Was für andere Leute der Zahnarztbesuch ist, ist für mich der Besuch beim Coiffeur. Wochenlang, ja, monatelang schiebe ich den Termin vor mir her und erst dann, wenn „Meiner“ meines Anblicks vollkommen überdrüssig geworden ist, lasse ich es zu, dass er mich anmeldet. Ja, allein der Anruf ist für mich unerträglich. „Bei wem waren Sie das letzte Mal?“, will die Dame am Empfang dann nämlich jeweils wissen und ich gerate ins Stottern, weil ich nicht mehr weiss, ob die Coiffeuse Jolanda, Monika oder Manuela hiess. Dabei bin ich seit Ewigkeiten ihre Kundin. Sie hat mir bestimmt schon fünfmal die Haare geschnitten. Deshalb lasse ich „Meinen“ den Anruf tätigen, denn er kann guten Gewissens antworten, er habe keine Ahnung, wer jeweils für meine Frisur zuständig sei. Dies hat zur Folge, dass jeweils der ganze Salon auf den Stockzähnen grinst, wenn ich zum Gemetzel antrete. Aber ich bringe es nicht übers Herz, den Salon zu wechseln, auch wenn mein Ruf schon längst ruiniert ist. Wo sonst komme ich gratis zur Rückenmassage auf diesem wunderbaren Massagesessel? Da nimmt man alles andere auf sich.
Bin ich dann im Salon, folgt das nächste Problem. Die Lektüre. Seitdem ich einmal eine Coiffeuse völlig aus dem Konzept brachte, weil ich die „Weltwoche“ verlangte, – das war natürlich lange bevor die „Weltwoche“ zum Parteiblatt der SVP verkommen war, – fürchte ich nichts so sehr wie die Frage: „Darf ich Ihnen etwas zum Lesen bringen?“. Normalerweise rette ich mich aus der misslichen Lage, indem ich selber etwas zum Lesen mitbringe. Doch heute hatte das Prinzchen einen solchen Hunger, dass ich keine Zeit hatte, mir eine Lektüre zu schnappen, bevor ich das Haus verliess. Der „Spiegel“ blieb zu Hause und ich sass bald darauf mit „Die Frau im Spiegel“ vor dem Spiegel.
Ja und schaut man sie sich dann mal wieder genauer an, die Frau im Spiegel, sieht man plötzlich, dass sie ein Doppekinn bekommen hat, dass ihre Schultern zu breit sind, dass sie einen Mitesser am Kinn hat. Und dann findet man sie, auch wenn man sich nicht als eitel bezeichnen würde, einen der hässlichsten Menschen auf diesem Erdboden. Da liest man doch lieber die „Frau im Spiegel“, um zu erfahren, welche Eskapaden sich Heidi Becker, Boris Williams, Robbie Klum und wie sie alle heissen, vor einem Jahr geleistet haben.
Und dann steht sie vor mir, Jolanda, Monika oder Manuela. Freundlich wie immer, doch jedes Mal ein wenig mitleidiger. Ich sehe es in ihren Augen: Es zerreisst ihr fast das Herz, mein Haar so leiden zu sehen, doch tapfer nimmt sie sich der Aufgabe ein weiteres Mal an. Schlägt mir vor, ein paar Strähnchen mehr zu färben als letztes Mal, wieder mal einen neuen Schnitt auszuprobieren, ein paar Stufen zu schneiden. Und weil Jolanda, Monika oder Manuela so nett ist, lasse ich sie gewähren, werde zum völlig willenlosen Geschöpf, das sich am Ende der Tortur sogar ein komplett überteuertes Pflegeprodukt aufschwatzen lässt, obschon ich „Meinem“ versprochen habe, dass ich darauf nie mehr hereinfallen werde. Zumindest habe ich laut und deutlich Nein gesagt, als man mir ein „Handparaffin“ anbot. Nachdem ich letztes Mal völlig verdattert Ja gestammelt hatte, weil ich keine Ahnung hatte, worum es ging, bin ich diesmal ein wenig gescheiter und lasse es nicht mehr zu, dass man meine Hände in heisses Wachs taucht.
Irgendwann ist es dann überstanden. Der Haarschnitt, den Jolanda, Monika oder Manuela mir verpasst hat, verschont mich für die nächsten zehn Monate vor weiteren Qualen. Offenbar mache ich aber trotz meiner Abneigung Fortschritte: Jolanda, Monika oder Manuela hat mich heute zum ersten Mal geduzt. Ein untrügliches Zeigen, dass sie mich trotz meiner Schwächen als ihre persönliche Stammkundin akzeptiert. Vielleicht komme ich schon in sechs Monaten wieder. Aber nicht ohne meine eigene Lektüre.