Vielleicht sollte ich es ihm mal erklären

Neulich entdeckte das Prinzchen in der Migros tiefgekühlte Schinkengipfel. Aufgeregt suchte er mich im Gedränge. „Mama, komm, schau dir diese Gipfeli an!“ Ich warf einen kurzen Blick auf die himmelblauen Riesenschachteln voller Tiefkühl-Apérogebäck und wollte mich Dingen zuwenden, die auf meiner Einkaufsliste standen, doch das Prinzchen hielt mich zurück. „Schau doch, Mama, die sehen aus wie die Gipfeli, die du manchmal bäckst.“ Ich lächelte milde. „Ja, so ähnlich sehen die aus, aber lass uns jetzt weitergehen.“ „Aber Mama, sieh doch, du könntest die Gipfeli auch kaufen, dann müsstest du sie nicht mehr selber machen.“ 

Ich glaube fast, mein Sohn versteht nicht ganz, dass ich nicht backen muss, sondern backen will

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Einfach unersättlich, diese Majestäten

Okay, ich weiss, ich bin ein Feigling. Ich bringe es einfach nicht übers Herz, einem einzigen Familienmitglied die Krone für einen Tag zu gönnen. Jeder Aufwand ist mir recht, wenn ich mir damit den Anblick enttäuschter Kinderaugen ersparen kann. Schief geht es trotzdem jedes Jahr. Am heutigen Dreikönigstag lief das alljährliche Drama folgendermassen ab:

Sonntag, 5. Januar 2014, ca. 22:00 Uhr

Mama Venditti schiebt den fairsten Königskuchen aller Zeiten in den Ofen und legt fest, welcher Brötcheninhalt für welchen Titel steht:

  • Rosine = König Christian I. von Dänemark, Schweden und Norwegen
  • Erdnuss= Queen Elizabeth I.
  • Kaffeebohne = Lous XIV.
  • Roter Bonbon = König Carl XIV Johan von Schweden
  • Gelber Bonbon = King Arthur
  • Getrocknete Rose = Zarin Katharina die Grosse
  • Kandierte Früchte = Kaiser Karl der Grosse

Ja, ich weiss, ein echter Adelskenner würde in dieser Aufstellung schon einige Standesunterschiede ausfindig machen, aber wir wollen es mal nicht übertreiben, gekrönt ist gekrönt. Auf das Basteln von Kronen wird übrigens verzichtet, der Titel muss reichen. 

Sonntag, 5. Januar 2014, ca. 22:05 Uhr

Luise kommt verbotenerweise noch einmal aus dem Bett und lässt mich wissen, dass ein Dreikönigstag ohne  „richtigen“ Königskuchen auch kein „richtiger“ Dreikönigstag sei. Und ein „richtiger“ Königskuchen sei einer, der im Laden gekauft wird. Mama Venditti beschliesst, ihrer Tochter den Gefallen zu tun und einen zusätzlichen Kuchen zu kaufen, weil das arme Kind in der letzten Zeit doch immer wieder geklagt hat, man würde sie zu wenig ernst nehmen.

Montag, 6. Dezember, 07:05 Uhr

Queen Elizabeth I., in diesem Hause besser bekannt als Zoowärter, tauscht ihren Titel mit König Carl XIV. Johan, im Alltag Luise genannt. Nach diesem Tausch schauen beide gekrönten Häupter deutlich fröhlicher aus der Wäsche. Wenig später dankt König Christian I., manchmal auch Prinzchen genannt, freiwillig ab und bittet seinen Vater untertänigst, er möge ihm den Thron von King Arthur überlassen. Der Vater, in royalen Dingen vollkommen unbedarft, gewährt seinem Sohn diesen Wunsch und macht sich auf, um seinem ganz und gar bürgerlichen Broterwerb nachzugehen. Wie zu erwarten war, ist Louis XIV. mit seiner Rolle voll und ganz zufrieden, dafür widerstrebt es ihm, als FeuerwehrRitterRömerPirat in die Schule gehen zu müssen. Karl der Grosse ist leider krank und Katharina die Grosse zieht sich nach durchwachter Nacht noch einmal in ihr Schlafgemach zurück, nachdem sie in der Migros zwei „richtige“ Königskuchen mit Papierkronen erstanden hat. Ja, zwei, weil einer alleine nur sechs potentielle Königsbrötchen hat. Also doch Potential für Streit, weil nur zwei eine Krone haben können. 

Montag, 6. Dezember, 11:45 Uhr

King Arthur, vormals König Christian I, kommt freudenstrahlend vom Kindergarten nach Hause. Er, sein bester Freund und „so ein Mädchen“ haben einen König und damit auch eine Krone ergattert. Katharina die Grosse, von ihren Kindern noch immer als Mama angesprochen, atmet hörbar auf. Einer ist bereits gekrönt, also einer weniger, der enttäuscht werden kann. 

Montag, 6. Dezember, 12:35 Uhr

König Christian I., auch „Meiner“ genannt, darf sich eine Krone aufsetzen. Mist! Die hätte doch eines der Kinder bekommen sollen! Wer die zweite Krone bekommt, wird sich beim Zvieri zeigen.

Montag, 6. Dezember, 15:11 Uhr

Queen Elizabeth I. kommt verschwitzt und hungrig von einer freiwilligen Joggingrunde zurück – fragt mich bloss nicht, was in sie gefahren ist – und der Zufall belohnt sie für diesen Einsatz mit einer Krone. Weil sie von der sportlichen Betätigung so ausgehungert ist, verschlingt sie zu viel Königskuchen und muss deshalb in der Bäckerei Nachschub holen. Sonst reicht es nicht für alle zum Zvieri.

Montag, 6. Dezember, 15:30 Uhr

Queen Elizabeth I. kehrt mit zwei überteuerten Königskuchen aus der Bäckerei zurück. Die Augen von Louis XIV. glänzen hoffnungsfroh. Vielleicht wird er doch noch eine Krone bekommen.

Montag, 6. Dezember, 15:56 Uhr

Louis XIV. sitzt schluchzend am Tisch. Karl der Grosse und König Carl XIV. Johan haben sich die zwei letzten Kronen geschnappt. König Christian I., der ja ohnehin kein echter Royalist ist, bietet dem traurigen Sonnenkönig seine Krone an, doch dieser schlägt das Angebot aus, weil zu dieser Krone eine Königinnenfigur gehört. Katharina die Grosse, die übrigens auch auf eine Krone verzichten musste, bittet Queen Elizabeth I., sie möge doch bitte mit dem armen Sonnenkönig Erbarmen haben und ihm ihre Königsfigur überlassen. Im Gegenzug dürfe sie König Christians Königinnenfigur haben. Doch Queen Elizabeth I. zeigt sich unnachgiebig und so bleibt dem armen Sonnenkönig nichts anderes, als sich mit einem Säcklein Süssigkeiten aus der Bäckerei zu trösten, das er sich erst noch hinter Katharinas Rücken und mit dem eigenen Taschengeld kaufen musste. King Arthur findet das trotzdem vollkommen unfair und muss wegen lauten und andauernden Heulens auf sein Zimmer geschickt werden. 

Montag, 6. Dezember, 23:48 Uhr

Alle gekrönten Häupter haben sich zur Ruhe begeben. Alle? Nein, Zarin Katharina die Grosse ist noch wach und fragt sich, was sie nun wieder falsch gemacht hat, an welchem Punkt die Sache aus dem Ruder gelaufen ist, ob sie es wagen soll, den Dreikönigstag im Reiche Venditti um des lieben Frieden Willens abzuschaffen, oder ob sie damit riskiert, auf dem Schafott zu landen. 

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Die Prinzessin und der Manitoba-Weizen

Wir hatten erneut die Ehre, eine Küchenmaschine vermacht zu bekommen, eine Dame aus dem edlen Geschlecht der Kitchen Aid, von ihren ersten Besitzern getauft auf den Namen Princess Leia – von mir kann sie diesen Namen nicht haben, ich habe bis heute noch immer kein Star Wars gesehen. Unter anderem um diesem adligen Geschöpf in reinem Weiss ein standesgemässes Zuhause bieten zu können, eroberte ich mir meine Traumküche zurück. Die Prinzessin bekam dort einem Ehrenplatz auf der blitzblank polierten Arbeitsfläche. Ich glaube, sie fühlte sich auf Anhieb wohl dort und als ich meine Mehlvorräte aus der Mühle anschleppte, begann sie vor lauter Vorfreude zu glänzen. Sophie wurde aufs Altenteil geschickt, wo sie hin und wieder Weizen mahlen oder alle Schaltjahre Fleisch durch den Wolf drehen darf und Charlotte hat ihren Dienst in einer anderen Küche nicht weit von hier aufgenommen. Da mich nun die grosse Backwut packte, hatte die Prinzessin beste Aussichten auf ein glückliches Leben bei uns.

Dann aber geschah das Unglück: Herr Hadjiandreou, dessen Buch ich mir selbst zur Einweihung meiner Küche schenkte, erklärte mir, dass nicht das lange Kneten einen guten Teig macht, sondern die Ruhe zwischen zwei kurzen Knetvorgängen. Na ja, kneten ist vielleicht das falsche Wort, man müsste wohl eher von streicheln reden und das beherrsche ich eindeutig besser als die Prinzessin. So kam es, dass die Arme traurig dabei zusah, wie ich mich mit meinem Teig vergnügte und ihr kaum Beachtung schenkte. Gut, hin und wieder tätschelte ich sie liebevoll und versprach ihr, sie bald einmal ganz gross herauskommen zu lassen, doch die Prinzessin schniefte nur verdriesslich und schmiedete im Geheimen wohl Pläne, diesem trostlosen Ort zu entfliehen.

Doch dann, fast wie im richtigen Märchen, kam ein Retter daher, zwar nicht auf einem Schimmel, sondern in einem gelben Auto, das viele Pakete aus aller Welt geladen hatte. Manitoba-Weizen heisst der edle Herr und ich habe ihn eigens aus Deutschland herbeigerufen, weil mein Panettone beim ersten Versuch nicht richtig aufgehen wollte. Das Internet hat mir dann erklärt, dass der Teig eben nicht anders konnte, als eher flach zu bleiben, weil das Stärkegerüst nicht fest genug gewesen sei, darum müsse beim nächsten Mal der starke Kerl aus Manitoba her.

Zum Glück kam er gerade noch rechtzeitig vor Weihnachten an, damit der Teig über drei Tage werden kann und weil die ersten Schritte langes Kneten von Hand erforderten, wusste ich zugleich, dass ich den Richtigen gefunden hatte, um die Prinzessin wieder glücklich zu machen. Wer noch nie einen Teig mit einem Anteil von Manitoba-Weizen geknetet hat und auch keine Lust hat, dies je zu tun, kann sich diese Arbeit etwa so vorstellen: Drei Rollen von diesem klebrigen Einmeterkaugummi so lange kauen, bis er weich ist und danach gründlich von Hand durchkneten, etwa zehn Minuten lang. Glaubt mir, ich war von Herzen dankbar, als mir das Rezept bei Schritt 17318 endlich gestattete, die Prinzessin ranzulassen. Die Gute stürzte sich mit Freuden auf die Arbeit und bewies diesem Manitoba-Kerl, wer hier das Sagen hat.

Noch ist der Panettone nicht ganz fertig, doch der Teig zeigt mir, dass sich hier zwei gefunden haben, die zueinander gehören. Und wenn mir nicht irgendwann der Nachschub an Weizen ausgeht oder die Prinzessin den Geist aufgibt, werden sie zusammen noch viele Jahre lang glücklich herzige kleine Panettone, Ciabatte und Baguettes erzeugen.

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