Jawohl, das meine ich ernst! Es ist doch einfach zum Heulen. Die Kinder legen ihr bestes Benehmen an den Tag, zeigen sich von ihrer besten Seite und du freust dich, dass du offenbar doch nicht alles falsch gemacht hast. Weil du solche Freude hast und du weisst, wie wichtig Lob für Kinder ist, sagst du ihnen, wie stolz du auf sie bist und wie toll du es findest, dass sie ihre Sache so gut machen. Du lobst was das Zeug hält. Und welche Schlussfolgerung ziehen die lieben Kinderlein daraus? Sie denken, sie hätten alles falsch gemacht, hätten sich daneben benommen, und sie glauben, dir zeigen zu müssen, dass sie auch anders können.
Heute war wiedermal so eine Situation. Die Nonna hat Lust in die Stadt zu gehen, also ziehen wir alle zusammen los. Ein kurzer Streifzug durch die Läden, ein etwas längerer über den Markt. Die Kinder benehmen sich tadellos, kaufen sich mit dem von der Nonna spendierten Fünfliber Knoblauchwürste und hausgemachten Himbeersirup anstelle von Süssigkeiten. Zur Belohnung gibt’s ein Mittagessen im Migrosrestaurant. Auch hier führen sich die lieben Kleinen tadellos auf (zumindest, nachdem sie vor vollen Tellern sitzen). Einzig der etwa einjährige Bruuunò! vom Nebentisch nervt, beziehungweise seine Mutter, die ständig brüllt: „Bruuunò, vieni qui! Bruuunò, non gridare! Non toccare, Bruuunò! Prendi la macchinina, Bruuunò!“.
Eine ziemlich idyllische Mittagspause also. Bis diese alte Frau auftaucht. Wie das doch schön sei, diesen artigen Kindern beim Essen zuzuschauen! Und an die artigen Kinder gewandt: „Gelt, Kinderlein, ihr macht eurer Mama und eurem Papa weiterhin so viel Freude.“ Die artigen Kinder nicken brav, „Meiner“ und ich starren betreten zu Boden. Wir wissen genau, was jetzt folgen wird. Und tatsächlich: Kaum ist die Frau verschwunden, geht’s los. Der Zoowärter und der FeuerwehrRitterRömerPirat beginnen damit, die Stühle vom Nachbartisch mit grossem Krach über den Boden zu schieben. Luise stänkert lauthals, sie wolle jetzt endlich gehen. Karlsson motzt, die Oliven seien scheusslich. Ja sogar das Prinzchen macht mit und schmeisst beinahe den Servierwagen um. Bruuunò! vom Nebentisch wird plötzlich ganz still. Diese Kinder hier sind ja noch lauter als seine Mama!
Hätte die alte Frau doch bloss nichts gesagt! Sie hätte den Kindern doch wirklich nicht unter die Nase reiben müssen, dass sie von ihnen eigentlich ein anderes Verhalten erwartet hätte. Demnächst hängen wir unseren Kindern ein Schild um den Hals: „Bitte nicht loben!“. Wer unsere Kinder loben möchte, soll es uns ins Ohr flüstern. Oder uns unauffällig ein Post-it zustecken. Wir garantieren, dass wir das Lob an unsere Kinder weiterleiten werden. Spät abends werden wir ihnen erzählen, welch schöne Dinge die Leute über sie gesagt haben. Nach fast neun Jahren Elternschaft haben wir uns das Sprichwort „Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben“ zu Herzen genommen. Gelobt wird erst, wenn die Kinder zu müde sind, um sich Dummheiten auszudenken (mal abgesehen vom kleinen Lob für Zwischendurch zum Überstehen des Tages). Dann aber ausgiebig. Das haben sie nämlich verdient.