Die Schweden scheinen noch nicht bemerkt zu haben, dass die Welt nicht ausschliesslich von normannischen Riesen bevölkert ist. Ob Einkaufswagen, Ladentheke, Bankomat oder Kasse, alles ist so hoch, dass Mama Venditti sich vorkommen muss wie ein Zwerg, der sich in die Welt der Riesen verirrt hat.

3. Eigentlich könnten mir die schwedischen Nacktschnecken ja vollkommen egal sein, ist es doch nicht mein Gemüse, das sie anfressen. Doch wer die Biester mal auf dem Rasen vor dem Haus gesehen hat – riesengross und rabenschwarz -, der wagt sich nur noch mit äusserster Vorsicht barfuss aus dem Haus.

4. Warum können diese guten Menschen nicht einfach von Wasser, Knäckebrot und Hering leben? Wie um alles in der Welt sollen wir es in vier Wochen schaffen, uns durch die ganze Auswahl zu probieren: Lingon, Smultron, Jordgubbar, Apelsin, Hjortron, Päron, Hallon, Blåbär, Björnbär, Flädder, Kanel und das in jeder Abteilung, von den Getränken über die Milchprodukte bis hin zum Brot? Zum Glück bin ich Vegetarierin, dann kann ich zumindest das ganze Kött- und Korv-Sortiment links liegen lassen. Und glaubt mir, das Zeug ist einzeln gar nicht so teuer. Teuer wird es erst, wenn man immer noch etwas findet, das man kosten möchte.

5. Natürlich ist es nett, dass die Menschen hier so zuvorkommend sind, doch wie soll ich meine rudimentären Schwedischkenntnisse je erweitern, wenn die immer gleich Englisch mit mir reden, wenn ich um Worte verlegen bin?

6. Für meinen Geschmack hat es eindeutig zu viele Beeren im Wald. Wie sollen wir je einen Elch zu Gesicht bekommen, wenn wir pausenlos auf den Boden starren, damit wir uns mit Heidel- und Walderdbeeren vollstopfen können?

Ihr seht also, auch in Schweden ist nicht alles Gold, was glänzt. Und das Schlimmste ist: Wenn man mal hier ist, träumt man sogleich davon, nächstes Jahr wieder zu kommen.

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