Soweit reicht mein Glaube nicht

Es gibt viele Dinge in diesem Leben, die mich aggressiv werden lassen – die Plakatkampagnen der SVP, zum Beispiel, oder Gesprächsfetzen, wie ich sie neulich gehört habe: „Der Chinese, der hält seinen Yuan ja künstlich billig, der Spanier ist zu faul zum Arbeiten, der Schweizer muss jetzt wegen dem starken Franken seine Firmen schliessen und der fleissige Deutsche ist mal wieder der Dumme.“ Auch wenn mir jemand klagt, er sei nun schon seit drei Jahren auf Stellensuche, habe aber nie eine Chance gekriegt „aber ich sehe nicht ein, wozu ich diese Weiterbildung hätte machen sollen, ich bin doch jetzt auch schon sechsundzwanzig“ kann ich mich nur mit grosser Mühe zurückhalten. Und wenn man erst zu klagen anfängt, der Atomausstieg würde unseren hohen Lebensstandard gefährden…

Ja, das alles kann mein Blut ganz schön in Wallung bringen, nichts, aber auch wirklich gar nichts treibt mich jedoch derart in Rage, wie ein Wohnungsputz. Ich kann mir noch so sehr einreden, das alles sei gar nicht so schlimm und in wenigen Stunden erledigt, ich kann mir noch so viele Strategien ausdenken, wie ich diesmal die grosse Wut umgehen kann, kaum halte ich Putzlappen und Feger in der Hand, kocht in mir dieser unbändige Zorn hoch, der sich gegen alles richtet, das mir in die Quere kommt, sei es nun eine harmlose Stubenfliege oder ein noch harmloserer „Meiner“, der wissen will, ob er mal ganz schnell den Staubsauger haben kann, damit wir schneller fertig werden mit dieser elenden Putzerei. Mit sowas muss man mir in dem Moment nicht kommen, so berechtigt das auch Anliegen sein mag, denn mit Putzlappen in der Hand werde ich zur Furie, die sich selber nicht mehr ausstehen kann.

Da helfen weder die Klassische, noch die Anbetungsmusik, die ich zu meiner Besänftigung jeweils laufen lasse. Im Gegenteil, das macht alles nur noch schlimmer, vor allem die Anbetungsmusik, denn das passt ja mal wieder wunderbar zusammen: Giftige Bemerkungen auf der Zunge, ein hasserfüllter Blick auf den elenden Dreck und dazu fromme Musik. Ich kann mir jetzt schon lebhaft vorstellen, wie unsere Kinder dereinst stöhnen werden, wenn sie erwachsen sind. „Putztage waren einfach schrecklich. Die Mama fegte wie ein wild gewordener Bulle durch die Wohnung, motzte jeden an, der ihr in die Nähe kam und dazu hörte sie diese fromme Musik, die wie die Faust aufs Auge passte…“

Das Schlimmste an der Sache ist, dass ich nicht an eine Besserung glaube. Mein Glaube reicht weit – ich habe zum Beispiel die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass die gesamte Christenheit dereinst erkennen wird, dass (Fremden)Hass und Gewalt im Namen Gottes nicht passen zu „liebe deinen Nächsten“ und erst recht nicht zu „liebet eure Feinde und tut Gutes, denen die euch hassen.“ Dass ich aber eines Tages vor dem Putzeimer stehen und zu mir sagen werde „Ist doch alles halb so schlimm, bringen wir’s doch einfach hinter uns“, daran glaube ich immer weniger. Und so kommt es, dass ich mir während der Putzerei all diese Gedanken zur mangelnden Nächstenliebe auf dieser Welt mache und gleichzeitig mache ich meinen allerliebsten Nächsten das Leben schwer, bloss weil ich mich noch immer nicht damit abfinden kann, dass der Dreck weg muss.

Doch kein Silberstreifen

Schon der deutliche Entscheid zum Atomausstieg vor zwei Tagen stimmte mich milde optimistisch. Als ich dann heute beim Abchecken der Mails auch noch mitbekam, dass das Schweizer Fernsehen in Zukunft auf die Ausstrahlung der Miss Schweiz Wahlen verzichtet, weil sich einfach keiner mehr für diesen Schwachsinn interessiert, da dachte ich einen kurzen Moment lang allen Ernstes, die Zukunft unseres Planeten sei vielleicht doch nicht so düster, wie man gemeinhin denkt. Ob es ihn doch gibt, den berühmten Silberstreifen am Horizont? Dann aber, als ich noch etwas weiter im Internet surfte, stach mir ein pinkfarbenes Werbebanner ins Auge. Eine Werbung für irgend einen billigen Prosecco? Oder vielleicht für einen neuen Lippenstift? Weit gefehlt. „4-jähriges Mädchen verstümmelt!“, stand da und ich fragte mich, wie besoffen wohl der Content-Manager dieser Website gewesen sein muss, als er diese schreckliche Botschaft mit einem zuckersüssen Hintergrund versehen hat. 

Und dann war da heute noch das Erlebnis, das Karlsson und ich im Shopping Center machten. Ja, ich geb’s zu, wir waren im Shopping Center, aber nur, weil wir gerade in der Region waren und ich die Gelegenheit nutzen wollte, ein Geburtstagsgeschenk für „Meinen“ zu kaufen. Da fuhren also mein Sohn und ich friedlich plaudernd auf einer nahezu leeren Rolltreppe in Richtung Bücherladen, Karlsson auf beiden Seiten auf das Geländer abgestützt. Leider bemerkten wir zu spät, dass ein gehetzter Rentner an Karlsson vorbeizukommen wünschte. „Das machst du wohl mit Absicht?“, herrschte er Karlsson an, stiess seinen Arm unsanft zur Seite und als ich es wagte, den netten Herrn darauf aufmerksam zu machen, dass mein Sohn gänzlich ohne böse Absichten die gesamte Breite der Rolltreppe in Anspruch genommen hätte, bekamen wir noch so einiges zu hören, was ich lieber nicht hören möchte. Ich möchte das nicht hören, weil ich sehr genau spüre, wann mein Kind etwas aus böser Absicht tut und wann nicht. Ich möchte es aber auch nicht hören, weil in meinen Augen die Haltung „In jedem Kind steckt ein unerträglicher Rotzbengel, der nur darauf aus ist, den Erwachsenen das Leben zu versauen“ absolut lebensfeindlich ist. 

Nach überstandenem Shopping-Trip – eine ziemlich ernüchternde Angelegenheit, denn inzwischen hat auch noch der letzte unabhängige Laden mit originellem Sortiment einer der unzähligen Ladenketten Platz gemacht – , noch einmal ein Abstecher ins Internet. Und was lese ich dort? Der Gemeindeamman eben jener Gemeinde, in der wir shoppen waren, tritt zurück. Er war bedroht worden, offenbar weil er es gewagt hatte, am Schweizer Fernsehen auszusagen, das Zusammenleben mit vielen „Ausländern“ sei eine ganz grosse Bereicherung. So eine Unverschämtheit. Da wagt doch tatsächlich einer anzudeuten, dass man auch mit Menschen fremdländischer Herkunft ganz gut klarkommen kann.

Ich weiss, all die Dinge, über die ich hier schreibe, hängen nicht wirklich zusammen, aber sie alle machen mir klar: Auch wenn es hin und wieder mal eine positive Nachricht geben mag, das mit dem Silberstreifen am Horizont war nur ein netter Traum.

Die Fahne bleibt

Es kommt nicht oft vor, dass ich mit dem Bundesparlament einig gehe, heute aber haben mich die Damen und Herren Ständeräte freudig überrascht, als sie den Entscheid zum Atomausstieg bekräftigten. Die Anti-AKW-Fahne bleibt trotzdem am Balkon hängen – auch wenn meine Mutter findet, etwas stilvoller dürfte der Stofffetzen, hinter dessen Botschaft sie voll und ganz steht, schon sein -, denn es wird ja doch noch ein paar Tage dauern, bis Gösgen & Co. auch tatsächlich vom Netz gehen. Und wer weiss denn schon, ob der Wille zum Ausstieg nach den Wahlen noch gleich gross sein wird wie jetzt, wo alle darauf aus sind, wieder nach Bern gewählt zu werden? Die Fahne also bleibt, auch wenn ich hoffe, dass ich sie eher früher denn später im Mottenschrank verschwinden lassen kann. Hübsch ist sie nämlich wirklich nicht.

Kühltürme aber sind noch hässlicher.

Spinnen die denn?

Nicht, dass ich je in Betracht gezogen hätte, diesen Herbst liberal zu wählen, aber nachdem mir heute unterwegs das Plakat mit dem Slogan „Mehr Leistung in der Schule“ begegnet ist, bin ich noch sicherer als zuvor, dass die Liberalen und ich das Heu nicht auf der gleichen Bühne haben. Ich möchte ja nur zu gerne wissen, woher die Knöpfe die Energie für noch mehr Leistung nehmen sollen, wo sie doch bereits heute in der Oberstufe auf nahezu so viele Schulstunden kommen wie ein Angestellter auf Arbeitsstunden, Hausaufgaben und Prüfungsvorbereitungen nicht eingerechnet. 

Welt, du machst mir Sorgen

Du schlenderst mit deinen Kindern durch Prag und unvermittelt kommen die Fragen: „Mama, warum steht auf diesem alten Schild im Restaurant, dass Gespräche über Politik verboten sind?“ „Warum hätten deine Eltern mit euch nicht einfach mal schnell nach Prag reisen können, als du ein Kind warst?“ „Was bedeutet dieses Poster mit der Matroschka, die ihre Zähne fletscht?“ „Wer hat diese hässlichen Häuser gebaut, die so gar nicht zum Rest der Stadt passen?“ Und schliesslich die Mutter aller dieser Fragen: „Mama, was ist überhaupt Kommunismus?“

Keine einfachen Fragen, aber dennoch solche, die ich gerne beantworte, oder zumindest versuche zu beantworten. Wer erzählt nicht gerne die Geschichte von den Menschen, die sich nach Freiheit sehnten, die sich gegen ihre Unterdrücker aufgelehnt haben und die schliesslich wohl selber erstaunt waren, dass ihr Aufstand erfolgreich war? Es war wohl eine der wenigen Sternstunden der Geschichte, als damals die Grenzen fielen und man plötzlich Zugang zu Menschen, Sehenswürdigkeiten, Landschaften und Geschichten hatte, die eben noch unerreichbar waren. Auch wir rieben uns alle erstaunt die Augen, hatten wir doch in der Schule gelernt, dass es durch den Eisernen Vorhang kein Durchkommen gebe.

Ja, diese Fragen beantwortet man gern. Aber es gibt in diesen Tagen Fragen, die man als Mutter oder Vater nicht beantworten möchte. „Mama, warum tun Menschen so etwas Furchtbares?“ „Könnte so etwas bei uns auch geschehen?“ „Wieso gibt es Menschen, die so sehr hassen?“ „Warum tut ein Mensch, der sagt, er glaubt an den lieben Gott, so etwas Schreckliches?“

Offen gestanden bin ich froh, dass unsere Kinder diese Fragen nicht gestellt haben, denn ich wüsste keine Antwort. Ich bin froh, dass die Schlagzeilen hier in einer Sprache geschrieben sind, die sie nicht lesen können. Ich bin froh, dass ich ihnen jetzt noch nicht erzählen muss, dass es auch in einem Land, das schon immer zur „freien“ Welt gehört hat, lebensgefährlich sein kann, eine politische Überzeugung zu haben. Auch darüber reiben wir uns erstaunt – und erschüttert – die Augen, denn hat man uns nicht immer erzählt, dass bei uns jeder frei sei, zu denken und zu glauben, was er wolle?

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Mitgeströmt

Zwei Gründe haben mich heute, an diesem drückend heissen Sonntag, dazu bewogen, mich mit Karlsson, Luise und dem FeuerwehrRitterRömerPiraten auf die Socken zu machen, um zusammen mit 19996 anderen am Menschenstrom gegen Atom mitzuströmen. Erstens gehört das für mich einfach dazu, war ich doch schon gegen AKWs bevor ich überhaupt wusste, was das ist. Klar, zuerst einmal habe ich einfach die Meinung meiner Eltern nachgeplappert, aber je älter ich wurde, umso klarer wurde mir, dass jedes Kind zum Schluss kommen muss, dass dieses Atom-Spielzeug viel zu gefährlich ist und dass nur Erwachsene so naiv sein können, sich einzureden, dass am Ende schon alles gut kommen wird, auch wenn man momentan noch nicht weiss, wohin mit all dem Mist. Klar also, dass ich dabei bin, wenn sich nach 25 Jahren endlich wieder Tausende dazu aufmachen, ihre Meinung kundzutun. 

Der zweite Grund, weshalb wir heute dabei waren: Politik gehört für mich auch zur Erziehung und so ein bunter, fröhlicher Demonstrationszug mit Musik und Fahnen ist doch perfekt, um den Kindern zu zeigen, dass Politisches nicht einfach trocken und langweilig sein muss. Nun, wie ich rückblickend einsehen muss, ist meine Rechnung nur halbwegs aufgegangen. Ich glaube, beim FeuerwehrRitterRömerPiraten ist es mir gelungen, ein Feuer zu entfachen, obschon ich den Eindruck habe, dass seine Begeisterung mehr dem Fahnenschwingen denn dem Atomausstieg gilt. Die Fahne war es auch, die beinahe dafür gesorgt hätte, dass es an der gewaltfreien Demo doch noch zu Handgreiflichkeiten gekommen wäre. Denn nachdem er ihrer habhaft geworden war, wollte unser Dritter sie nicht mehr aus der Hand geben, auch wenn ich klipp und klar gesagt hatte, dass die Kinder sich abwechseln müssten. Zum Glück zeigten sich Luise und Karlsson ziemlich pazifistisch, so dass die Polizisten, die diskret am Strassenrand stationiert waren, nicht in den Konflikt eingreifen mussten. 

Während der FeuerwehrRitterRömerPirat aus lauter Begeisterung abends mit der Fahne schlafen ging, scheint der Grossanlass bei Luise genau die gegenteiligen Gefühle ausgelöst zu haben. Zuerst war es ihr zu heiss, dann zu langweilig, dann schmerzten die Füsse und schliesslich geriet sie beim Einsteigen in den Sonderzug in die Nähe von drängelnden Senioren, was verständlicherweise eine ziemlich beängstigende Erfahrung war. Nun gut, ihr grosser Wunsch heute Abend war, dass die AKWs bald abgeschaltet werden. Vielleicht, weil sie hofft, dass sie dann nicht mehr zu solchen Veranstaltungen mitgeschleppt wird.

Ein wenig ratlos bin ich bei Karlsson. Er, der schon seit frühester Kindheit gegen den Kühlturm wettert, auf den wir von unserem Küchenfenster beste Aussicht geniessen, zeigte sich erstaunlich teilnahmslos, ja, vielleicht sogar leicht rebellisch. Kaum waren wir auf dem Gelände angelangt, zückte er das iPad, um sich den „Karneval der Tiere“ anzuhören. Gerade so, als wüsste er nicht, dass man zum Aufladen des iPads Strom benötigt. Und auf dem Rückweg motzte er, dass es doch eigentlich sinnlos sei, eine solche Veranstaltung durchzuführen, wo man doch jede Menge Atomstrom gebraucht habe, damit das alles reibungslos ablaufe. Ich fürchtete schon, unser Ältester wolle aus Rebellion gegen seine Eltern das politische Lager wechseln. Aufgeatmet habe ich erst wieder, als er auf dem Heimweg den Vorschlag machte, wir könnten doch noch einen kurzen Abstecher zum Nachbardorf machen, um der Demo gleich Taten folgen zu lassen: „Komm wir gehen und schalten das AKW in Gösgen ab“, schlug er vor und hätte ich gewusst, welchen Knopf man drücken muss, wir hätten es wohl getan…

Frau Mutter

Man könnte ja glauben, dass sich die Menschheit so langsam daran gewöhnt hat, dass Frauen hin und wieder schwanger werden. Zuweilen möchte man hoffen, dass auch die Schweizer Bevölkerung sich damit abgefunden hat, dass eine Frau, die Mutterfreuden entgegensieht, nicht alles stehen und liegen lässt und fortan nur noch auf dem Sofa sitzt, um zu brüten. Man wagt zu denken, dass es niemanden gross stört, wenn eine Schwangere gar hin und wieder das Haus verlässt und zwar nicht nur, um zur Vorsorgeuntersuchung zu gehen oder um sich die Babyausstattung zu besorgen. 

Ein Blick in die Sonntagspresse macht jedoch schnell einmal klar, dass noch fas alles beim Alten ist: Ist Frau Nationalrätin guter Hoffnung, dann liest man nicht mehr, dass „die Nationalrätin am Mediengipfel“ zu Gast war, dann steht da, dass „die schwangere Nationalrätin“ anwesend war. Weil jetzt, wo Frau Nationalrätin mit Fötus unterwegs ist, natürlich alles ganz anders ist. Nun gut, für sie persönlich ist natürlich schon einiges anders geworden. Aber für den Rest des Landes? Nicht wirklich, oder? Es sei denn, man habe Mühe damit, zu verdauen, dass Frau Nationalrätin nach der Geburt des Kindes zwar den Job, nicht aber die Politik an den Nagel hängen will. Und wo kommen wir denn hin, wenn immer mehr Frauen im Parlament sitzen, die auch an die Zukunft ihres eigenen Kindes denken, wenn sie sich die Zähne daran ausbeissen, wie die Schweiz dereinst aussehen soll?

Oh ja, ich weiß, jetzt kommt dann gleich der Einwand, wir hätten in der Schweiz eben ein Milizparlament und da dürfe es nicht sein, dass ein Politiker keinen Job habe, sonst verliere er den Kontakt zum Alltagsleben und werde zum Berufspolitiker. Und da gehen mir natürlich die Argumente aus, denn es ist eine altbekannte Tatsache, dass man im Elfenbeinturm des Familienlebens von der harten Alltagsrealität so gut wie nichts mitkriegt.

Irgendwie anders

Irgendwie ist hier alles ein wenig anders. Nicht vollkommen anders, wir sind ja noch immer in der Schweiz, aber immerhin so, dass es einem auffällt.

Die Dame am Empfang im Museum, die einem keine bösen Blicke zuwirft, wenn man mit dem Kinderwagen reinkommt und die am Ende jedem Kind einen – politisch noch immer vollkommen inkorrekten – Mohrenkopf schenkt.

Der Aufkleber am Lift, mit dem jeder dazu aufgefordert wird, Gehbehinderten, Senioren und Kinderwagenpassagieren den Vortritt zu lassen.

Das Haus mit der frech karierten Fassade, nicht neu, sondern ganz offensichtlich uralt. Und nicht weit davon entfernt das neue Haus, das in Loewenzahngelb erstrahlt.

Der Busfahrer, der einen nicht anschnauzt, sondern freundlich darauf hinweist, dass man mit dem Kinderwagen hinten einsteigen darf. Alleine schon dass man darf und nicht muss….

Der Mann, der „Meinem“ auf offener Strasse zu seinen fünf Kindern gratuliert.

Die Verkäuferin bei H & M, die sich dafür entschuldigt, dass sie nicht sofort gemerkt hat, dass die Kinder kein französisch sprechen. Offen gestanden habe ich zum ersten Mal erlebt, dass man bei H & M überhaupt mit einem Kunden redet.

Viele kleine Dinge, die einen spüren lassen, dass Schweiz nicht gleich Schweiz ist. Und währenddem ich mich noch frage, ob wir uns dies alles bloss einbilden, oder ob hier tatsächlich alles ein wenig freundlicher, ein wenig menschlicher ist, erscheint vor meinem inneren Auge die Schweizerkarte, die jeweils an Abstimmungssonntagen am Fernsehen gezeigt wird. Die Karte, die zeigt, dass man in der französischen Schweiz meist ganz anders abstimmt als in der Deutschschweiz. Die Karte, die „Meinen“ und mich jeweils mit leiser Sehnsucht auf die andere Seite des Röstigrabens blicken lassen, weil dort offenbar ganz viele Gleichgesinnte leben.

Vielleicht sind die Menschen hier gar nicht so viel freundlicher, vielleicht ticken wir einfach ähnlich wie sie.

Mir kommt die Galle hoch

Es ist einfach nur noch widerlich: Bundesrätin Leuthard bezeichnet es in einem Interview als „leichtsinnig, den Verzicht auf Kernenergie zu fordern“, in den Augen von Bundesrat Maurer muss das altersschwache AKW Mühleberg nicht für immer abgeschaltet werden, sondern „wir müssen vielmehr darüber nachdenken, die Erneuerung des Kraftwerks vorzuziehen“ und Ex-Bundesrat Blocher mag auch angesichts der Katastrophe von Fukushima noch nicht von der Illusion der „sauberen Kernenergie“ Abstand nehmen. Ich könnte heulen vor Wut.

So richtig aber kommt mir die Galle hoch, wenn eine Kleinpartei, die sich christliche Werte auf die Fahne geschrieben hat, durch die Katastrophe in Japan zum folgenden Schluss gelangt: “…Vielmehr muss im Interesse einer Verbesserung von Schutz und Sicherheit für Mensch und Umwelt auch ein beschleunigter Ersatz der alten AKWs durch neue Anlagen der 4. Reaktorgeneration ernsthaft geprüft werden.“ Christliche Werte und Festhalten an der Atomenergie – zwei Dinge die sich in meinen Augen ganz klar ausschliessen. Ja, ich weiss, meine Haltung ist extrem, aber ich rede hier nicht als eine, die von aussen mit dem Zeigefinger auf die Christen zeigt, sondern als eine, die sich dazu zählt, die aber darunter leidet, dass man in gewissen christlichen Kreisen zwar dazu steht, an einen Schöpfer zu glauben, gleichzeitig aber kein Problem hat damit, dass die Schöpfung Gefahren ausgesetzt wird, für die sie nicht geschaffen ist.

Lasst mich auch mitreden!

Es war wieder mal typisch. Am Eingang zur Migros stand eine nette Dame, welche die Kunden nach der Kasse abfing, um von ihnen die Meinung über das Sortiment, die Einrichtung des Ladens und die Freundlichkeit des Personals zu erfahren. Es war kurz vor Feierabend und die meisten Kunden wollten nur eins: So rasch als möglich nach Hause gehen und deswegen erteilten sie alle der netten Dame eine Absage. Während ich dabei zusah, wie die Dame verzweifelt nach Opfern suchte, sah ich meine Chancen steigen, dass man endlich einmal mich befragen würde. Nun mögt ihr euch vielleicht an den Kopf fassen und euch fragen, ob ich denn nun vollends durchgeknallt sei. Und das bin ich ja vermutlich auch, denn ich gehöre zu dieser verschwinden kleinen Minderheit in der westlichen Welt, die gerne Fragebogen ausfüllt. Hach, wie ich es liebe, meine Kreuzchen setzen zu dürfen! Wie ich es geniesse, wenn ich endlich mal das zu Papier bringen darf, ob ich mit der Vielfalt des Bio-Angebots zufrieden bin, ob der Laden den Bedürfnissen von Familien gerecht wird, ob ich den Käse lieber abgepackt oder im Offenverkauf kaufen möchte. Ja, so bin ich tatsächlich. Zu den Dingen, die mir wichtig sind, möchte ich gerne meine Meinung sagen und da mir gutes und gesundes Essen heilig ist, habe ich auch zu ziemlich jeder Frage, die den Einkauf betrifft, eine Meinung, die ich den Verantwortlichen gerne mitteilen möchte.

Natürlich ist das nicht das einzige Thema, das mich interessiert. Ich würde mich auch liebend gerne dazu äussern, welcher Partei ich bei den Wahlen im Herbst meine Stimme geben werde, ob ich für oder gegen eine Einheitskrankenkasse bin und ob ich wünsche, dass die Schweiz sofort aus der Atomenergie aussteigt. Diese Umfragen werden gemacht, ich weiss es ganz genau. Wie sonst könnte man dann in der Zeitung schreiben, dass soundsoviele Prozent der Schweizer Bevölkerung der Meinung sind, dass man die Einfuhr von ausländischen Kartoffeln per sofort verbieten soll? Und jedes Mal, wenn ich so ein Umfrageergebnis sehe, frage ich mich, weshalb die mich nicht gefragt haben. Weil ich doch so gerne Fragebogen ausfülle. Und weil ich den Verantwortlichen so gerne den einen oder anderen Tritt gegen das Schienbein verpassen möchte.

Nicht, dass ich nie die Gelegenheit hätte, bei Umfragen mitzumachen. Im Gegenteil, in meiner Mailbox landet fast jede Woche ein Fragebogen. Aber was will man dort von mir wissen? „Welches der genannten Waschmittel duftet Ihrer Meinung nach am frischesten?“ oder „Wie zufrieden sind Sie mit dem Grauton, den Ihre Bank für den neuen Werbeprospekt gewählt hat?“ oder „Welche Vorsorgeeinrichtung hat Ihrer Meinung nach den überzeugendsten Internetauftritt?“ Lauter solchen Mist fragen die mich, aber zu den entscheidenden Fragen des Lebens fragen sie immer die anderen und dann muss ich mich wieder darüber aufregen, dass die Mehrheit der Befragten so anders denkt als ich. Gut, wenn ich hätte mitmachen dürfen, sähe das Resultat wohl nicht viel anders aus, weil ich ja nur eine von vielen Befragten wäre, aber immerhin hätte ich dann das Gefühl, dass ich mich darum bemüht habe, eine andere Meinung zu vertreten. Aber wenn man mich nicht mal mitreden lässt…

Heute aber beim Einkauf war ich mir ziemlich sicher, dass ich für einmal mitreden dürfte. Damit die verzweifelte Dame, die kein Opfer finden konnte, auch bestimmt auf mich zukommen würde, machte ich ein besonders freundliches Gesicht und liess mir sehr viel Zeit beim Einpacken. Gut, allzu schnell ging es ohnehin nicht vorwärts, da der Zoowärter versuchte, mir zu helfen, was die ganze Packerei erheblich verlangsamte. Doch während wir beide am Einpacken waren, geschah das Unvorstellbare: Die Dame mit den Fragebogen konnte sich auf einmal der Opfer nicht mehr erwehren und als ich mich zum Gehen wandte, sassen da vier Kundinnen am Tisch, die alle eifrig ihre Fragebogen ausfüllten und für mich war kein Platz mehr. Einmal mehr durften alle anderen ihren Spass haben, nur ich durfte wieder keine Kreuzchen auf den Fragebogen setzen, um meine Meinung kundzutun. Dabei rede ich doch so gerne mit.

Noch irgendwelche Fragen, weshalb ich fast jeden Tag blogge?