Meine Zahnbürste gehört mir!

Und weil sie mir gehört, will ich nicht, dass sie im Mund eines meiner Familienmitglieder landet. Ja, ich weiss, es gibt Menschen, denen würde so etwas nichts ausmachen, aber ich bin ein Grossfamilienkind, das inzwischen selber eine Grossfamilie hat, ich habe also im Leben mehr als genug geteilt. Darum bin ich nicht bereit, meine Zahnbürste mit jemandem teilen, nicht mal mit den Menschen, die ich über alles liebe. Und ich bin nicht die einzige in unserer Familie, die das so sieht. Ja, eigentlich sehen wir das alle gleich, aber natürlich teilen wir trotzdem andauernd unsere Zahnbürsten.

Es ist nämlich so: Jedes Mal, wenn wir sieben komplett unterschiedliche Zahnbürsten kaufen und jedem Familienmitglied einschärfen, welche nun seine ist, dauert es gerade mal ein paar Tage, bis der Erste vergessen hat, mit welcher er sein Gebiss putzen muss und schon vergreift sich wieder einer am Besitz eines anderen. 

Man komme mir jetzt bitte nicht mit Ratschlägen, wie sich das verhindern liesse. Wir haben schon alles probiert. Kennzeichnung mit unterschiedlichen Gummibändern. Beschriftung mit wasserfestem Stift. Individuelle Halterungen. Getrennte Unterbringungsorte. Unterschiedliche Bürstengrössen… Hat alles nichts geholfen.

Das einzige, was das Problem – vielleicht – lösen würde, wären Zahnbürsten, die wir mit unseren Vornamen bedrucken lassen. Leider existiert so etwas in einer Welt, in der jeder erdenkliche Mist existiert, noch nicht. Selbstverständlich besteht durchaus die Möglichkeit, Zahnbürsten bedrucken zu lassen. Mit Werbung. Aber wir brauchen keine Werbung, wir brauchen eine Lösung für unser Problem. Natürlich gäbe es auch Zahnbürsten mit bereits vorgedruckten Namen, aber die kommen nicht in Frage, weil Luise und das Prinzchen die einzigen in der Familie sind, die einen massentauglichen Vornamen haben. Alle anderen müssten mit ungeputzten Zähnen rumlaufen. 

Es bleibt mir also auch weiterhin nichts anderes übrig, als meine Zahnbürste mit allen Mitteln zu verteidigen. Und alle paar Tage „Himmel, wer hat schon wieder meine Zahnbürste genommen?!“ zu schreien. Und jedes Mal, wenn Ersatz fällig ist, den Laden nach sieben komplett unterschiedlichen Modellen abzusuchen, in der Hoffnung, die Unterschiede seien endlich mal augenfällig genug, damit keiner mehr auf die Idee kommt, sich an der Bürste eines anderen zu vergreifen. 

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Erholung? Doch nicht in den Ferien!

Der FeuerwehrRitterRömerPirat und ich sind uns einig: Rom war Stress pur. Klar, das Kolosseum war beeindruckend, die Villa Borghese und die Trajanssäule auch. Das Wetter war traumhaft und wir beide haben keinerlei Mühe damit, ein paar Köstlichkeiten der italienischen Küche aufzuzählen, die wir vermissen werden. Während er sich über die Sangoku-Figur freut, die er in der Ewigen Stadt günstig erstanden hat, kann ich es kaum erwarten, die Rezepte aus dem Lievito-Madre-Backbuch, das ich mir als Souvenir auserkoren habe, auszuprobieren. Die Woche im Süden war also keine reine Zeitverschwendung. 

Aber der ganze Lärm, die vielen Menschen, die endlosen Fussmärsche bis endlich wieder eine Metrostation in Sicht war, der Diebstahl meines Portemonnaies, das Warten auf andere Familienmitglieder, die immer nur wollten, was uns gerade nicht in den Kram passte, die an Hitze grenzende Wärme, das Gedränge bei jeder Sehenswürdigkeit und in der Metro, der Mangel an Zeit ganz für sich allein,…

Der FeuerwehrRitterRömerPirat und ich sind uns einig: Rom wäre eigentlich schon okay, aber jetzt, wo wir es gesehen haben, bräuchten wir dringend ein paar Tage Erholung.

Zu blöd nur, dass die Ferien vorbei sind…

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Ostervorbereitungen

Ein Monat vor Ostern: Mama Venditti denkt, sie könnte dieses Jahr mal für etwas mehr österliche Stimmung sorgen und stellt sich vor, wie hübsch es sein könnte, wenn im Garten ein Osterbäumchen dekoriert wäre. Auch die Fenster könnte man ein wenig aufhübschen und vielleicht sonst noch ein paar Winkel im Haus. Weil es aber noch sehr lange dauert bis Ostern, kauft sie einfach mal einen Bund Tulpen für die Frühlingsstimmung im Haus. 

Drei Wochen vor Ostern: Mama Venditti denkt sich immer noch, sie könnte dieses Jahr mal für etwas mehr österliche Stimmung sorgen, hat dann aber keinen Platz mehr im Einkaufswagen und ausserdem keine Lust, noch länger im Laden zu bleiben. Also verschiebt sie die Angelegenheit auf später. Sie kauft statt dessen wieder einen Bund Tulpen. 

Zwei Wochen vor Ostern: Mama Venditti schaut sich den Osterkram in den Läden näher an, findet alles zu kitschig, zu billig, zu langweilig und beschliesst, dass sie ihr Geld für Besseres ausgeben kann. Zum Beispiel für einen Bund Tulpen.  

Eine Woche vor Ostern: Mama Venditti erinnert sich daran, dass sie in den vergangenen Jahren immer etwas spät dran war mit dem Kauf von Osterhasen und dass darum nicht mehr alles zu haben war, was sie eigentlich hätte haben wollen. Also beschliesst sie, dieses Jahr etwas früher dran zu sein als üblich. Heute aber hat sie grad gar keine Lust, also schiebt sie die Sache auf. Und die Sache mit der Osterdekoration hakt sie für dieses Jahr gänzlich ab. Dafür aber kauft sie einen Bund Tulpen. 

Fünf Tage vor Ostern: Mama Venditti begreift, dass sie sich jetzt wirklich beeilen muss mit dem ganzen Osterkram. Also kauft sie Osterhasen – nach Möglichkeit für jedes Kind ein Exemplar, das zu seiner Persönlichkeit passt -, Zuckereier und anderen Kram. Tulpen kauft sie keine, denn diejenigen, die sie vor zwei Tagen gekauft hat, sind noch nicht verblüht. 

Drei Tage vor Ostern: Mama Venditti merkt, dass sich die Kinder nicht nur auf Osterhasen, sondern auch auf ein kleines Geschenk freuen, also macht sie sich fieberhaft auf sie Suche nach etwas Kleinem, das trotzdem brauchbar und zur Persönlichkeit des Kindes passend ist. Sie kauft wieder keine Tulpen, denn diejenigen, die sie vor vier Tagen gekauft hat, haben es noch nicht geschafft, zu verblühen. 

Zwei Tage vor Ostern: Mama Venditti öffnet den Schrank, in dem die Hasen versteckt sind, eines der Viecher fällt heraus, zerbricht auf dem Fussboden und Mama Venditti hat zwei Probleme: 1. Sie muss noch einmal einkaufen gehen, um den Hasen zu ersetzen. 2. Sie muss sich bereits jetzt den Kopf darüber zerbrechen, wie man einen zerbrochenen Hasen verwertet. Gewöhnlich stellt sich diese Frage erst zwei Wochen nach Ostern. Ausserdem fällt ihr ein, dass es vielleicht trotzdem ganz nett wäre, ein paar Eier zu färben. Da sie weder Zwiebelschalen noch Eierfarbenreste noch Strümpfe aus früheren Jahren finden kann, färbt sie mit Schwarztee und erntet darob von ihrem Mann und ihrem ältesten Sohn viel Spott, weil die finden, die ehemals weissen Eier sähen jetzt einfach aus, als wären sie als braune Eier zur Welt gekommen. 

Ein Tag vor Ostern: Papa Venditti hat den zerbrochenen Osterhasen ersetzt, Mama Venditti findet plötzlich, ein Brunch zu Ostern wäre doch eigentlich ganz nett, sie müsse nur noch ein wenig backen und Karlsson findet, es müssten dringend ein paar Blumen her, es sehe ja gar nicht österlich aus im Haus. Ausserdem findet er, es müssten unbedingt ein paar Eier gefärbt werden. Es sei doch einfach schön, wenn die Familie zusammenkomme, um gemeinsam eine nette Ostertradition zu pflegen. 

Abend vor Ostern: Familie Venditti – mit Ausnahme von Luise, die über Ostern nicht da ist und dem FeuerwehrRitterRömerPiraten, der etwas Wichtiges am Handy verpassen könnte – färbt gemeinsam Ostereier. Was nach einer fröhlichen Familienaktivität klingt, sieht in Wirklichkeit so aus: Sieben von zwanzig Eiern haben einen grossen Sprung in der Schale, vier von den nicht gesprungenen Eiern erleiden beim Färben einen Sturz und haben jetzt ganz viele Sprünge in der Schale, die noch ganzen Eier sind über und über mit Farbe beschmiert, die halbe Küche ist mit Farbe beschmiert und mit Ausnahme des Prinzchens fragen sich alle, was an dieser blöden Eierfärberei überhaupt Spass machen soll. 

Etwas später am Abend vor Ostern: Die Küche ist wieder sauber, die jüngeren Kinder sind im Bett. Die Osterdekoration besteht aus zwanzig absolut nicht Instagram-tauglichen Ostereiern sowie einem Blumenstrauss ohne Tulpen, denn Tulpen bekam man hier in den vergangen Wochen wahrlich genug zu sehen. 

Ebenfalls am Abend vor Ostern: Weil Mama Venditti es mal wieder total vergeigt hat mit der Osterdekoration, hat sich der Garten dazu entschlossen, die Sache selber an die Hand zu nehmen, indem er rechtzeitig zu Ostern Narzissen, Hyazinthen, Veilchen und die eine oder andere Tulpe zum Erblühen gebracht hat. Wer braucht denn schon einen mit Osterkram behängten Baum, wenn in der Erde eine Unzahl von Blumenzwiebeln steckt? 

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Wenn Luise etwas braucht,…

… dann bekommt sie das früher oder später auch, denn unsere Tochter ist eine Kämpferin. Mit Argumenten, Lösungsvorschlägen und ausgeklügelten Bedarfsanalysen bearbeitet sie uns so lange, bis wir ein Einsehen haben. Und sollten wir uns ausnahmsweise mal ganz unvernünftig bockig zeigen, zieht sie ihr letzte Ass aus dem Ärmel: „Aber ich bin doch eure Lieblingstochter…“ und das lässt sich nun einmal nicht bestreiten. 

Man könnte denken, ein solches Kind würde an seinem Geburtstag mit besonders hohen Ansprüchen aufwarten, doch dem ist absolut nicht so. Erst einmal kann sie sich wochenlang nicht entscheiden, was sie sich überhaupt wünschen soll und schliesslich ringt sie sich dazu durch, überteuerte Schuhe zu wollen, die sie a) selber bestellt und b) teilweise mit ihrem eigenen Ersparten bezahlt. Auf den Tisch kommen Caesar Salad, Risotto und ein paar geschichtete Pfannkuchen, wie sie Kater Findus jeweils zum Geburtstag bekommt und gefeiert werden darf nur im allerengsten Kreis. So bescheiden ist das Ganze, dass man den grossen Tag für einen ganz normalen Mittwoch halten könnte, wenn „Meiner“ und nicht für etwas Deko-Glanz sorgen würden. 

Was auf den ersten Blick als widersprüchlich erscheint, ist eigentlich gar nicht so verwunderlich. „Wo liegt denn der Reiz“, scheint sich unsere willensstarke Tochter zu fragen, „wenn dir jeder Wunsch von den Augen abgelesen wird und du nicht mal kämpfen musst, um zu bekommen, was du dir wünschst?“

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Nicht nur für Selfies

Selbsternannte Erziehungsexperten mahnen gerne, wir Eltern sollten unseren Teenagern einen gesunden Umgang mit dem Smartphone beibringen. Dass Luises Handy – ohne ihr Zutun – den Geist aufgegeben hat, würden sie bestimmt als ganz besonderen Glücksfall betrachten. Endlich kann sie die wunderbare Erfahrung machen, wie entspannend es ist, nicht erreichbar zu sein. Sie wird gezwungen, von Angesicht zu Angesicht mit ihren Mitmenschen zu kommunizieren, kann sich nicht andauernd auf Instagram und Snapchat rumtreiben und muss mal ein paar Wochen lang ein Leben leben, wie unsere Generation es als normal betrachtet. Ich vermute, man würde uns raten, das Gerät absichtlich nicht allzu schnell zu ersetzen, auf dass unsere Tochter lerne, dass es auch ohne geht.

Doch genau in diesem Punkt irren diejenigen, die bei der Kombination „Teenager & Handy“ immer sogleich den Mahnfinger heben. Ohne Handy geht es nämlich wirklich fast nicht mehr und zwar nicht, weil die Jugend von heute so verkommen und oberflächlich wäre. Sondern weil die Schule schon längst auf das Handy als Arbeitsgerät zählt.

Vokabeln büffeln, Klassenchat, Kommunikation mit Lehrerinnen und Lehrern, Infos zu Hausaufgaben, Organisieren von Musikstunden – wer in schulischen Dingen mithalten will, braucht ab einem gewissen Alter ein Handy. Wer länger offline ist, verpasst unter Umständen ziemlich viel wirklich Wichtiges. An manchen Orten – nicht bei uns – herrscht gar Smartphone-Pflicht ab Oberstufe. 

Zwar bin ich der Meinung, Eltern sollten selber entscheiden dürfen, wann ihr Kind reif für ein Smartphone ist. Ansonsten aber sehe ich durchaus auch Vorteile in dieser Entwicklung. Dank Handy sind die Kinder nämlich in vielen schulischen Angelegenheiten selbständiger als wir es in ihrem Alter waren. Mit zunehmender Reife dämmert ihnen gar, dass das Ding nicht nur Selfies macht. Und wenn sie damit nur lange genug Englisch-Wörtchen gebüffelt haben, sind sie sogar dankbar, wenn sie das Gerät mal wieder aus den Händen legen dürfen. 

Soll mir also keiner sagen, wir sollten Luise ein paar Wochen zappeln lassen, ehe sie einen Ersatz für ihr kaputtes Handy bekommt. Die Schule wäre darob wohl fast ebenso wenig erfreut wie unsere Tochter. Ob wir dazu denn gar nichts mehr zu sagen haben? Nun ja, allzu viel nicht. Und doch ziemlich Entscheidendes: Welches Modell sie am Ende in den Händen hält, hängt einzig und alleine von unserer Grosszügigkeit ab. 

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Das hätten wir uns sparen können

Der Junge, über den die Primarlehrerinnen bei jedem Elterngespräch sagten, er müsse sich halt einfach mehr zutrauen, solle nicht so schüchtern sein und müsse mutiger zeigen, was in ihm steckt,…

… ist zu einem jungen Mann herangewachsen, der in den Prüfungen die Rechtschreibfehler seiner Lehrer korrigiert, sich nach der Stunde meldet, wenn ihm etwas nicht passt und der ohne Nervosität vor die Leute steht.

Hätte ich damals schon gewusst, dass der Durchsetzungswille, der schon von Anfang an in dem Kind steckte, die Schranken der Schüchternheit dann schon irgendwann überwinden würde, hätte ich mich durch solche Elterngespräche nicht so sehr verunsichern lassen. Aber dass sie sich einen Grossteil ihrer Sorgen hätten sparen können, wissen Eltern halt immer erst im Nachhinein.

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Zweite Chance

Spätabends, wenn alle schlafen möchten, den übermüdeten jüngeren Bruder so lange zum Spielen überreden, bis dieser bittere Tränen weint, weil er jetzt endlich ins Land der Träume entschwinden möchte.

Um Mitternacht noch hellwach im Bett liegen, Comics lesen und so laut lachen, dass die Eltern, die unten schlafen möchten, kein Auge zubekommen.

Gegen halb eins in der Nacht vom Hunger geplagt in die Küche schleichen und dort mit so viel Getöse Kakao zubereiten, dass die Eltern, die eben erst am Wegdämmern sind, aus ihren ersten Träumen hochschrecken.

Gegen zwei Uhr noch einmal durch die Wohnung tigern, in der Hoffnung, das Handy zu finden, das Mama und Papa in Gewahrsam genommen haben. Zu dumm, dass Mama und Papa nach jahrelangem Training einen furchtbar leichten Schlaf haben und darum dem Ansinnen einen Riegel schieben können. 

Bei den nächtlichen Wanderungen natürlich überall das Licht brennen lassen, so dass am Morgen, wenn die Familie erwacht und man selber eben erst ein paar Stunden Schlaf genossen hat, alles hell erleuchtet ist.

So mancher, der als Baby schon sehr bald einmal durchgeschlafen hat, bekommt in der Pubertät eine zweite Chance, seinen Eltern doch noch den Schlaf zu rauben…

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So etwas wie Selbstverwirklichung

Kleinkindmütter hätten sich selbst irgendwo zwischen Windel- und Wäschebergen verloren, las ich neulich in einer Kolumne. Die Kolumnistin beschrieb – meiner Meinung nach sehr treffend – wie es ist, wenn frau plötzlich ist, wie sie nie hatte werden wollen und warum sich das alles trotzdem nicht falsch anfühlt, weil es dabei ja um Glück und Wohlbefinden der Kinder geht. 

Solange sich die Schreiberin auf dem Boden ihrer eigenen Erfahrungen bewegte, war der Text wirklich gelungen. Dann aber wagte sie einen Ausblick auf das, was sie von der Zukunft erwartet. Von der Zeit, wenn sie ihre Tage nicht mehr am Rande eines Sandkastens verbringt, sondern wieder ganz relaxed und mit sich selbst im Reinen den Kleinkindmüttern dabei zuschaut, wie sie sich mit ihrem quengelnden Nachwuchs abmühen. Wenn die Kinder erst mal in der Schule seien, schrieb sie, habe frau wieder ganz viel Zeit, sich selber zu finden und das Leben zu geniessen. 

Anstatt an dieser Stelle zu erläutern, warum ich diese Sicht für allzu rosarot halte, zähle ich hier mal auf, was eine, die in dieser angeblich so entspannten Lebensphase angekommen ist, im Laufe einer Woche alles für ihre Selbstverwirklichung getan hat:

  • Beim Abfragen die Grundkenntnisse in Chemie und Physik aufgefrischt
  • Im Home Office die Konzentrationsfähigkeit geschärft, weil einer, der krank ist, sich in voller Lautstärke Filme reinzieht
  • Beim Verfassen von vier Arbeitsblättern für einen, der in der Schule ein wenig Unterstützung braucht, wieder einmal an einem schöneren Schriftbild gearbeitet
  • Beim Elterngespräch der Löwenmutter, die in mir steckt, ein wenig Auslauf gewährt
  • Sich beim Teenie-Romanzen-Filmabend mit der Tochter unglaublich jung gefühlt
  • Dank den Kauf von zwei Beuteln Maisstärke und einer Billig-Körperlotion neue Einblicke in die Experimentierfreude junger Menschen gewonnen
  • Die wundersame Erfahrung gemacht, dass auf dem Fussboden verstreute Maisstärke und mütterliche Nervenstärke friedlich Hand in Hand gehen können
  • Durch bemerkenswerte Zurückhaltung beim Kommentieren von mir gezeigten Teenie-Kleidungsstücken die diplomatischen Fähigkeiten geschliffen
  • Beim frühmorgendlichen „Happy Birthday“-Singen für einen geliebten Teddy endlich mal wieder ein wenig Stimmbildung betrieben
  • Beinahe unglaubliche Toleranz geübt, als eine minderjährige Person, die kurz zum Einkaufen geschickt wurde, ausserhalb der Saison mit Peperoni, Tomaten und Gurken nach Hause kam
  • Aufopferungsvoll den Schwedischkurs frühzeitig verlassen, auf dass der Mann zum Elternabend des Sohns gehen könne

Ich möchte mich keineswegs beklagen über diese vielfältigen Möglichkeiten der Selbstverwirklichung. Ohne sie wäre mein Leben um sehr viel ärmer. Ich bin mir jedoch ziemlich sicher, dass die Schreiberin der oben erwähnten Zeilen sich das mit der Selbstfindung nach der Kleinkindphase deutlich romantischer vorgestellt hat. 

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Redet euch ruhig den Mund fusselig

Wie viele Male muss ein Kind hören: „Du kannst das wirklich gut. Hab keine falsche Scheu, dein Talent zu zeigen“, ehe es eines Tages sagt: „Ich glaube, das sitzt jetzt. Ich sollte mal den nächsten Schritt wagen“?

Wie oft muss einem jungen Menschen gesagt werden: „Trink doch wenigstens ein Glas Wasser und iss eine Frucht, ehe du zur Schule gehst“, bis er oder sie morgens ein paar Minuten früher aus dem Bett kommt, um noch kurz zu frühstücken?

Wie viele Wiederholungen braucht es, bis der Rat „Räum doch gleich kurz deinen Kram weg, sonst dauert das in ein paar Wochen wieder endlose Stunden, bis dein Zimmer aufgeräumt ist“ endlich verstanden und umgesetzt wird?

Wie oft musst du zu deinem Teenager sagen: „Leg dein Handy weg, wenn du lernst, sonst bist du andauernd abgelenkt“, ehe er oder sie eines abends zu dir kommt und sagt: „Kannst du bitte auf mein Handy aufpassen? Ich muss lernen und da kann ich keine Ablenkung gebrauchen“? 

Keine Ahnung, wie oft. Ich habe nicht mitgezählt. Aber inzwischen weiss ich, dass es sich durchaus lohnt, sich in solchen Angelegenheiten den Mund fusselig zu reden. Das Hochgefühl, wenn deine Botschaft endlich angekommen ist, ist nämlich einfach unvergleichlich. 

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Schnuppern

In der Schule befassen sie sich eingehend damit, wie man einen passenden Beruf findet. Sie lernen, eine Bewerbung zu erstellen, wie man ein Telefongespräch führt und worauf in der Berufswelt Wert gelegt wird.

Bei der Berufsberatung finden sie heraus, wo ihre Stärken und Schwächen liegen und welche Berufe für sie in Frage kämen. Zudem bekommen sie einen Haufen Infos: Welcher Ausbildungsweg zum gewünschten Ziel führt, wo die offenen Lehrstellen ausgeschrieben sind und natürlich auch, wo man im Internet die Firmen findet, bei denen man möglicherweise schnuppern könnte

Selbstverständlich führen sie auch mit den Eltern zahllose Gespräche. Was passt zu mir? Wie seht ihr mich? Was traut ihr mir zu? Wo soll ich schnuppern gehen? Was findet ihr besser, weiterführende Schule oder Berufslehre?

Früher oder später kommt bei jedem Teenager der Tag, wo weder Lehrerin, Berufsberaterin noch Eltern helfen können. Er oder sie muss zum Telefon greifen, um zu fragen, ob ein Platz zum Schnuppern frei sei. Ein Telefonat, das viel Mut und Überwindung kostet. Unzählige Fragen, bevor man sich endlich traut: Was soll ich zuerst fragen? Was soll ich sagen, wenn ich dies oder jenes gefragt werde? Glaubst du, die sind nett zu mir, wenn ich anrufe? Ob die wohl wirklich Schnupperstifte nehmen, wenn sie auf der Liste mit den Lehrbetrieben aufgeführt sind? 

Nach langem Ringen mit sich selbst fassen sie sich ein Herz, wählen mit zittrigen Fingern die Nummer, bringen bei der Person, die ans Telefon geht, ihr Anliegen vor – und kommen wenig später mit langem Gesicht zurück in die Küche. In der Firma, die angeblich Lehrstellen anbietet, weiss man nichts von einem Eintrag auf dieser Liste, man soll sich doch bitte anderswo melden. Aber anderswo lautet die Antwort leider nicht anders und weil diese Antworten selten so richtig freundlich rüberkommen, schmilzt das kleine Häufchen Mut, das sich die jungen Menschen angesammelt haben, wie Schnee an der Sonne. 

Bei allem Verständnis, dass eine Firma nicht alle paar Tage einen Schnupperlehrling im Haus haben kann – zuweilen wünschte man sich schon, die Leute, die einen solchen jungen Menschen am Telefon haben, würden sich erinnern, wie schwer es war, zum ersten Mal einen Zeh ins unergründliche Wasser des Berufslebens zu tauchen.

Soll mir keiner weis machen wollen, im zarten Alter von 13 oder 14 sei das irgend jemandem leicht gefallen…

hus