Verkabelt

Zurzeit habe ich öfters mit Teenagern und solchen, die es werden wollen, zu tun. Nein, ich meine nicht meine eigenen Kinder, die sind noch zu klein dafür. Und darum bin ich wohl auch noch nicht blind geworden für die Eigenarten, die heutige Teenager so haben. Besonders auffällig ist diese Verkabelung: Weisse Kabel mit je einem Stöpsel am Ende. Mal baumeln die Stöpsel schlaff herunter, dann wieder steckt einer im Ohr, das andere Kabel ist um die Ohrmuschel gewickelt, damit es nicht in den Weg kommt. Und natürlich auch, damit man das langweilige Gelaber des Erwachsenen, der noch immer nicht begriffen hat, dass der Teenager jetzt lieber Musik hören will, nur auf einem Ohr zu hören braucht. Zuweilen baumeln die weissen Kabel auch einfach in der Gegend herum und man wundert sich, dass sich noch kein Halbwüchsiger so sehr in seiner Verkabelung verfangen hat, dass er ein ähnliches Ende wie Absalom genommen hat: Hängen geblieben, nicht an der eigenen Lockenpracht, sondern an der eigenen Verkabelung.

Es ist ganz klar: Ich werde langsam alt. Kein Verständnis mehr für die technischen Veränderungen der Neuzeit und noch kein Verständnis für die Veränderungen, die unweigerlich noch kommen werden und denen ich mich nicht werde verschliessen können, will ich meine eigenen Kinder dereinst noch verstehen. Rede ich mit einem dieser verkabelten Teenager fühle ich mich stets leicht verunsichert, denn ich weiss nie so recht, ob er mich hören kann oder nicht. Und dann denke ich wehmütig an die alten Zeiten zurück, als die Batterien meines Walkmans gerade mal für zwei oder drei Kassetten reichten. Danach klang die Stimme von Eros Ramazzotti oder von Michael Jackson wie Katzengesang. Okay, böse Zungen behaupteten damals, diese Musik sei auch mit neuen Batterien nichts als Katzengesang, aber ich liess mich nicht beirren und lauschte bis zum bitteren Ende, bis der Walkman keinen Ton mehr von sich gab. Und dann musste man wieder warten, bis man genug Taschengeld hatte, um sich neue Batterien zu kaufen. Genügend Zeit, um für die Umwelt wieder ansprechbar zu sein; eine wundervolle lange Pause ohne Stöpsel im Ohr. Was bin ich froh, dass mein Walkman noch kein Ladegerät hatte.

Um Eines aber beneide ich die verkabelte Jugend: Hat man so viel Übung im Umgang mit sich verheddernden Kabeln, kommt man bestimmt auch besser mit Infusionsschläuchen zurecht, wenn man dereinst alt und gebrechlich ist.

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