Höhlenträume

Wenn die Geschirr- und Wäscheberge die Sicht auf den Feierabend versperren….
Wenn man trotz Putzfrauenbesuch schon wieder über die Spielsachen stolpert…
Wenn der ganze Bürokram, mit dem man in einem durchschnittlichen Privathaushalt schon bald eine Teilzeit-Sekretärin beschäftigen könnte, wieder einmal liegen bleibt….
Wenn man aus dem Altpapier eines einzigen Tages Isoliermaterial für ein ganzes Haus herstellen könnte….
Wenn die Kindergeburtstagswünsche ins Unermessliche steigen….
Wenn der Kater das Katzenfutter verschmäht, weil die Speisereste so viel besser schmecken….
Wenn das Telefon andauernd klingelt….
Wenn zum vierten Mal am Tag jemand wegen einer Nichtigkeit an der Türe steht….
Wenn schon wieder ein Lattenrost den Geist aufgibt….
Wenn die Zeitungslektüre mal wieder nur Sorgenfalten auslöst….

…. dann denke ich jeweils, eine sichere Höhle mit ein paar Fellen und einem warmen Herdfeuer hätte auch gereicht. Okay, vielleicht noch eine Badewanne und eine gut sortierte Hausbibliothek dazu, aber den Rest hätte man sich doch wirklich schenken können.

Ja, ich weiss, WLAN und iPad fehlen noch, aber tun wir mal so, als könnte ich noch ohne… Ich meine, WLAN in einer Höhle, sowas geht nun mal einfach nicht. Man stelle sich nur mal vor, wie schlecht die Verbindung dort wäre.

 

 

Ich wollte nur mal fragen…

Glaubt mir, ich gehöre nicht zu der Sorte Menschen, die keinem trauen, der einen weissen Kittel und einen Doktortitel trägt. Im Gegenteil, ich vertrete standhaft die Meinung, dass Ärzte auch nur Menschen sind und darum denke ich nur Gutes von ihnen, solange sie nichts tun, um mein Misstrauen zu wecken. Zu dumm, dass nicht alle Herren Doktoren – meist sind es tatsächlich die männlichen Exemplare – daran interessiert sind, mein Vertrauen zu gewinnen. Ein paar  Beispiele gefällig?

Nun, da wäre mal der Moment, als Mama Venditti zum iPad griff, um ganz sachte per Mail nachzufragen, weshalb man sie denn nie darüber informiert habe, in welches Spital der Herr Gemahl gebracht worden sei und welche Diagnose man ihm gestellt habe. Das alles musste der fiebernde Patient seiner Frau nämlich selber mitteilen, mit der Einschränkung, dass viele Details die Hitze des Fiebers nicht überstanden hatten. Die lapidare Antwort des Arztes auf die Anfrage: „Tut mir Leid, Frau Venditti, ich wäre nie auf die Idee gekommen, mit Ihnen Kontakt aufzunehmen. Ihr Mann war ja ansprechbar und es gab keinen Anhaltspunkt dafür, dass er unseren Erklärungen nicht folgen konnte.“ Und ich unterbelichteter Laie hatte doch tatsächlich geglaubt, 40 Grad Fieber und zeitweilige Verwirrtheit könnten „Meinen“ daran hindern, die Erläuterungen der Ärzte zu verstehen. 

Oder nehmen wir das schüchterne Nachfragen, ob „Meiner“ vielleicht nicht allmählich etwas allzu mager werde. Aus reiner Neugierde natürlich, nicht weil ich mir Sorgen gemacht hätte, dass er drei Tage lang keinen Bissen bei sich behalten konnte und die Untergrenze für einen gesunden BMI gerade unterschritten hatte. Ob man ihm ein wenig Schonkost verabreichen könne, wollte ich wissen. Sein Magen habe momentan etwas Mühe mit Paniertem, Gebratenem & Co. „Ach, machen Sie sich darüber mal keine Sorgen, Frau Venditti. Ihr Mann wird dann schon wieder zu Kräften kommen. Das Erbrechen gehört eben dazu und der verminderte Appetit auch“, beruhigte man mich und deutete mir damit an, ich sollte mich aus der Sache raushalten. Eigenartig war bloss, dass man „Meinem“ ein Mittel gegen den Brechreiz verabreichte, kaum hatte ich mich auf den Heimweg gemacht. Und Schonkost war plötzlich auch zu haben.

Und jetzt also die Sache mit der Heimkehr. „Meiner“ sei nun wieder fit, um nach Hause zu kommen, beschied man uns. Was im Grunde genommen ganz nett ist, denn wir vermissen ihn ganz schrecklich. Zu dumm nur, dass nie zur Sprache kam, wie es denn nun weitergehen soll. Ich bin die Letzte, die bestreiten würde, dass es „Meinem“ bedeutend besser geht als vor einer Woche und ich bin wirklich dankbar dafür, dass die Ärzte sich seiner angenommen haben. Leider muss ich aber auch feststellen, dass da noch einiges auskuriert werden muss, bevor er den Herausforderungen des Alltags gewachsen ist. Also wieder nachhaken, wieder eine äusserst unbefriedigende Antwort: „Den Ärzten ist nichts aufgefallen. Vielleicht können Sie morgen vor dem Austritt noch ein paar Fragen stellen, heute hat ganz sicher niemand mehr Zeit.“ Schon wieder abgewimmelt, schon wieder kurz darauf die Meldung von „Meinem“, die Ärzte seien noch einmal bei ihm gewesen, hätten ihm erklärt, wo es noch Probleme gebe, worauf man achten müsse und in welchem Bereich allenfalls ein Spezialist beigezogen werden müsse. 

Allmählich fange ich an, die Sache persönlich zu nehmen, denn mit „Meinem“ scheinen sie offenbar ganz gerne zu reden. Aber der stellt auch keine dummen Fragen. Zum Fragen ist er nämlich viel zu müde. Und leider auch zu müde, um im Kopf zu behalten, was die Ärzte ihm erzählt haben.

To Do

  • „Meinen“ anschnauzen,  weil er für einmal nicht den perfekten Hausmann,  sondern den „ist mir doch egal,  wenn alles im Chaos ersäuft“-Ehemann gespielt hat
  • Dafür sorgen,  dass die männlichen Familienmitglieder nicht ohne Zahnpaste und Zahnbürsten nach Italien fahren
  • Alle männlichen Familienmitglieder morgens um sieben zum Bahnhof fahren,  damit sie den Zug nach Milano rechtzeitig erwischen
  • 3 Badezimmer putzen
  • 2 Küchen saubermachen
  • 4 Ladungen Wäsche waschen und aufhängen
  • Zahlreiche Kontrollanrufe an „Meinen“,  damit ich mir auch ganz sicher keine Sorgen um meine lieben Knöpfe machen muss
  • Unzählige Rechnungen bezahlen – Habe ich wirklich keine übersehen?
  • Euro besorgen
  • GPS befragen
  • „Meinen“ befragen,  ob ich morgen wirklich mit dem Auto nach Italien fahren soll
  • Schwiegermamma ver(un)sichern,  dass das schon irgendwie klappen wird
  • Kolumne schreiben
  • 4 mal den Geschirrspüler ein- und wieder ausräumen
  • 2 Kühlschränke putzen – Nein,  glaubt mir,  ihr wollt nicht wissen,  weshalb ich das unbedingt noch vor der Abreise tun musste.
  • So tun als ob ich Zeit hätte für ein Kaffeekränzchen mit Luise und Gast
  • Luise beibringen, dass ich bei diesem Sauwetter wirklich keine Lust habe,  mit ihr aufs Riesenrad zu gehen. Ist mir vollkommen egal,  dass das Ding auch bei Regen in Betrieb ist
  • Gottesdienstmoderation vorbereiten
  • 3 Tassen zerschlagen,  für einmal ganz ohne böse Absichten
  • Scherben von drei Tassen entsorgen
  • Unzählige Versuche,  Luise „Gregs Tagebuch“ zu entwinden,  damit ich endlich weiss,  warum sie das Buch nicht mehr aus den Händen gibt
  • Nur noch ganz kurz ein paar Minuten ins Büro gehen,  weil ich vor meinen Ferien noch eine klitzekleine Sache erledigen muss
  • Vor dem Schrank stehen und darauf warten,  bis der Koffer von selber rausfällt,  damit ich keinen Stuhl holen muss
  • Luise den „Ententanz“ vorsingen und danach erfolglos versuchen,  die Melodie wieder aus dem Ohr zu kriegen
  • Wach bleiben,  damit ich meine To Do-Liste bis zum bitteren Ende abarbeiten kann

Und ich grenzenlos naiver Mensch hatte doch tatsächlich geglaubt,  ich könnte mir heute einen netten Frauensamstag mit Luise gönnen…

Kapituliert

„Was hältst du von einem kleinen Abenteuer?“, fragte mich das Leben neulich. Ich zögerte einen Augenblick, bevor ich antwortete: „Nun ja, du weisst ja, momentan bin ich nicht so für Abenteuer zu haben. Eine ausgiebige Ruhepause wäre mir lieber.“ „Die bekommst du ja“, antwortete das Leben. „Eine ganze Woche Nichtstun im Piemont. Ich hätte da bloss noch zwei nette kleine Komplikationen, die dich daran hindern, am Samstag mit ‚Deinem‘ und den Kindern zu reisen. Du weisst ja, dass er die Bahntickets für Samstag bereits gekauft hat und dass ihr dort unten das Auto braucht. Es bleibt dir also nichts anderes übrig, als am Sonntag im Auto nachzukommen.“ „Aber das geht doch nicht“, stammelte ich. „Du weisst doch, dass ich mich schon in Trimbach heillos verfahre. Wie soll ich es da bis nach Italien schaffen?“ „Das ist doch ein Klacks“, gab das Leben zurück. „Du musst es einfach bis zur Autobahneinfahrt schaffen und der Rest gibt sich von selbst.“ Ich lachte bitter. „Du kannst reden. Hast du das Debakel von neulich schon wieder vergessen? Als ich verzweifelt in der Gegend herumkurvte, weil ich es nicht mal fertigbrachte, hinter jemandem herzufahren? Und jetzt soll ich ganz alleine nach Italien fahren? Du bist wohl verrückt geworden.“ Das Leben grinste spöttisch. „Das war doch ganz amüsant. Nun ja, abgesehen davon, dass du die Kinder mit deinem Gezeter ziemlich erschreckt hast. Du solltest deine Emotionen ein wenig zügeln…“ „Wie denn? Wo ich doch immer die falsche Abzweigung erwische. Ich bin einfach ein hoffnungsloser Fall“, jammerte ich. „Das mag schon sein, aber wozu hat der Mensch das Navigationsgerät erfunden?“, sagte das Leben, ohne sich von meinem kläglichen Ton beeindrucken zu lassen. „Du weisst, dass ich keine Navis mag“, sagte ich ziemlich verärgert. „Die Dinger jagen mir Angst ein. Und ausserdem habe ich mein iPad, das mir jeweils auf der Karte anzeigt, wo ich gerade bin.“ Das Leben lachte schallend. „Oh ja, ich weiss, dein iPad. Das Ding ist ja ganz nett, aber was hilft es, wenn du keine Karten lesen kannst und jedes Mal nach links fährst, wenn du rechts fahren solltest? Nein, glaub mir, du brauchst ein GPS und dann kannst du ganz getrost nach Italien fahren.“ „Ich will aber kein GPS“, sagte ich trotzig. „Na dann freue ich mich doch schon darauf, wie du heulend vor dem Nordportal des Gotthards stehen wirst und nicht mehr weiter weisst“, entgegnete das Leben hämisch grinsend.

Was hätte ich dazu noch sagen sollen? Gar nichts ausser „‚Meiner‘, bist du einverstanden, wenn ich mir für die Italienreise diese sündhaft teure Navigations-App aufs iPad lade?“

Perspektive

Du kannst die unbezahlten Rechnungen sehen und dich darüber aufregen, dass das Geld oft nur für die Pflichten, nicht aber für die Wünsche reicht. Du könntest dich aber auch darüber freuen, dass genügend Geld hereinkommt, damit du alles bezahlen kannst, was bezahlt werden muss.

Du kannst dich darüber ärgern, dass „Deiner“ seine Macken in all den Jahren noch immer nicht abgelegt hat. Du könntst  aber auch dankbar sein dafür, dass du mit einem Menschen unterwegs bist, der dir so sehr vertraut, dass er sogar den Mut hat, dir auf die Nerven zu fallen.

Du kannst darüber jammern, dass deine Kinder ihren Frust immer zu Hause auslassen, sich auswärts aber stets von der besten Seite präsentieren. Du könntest dich aber auch darüber freuen, dass keine „Frau Venditti, Ihr Kind hat heute in der Wut eine Fensterscheibe eingeschlagen“-Anrufe kommen.

Du kannst dich darüber aufregen, dass die Kinder den Fisch nicht aufgegessen haben. Du könntest aber auch froh sein, dass du dadurch beim Katzenfutter sparen kannst.

Du kannst dich selber bemitleiden, weil diesen Sommer keine Ferien drinliegen. Du könntest aber auch zufrieden sein, weil dir in diesem Jahr kein anderer die Heidelbeeren wegisst, die immer dann reif sind, wenn du gewöhnlich verreist.

Du kannst die Leute beneiden, die ein beschauliches, wohlgeordnetes und ausgeglichenes Leben führen. Du könntest aber auch dankbar sein dafür, dass bei dir bestimmt nie Langeweile aufkommt.

Du kannst alles noch ein wenig schwärzer sehen, als es in Wirklichkeit ist. Du könntest aber auch versuchen, die Welt hin und wieder durch die Brille deiner Kinder zu sehen und zu staunen, wie viel Schönes du dadurch entdeckst.

So geht das

Schülervortrag damals: Die Lehrerin erklärt der Klasse, was ein Vortrag ist, welche Themen in Frage kommen, gibt den Kinder Zeit, sich in Zweierteams aufzuteilen und ein Thema zu suchen. An einem schulfreien Nachmittag setzt man sich gemeinsam hin, teilt auf, wer was machen wird, sucht sich ein paar Bücher aus der Bibliothek, vielleicht hat noch jemand ein Poster mit einem zum Thema passenden Bild, dann wird geschrieben – von Hand, versteht sich. Am Vorabend die grosse Nervosität, dann endlich der Auftritt. Zehn Minuten reden, vielleicht eine Folie auf dem Hellraumprojektor, einige Stichworte an der Wandtafel und die gute Note hatte man auf sicher.

Schülervortrag heute: Der Lehrer führt die Klasse in die Kunst der Power Point Präsentation ein, die Schüler wählen ein Thema, danach wird im Internet recherchiert. Bilder, Musik, Filme, Zusammenfassungen – alles wird zusammengetragen und zu einer ersten Präsentation verwurstet, äähm, Pardon, verarbeitet. Diese Präsentation geht per Mail an den Lehrer, der einige Tage später eine Rückmeldung gibt. Im Laufe der Wochen geht die Präsentation noch mehrere Male zwischen Schüler und Lehrer hin und her, bis endlich alles perfekt ist. Da die Unterrichtszeit für die Fülle des Materials nicht reicht, sind Überstunden angesagt und zwar sowohl vor als auch nach dem Unterricht. Ein Vollzeitjob ist ein Klacks im Vergleich, aber Perfektion hat eben ihren Preis. Der Redetext muss niedergeschrieben werden, es braucht ein Quiz, damit die Mitschüler bis zum letzten Satz dranbleiben und dann muss man sich natürlich noch Gedanken machen, ob alle eine kleine Belohnung bekommen, oder ob man nur einen Hauptpreis für den Quiz-Sieger mitbringt. Schliesslich noch die Kontrolle, ob auch wirklich nichts aus dem Internet abgeschrieben ist und ob der Link von der Präsentation zu youtube funktioniert.

Am Vorabend dann die grosse Präsentation vor den Eltern, die völlig erschlagen dasitzen und denken, dass es früher deutlich einfacher war, ein guter Schüler zu sein.

Dann eben keine Predigt

Eigentlich hätte ich heute ja diesen unglaublich inspirierenden Text über die Bedeutung meines Glaubens schreiben wollen. Den ganzen Tag über hatten sich in meinem Kopf Sätze gebildet, mit denen ich mich von meinem alten, frömmlerischen Gehabe  distanziert und zu meinem weitaus alltagstauglicheren, aber viel weniger in starre Dogmen fassbaren neuen Glauben bekannt hätte. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was ich alles in diesen Text hineingepackt hätte: Meinen Ärger über Frau Rickli, meine Sorgen darüber, dass Fremdenhass in Europa wieder salonfähig ist, meinen Frust darüber, dass so viel geredet und so wenig getan wird, meine Traurigkeit über mein eigenes Versagen und mein Fazit, dass ich das alles wohl nicht ertragen könnte, würde ich nicht glauben. 

Tja, und dann beschloss ich, zuerst einmal ein paar Büroarbeiten zu erledigen, bevor ich mich ans Niederschreiben meiner tiefschürfenden Gedanken mache. Die Lohnabrechnung der Putzfrau, zwei drei Formulare, die schon längst ausgefüllt sein müssten, den Lohn der Putzfrau vom Konto abheben. Kleinkram nur, der aber leider in den grossen Dramen des Alltags nur zu oft vergessen geht, den ich aber keinen Tag länger mit mir herumtragen will, weil er eben doch belastet. Die Formulare waren schnell erledigt, doch dann stellte ich fest, dass mir ein Dokument fehlte, das ich bei der Arbeit liegen gelassen hatte. Na gut, dann mache ich eben einen kleinen Abendspaziergang, hole das Dokument und gehe dann gleich zur Bank. Vielleicht fallen mir auf dem Weg weitere nette Sätze für meinen Text ein.

Ha, von wegen. Auf halbem Weg stelle ich fest, dass mein Büroschlüssel zu Hause geblieben ist. Umkehren will ich nicht, denn die Strassenlampen im Quartier streiken allesamt und Dunkelheit ist nicht mein Ding. „Na gut, dann hole ich eben nur das Geld. Das Dokument kann ich ja morgen nach der Arbeit mitnehmen“, brumme ich – jawohl, ich habe die schlechte Angewohnheit, mit mir selber zu reden, wenn ich alleine unterwegs bin – und mache mich auf den Weg zur Bank. Wo ich leider feststellen muss, dass auch der Geldautomat streikt und diesmal liegt es ganz bestimmt am Automaten und nicht an meinem Kontostand. Dann eben auf zur nächsten Bank, wo man mich aber nicht einlässt, weil ich die falsche Karte dabei habe. Verärgert mache ich mich auf den Heimweg, um meinen Schlüssel zu holen. Damit ich doch noch das Dokument holen gehen kann, weil ich es nicht mag, unerledigter Dinge ins Bett zu gehen, wo ich mich doch endlich dazu aufgerafft hatte, den Bürokram hinter mich zu bringen. Der Schlüssel aber ist unauffindbar, „Meiner“, den ich sogleich verdächtige, das Ding verlegt zu haben, erweist sich als unschuldig und ich muss mir eingestehen, dass ich mir alles selber eingebrockt habe. Aus Gründen, die ich schon längst nicht mehr nachvollziehen kann, habe ich nämlich heute Nachmittag den Schlüsselbund auf den Waldspaziergang mitgenommen und danach nicht mehr an seinen Platz zurückgelegt. Fragt mich bitte nicht, wie ich auf die Idee gekommen bin, dass dem Schlüsselbund ein wenig frische Waldluft guttun würde.

Da es inzwischen schon fast Mitternacht ist, beschliesse ich ziemlich verärgert, doch wieder alles auf morgen zu verschieben. Der Elan, endlich reinen Bürotisch zu machen, ist verflogen, die Lust, einen unglaublich inspirierenden Text über meinen Glauben zu schreiben ebenfalls und so bleibt mein einziger Trost, dass zumindest die Atheisten unter meinen Lesern zufrieden sind, weil sie meiner Sonntagspredigt entgangen sind. 

Das haben wir uns also dabei gedacht

Nachdem ich mich neulich eingehend mit unserem aus dem Lot geratenen Budget befasste und mir überlegte, wo denn das ganze Geld hingekommen war, stellte ich schnell einmal fest, was wir falsch gemacht hatten: Zu viele Ferien. „Das kann’s doch einfach nicht mehr sein“, schalt ich mich. „Man kann sich  auch zu Hause erholen. Dieses Jahr gehen wir nirgendwo hin. Was haben wir uns bloss dabei gedacht, so oft zu verreisen?“

Heute, nach zwei Wochen Schulferien zu Hause bei ziemlich ungemütlichem Wetter, ist mir wieder klar, was wir uns dabei gedacht hatten, als wir letztes Jahr jede Gelegenheit zur Flucht genützt hatten. Ferientage zu Hause sind schlicht unerträglich. Nein, das liegt nicht an den streitenden Kindern. Damit muss man einfach klarkommen, wenn man sich für Kinder entschieden hat. Auch das Wetter ist nicht das eigentliche Problem, denn beim Wetter muss man nehmen, was man bekommt, weil man sonst unzufrieden und griesgrämig wird. Auch über Langeweile möchte ich mich nicht beklagen, denn mit vielen netten Gästen und diversen Kindern, die zum Übernachten hier waren, war für ausreichend Abwechslung gesorgt.

Nein, das Problem war das Büro. Dass nur die Familie, ich aber keine Ferien hatte, hätte keine Rolle spielen müssen, da ich ja nicht Vollzeit arbeite. Aber aus Teilzeit wird schnell einmal Beinahe-Vollzeit, wenn a) der Papa zu Hause ist und man es mit der Pünktlichkeit beim Heimkommen nicht so genau nehmen muss und b) das Büro so nahe ist, dass man abends „nur noch ganz schnell etwas erledigen“ kann. Ach, und wenn man schon so schön am Arbeiten ist, kann man doch gleich noch von zu Hause aus das eine oder andere fertig machen… Tja, und dann war ich irgendwann ganz schön gestresst und alles andere als erholt.

Der Fall ist klar: Entweder lerne ich jetzt ganz schnell, mich gegen die Arbeit abzugrenzen, wenn wir während der Schulferien zu Hause bleiben. Oder aber ich lerne endlich, wie man richtig viel Geld verdient, damit wir verreisen können, wann immer wir dem Alltag ausweichen möchten.

 

Hausfrauentest bestanden

Wie gestern bereits erwähnt,  steht „Meiner“ in Sachen Pflichtgefühl und Opferbereitschaft der durchschnittlichen Mutter und Hausfrau in nichts nach. Ich würde gar behaupten,  dass man ihn deutlich seltener bei Kaffee und Klatsch antrifft,  obschon auch die durchschnittliche Hausfrau und Mutter nicht allzu oft Zeit dafür findet. Den letzten Beweis,  dass „Meiner“ es durchaus mit uns aufnehmen kann,  hat er an diesem Wochenende erbracht. Was tut der gute Mann,  wenn er endlich einmal ein paar Tage für sich hat? Na,  was wohl? Er holt seine Magen-Darm-Grippe hervor,  die er sich eigens für diesen Moment aufgespart hat,  denn im Alltag hat man einfach zu wenig Zeit,  sie so richtig zu geniessen. Im Ländli aber,  wo sie dir am Morgen ein Buffet und zweimal am Tag ein mehrgängiges Menü servieren und wo du dich in die Wellness-Oase zurückziehen kannst,  wann immer dir der Sinn danach steht,  bietet eine kleine Grippe den perfekten Kontrast zu dieser gezwungenen „Lass es dir gut gehen“-Atmosphäre. Hier kann man zelebrieren,  was zu Hause immer zu kurz kommt. Am Montag wird er sich wieder kerngesund in den Trubel des Alltags stürzen können. Der Mann weiss eben,  was sich für Hausfrauen und -männer gehört.

 

Tür auf!

Die ersten Augenblicke des Tages sind oft die entscheidenden. So, wie es angefangen hat, so geht es meist für den Rest des Tages weiter. Gestern Morgen, zum Beispiel, setzte „Meiner“ sich um sechs Uhr im Bett auf. Im gleichen Augenblick richtete sich Luise, die krankheitsbedingt in unserem Bett nächtigte und mich aufs Sofa vertrieben hatte, ebenfalls auf und – bitte verzeiht den Ausdruck – kotzte „Meinem“ den Rücken voll. Kann man es dem guten Mann verargen, dass er von da an zu nichts zu gebrauchen war, wegen jeder Kleinigkeit in die Luft ging und abends um neun auf dem Sofa einschlief? 

Ganz anders mein heutiger Start in den Tag: Die ganze Familie inklusive Katzen stand verzweifelt vor der verschlossenen Türe der Vorratskammer. „Der Andere“ – wer denn sonst? – hat es mal wieder geschafft, den Schlüssel drinnen zu lassen und die Tür zuzuknallen. Corn Flakes, Kakao, Katzenfutter – alles eingeschlossen und keiner schaffte es, die Türe zu öffnen. Keiner, ausser mir. Schlaftrunken ging ich auf die Tür zu, schnappte mir ein ganz gewöhnliches Messer, schob das Ding in den Türspalt und Sesam war geöffnet. Wer den Tag mit einer Heldentat beginnt, der kann wohl gar nicht anders, als voller Zuversicht weiterzugehen.

So war es dann auch: Alles lief runder als gewöhnlich und hätte ich nicht diesen dummen Fehler begangen, so wäre ich wohl für einmal ohne meine üblichen Schnitzer ausgekommen. Zu dumm nur, dass ich am späten Nachmittag aus lauter Gewohnheit die Tür der Vorratskammer zuschlug, als der Schlüssel noch immer drin war. Was ja nicht weiter schlimm gewesen wäre, wenn der Trick vom Morgen noch funktioniert hätte, aber das tat er nicht, so sehr ich mich auch abmühte. Nun gut, auch damit hätte ich leben können, wäre ich mit Gartenarbeit oder mit der Steuererklärung beschäftigt gewesen. Wie es der Zufall aber wollte, war ich gerade dabei, Luises Geburtstagstorte zu backen. Der Teig halb fertig, die Form eingefettet, der Ofen heiss und keine Chance, an Backpulver und Mehl heranzukommen. Was blieb mir da noch anderes übrig, als die heute sorgsam geschonten Nerven doch noch zu verlieren? 

Zum Glück gelang es „Meinem“ irgendwann doch noch, die Tür zu öffnen. Ich mag es ihm von Herzen gönnen, dass er der Retter der Geburtstagstorte ist. Nachdem Luise ihn gestern vor dem Frühstück mit Halbverdautem beglückt hat, hat er ein bisschen Heldenverehrung mehr als verdient.