Ämtliplan

Glaubt mir, ich war von Anfang an dagegen, dass wir unseren Kindern einen Ämtliplan machen. Ein Ämtliplan, liebe deutsche Leserinnen und Leser, ist ein Plan, in dem eingetragen wird, welches Kind wann welche Hausarbeit erledigen muss. Ich weiss, viele Familien schwören auf solche Pläne. Mir aber waren sie seit jeher suspekt. Schon damals, als ich noch ein Kind war und mir nicht sicher war, ob das nun Äntliplan (Entchenplan) oder Ämtliplan heisst. Später, als ich Mutter wurde, schwand meine Skepsis nicht, denn wenn ich schon selber nicht die Disziplin aufbringen kann, mich in Haushaltsfragen an einen Plan zu halten, wie soll ich erst überwachen, ob die Kinder schön brav tun, was sie tun sollten? Jetzt aber, wo „Meiner“ sich so langsam darauf einstellt, Teilzeit-Hausmann zu werden, musste ich ihn wohl oder übel gewähren lassen, als er beschloss, dass unsere Kinder ab sofort alle zwei Tage eine neue Aufgabe übernehmen sollten: Tisch abräumen, Lavabo und WC putzen, Schuhe aufräumen, Grünabfall heruntertragen, Bilderbücher aufräumen. Versteht mich nicht falsch, auch ich will, dass unsere Kinder bei diesen Dingen mithelfen und auch an den Tagen, an denen ich der Chef im Hause bin, müssen sie mit anpacken. Nur verläuft bei mir nichts nach Plan, sondern nach Aufgaben, die eben gerade erledigt werden müssen. Deshalb wurde mir, als ich den Plan sah, ein wenig mulmig und mein Gefühl sollte mich nicht täuschen: Der erste Tag mit Ämtliplan war ein Debakel.

Zumindest aus meiner Sicht, die Kinder machten nämlich erstaunlich motiviert mit. Nur scheint es, dass sie das Ganze auf etwas eigenwillige Art und Weise interpretieren. Der Zoowärter, zum Beispiel, hat heute und morgen die Pflicht, nach jeder Mahlzeit beim Abräumen des Esstischs zu helfen. Er sei heute und morgen der Küchenchef, verkündete er voller Stolz und dann erklärte er uns auch sogleich, was er unter seinem Amt versteht: „Wenn der FeuerwehrRitterRömerPirat und Luise am Tisch streiten, dann sage ich ihnen, dass sie aufhören müssen. Und wenn die anderen zu laut sind, dann sage ich, dass sie ruhig sein müssen.“ Während seiner Ausführungen sass er seelenruhig am Tisch und sah dabei zu, wie „Meiner“ und ich seine Arbeit erledigten. Unsere Ermahnungen, dass zum Amt des Küchenchefs auch das Abräumen des Tisches gehöre, überhörte er geflissentlich.

Während der Zoowärter – ähnlich wie seine Mutter übrigens – lieber über Hausarbeit redet, als sie zu erledigen, stürzten sich Lusie und der FeuerwehrRitterRömerPirat mit so viel Eifer in ihre neue Aufgabe, dass bald schon die Fetzen flogen. Luise, die eigentlich nur schnell mit einem feuchten Lappen das Lavabo hätte abwischen müssen, bestand darauf, dass sie auch noch das WC und sämtliche Spiegel mit Putzmittel und Haushaltpapier reinigen wolle. Gleichzeitig entdeckte der FeuerwehrRitterRömerPirat beim Aufräumen der Bilderbücher, dass die Salontischchen und die Wohnzimmerfenster nicht ganz blitzblank waren, was er unmöglich so sein lassen konnte. Ich meine, immerhin hatte er eine wichtige Aufgabe zugeteilt bekommen, die er nun auch seriös erledigen wollte. Dumm war nur, dass Luise weder Putzmittel noch Haushaltpapier hergeben wollte und dass Mama, die miserable Hausfrau, keine zweite Garnitur zur Hand hatte. Und so zankten sich die zwei um die letzten Fetzen der Küchenrolle und um die Sprühflasche, die keiner von beiden aus der Hand geben wollte, wenn er sie mal geschnappt hatte. Dass diese zwei so karriereversessen sind, hätte ich wohl ohne diesen Ämtliplan nie herausgefunden, aber ich versichere euch, dass ich nach einem anstrengenden Arbeits- und Familientag, an dem ich auch noch die Kinder alleine ins Bett bringen musste, ganz gerne darauf verzichtet hätte, kurz vor acht Uhr abends diesen Charakterzug in meinem zweiten und meinem dritten Kind zu entdecken.

Nun mögt ihr ja vielleicht denken, das mit dem Ämtliplan sei doch ein durchschlagender Erfolg, denn Kinder, die mehr tun wollen, als man von ihnen verlangt, seien doch viel besser als Kinder, die sich weigern, einen Finger krumm zu machen. Und bis zu einem gewissen Grad teile ich diese Meinung ja auch. Aber mir wurde heute zum ersten Mal bewusst, dass meine Tage als halbherzige Hausfrau wohl gezählt sind. Bald wird es nämlich heissen: „Los, Mama, pack mal mit an. In diesem Haus sieht’s ja aus wie in einem Schweinestall. Und glaub bloss nicht, wir würden all die Arbeit alleine machen. Du lebst hier doch nicht im Hotel…“

Frau, Kind und Job

Ist frau kinderlos und vollzeitlich berufstätig, dann kommt irgendwann der Tag, an dem sie glaubt, gestresst zu sein. „Vom frühen Morgen bis zum späten Abend immer nur Arbeit“, seufzt sie „und wenn man abends nach Hause kommt, sollte man auch noch haushalten. Ich glaube, ich werde schwanger, schmeisse meinen Job und geniesse das Glück im trauten Heim.“

Also bekommt frau ein Kind, gibt sich voll und ganz der neuen Aufgabe hin, stillt, so lange sie kann, kocht Bio-Brei, steht nachts zehn mal auf, geht täglich an die frische Luft, hält die Wohnung blitzsauber, damit auch ja keine verschluckbaren Kleinteile in der Wohnung herumliegen, die das Leben des Krabbelkindes gefährden. Rund um die Uhr ist sie im Einsatz und eines Tages, vielleicht schon beim ersten Kind, vielleicht aber auch erst beim Dritten, dämmert ihr, dass sie früher, als sie noch berufstätig war, keine Ahnung davon hatte, was Stress ist. „Wie war ich doch naiv damals“, schimpft sie mit sich selber. „Ich glaubte, gestresst zu sein, dabei war damals alles noch so schön überschaubar. Ich glaube, ich suche mir einen Job. Damit ich hin und wieder ein wenig entspannen kann.“

Wenn frau Glück hat, findet sie tatsächlich einen Job. Wenn sie noch mehr Glück hat, findet sie auch noch einen Krippenplatz dazu. Und wenn sie sehr viel Glück hat, dann hat sie einen Mann, der sein Pensum reduzieren kann, so dass sie ihr sauer verdientes Geld nicht gleich wieder in der Krippe abliefern muss. Frau hat jetzt also beides, ihr geregeltes Leben als Berufstätige mit fixem Einkommen, bezahlten Ferien und geregelten Arbeitszeiten und ihr Leben als Mutter mit fröhlichen Bastelnachmittagen, Ausflügen in den Zoo und gemütlichen Kaffeerunden mit anderen Müttern. So zumindest hat sich das frau vorgestellt, als sie wieder berufstätig geworden ist: Von beiden Welten das Beste. Das perfekte Leben also.

Woran frau nicht gedacht hat: Kinder halten sich selten an geregelte Arbeitszeiten. Ihnen wird nicht erst dann übel, wenn Mamas Sitzung vorbei ist. Chefs nehmen wenig Rücksicht auf Stundenpläne. Sie verschieben die Sitzung nicht, weil das Kind im Kindergartentheater einen Auftritt als Wal hat. Sie hat also nicht nur von beiden Welten das Beste, sondern auch von beiden Welten den Stress. Und endlich begreift frau, dass zwischen 25 und 55 – die Zahlen können je nach Lebensentwurf variieren- ein Leben ohne Stress bloss ein schöner Traum bleiben wird.

Mutlos

Da habe ich doch gestern Abend all meinen Mut zusammengenommen und  habe mich um Viertel vor elf ins Bett verkrümelt, wo ich nur gerade zehn Minuten gelesen habe, bevor mir die Augen zufielen. Eine wahrlich mutige Tat, die aber gewisse Menschen in „Meiner“ Familie nicht mit einer Tapferkeitsmedaille belohnen, sondern damit, dass sie mich daran hindern, die mutige Tat auch zu Ende zu führen. Als ich nämlich meinen müden Kopf auf das Kissen legte, kam nicht der Schlaf, sondern das Prinzchen, das so gar nicht verstehen konnte, dass Mama schon so früh Feierabend machen wollte und gar keine Lust verspürte, mit ihm, der immerhin schon vier Stunden tief und fest geschlafen hatte, ein wenig Spass zu haben. Zuerst tat er ja noch dergleichen, als wolle er einfach neben mir liegen und dösen, aber bald schon wurde ihm dies zu langweilig und er versuchte, mir meine Brille aufzusetzen, das iPad mit den Füssen anzuschalten, mein Kissen zu stehlen, auf meinem Rücken „Joggeli chasch au riite?“ zu spielen und mich davon zu überzeugen, dass ich jetzt gleich das Bett verlasse, um ihm einen Kakao zu machen, wo er doch genau weiss, dass es nachts keinen Kakao gibt.

Ihr mögt mich getrost einen Feigling schimpfen, aber heute Abend lasse ich mich nicht noch einmal auf das Abenteuer „Früh schlafen gehen“ ein. Sitze ich um elf noch auf dem Sofa, wenn das Prinzchen seine Nachtrunde dreht, dann mag das Ganze ja noch als herzig durchgehen. Liege ich aber um dieselbe Zeit im Bett und suche den Schlaf, dann nervt es mich nur, dass da ein kleiner Schlafräuber ums Bett schwirrt, über meinen Rücken klettert und an meine Haaren zerrt. Weil ich aber dennoch ganz dringend mehr Schlaf brauche, habe ich beschlossen, mir eine neue Freizeitbeschäftigung zuzulegen: Es lebe der Mittagsschlaf!

Jetzt muss ich nur noch herausfinden, wo ich die Freizeit herholen soll, um mein neues Hobby zu pflegen…

Heute bin ich mal ganz mutig…

Schon seit dem späten Nachmittag schwirrt die Frage durch meinen Kopf: Soll ich es wirklich wagen, oder soll ich nicht besser bei meinen alten Gewohnheiten bleiben? Was, wenn mir die Sache so viel Spass macht, dass ich es morgen wieder tun will? Und übermorgen auch und überübermorgen gleich noch einmal? Was, wenn sich da eine Sucht in mein Leben frisst, die ich mir dann nicht mehr so leicht abgewöhnen kann?

Andererseits haben mir schon viele Leute dazu geraten, es mal zu probieren. Leute, die ganz glücklich und ausgeglichen scheinen. Leute, die ich respektiere und die mehr vom Leben verstehen als ich. Leute, die das Tag für Tag tun und dabei ziemlich fit und gesund aussehen. Fitter und gesünder als ich allemal.

Vielleicht könnte es nicht schaden, die Sache mindestens einmal auszuprobieren. Einmal ist bekanntlich keinmal, also werde ich nicht gerade mein Leben ruinieren, bloss weil ich mal schaue, wie es sich anfühlt. Und meines Wissens ist die Sache auch nicht schädlich.

Okay, ich glaube, ich tu’s jetzt einfach, egal, was die Konsequenzen sein mögen: Ich gehe heute vor Mitternacht schlafen.

Ihr seid auch ganz sicher, dass das nicht gefährlich ist?

Schluchz!

Die ersten Tränen hatte Luise bereits vorgestern vergossen, doch als sie heute den ganzen Vormittag über ziemlich aufgeräumt und glücklich erschien, dachte ich, dass wir den schweren Abschied von unserem Au Pair vielleicht ohne weitere Tränen überstehen würden. Doch dann, etwa fünfzehn Minuten vor der Abfahrt, brach der Damm erneut und Luise sass schluchzend und schniefend auf des Au Pairs Schoss. Wir anderen sassen betreten daneben, hätschelten und trösteten Luise und lenkten uns damit von unserer eigenen Traurigkeit ab.

Doch dann, als das Au Pair ins Auto stieg, Luise noch herzzerreissender schluchzte und uns allen klar war, das es jetzt wirklich ernst galt, konnten auch „Meiner“ und ich nicht mehr anders, als ein paar Tränen zu verdrücken. Karlsson wartete noch, bis das rote Auto ausser Sichtweite war, dann rannte auch er schluchzend nach oben, wo er dem Au Pair einen ersten Brief schrieb. Das Schreiben beruhigte unseren Ältesten, worüber ich sehr froh war, denn inzwischen lag der FeuerwehrRitterRömerPirat mit Herzschmerz auf dem Sofa. Bei jedem Versuch, ihn zu trösten, kam eine neue Welle der Traurigkeit über ihn, die natürlich auch mich mit sich riss. Einzig das Prinzchen und der Zoowärter heulten nicht, aber die werden auch erst in den kommenden Tagen verstehen, dass das Dachzimmer jetzt leer, der achte Platz am Tisch nicht mehr besetzt ist.

Ich weiss, dass ein Abschied genau so sein muss, wie er heute war: Traurig, aufwühlend, schmerzhaft. Wäre man fröhlich oder gar erleichtert, wäre dies ein schlechtes Zeichen. Die Geschichten von Gasteltern und Au Pairs, die sich zum Schluss nur noch aus dem Weg gehen und die einander keine Träne nachweinen, kennen wir alle und ich bin von Herzen dankbar, dass es bei uns nicht so war. Einen Abschied unter Tränen erlebt man nur nach einer sehr guten Zeit. Doch dieses Wissen macht die Tatsache, dass diese sehr gute Zeit jetzt zu Ende ist, nicht weniger traurig.

 

Im Dienste des Prinzen

Es fragt sich ja schon, weshalb ich mir eigentlich eine berufliche Herausforderung zulegen musste, wo doch die Aufgabe als Leibwache und Kammerzofe des Prinzchens herausfordernd genug ist. Meist fängt es schon in den frühen Morgenstunden an, wenn alle Bediensteten des jungen Herrn noch im Bett liegen, der junge Herr aber wegen einer vollen Windel nicht mehr im Bett liegen mag. Nun würde man ja erwarten, dass so ein kleiner Adliger ein Gebrüll anstimmt, um all sein Personal herbeizurufen. Aber das Prinzchen mag nicht warten, bis jemand kommt und entledigt sich der schmutzigen Windel gleich selbst, entsorgt sie brav im Windeleimer und macht sich dann auf Entdeckungstour in der Wohnung. Dass er dabei Spuren hinterlässt, kann ihm egal sein. Wozu hat man denn Diener, wenn nicht zum Beseitigen der Spuren? Irgendwann möchte das Prinzchen nicht mehr ohne seine Entourage sein und schleicht sich zum Bett seiner Eltern. Diese erwachen nicht wegen des süssen Gebrabbels aus prinzlichem Munde, sondern wegen des widerlichen Gestanks, der von dort kommt, wo eigentlich eine Windel sein sollte. Vielleicht erwachen sie auch, weil es dem Prinzchen nicht gelungen ist, sich eine Hose über den schmutzigen Hintern zu ziehen und er jetzt brüllend mit zwei Beinen in einem Hosenbein feststeckt.

Und jetzt geht es los. Während der eine sich mit dem Putzlappen in der Wohnung auf Spurensuche macht, versucht die andere, den jungen Herrn zu säubern, ohne dabei den Kinderschutz auf den Plan zu rufen. Denn Prinzchen und Wasser, das passt nicht zusammen. Nicht baden, nicht duschen, schon gar nicht Haare waschen. Wasser ist zum Trinken da. Und zum Herumspritzen am Lavabo. Aber Saubermachen ist das Letzte und das sollen alle wissen, die im Umkreis von zwei Kilometern wohnen. Meist bringt man das Kind mit Mühe und Not sauber, steckt es in saubere Kleider – so man denn etwas findet, was sich der junge Herr ohne Protest und Gezeter überziehen lässt, weil ihm Farbe und Aufdruck für einmal zusagen – und man denkt, man könne jetzt den Tag ruhig und beschaulich angehen.

Kann man aber nicht, denn Beschaulichkeit ist nicht des Prinzen Stärke. Die Beschaulichkeit gehört dem Zoowärter und ein Prinz grast nicht auf fremden Wiesen. Er weiss ja, was sich gehört. Der Prinz im Hause ist zuständig für Abenteuer, Klettertouren und Entdeckungsreisen. Und so verbringt man den Rest des Tages damit, das Kind von der Lehne des Trip Trap herunterzuholen, auf die es geklettert ist, um den Inhalt des Gewürzschranks genauer unter die Lupe zu nehmen und zu testen, wie sich scharfes Paprika und sanfte Prinzenaugen miteinander vertragen. Wenige Momente später muss die Türe bewacht werden, was leider nicht mehr geht, indem man die Türe abschliesst. Musste er vor wenigen Wochen noch mühsam einen Stuhl herbeischleppen, um das lästige Schloss zu öffnen, genügt es heute, wenn er sich auf die Zehenspitzen stellt und schon ist sie da, die grosse Freiheit. Nun mag man sich fragen, weshalb er denn nicht rausdarf. Immerhin stattet er meist einen Besuch bei der Grossmama ab, die einen Stock tiefer wohnt. Und gegen einen Besuch bei ihr wäre tatsächlich nichts einzuwenden, könnte man denn sicher sein, dass er auch wirklich dort ankommt. Hin und wieder schnappt sich der junge Herr nämlich auch die Gummistiefel des grossen Bruders und dann geht’s ab in den Garten, wo das noch viel zu grosse Laufrad getestet werden will. Nun gut, auch dagegen wäre grundsätzlich nichts einzuwenden, wenn denn das Prinzchen eine Hose und eine Jacke tragen würde. Und wenn man sich darauf verlassen könnte, dass das Gartentor für ihn die Grenze ist und er nicht das Territorium ausserhalb seines Reiches erkunden würde. Und dieses Territorium heisst nun mal Strasse und ist vollkommen untauglich für einen kleinen, abenteuerlustigen und unvernünftigen Prinzen.

Irgendwann stellt man sich die Frage, ob der Tag vielleicht einfacher würde, wenn das Prinzchen sich ein wenig aufs Ohr legen würde. Müde ist er ja und man selber könnte man eine Pause auch ganz gut gebrauchen. Aber ist Müdigkeit denn ein Grund, sich schlafen zu legen? Nein, denn wenn man müde ist, kann man für viel mehr Action sorgen. Dann kann man sich mit den grossen Brüdern anlegen – und herzzerreissend heulen, wenn die sich zur Wehr setzen – Orangensaft verschütten, weil man den Becher nicht mehr trifft, über die eigenen müden Beine stolpern und dergleichen. Macht doch unglaublich viel Spass, aber Mama spielt nicht mit und zwingt den jungen Herrn trotzdem ins Bett. Aber wo man schon im Bett liegt und Mama so friedlich nebendran, könnte man ihr ja gleich zeigen, wie geschickt man sich im Schlafsack über das Gitter des Betts schwingen kann. Aber diese humorlose Mama will nichts davon sehen, will nur langweilige Lieder singen und schläft am Ende selber fast ein.

Meist ergibt sich das Prinzchen dann doch noch dem Schlaf und die Bediensteten atmen auf: Ein paar Momente der Ruhe, in denen man über all die Spässe, die der junge Herr sich wieder erlaubt hat, lauthals lachen kann. Lange dauert die Ruhe nicht, denn bald schon steht er wieder da, mit zerzaustem Haar und schelmischem Blick und verkündet: „Han guet gschlafe!“ („Ich habe gut geschlafen!“) und dann geht’s weiter mit Klettern, Entdecken und Saft verschütten. Bis zum späten Abend, wenn er sich endlich zur Ruhe legt und wir Bediensteten an seinem Bett stehen und zueinander sagen: „Ist er nicht zum Fressen, dieser süsse kleine Tyrann?“

Es ist mir ernst

Wenn ich sage, dass mir so langsam der Schnauf ausgeht, sage ich dies nicht, um zur Antwort zu bekommen: „Ich würde das ja nie durchhalten. Aber du schaffst das mit Links.“

Wenn man mich fragt, wie es mir so geht und ich antworte „Nicht besonders gut“, dann meine ich das auch so. Denn wenn es mir gut ginge, würde ich sagen, dass es mir gut geht.

Wenn ich sage, dass mir die Dinge manchmal über den Kopf wachsen, dann brauche ich keine Ratschläge im Sinne von „Du müsstest eben besser delegieren…“ oder „Du hättest die Sache eben anders angehen müssen…“ Nein, dann wäre ich ganz froh, wenn ich einfach mal erzählen könnte, dass es nicht immer einfach ist, Familie, Arbeit, Schreiben und Haushalt zu jonglieren, dass das Ganze zwar unglaublich viel Freude macht, dass es aber auch ganz schön an die Substanz gehen kann. Ein wenig Verständnis würde so viel mehr bringen als ein besserwisserisches „Du müsstest eben…“ Was ich müsste, weiss ich sehr wohl, aber ob das, was ich müsste auch in die Realität umgesetzt werden kann, liegt nicht alleine in meiner Hand.

Wenn ich sage, dass ich mich schwach fühle, dann ist es schmerzhaft, wenn man mir sagt, ich sei doch eine starke Frau, ich würde das schon alles hinkriegen. Muss man denn immer stark sein, bloss weil man offenbar – völlig unbeabsichtigt übrigens – das Bild einer starken Frau abgibt?

Wenn ich verkünde, dass ich mal wieder eine Pause brauche, dann meine ich dies nicht als Aufforderung, dass ich jetzt endlich Zeit habe für all die Dinge, die man auch noch gerne mit mir besprechen möchte. Nein, dann meine ich, dass ich mich mal wieder einen Moment lang hinsetzen möchte, um in Ruhe etwas zu trinken, ein wenig zu lesen oder meinen Gedanken nachzuhängen.

Wenn ich diesen Blog mal wieder als Jammerkasten missbrauche, dann tue ich dies nicht, um Mitleid zu erregen, sondern einfach darum, weil zu meinem Leben eben nicht nur die Höhepunkte, sondern auch die Tiefpunkte gehören. Würde ich diese aussparen, könnte man am Ende noch auf die Idee kommen, ich sei eine jener Frauen, die so tun, als hätten sie immer alles im Griff. Und weil ich das nicht habe, will ich auch nicht so tun als ob.

Muss das sein?

Mussten die zwei jungen Frauen ausgerechnet ein Restaurant bei uns in der Region überfallen, um ein paar hundert Franken Bargeld zu erbeuten? Und musste Luise ausgerechnet gestern, als dies am Radio gemeldet wurde, bei den Nachrichten genauer hinhören? Ich weiss nicht, was unsere Tochter mehr schockiert hat: Die Tatsache, dass die Welt auch bei uns nicht immer nur heil und schön ist, oder die Tatsache, dass es Frauen waren, die Gewalt angewendet haben. Junge Frauen, nur ein paar Jahre älter als Luise.

Seit jener Nachrichtensendung von gestern Nachmittag löchert sie uns mit Fragen. War die Waffe echt, oder haben die eine Spielzeugpistole gekauft? Wurde jemand verletzt? Waren das vielleicht die zwei Frauen, die wir vor einigen Monaten am Basler Hauptbahnhof gesehen hatte? Die mit den schwarzen, bodenlangen Mänteln? Was ist, wenn die Frauen zu uns kommen?

Tagsüber schafft es unsere Tochter noch, die aufwühlende Geschichte mit Fragen zu verarbeiten. Aber abends, wenn alles dunkel ist, wenn die Schatten sich bewegen und es knackt im Gebälk, dann helfen all die beruhigenden Antworten, die „Meiner“, das Au Pair und ich tagsüber geben, nichts mehr. Dann sitzt unsere Tochter starr vor Angst im Bett und traut sich nicht, zu uns zu kommen, weil ihr bereits der Weg zum Lichtschalter zu gefährlich erscheint. Erst, wenn zufällig jemand Licht macht im Treppenhaus, wagt sie sich aus dem Bett, zitternd, blass und so aufgewühlt, dass wir sie nur mit grösster Mühe beruhigen können.

So, wie ich unsere Luise kenne, wird es eine ganze Weile dauern, bis sie wieder ruhig schläft, bis sie wieder sorglos und glücklich sein wird. Wenn ich sehe, wie sehr die Geschichte unserer Tochter zusetzt, dann packt mich die Wut und ich wünschte, wir würden in einer Welt leben, in der kleine Mädchen keine Angst vor den Taten grosser Mädchen haben müssten.

Ist das jetzt der Letzte?

Nachdem wir nun ein paar Monate kinderwagenlos unterwegs waren, haben das Au Pair und ich heute die Geduld verloren und wir haben uns aufgemacht, Kinderwagen Nummer 7 zu erstehen. Ja, ich weiss, ich hatte mir geschworen, nie wieder einen zu kaufen, aber wenn ihr mal an einem sonnigen Winternachmittag mit dem Prinzchen im Schlepptau durch Solothurn geschlendert wäret, würdet ihr verstehen, weshalb wir noch einmal Geld ausgegeben haben für so ein Ding. Das Kind kann nämlich nicht – wie es sich für einen Zweijährigen gehört – im Schneckentempo durch die Strassen wandern, hier einen Stein bewundern und da einen Flaschendeckel aufheben. Nein, der Kleine rast durch die Strassen, klettert, wo er nicht klettern sollte, weil es lebensgefährlich ist und entschwindet unseren Blicken, wann immer er kann. Wenn es schon im beschaulichen Solothurn so schwierig ist, das Kind im Auge zu behalten, wie wird das erst im von Touristen überschwemmten Prag sein, wo wir die Sommerferien verbringen werden? Also musste ein Kinderwagen her und zwar sofort.

Nun mögt ihr euch vielleicht fragen, wie man bloss auf die hirnverbrannte Idee kommt, mit fünf Kindern eine Ferienwoche in Prag zu buchen. Nun, ich werde euch erklären, weshalb wir zum Schluss gekommen sind, dass dies genau der richtige Zeitpunkt ist. Vor ein paar Jahren noch wäre es nicht möglich gewesen, denn mit mehreren Wickelkindern, vielleicht noch einem Baby, das gestillt werden muss und ein oder zwei Kleinkindern im besten Trotzalter verbringt man nun mal keine Ferien in einer Stadt. In ein paar Jahren, wenn Karlsson und Luise in der Pubertät sein werden und über alles, was mit Geschichte, Kunst oder Kultur zu tun hat, nur schnöden werden, können wir das auch nicht mehr machen. Dann werden wir nämlich irgendwo am Strand liegen müssen, weil dies für unsere Kinder das höchste der Gefühle – und für mich der Albtraum schlechthin – sein wird.

Jetzt aber, wo Karlsson für Barock, klassische Musik und Antiquitäten schwärmt, Luise sich von Ballett, hübschem Krimskrams und köstlichen Torten verzaubern lässt, der FeuerwehrRitterRömerPirat mit Begeisterung in der Zeit der Ritter, Kaiser und alten Astronomen wühlt und der Zoowärter sich so sehr mit dem kleinen Maulwurf identifiziert, dass er demnächst einen unterirdischen Gang im Garten graben wird, ist der perfekte Zeitpunkt gekommen, um unseren Kindern die Stadt zu zeigen, die all das, was sie lieben, bietet.

Aber eben, das Prinzchen ist noch etwas klein, um all die Schönheit ohne Kinderwagen zu sehen. Wir wollen doch nicht, dass er sich im Gedränge einer Italienischen Reisegruppe anschliesst und am Ende nur Pizza und Pasta, anstelle von Knödeln und Palatschinken isst. Also haben das Au Pair und ich uns auf die Suche nach einem erschwinglichen Kinderwagen gemacht, der trotzdem stabil genug ist, um mindestens bis zum Sommer durchzuhalten. Ich kann euch versichern, es war nicht einfach, aber am Ende wurden wir im Fachgeschäft fündig. Allerdings mussten wir sehr lange warten, bis wir das Wägelchen bezahlen und mitnehmen konnten, den die einzige Bedienung in dem riesigen Geschäft war gerade dabei, werdenden Eltern zu erklären, worauf man beim Kinderwagenkauf zu achten hätte. Ich hatte ganz vergessen, wie unsinnig die Fragen sind, die werdende Eltern in einem Baby-Fachgeschäft stellen können. Waren „Meiner“ und ich auch mal so unwissend?

Nun, irgendwann tauchte dann doch noch eine zweite Verkäuferin auf und die wollte sogleich damit anfangen, zu erklären, was Kinderwagenkäufer gewöhnlich wissen wollen: Wie man das Gefährt zusammenlegt, welche Vorzüge es hat, was man damit alles machen kann. Weit liess ich sie allerdings nicht kommen mit ihren Erläuterungen. Dies sei Kinderwagen Nummer 7, liess ich sie wissen, deshalb brauche man mir nichts mehr zu erzählen. Man hat ja schliesslich seinen Stolz, nicht wahr? Oder sehe ich etwa so aus, als sei ich eine Anfängerin in Sachen Kinderwagen?

Nun ja, offen gestanden war es nicht nur der Stolz, der mich daran hinderte, der Verkäuferin zuzuhören. Vor allem wollte ich einfach nur so schnell als möglich aus diesem Laden herauskommen. Irgendwie wurde mir nämlich etwas weh ums Herz, als ich diesen werdenden Eltern zuhörte und mir klar wurde, dass ich nie wieder einer Verkäuferin unsinnige Fragen zu Kinderwagen stellen werde. Und als mir bewusst wurde, dass dies wohl tatsächlich der allerletzte Kinderwagen war, den ich gekauft habe. Obschon ich dies ja schon öfters gesagt habe…