Je (ne) regrette (rien)

Jetzt sollen wir Mütter also der Welt erzählen, warum wir es bereuen, Mütter geworden zu sein. Anfangs wollte ich mich der Debatte ja verweigern, weil es immer irgendwie schief rauskommt, wenn Blogger halb verdaute und vermutlich auch falsch verstandene Aussagen aus wissenschaftlichen Studien auf ihr eigenes Leben zu übertragen suchen. Doch dann erinnerte ich mich daran, wie ich vor gut sieben Jahren jeweils stundenlang mit leerem Blick am Fenster stand und mich fragte, wie ich auf dieses Karussell geraten war, das sich immer schneller drehte, pausenlos, ohne die Möglichkeit, einmal für ein paar Momente abzusteigen, um dem Schwindel Einhalt zu gebieten. Das Ticket war „non-refundable“, das wusste ich, aber könnte man mich vielleicht in eine etwas komfortablere Karussell-Kategorie wechseln lassen? Oder den Betreiber dazu bringen, das Ding etwas langsamer laufen lassen? Oder mal zwei, drei, vier, fünf Runden ohne mich zu drehen? Oder könnte man den Kerl dazu überreden, mich ans Schaltpult zu lassen, damit ich wenigstens selber bestimmen könnte, wann und wie schnell dieses Karussell drehte? Oder das Karussell auf eine andere Chilbi stellen, eine, auf der es etwas ruhiger und freundlicher zuginge? Oder könnte jemand anders für mich einen Teil der Fahrten übernehmen, damit ich mich anderswo austoben könnte? Und natürlich auch: Würde mir das Karussellfahren je wieder Spass machen?

Solche Fragen quälten mich damals und weil mich damals diese Fragen quälten, stand gestern Nachmittag, als ich mal wieder einen Artikel über die ganze Regrettinmotherhood-Debatte las, eine andere Frage vor mir: „Trifft doch genau auf dein Erleben zu, diese ganze Sache, nicht wahr?“ Dick und fett und aufdringlich stand sie da, diese Frage und sie weigerte sich, mir aus dem Weg zu gehen, so oft ich mich auch anderen Themen zuzuwenden versuchte.  Also versuchte ich, sie mit Scheinantworten zufrieden zu stellen. „Das kann ich nicht beurteilen, ohne die Studie gelesen zu haben“, war eine davon. „Da müsste ich mich erst mal eingehend mit der Sache befassen“, eine andere. „Es gibt schon Dinge, die ich bereue, aber doch nicht so“, eine dritte. Die Frage gab sich damit nicht zufrieden, im Gegenteil, sie wurde noch aufdringlicher: „Vielleicht muss ich deutlicher werden“, sagte sie mit herausforderndem Blick, „Bereust du es, Mutter geworden zu sein? Ja oder Nein?“ 

„Nein“, antwortete ich ohne nur einen Augenblick lang zu zögern. „Und ich habe es auch damals, als sich alles nur noch drehte und ich den Boden unter den Füssen zu verlieren drohte, nie bereut. Ich bereue in diesem Zusammenhang viel, aber nicht, dass ich Mutter geworden bin.“ Um meiner Leserschaft das ganze „antwortete ich“, „fragte sie mit herausforderndem Blick“, „insistierte ich“ Beigemüse zu ersparen, höre ich jetzt auf, dieses Selbstgespräch wiederzugeben und schreibe klipp und klar, was ich bereue:

  • Ich bereue, meine Kinder in einer Gesellschaft geboren zu haben, die keine Kinder mag, die sie als Privatsache ansieht, die man irgendwie selber managen soll, aber bitte schön so, dass man andere dabei nicht stört. (Man könnte auch sagen „Ich bereue, in der Schweiz geblieben zu sein“, aber darf man das sagen, wenn man in einem Land lebt, in dem alles so reibungslos funktioniert? Und weiss man denn, ob es einem anderswo besser ergangen wäre?)
  • Ich bereue, schwanger geworden zu sein, bevor ich beruflich genügend etabliert war, um zu wissen, was ich will und wie ich es will. (Also, eigentlich bereue ich nicht das mit der Schwangerschaft, sondern die ihr vorangehende Naivität, dass es sich irgendwie schon so ergeben würde, wie es uns zusagt.) 
  • Ich bereue, dass „Meiner“ und ich bis heute in einer Rollenteilung festgefahren sind, die unseren Fähigkeiten nicht entspricht und weil das Karussell noch immer unaufhaltsam dreht, ist es gar nicht so einfach, diese Rollenteilung zu durchbrechen, vor allem in finanzieller Hinsicht nicht. 
  • Ich bereue, die Weichen auf „Mutter = Hausfrau“ gestellt zu haben, obschon das nie mein Ding war. 
  • Ich bereue, mich selber nicht besser gekannt zu haben, bevor ich Mutter geworden bin, aber manchmal frage ich mich, ob ich mich selber überhaupt je so intensiv kennen gelernt hätte, wenn ich nicht Mutter geworden wäre.
  • Ich bereue, dass ich jahrelang unbewusst eine „Das macht man halt so“-Haltung an den Tag gelegt habe, anstatt so lange nach unserem Weg zu suchen, bis wir ihn gefunden haben.
  • Ich bereue, auf Menschen gehört zu haben, die in meinem Leben nichts zu melden haben.
  • Ich bereue, mich an Müttern orientiert zu haben, die nicht im geringsten so ticken wie ich.
  • Ich bereue, zu sehr auf das geschaut zu haben, was die Gesellschaft über Mütter denkt, anstatt mich damit zu befassen, wie ich mit dem, was mir in die Wiege gelegt worden ist, authentisch Mutter sein kann. (Okay, ich habe keine Ahnung, ob man das versteht, aber es war mir halt doch wichtig, das noch anzufügen.)

Und ich bereue übrigens auch, nach Kind Nummer fünf zu einem eindeutigen Schlussstrich in Sachen Kinderkriegen eingewilligt zu haben, obschon ich in der Schwangerschaft mit Kind Nummer fünf gewahr wurde, dass das Karussell für meinen Geschmack etwas zu heftig dreht. (Darum habe ich ja auch eingewilligt.) 

Kurz und knapp zusammengefasst: Ich bereue nicht, dass ich Mutter geworden bin, ich bereue, wie ich es geworden bin. Aber im Nachhinein ist man immer schlauer. Und wer kann denn schon mit Sicherheit sagen, dass es andersrum nicht nur anders, sondern auch besser gewesen wäre?

prettyvenditti.jetzt

prettyvenditti.jetzt

Mama auf Abruf

„Wenn die Kinder erst mal grösser sind“ – so tröstete man mich, als ich noch mitten in der Baby- und Kleinkindphase steckte -, „wirst du wieder viel mehr Freiheiten haben.“ Naiv, wie ich damals noch war, glaubte ich den erfahrenen Müttern, die mich auf diese Weise aufzuheitern versuchten. Nun möchte ich natürlich keineswegs behaupten, diese Mütter hätten mich belogen, bei ihnen war es wohl tatsächlich so. Bei mir nicht. Noch selten in meinem Leben habe ich mich so angebunden gefühlt wie gerade jetzt.

Als die Kinder noch im Vorschulalter waren, konnte ich – wenn ich denn wollte – morgens ein paar Bananen und Getreideriegel einpacken und mich mit meiner Horde aus dem Staub machen. Wenn es sich ergab, tat ich mich mit einer anderen Kleinkindmutter zusammen, damit die Kinder spielen und wir quatschen konnten. Zugegeben, ich tat das nicht oft, weil es doch ein wenig umständlich war, mit fünf Kindern aus dem Haus zu gehen, doch allein schon der Gedanke, dass ich könnte, tat gut. Nein, ich habe nicht vergessen, dass mir schon damals in schöner Regelmässigkeit die Decke mit Getöse auf den Kopf gekracht ist, aber das war auch nicht anders zu erwarten in einem Leben mit fünf kleinen bis mittelgrossen Menschen im Dauerchaos. Also fand ich mich damit ab, mal mit mehr, mal mit weniger Gebrumm und Gemotze.

Heute aber sollte es eigentlich anders sein. Zumindest haben mir das die erfahrenen Mütter von damals so versprochen. Die Kinder sind selbständiger, verbringen sehr viel Zeit ausser Hause und brauchen mich… also, na ja, wie soll ich sagen… irgendwie permanent und irgendwie doch nicht so richtig…also so auf Abruf. Wer schon mal auf Abruf gearbeitet hat, weiss, wovon ich rede: Du weisst nie so recht, wann du zur Arbeit gerufen wirst. Du weisst auch nicht, ob du bei deinem nächsten Einsatz nur gelangweilt rumstehen wirst, oder ob du zehn Stunden Dauereinsatz leisten wirst. Du weisst aber sehr genau, dass du nie allzu weit wegfahren darfst, weil die Chefin dich jederzeit herzitieren könnte. Wenn du dann sagst: „Ich bin jetzt gerade noch in Locarno. Sobald ich mein Pedalo zurückgegeben und meine Penne all’Arrabiata gegessen habe, nehme ich den Zug. So gegen siebzehn Uhr sollte ich es schaffen“, bist du deinen Job los, das weisst du genau. Also bleibst du schön zu Hause und wartest, bis das Telefon klingelt. Du hast zwar nur hin und wieder Arbeit, aber dein Job füllt dennoch dein ganzes Leben aus. 

Irgendwie so ähnlich fühlt sich die Lebensphase an, in der ich derzeit gerade feststecke. Also nicht ganz die grosse Freiheit, die ich mir vorgestellt habe. Weshalb mir weiterhin in schöner Regelmässigkeit die Decke mit Getöse auf den Kopf kracht. 

IMG_6258

Werkzeugkasten

Heutzutage, das weiss jedes Kind, kann man nicht mehr einfach so davon ausgehen, dass Frau zu Hause am Herd auf Anweisungen wartet, was sie mit ihrer Zeit und ihren Fähigkeiten anfangen soll. In der Theorie zumindest ist das so und ich hoffe sehr, dass sich in Lebenswelten, in denen sich meine Geschlechtsgenossinnen bewegen, die Gleichberechtigung in irgend einer Weise bemerkbar macht. In meiner Lebenswelt, die sich derzeit trotz Berufstätigkeit vorwiegend in den eigenen vier Wänden abspielt, ist alles noch irgendwie so, wie es war, als Frauen noch nichts anderes zu tun hatten, als für Mann und Kinder zu sorgen. Dies nicht etwa, weil „Meiner“ ein übler Pascha wäre, der mir keine Freiheiten gönnt, sondern weil eine Frau, die zu Hause ist, von vielen noch immer als eine Art Werkzeugkasten angesehen wird, der nach Belieben dahin geschoben werden kann, wo es im Familiensystem gerade klemmt. Wenn Frau zu Hause ist, kann das, was sie tut, so wichtig ja nicht sein, denn sonst hätte sie einen „richtigen“ Job bekommen, so scheint man noch immer zu denken. 

Mal ist es die Aushilfslehrerin des FeuerwehrRitterRömerPiraten, die darauf besteht, meinen Sohn nach Hause zu schicken, obschon ich ihr schon hundertmal erklärt habe, dass a) unser Dritter ganz gerne die Sache mit dem Bauchweh bringt, wenn er keinen Bock hat auf Schule und b) ich am Arbeiten bin und deshalb genau so wenig verfügbar bin wie eine Mutter, die einen Job ausser Hause hat. Mal ist es Zoowärters Lehrerin, die mich jetzt gleich in der Schule sehen will, weil mein Sohn mal wieder etwas vergessen hat. Auf meine Kolumnen-Deadline kann sie keine Rücksicht nehmen, denn nachher muss sie mit der Klasse ins Turnen. (Sagt jetzt bitte nicht, ich solle halt nicht ans Telefon gehen. Wenn auf dem Display „Schule“ steht, spult mein Gehirn sämtliche Horrorszenarien ab und ich kann gar nicht anders, als ranzugehen.) Wenn es nicht die Schule ist, die meine Dienste wünscht, dann ist es ein Arzt, der mich ganz dringend ins Spital bestellt, weil es Schwiegermama nicht gut geht und intern gerade niemand verfügbar ist, der ihr auf Italienisch erklären kann, was los ist. Eine halbe Woche später wiederum ist es ein anderer Arzt, der mir erklärt, Schwiegermama gehe es viel besser, man könne den Spitalaustritt ins Auge fassen, ich solle doch so rasch als möglich vorbeikommen, damit man die Details besprechen könne. Wenn die italienische Verwandtschaft vom verbesserten Zustand erfährt, steht sogleich die Erwartung im Raum, dass Schwiegermama bei uns einziehen kann, weil ich ja Zeit habe, sie zu pflegen. Und während ich mir noch den Kopf zerbreche, wie wir die Differenz zwischen Ansprüchen und Realität überbrücken sollen, ohne einen epochalen Familienstreit vom Zaun zu brechen, kommt ein freudenstrahlender Zoowärter angerannt, der mir berichtet, die Lehrerin sei krank, der Unterricht falle aus. Das Brieflein, in dem stehen würde, wer keine Betreuungsmöglichkeit habe, könne sein Kind in die Schule schicken, händigt er mir leider nicht aus, denn ich bin ja zu Hause…

Bitte versteht mich nicht falsch. Wenn meine Lieben in der Tinte sitzen, will ich für sie da sein, keine Frage. Was mich an der Sache stört, ist die Selbstverständlichkeit, mit der man sich an mich wendet, wenn es irgendwo brennt. So wurde zum Beispiel „Meiner“ noch nicht ein einziges Mal herbeizitiert, seitdem seine Mutter erkrankt ist, man ruft ganz selbstverständlich mich. Und als er letze Woche mal von sich aus alles stehen und liegen liess, weil es wirklich nicht gut aussah, wurde das von gewissen Menschen mit Kopfschütteln quittiert. „Warum rennst du denn?“, fragten sie ihn, „deine Frau schaut doch zu deiner Mutter.“ 

prettyvenditti.jetzt

prettyvenditti.jetzt

Fragt bitte nicht, wie das gehen soll

Wenn ich gefragt werde, wie wir das mit fünf Kindern hinkriegen, murmle ich irgend etwas wie „Geht halt irgendwie“. Solche Fragen sind mir nämlich peinlich, weil a) das für uns ganz normaler Alltag ist, b) ich Familien kenne, die mehr Kinder mit weniger Chaos managen und c) ich oft denke, wir könnten besser, wenn wir es nur richtig anpackten. Blicke ich aber auf die kommenden drei Tage, dann frage ich mich für einmal auch, wie das gehen soll.

Es ist nämlich so: „Meiner“ beginnt morgen seine halbjährige Weiterbildung mit drei Tagen erzwungenem Fastnichtstun ausser Hause. Mir bleibt derweilen das Vergnügen, fünf Schulferienkinder zu bespassen, was theoretisch so aussähe, dass wir drei tolle Tagesausflüge machten, wenn denn nicht der FeuerwehrRitterRömerPirat fiebernd auf dem Sofa läge. Und auch wenn das Fieber sinken würde, wäre das mit den Ausflügen nicht ganz so einfach, wie ich es mir letzte Woche noch ausgemalt hatte. Morgen früh steht nämlich erst mal ein Arzttermin, den ich vor Monaten in Unkenntnis des morgigen Programms vereinbart habe, auf meinem Programm, was zur Folge hat, dass wir spätestens um elf Uhr weg könnten, wenn wir denn könnten.

Nehmen wir mal an, der FeuerwehrRitterRömerPirat wäre morgen wider Erwarten fieberfrei, würde es trotzdem nicht zu einem ausgedehnten Ausflug reichen, weil ich irgendwann noch zu Schwiegermama sollte, weil ein ärztlicher Bericht zu erwarten ist, den ich übersetzen muss, was ich streng genommen nicht dürfte, weil ich mich mit einer grippeartigen Sache rumschlage, die Schwiegermama jetzt nicht brauchen kann. Aber wer ausser mir kommt denn als Übersetzerin in Frage, wenn „Meiner“ weg ist? (Dass meine Schwedischlektion schon wieder ins Wasser fallen wird, sei nur am Rande erwähnt. Und die Frage, wann ich denn meine Artikel schreiben soll, verdränge ich einmal mehr.) 

Na ja, wenn’s morgen nicht hinhaut, klappt es vielleicht am Dienstag. Falls dann nicht Schwiegermama vorübergehend aus dem Spital entlassen wird, was natürlich absolute Priorität hätte. Und falls wir früh genug aus dem Haus kommen, damit wir um halb sieben wieder zu Hause sind, weil der FeuerwehrRitterRömerPirat zum Fechten muss. So er denn fieberfrei ist. 

Aber am Mittwoch sollte es klappen mit dem Ausflug. Gleich nach dem Einkauf, der bis dahin ganz sicher fällig sein wird, weil mittwochs immer der Kühlschrank leer ist. Und falls sich der Käfer des FeuerwehrRitterRömerPiraten bis dahin nicht an andere Familienmitglieder rangemacht hat.  

la pianta di guatemala; prettyvenditti.jetzt

la pianta di guatemala; prettyvenditti.jetzt

Seien wir doch (nicht immer so schrecklich) flexibel

Seitdem ich von zu Hause aus arbeite, bin ich zeitlich sehr flexibel. Viele Menschen in meinem Umfeld sind dies auch und manchmal kommen zwei von uns Flexiblen auf die Idee, uns zum Tee zu treffen. Das läuft dann so:

A: „Wir sollten uns mal zum Tee treffen.“

B: „Gute Idee, das sollten wir wirklich mal tun und zwar bald.“

A: „Ja, unbedingt bald.“

Zwei Wochen später:

B. „Du, wir sollten uns wirklich mal zum Tee treffen.“

A: „Oh ja, das machen wir.“

B: „Irgendwann in den nächsten Wochen.“

A: „Gut, ich melde mich. Ich kann’s mir eigentlich fast immer einrichten.“

B: „Ich auch.“

Drei Monate später: 

A: „Du, wir wollten uns doch mal zum Tee treffen.“

B: „Machen wir! Wann?“

A: „Ich bin flexibel.“

B: „Ich auch.“

A: „Schlag doch mal ein paar Termine vor.“

B: „Ich schau mir mal meinen Terminkalender an.“

Drei Wochen später:

B: „Also, hier meine Terminvorschläge. Mir geht’s eigentlich immer am Mittwochvormittag, am Donnerstagnachmittag oder am Freitag über Mittag. Ich könnte aber auch nächsten Samstag um fünf, am Montag ab zehn Uhr oder übernächsten Sonntag gegen Abend.“

A: „Danke! Ich schau mal, wann es mir geht.“

Vier Tage später:

A: „Hab‘ nachgeschaut. Wie wär’s mit nächstem Mittwoch?“

B: „Tut mir leid, Mittwochvormittag geht eigentlich immer, aber gestern habe ich Bescheid bekommen, dass ich Sitzung habe. Ausnahmsweise nur. Donnerstagnachmittag ist aber immer noch frei.“

A: „Donnerstag ist nicht gut nächste Woche. Sonst immer, aber nächsten Donnerstag muss ich zum Zahnarzt. Nehmen wir den Mittwoch in einer Woche? Der ginge mir auch noch.“

B: „Super, Mittwoch in einer Woche. Neun Uhr. Ich freu mich!“

A: „Ich auch!“

Zwei Tage später:

B: „Du, ich hab total vergessen, dass ich Mittwoch in einer Woche Besuch habe. Können wir eine Woche später?“

A: „Ja, prima, geht auch. Es bleibt bei neun Uhr?“

B: „Ja, übernächsten Mittwoch, neun Uhr. Perfekt!“ 

Übernächster Mittwoch, zwanzig vor neun:

A: „Du, können wir verschieben? Mein Jüngster ist gerade von der Schule nach Hause gekommen und kotzt sich die Seele aus dem Leib.“

B: „Oh je, der Arme. Wir suchen dann einen neuen Termin, wenn er wieder gesund ist. Wir sind ja flexibel.“

ufo; prettyvenditti.jetzt

ufo; prettyvenditti.jetzt

Sitzungsvorfreude

Kein entrüstetes Augenrollen und „Du bist ja soooooo unfair“-Gebrüll, kaum öffnest du deinen Mund.

Niemand neben dir, der sich mit seinem Tischnachbarn um das letzte Stück Brot zankt und am Ende im Zorn einen Löffel durch die Gegend wirft. 

Keiner, der stur vor sich hinstarrt und die Lippen zusammenkneift, wenn du ihn etwas fragst. 

Keine, die auf den Tisch klettert, um vorzuführen, wie man – was eigentlich macht? Fällt mir gerade auf, dass ich noch immer nicht herausgefunden habe, warum sie dort oben war, umringt von ihren staunenden Brüdern.

Keine Diskussionen wie die hier: „Papier ist Holz.“ „Nein, ist es nicht. Papier ist Papier.“ „Aber es ist aus Holz gemacht, also ist es Holz.“ „Nein, ist es nicht. Sieh doch, es ist weiss. Das kann kein Holz sein.“ „Es ist aber Holz weil es aus Holz gemacht ist.“ „Ist es nicht.“ „Ist es doch.“ „Ist es nicht.“ „Ist es doch und wenn du mir nicht endlich glaubst, werfe ich dir diesen Schuh an den Kopf.“

Niemand, der mit den Fingern in der brennenden Kerze herumstochert und Mitleid einfordert, wenn es den Fingern zu heiss geworden ist. 

Keiner, der dich so sehr zur Weissglut treibt, dass du dich nicht mal mehr für dein Herumbrüllen schämst. Wie, um alles in der Welt, hättest du nach dem hunderttausendsten „Nein!!!!!“ noch ruhig bleiben sollen?

Niemand der herzzerreissend schluchzt, wenn du fragst: „Hast du deine Zähne geputzt?“

Kein Gerenne um den Esstisch. Kein Gezappel. Kein Gebrüll. Kein Petzen. Kein Gejammer über verpatzte Prüfungen. 

Einfach nur zivilisierte Konversation mit Menschen, die denken, ehe sie antworten und das einen ganzen Freitag lang. 

Noch selten habe ich mich so sehr auf eine ganztägige Sitzung gefreut, wie in dieser vollkommen irren Vorweihnachtszeit, in der ich mich immer öfter frage, ob ich mich denn ins Affenhaus im Zoo verirrt habe. 

Billig

Seitdem il Cugino Anfang Jahr aus Süditalien zu uns gezogen ist, bekommen wir hautnah mit, wie das läuft mit den billigen Arbeitskräften aus dem europäischen Ausland. Nämlich so: Einen Job finden sie sofort, der Druck, von Anfang 100 % zu arbeiten, ist gross und es braucht ziemlich viel Mut, zu tun, was il Cugino getan hat. Er hat nämlich darauf bestanden, nur Teilzeit zu arbeiten, damit er Zeit hat, intensiv Deutsch zu lernen. Der Vertrag ist auf ein halbes Jahr befristet, nach drei Monaten gibt’s eine bescheidene Lohnerhöhung, am Ende der sechs Monate wird das Arbeitsverhältnis beendet, auch wenn genügend Arbeit da wäre und der Angestellte gerne bleiben würde. Neue Einwanderer übernehmen den Job, die „Alten“ ziehen weiter zur nächsten Stelle, denn so ist es für den Arbeitgeber am billigsten. Ein neuer Job ist schnell gefunden, manchmal rasend schnell. Ein Anruf kurz vor Mittag: „Können Sie in einer Stunde anfangen? Gut. Dann bringen Sie Ihre Papiere und die Sicherheitsschuhe mit. Wenn Sie Ihre Sache gut machen, gibt’s vielleicht eine längere Anstellung, sonst sicher mal bis Ende dieser Woche.“

Il Cugino denkt nicht im Traum daran, sich über diese Arbeitsbedingungen zu beklagen. Lieber so, als zu Hause in Süditalien in der Bar rumzuhängen und überhaupt keine Perspektive zu haben. Lieber müde sein vom Knochenjob, als lethargisch vom Nichtstun. Lieber ein Putzfrauenlohn, als mit 25 noch von den Eltern abhängig sein. Lieber in einem kalten, fremden Land leben, als dabei zusehen müssen, wie die eigene Heimat immer mehr vor die Hunde geht.

Il Cugino ist zu Recht stolz auf das, was er in weniger als einem Jahr erreicht hat. Seine Freunde in Italien beneiden ihn, können aber nicht ganz verstehen, warum er das alles auf sich nimmt. Ist doch viel bequemer, nichts zu tun und über den Staat zu lamentieren.

Die Schweizer, die il Cugino kennen, mögen ihn. So ein feiner Kerl, anständig, fleissig, freundlich und anpassungswillig.

Die Schweizer, die ihn nicht kennen, sehen in ihm eine Bedrohung. Noch so einer, der hierher kommt. Dass kaum ein Schweizer bereit wäre, so zu arbeiten, wie il Cugino es tut, bedenken sie nicht. Dass sie selber ihre Sachen packen und auswandern würden, wenn ihr Land ihnen keine Perspektive böte, können sie sich nicht vorstellen. Dass ihre eigenen Vorfahren das Gleiche getan haben wie il Cugino, als die Zeiten hier schlecht waren, wollen sie nicht sehen. Oder wenn sie es sehen, behaupten sie dreist: „Aber Amerika war nicht besiedelt damals. Meine Urgrosseltern haben niemandem etwas weggenommen.“

Die Schweizer fürchten sich vor einem jungen Mann, der sich dazu entschliesst, sein Glück dort zu suchen, wo er es am ehesten zu finden glaubt. Sie fürchten sich nicht nur, sie empfinden auch Wut. Ein ganz klein wenig kann ich die Wut nachvollziehen, aber diese Wut richtet sich gegen den Falschen. Wenn wir auf jemanden wütend sein sollten, dann auf die Unternehmer, die den Umstand, dass viele Menschen in ihrem eigenen Land keine Zukunft mehr sehen, schamlos ausnützen. Es ist nicht il Cugino, der die Löhne nach unten drückt. Es liegt nicht an ihm, dass die Firmen lieber billige Temporärstellen als teure Feststellen anbieten. Er kann nichts dafür, dass manche lieber Migranten einstellen, weil die für jeden Knochenjob dankbar sind und nicht aufbegehren, wenn sie wie Spielfiguren herumgeschoben werden.

Will man il Cugino wirklich einen Strick daraus drehen, dass er sich das klaglos bieten lässt, weil er einfach nur froh ist, überhaupt arbeiten zu dürfen?

IMG_1777.JPG

Verquatschte Zeit

So langsam beginne ich, Besuche bei der Dentalhygienikerin zu fürchten. Dies nicht etwa, weil es meinen Zähnen schlecht ginge oder weil die Dame so grob mit ihnen umgeht. Es ist die Dame selbst, die mir Furcht einflösst. Da liege ich auf diesem Stuhl, den Mund weit aufgesperrt in der Erwartung, dass sie jetzt gleich nachsehen wird, wie es meinen Zähnen geht, doch stattdessen legt sie los mit ihrem Gequatsche. Ob ich in den vergangenen Jahren ein paar Kinder geboren hätte, will sie wissen. Ja, natürlich, ein paar schon, antworte ich. Fünf, um präzise zu sein und ich glaube, damit sei die Frage nach meinem schwindenden Knochen beantwortet und ich könne jetzt endlich meine Zähne zeigen.

Aber meine Zähne interessieren sie jetzt nicht mehr, sie will wissen, wie das so ist mit einer Grossfamilie. Widerwillig gebe ich ein paar der üblichen Banalitäten von mir – mit der Zeit hat man sie drauf, diese Floskeln -, doch sie unterbricht mich bald einmal. Erzählt mir, wie das heute so ist, mit einer Grossfamilie. Kein Problem mehr ist das, die Kinder sind ja alle den ganzen Tag in der Schule, da hat man kaum mehr etwas zu tun mit ihnen. Grosseltern braucht man heutzutage ja auch nicht mehr, es gibt Krippen. Ich könne froh sein, dass ich nicht mit der Schwiegermutter zusammenleben müsse, das hätten die Mütter früher nämlich noch tun müssen. Ich versuche, einen Einwand einzubringen, weil es mich nun doch etwas fuchst, dass sie – die durchblicken lässt, dass sie kinderlos ist – zu wissen glaubt, wie mein Leben aussieht. Doch mein Einwand löst nur einen neuen Redeschwall aus. Die Schweiz nicht familienfreundlich? Des sieht sie ganz anders als ich. Den Familien geht es prächtig hierzulande. Wenn die Familien bescheidener wären, müssten auch nicht Vater und Mutter zur Arbeit gehen. Ferien? Genügend Wohnraum? Alles überbewertet. Sie ist auch ohne gross geworden, hat ihr auch nichts geschadet. Diese Eltern haben aber auch immer so viele Ansprüche. Das Einzige, was sie an der Familienpolitik stört, ist dass sie, die doch Vollzeit arbeitet, nach der Pensionierung weniger AHV haben wird, weil sie verheiratet ist. Alles andere ist bestens. 

Jetzt, wo das geklärt ist, kann sie sich endlich meinen Zähnen widmen. Die Sache ist schnell abgehakt. Zwei Röntgenbilder, ein bisschen Zahnstein, ein bisschen polieren, oder wie die das nennen, dann ist es erledigt. Doch offenbar hat die Frau noch nicht genug Dampf abgelassen, darum kommt sie noch einmal auf das Thema Grossfamilie zurück. Sie muss da noch etwas loswerden bezüglich Blockzeiten. Ist doch wirklich viel einfacher geworden heute, wo die Kinder den ganzen Morgen in der Schule sind. Ihre Mutter musste jeweils noch den ganzen Morgen zu Hause bleiben, weil jeder einen anderen Stundenplan hatte. Währenddem ich noch überlege, ob ich ihr jetzt lieber von meiner Schwester erzählen soll, die Kinder und Beruf noch immer ohne Blockzeiten jonglieren muss, oder ob ich ihr sagen soll, dass es trotz Blockzeiten kaum einen Schultag in meinem Leben gibt, der so verläuft, wie er auf dem Stundenplan steht, hüpft sie weiter zum nächsten Thema. Ich hätte da mal einen Termin vergessen, sagt sie vorwurfsvoll. Ja, so etwas könne in meinem Alltag halt mal vorkommen, es sei halt… Weiter lässt sie mich nicht kommen. Einen Terminplaner müsse ich mir anschaffen, einen richtig Grossen, den ich mir an die Wand hänge, in den ich alle Termine eintrage. Nein, nein, auf gar keinen Fall die Termine auch noch elektronisch eintragen. Nur im Planer an der Wand, dann bekäme ich das schon in den Griff…

Wie gerne hätte ich der Dame gezeigt, dass ich nicht nur gesunde Zähne mit schwindendem Knochen habe, sondern dass ich auf diesen gesunden Zähnen mit schwindendem Knochen ganz schön viele Haare wachsen lassen kann, wenn es die Situation erfordert. Ich habe es dann bleiben lassen, denn zu Hause wartete der wahre Alltag einer Grossfamilie mit Home Office und dieser Alltag reagiert äusserst sensibel auf sinnlos verquatschte Zeit.  

img_5025

Konservative Bande!

Gestern war Kolumnen-Tag und wie so oft begann er damit, dass morgens um acht die Schreibblockade an der Tür klingelte. „Du schon wieder?“, fragte ich entgeistert, als sie vor mir stand. „Wir haben uns doch schon soooooo lange nicht mehr gesehen“, säuselte sie mit Unschuldsmiene und drängte sich rasch an mir vorbei, ehe es mir gelang, ihr die Tür vor der Nase zuzuknallen. „Machst du mir einen Kaffee?“, fragte sie. „Vergiss es“, gab ich unfreundlich zur Antwort. „Wenn ich erst anfange, mit dir Kaffee zu trinken, dann werde ich dich den ganzen Tag nicht mehr los. Von mir aus kannst du mit mir in die Sauna kommen. Hab‘ mir beim Stricken die Schulter verspannt, ich brauche ein wenig Wärme…“ „Ach, was bist du doch gemein!“, protestierte die Schreibblockade. „Du weisst genau, dass ich es in der Sauna nie lange aushalte. Kaum bin ich da drin, muss ich flüchten und dann schleichst du dich davon, um an deinen Texten zu arbeiten.“ Die Schreibblockade sah mich mit traurigem Hundeblick an und fuhr dann fort: „Warum willst du mich immer so schnell als möglich loswerden? Magst du mich etwa nicht?“ „Na ja, wenn ich ganz viel Zeit habe, stören mich deine gelegentlichen Besuche nicht. Aber ich hab‘ nun mal selten Zeit, mit dir rumzuhängen. Meistens gibt es da einen Abgabetermin. Oder das Essen muss auf den Tisch. Oder…“ „Alles faule Ausreden“, unterbrach mich mein ungebetener Gast. „Du magst mich einfach nicht. Punkt. Aber glaub bloss nicht, dass ich mich einfach abschütteln lasse. Heute werde ich die Hitze der Sauna ertragen, das verspreche ich dir…“ 

Wie meistens, wenn sie mir damit droht, bei mir zu bleiben, machte die Schreibblockade ihre Drohung wahr. Sie, die gewöhnlich schon nach fünf Minuten in der Sauna das Weite sucht und mich dem Schreibfluss überlässt, hielt ganze drei Saunagänge durch, ehe sie das Weite suchen musste. Endlich hätte ich ungehindert schreiben können, doch leider musste ich jetzt an den Herd. Natürlich auch später als geplant und darum würde die Suppe nicht rechtzeitig fertig sein und ich würde mir wieder das Gemotze der hungrigen Meute anhören müssen. Darauf hatte ich nach diesem elenden Vormittag mit der Schreibblockade wirklich keine Lust, also beschloss ich, meine Familie mit einem Sauna-Zmittag zu besänftigen. „Hört mal, ihr setzt euch jetzt ein wenig in die Sauna währenddem ich die Suppe fertig mache. Dann kommt ihr hoch, esst eine Portion, kühlt euch ein wenig ab und macht Pause. Dann wieder zurück in die Sauna, wieder ein wenig essen und wenn die Zeit vor der Schule noch reicht, ein dritter Saunagang.“ 

Tolle Idee, nicht wahr? Meine Familie, die mir gewöhnlich in den Ohren liegt, endlich wieder mal die Sauna einzuheizen, sah das anders. Luise motzte, sie wolle doch nachmittags nicht mit nassen Haaren in die Schule gehen. Der Zoowärter wollte zwar in die Sauna, aber „noch nicht jetzt, sondern erst am Nachmittag, wenn ich von der Schule nach Hause komme“. Der FeuerwehrRitterRömerPirat verschanzte sich sofort hinter seinem neuesten Buch und sagte gar nichts. Das Prinzchen hatte noch unverdaute Legosteine und „Meiner“, der sonst keine Gelegenheit zum Schwitzen auslässt, faselte etwas von „viel zu tun heute Nachmittag“. Einzig Karlsson zeigte sich flexibel und wechselte fröhlich zwischen Sauna, Esstisch und Sofa, genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Der Rest der Familie bestand darauf, das Mittagessen gutbürgerlich und gesittet einzunehmen. Was für eine konservative Bande!

(Und falls mir jetzt jemand sagen möchte, Sauna und Essen gingen nicht zusammen, dann muss ich ihn leider darauf aufmerksam machen, dass Mrs. Perfect mir das schon vor langer Zeit gesagt hat, was mich aber schon damals nicht interessiert hat.)

image21

Was willst du mal werden?

Bewerbungen schreibt er praktisch ohne elterliche Hilfe. Er hat in der Schule gelernt, wie das geht.

Neulich war er schnuppern. Einen Tag nur, aber der Betrieb verlangte dennoch eine schriftliche Bewerbung. Danach gab’s eine Power Ponit-Präsentation in der Schule. Die Kids können das besser als mancher Erwachsene, der seinen Text mühsam von ein paar langweilig gestalteten Folien abliest und mit der Fernbedienung kämpft.

Heute bewarb er sich für ein „Berufswahlpraktikum“. Vier Tage im Juli nächsten Jahres. Den Lebenslauf schüttelte er einfach so aus dem Ärmel. Auch in der Schule gelernt und zwar perfekt. 

Im November wird er vierzehn, wie man sich beim Vorstellungsgespräch korrekt verhält, weiss er aber bereits jetzt. Was man besser nicht anzieht auch. Obschon er nach der obligatorischen Schulzeit gerne noch ein paar Schuljahre anhängen möchte und darum nicht so bald ein Vorstellungsgespräch haben wird. Und obschon er noch gar nicht so genau weiss, welchen Beruf er mal ausüben möchte. (Eine Lehrstelle wird er sich aber auf alle Fälle suchen, als Plan B.)

Kein Zweifel, die Teenager von heute werden gut auf das Berufsleben vorbereitet. Sehr viel besser als wir damals. Nahezu perfekt. Was ich grundsätzlich gut finde. Ist ja auch eine äusserst wichtige Angelegenheit, die man nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. 

Nur manchmal fragt eine leise Stimme in mir, wann denn eigentlich die Teenagerjahre stattfinden sollen. Kurz vor der Pensionierung?

(Okay, ich geb’s zu. Die Glucke in mir findet, so habe er wenigstens keine Zeit, auf dumme Gedanken zu kommen.)

image3