Schlechte Nacht?

Heute wieder mal einer für die Rubrik „peinliche Anrufe aus dem Lehrerzimmer“:

„Frau Venditti, hatte ihr Kind eine schlechte Nacht?“

„Äääääh, ich weiss nicht so recht. Ich habe da schon so ein Rumoren gehört…“

„Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, das Kind macht mir einen ganz zufriedenen Eindruck und es sagt auch, es gehe ihm gut. Aber es ist jetzt … na ja, wie soll ich sagen?… also… es ist zweimal hintereinander regelrecht eingepennt. Ist es für Sie in Ordnung, wenn ich es nach Hause schicke?“

„…“

Wo, um Himmels Willen, sind diese Erdlöcher zum Verkriechen, wenn man sie mal dringend braucht?

Und nein, ich verrate nicht, wer es war…

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Ende des Tunnels?

Nach zahllosen Elterngesprächen, bei denen wir am Ende wie geschlagene Hunde aus dem Schulzimmer schlichen, weil es ja nicht von nichts kommen kann, wenn es mit einem Kind nicht so läuft, wie die Schule das gerne hätte,…

Nach so manchem furchtbar peinlichen „Frau Venditti, wir müssen reden“-Anruf,…

Nach vielen Terminen mit Experten, bei denen wir gelegentlich vollkommen entspannt und aufnahmefähig rechtzeitig im Wartezimmer sassen, in der Regel aber verschwitzt, leicht gereizt und mit einem Trupp kleiner Kinder im Schlepptau angerast kamen,…

Nach stundenlangem Brüten über Abschlussberichten, Standortbestimmungen, Untersuchungsergebnissen, Verordnungen und Formularen,…

Nach gefühlten zehntausend Tagen, an denen wir nicht mehr ein und aus wussten, weil Kind und Schule einfach nicht kompatibel zu sein schienen,…

Nach endlosem Gejammer und Geklöne, das sich Freunde und Verwandte von uns anhören mussten,…

Nach wunderschönen, mutmachenden Worten von lieben Menschen, die unser Gejammer und Geklöne auch beim hundertsten Mal noch ernst nahmen,… 

Nach mehreren intensiven Expertenrunden, bei denen zwar alle Beteiligten sehr guten Willen zeigten, die Grenzen des Machbaren aber doch wenig Spielraum für echte Veränderungen boten,…

Nach zornigen Ausbrüchen, weil einen bei der Starre des Systems und dem ewigen Dreinfunken des Kantönligeistes ein Gefühl der Ohnmacht überfällt,…

…sieht es endlich so aus, als gebe es einen richtig guten Ausweg aus dieser miesen Sackgasse. Und jetzt, wo wieder Licht ins Dunkel fällt, erkennt man, dass es zwischen all den Paragraphen und Verordnungen des Volksschulgesetzes halt auch Menschen gibt, denen das Wohlergehen eines Kindes wirklich am Herzen liegt.

So etwas muss auch einmal gesagt sein. 

fagel

 

Schwärmerisches Geschwätz

Jetzt gehöre ich also auch schon zu den Menschen, die – kaum befinden sie sich mal wieder in den heiligen Hallen einer höheren Bildungsanstalt -, mit verklärtem Lächeln verkünden, eine schönere Zeit als die vier Jahre am Gymnasium gebe es nicht. So frei sei man da, so wissbegierig, so entspannt. Wenn ich könnte, würde ich die Zeit sofort zurückdrehen, behaupte ich, und natürlich kann ich es mir nicht verkneifen, die eine oder andere Anekdote von damals zum Besten zu geben. Ach, was gäbe ich doch drum, noch einmal so unbeschwert und jung zu sein…

Und wie ich mich so schwärmen höre, wird mir bewusst, wie furchtbar alt ich mit meinem schwärmerischen Geschwätz wirken muss. So alt eben, wie Menschen wirken, die ihre Jugendjahre nur noch durch die rosarote Brille betrachten und so tun, als hätte ihnen der Kampf um eine anständige Mathenote damals  nicht ganz fürchterlich zugesetzt.

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Wenn der töchterliche Ehrgeiz erwacht,…

… und gute Noten nicht nur dort gewünscht sind, wo ein Vendittti mit wenig Anstrengung auf einen grünen Zweig kommt, sondern auch dort, wo man erst einmal nur Bahnhof versteht, also zum Beispiel in Physik,…

… dann findest du dich als Mutter am Sonntagabend plötzlich nicht mehr hinter deiner Sonntagszeitung wieder, sondern am Esstisch, wo deine Tochter verzweifelt versucht, aus den Notizen schlau zu werden, die schon im Unterricht keinen Sinn ergeben haben.

Tja, und dann versuchst du eben, mit dem Wenigen, das du vor Jahren nicht begriffen hast, du aber heute halbwegs verständlich findest, ihr zu erklären, weshalb die Geschwindigkeit als zusammengesetzte physikalische Grösse bezeichnet wird und wie sie ausrechnen muss, wie weit ein Gepard in einer Stunde kommt. 

Es ist zu hoffen, dass Karlsson, der sich ebenfalls an den Erklärungsversuchen beteiligte, dabei aber für mehr Verwirrung sorgte, weil er irgend etwas von SI-Einheiten brabbelte und andauernd die Stirne runzelte, wenn die mütterlichen Ausführungen etwas anders formuliert waren als diejenigen seines Physiklehrers,

… der von Physik ähnlich wenig versteht wie seine Mutter, dessen rudimentäres Verständnis aber noch nicht verschüttet ist von ganz viel Leben, in dem die Theorie von v = s / t eine untergeordnete Rolle spielt, weil man ohnehin kaum zum Denken kommt bei diesem rasenden Alltagstempo, 

… und der es auch noch wagt, zu behaupten, er fände Physik eigentlich ganz spannend, er habe einfach noch nicht so ganz den Zugang dazu gefunden,…

… dass also dieser Karlsson begriffen hat, weshalb er im Physikunterricht gefälligst ganz gut aufpassen und viel lernen soll. Entgegen der landläufigen Meinung braucht man das Zeug eben doch irgendwann im Leben wieder. Nämlich dann, wenn man dem eigenen Nachwuchs –  der sich gerade fragt, wozu er das Zeug lernen soll, weil man das ja doch nie wieder im Leben braucht – zu guten Noten verhelfen sollte. 

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So ist er halt, der Kantönligeist

In diesem wunderbaren Land, in dem wir leben, kann es dir passieren, dass dir an einem Elterngespräch, bei dem es um die Zukunft deines auf spezielle Förderung angewiesenen Kindes geht, gesagt wird: „Ja, die Lösung, die wir jetzt skizziert haben, wäre wirklich ideal und wir denken, Ihrem Kind würde das sehr viel helfen, aber da zwischen Ihrem Wohnort und der drei Kilometer entfernten Schule die Kantonsgrenze liegt, können wir nicht garantieren, dass dies bewilligt wird.“ Die Alternative? Weiterhin irgendwie durchbeissen. Oder einen Schulweg von 40 Kilometern in Kauf nehmen. Oder selber irgend eine Lösung finden.

Manchmal könnte ich ihn erwürgen, diesen Kantönligeist. 

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Musste das wirklich sein?

Ja, mich ärgert das auch mit diesen Vollidioten, die glauben, sie müssten als Clowns verkleidet Angst und Schrecken verbreiten.

Ja, ich frage mich auch, in was für einer Welt wir eigentlich leben, wenn Menschen auf solche hirnverbrannten Ideen kommen.

Ich frage mich allerdings auch, ob es sinnvoll ist, wenn die Medien der Sache so viel Aufmerksamkeit schenken, dass andere Vollidioten finden, sie müssten das jetzt auch machen.

Und ich frage mich, ob es klug ist, wenn Eltern ihren Kindern des Langen und Breiten von dieser Sache erzählen. Ich, für meinen Teil, habe mich entschieden, nur mit den Grossen, die selber in den Medien davon erfahren haben, darüber zu reden. Für die Kleineren hätte ich es vorgezogen, wenn sie Clowns weiterhin nur als Spassmacher im Zirkus kennen würden.

Aber ich hatte keine Wahl, denn offenbar gibt es in einigen Familien kein anderes Thema mehr, was dazu führt, dass es auf dem Pausenhof auch kein anderes Thema mehr gibt, was wiederum dazu führt, dass es auch an unserem Esstisch kein anderes Thema mehr gibt, was zur Folge hat, dass das Prinzchen sich abends nicht mehr in sein Bett traut.

Nein, es macht mir nichts aus, wenn er bei uns schläft. Aber auf die Angst, die ihn dazu treibt, in unserem Bett zu schlafen, hätte ich ganz gerne verzichtet.

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Lest heute wiedermal anderswo

Wir versuchen gerade, endlich in Herbstferienstimmung zu kommen, darum gibt’s heute nur den einen Text von mir und zwar auf hier, auf swissmom.ch.

 

Entlarvt

Gestern im Zug eine Schülergruppe, begleitet von zwei Erwachsenen. Eine der beiden Frauen perfekt getarnt, damit sie unter den vielen jungen Menschen nicht so mittelalterlich aussieht, wie sie ist. Also eine Latzhose, die an den richtigen Stellen zerrissen ist und nur an einem Träger hängt, Jeansjacke, top moderne Sonnenbrille, an den Füssen ein Paar dieser schrecklichen Sneakers, die eigentlich aussehen wie orthopädische Schuhe und die trotzdem der letzte Schrei sind bei den Teenagern. Erst als sie zu reden anfängt, kann sie nicht mehr verbergen, welcher Generation sie angehört: „Hattet ihr denn viele schwierige Proben?“, fragt sie. Proben? Himmel, wer so genau weiss, wie sich die heutige Jugend kleidet, sollte auch wissen, dass kein Mensch mehr Proben schreibt. Tests, oder vielleicht auch Lernzielkontrollen, aber ganz bestimmt keine Proben.  

Es ist halt doch so, wie es immer schon war: Alle Anstrengungen, nicht alt aussehen zu wollen, helfen nichts, wenn man noch immer die Sprache seiner eigenen Jugendzeit spricht. (Was ja nicht verboten wäre. Mann sollte dann einfach nicht so krampfhaft darum bemüht sein, cool zu wirken.)

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Die sind imfall schon fast erwachsen

Es ist zwar schon eine Weile her, aber die Sache geht mir trotzdem nicht aus dem Kopf. Da sitze ich mit Karlsson in dieser Infoveranstaltung. Scharenweise sind die Teenager gemeinsam mit ihren bereits leicht angegrauten Eltern in die Aula gekommen, um zu lauschen, was ein Lehrer über Auslandaufenthalte, Eigeninitiative und Projektarbeiten zu sagen hat. Wie bei solchen Veranstaltungen üblich, gibt es am Ende Gelegenheit, Fragen zu stellen. Ein Vater hebt die Hand und will wissen: „Können Sie garantieren, dass die Kinder bis zum Ende ihrer Schulzeit mit den gleichen Gspänli in der Klasse bleiben werden?“

Himmel, diese „Kinder“ und „Gspänli“ stehen an der Schwelle zum Erwachsenenalter, einige von ihnen werden vielleicht schon bald für ein paar Monate alleine ins Ausland gehen, manche sind alt genug, um sich ganz legal Bier zu kaufen. Wäre es da nicht allmählich an der Zeit, nicht mehr über sie zu reden, als hätten sie eben erst ihren ersten Kindergartentag hinter sich?

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Geht doch…

Als Luise in der dritten Klasse zum ersten Mal Französischunterricht hatte, verflog die Freude schon nach kurzer Zeit. Weil die Kinder mit Spiel und Spass an die Sprache unserer Landsleute herangeführt werden sollten, verzichtete das Lehrmittel auf alles, was nur im Entferntesten an Büffeln erinnern könnte und so hatte unsere arme Tochter bald ein unglaubliches Wirrwarr im Kopf. Trotz grundsätzlicher Befürwortung des frühen Sprachunterrichts, begannen „Meiner“ und ich am Sinn der Französischlektionen zu zweifeln.

Beim FeuerwehrRitterRömerPiraten sah es leider nicht viel anders aus und so fing „Meiner“ an, kritische Fragen zu stellen. Er müsse dem Lehrmittel eben eine Chance geben, meinte die Lehrerin, dann werde sich der Lernerfolg schon einstellen. Wir blieben trotzdem skeptisch, denn es wollte uns nicht einleuchten, weshalb unsere Kinder zwar wussten, was „Lautmalerei“ und“Verkehrskreisel“ auf französisch heisst, jedoch nach zwei Jahren nicht sagen konnten, wie sie heissen, wo sie wohnen und was sie gerne tun. 

Beim Zoowärter sah es im ersten Jahr nicht viel anders aus. Das Kind erledigte seine Hausaufgaben mit Widerwillen, verstand kein Wort und hatte im Grunde genommen keine Ahnung, was das alles sollte. Dann bekam er eine neue Lehrerin und plötzlich kam Bewegung in die Sache. Wenn einer fragt, was das Wort „Cocktail“ bedeutet, weist er darauf hin, das müsse doch etwas mit „le coq“ zu tun haben, auf einfache Fragen weiss er eine Antwort und inzwischen sieht es gar so aus, als würde ein für die ganze Klasse verbindlicher Grundwortschatz aufgebaut. (Nein, so etwas ist leider nicht mehr selbstverständlich. Macht ja keinen Spass, Vokabeln zu büffeln.) Und weil er jetzt zu verstehen beginnt, was das alles soll, kommt allmählich die Freude an der Sprache auf. 

Sieht ganz danach aus, als könne man auch mit schlechten Lehrmitteln guten Frühfranzösich-Unterricht machen. 

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