Generalstreik im Kleiderschrank

Es ist mal wieder soweit: Meine Kleider haben alle gemeinsam den Entschluss gefasst, mich im Stich zu lassen. Zuerst die Jeans, die mehr Loch als Hose war, dann die Bluse, die mir seit mehr als zehn Jahren die Treue gehalten hatte und schliesslich auch noch die pinkfarbene Hose, die mich seit der letzten Schwangerschaft stets getröstet hatte, wenn ich mich mal wieder so richtig hässlich fühlte. Gut, ich geb’s ja zu, ich war nicht immer nur nett zu meinen Kleidern. Ich habe sie immer mal wieder achtlos auf dem Fussboden liegen gelassen, wenn ich abends zu faul war, sie fein säuberlich zusammenzufalten. Hin und wieder habe ich sie auch mit Farben kombiniert, die so ganz und gar nicht passen wollten. Und das eine oder andere Mal habe ich auch gemotzt, ich würde mal wieder unmöglich aussehen in diesen Fetzen. Ja, wahrlich nicht sonderlich nett, aber das gibt meinen Kleidern doch noch lange nicht das Recht, in Generalstreik zu treten und mich ausgerechnet jetzt, wo ich wieder jeden Tag das Haus verlasse, im Stich zu lassen. Ein bisschen mehr Loyalität hätte ich ja schon erwartet, nach allem Zu- und Abnehmen, das wir in den vergangenen Jahren der Familiengründung gemeinsam durchgestanden haben, meine Kleider und ich.

Nun mag man sich ja fragen, was denn so schlimm sei daran, wenn man sich von alten Kleidern trennen muss. Immerhin hat man dann einen guten Grund, sich neue zu kaufen und das, so könnte man meinen, sollte mir als Frau die Freudentränen in die Augen treiben. Das Problem ist nur, dass ich zu der Sorte Frauen gehöre, die lieber zum Zahnarzt gehen als in einen Kleiderladen. Versteht mich nicht falsch, ich mag schöne Kleider, aber die sollen bitte von selbst den Weg in meinen Schrank finden und dann ewig bleiben. Oder zumindest so lange, bis ich ich ihren Anblick wirklich nicht mehr ertragen kann. Gut, inzwischen kommen die Kleider ja tatsächlich von selbst zu mir, habe ich mich doch voll und ganz dem Versandhandel verschrieben. Das Paket wird geliefert, ich probiere das Zeug dann, wenn keiner zuschaut, einen Bruchteil behalte ich, den Rest schicke ich wieder zurück. Alles perfekt also, nicht wahr?

Nicht ganz, denn leider dauert es eine Weile, bis so ein Paket ankommt und da ich mir neue Kleider immer erst dann besorge, wenn die alten wirklich kaputt sind, darf ich behaupten, dass ich zurzeit eine der wenigen Frauen in unseren Breitengraden bin, die tatsächlich nichts Anzuziehen hat, zumindest nichts, das noch alle Knöpfe dran hat. Auch das wäre noch nicht so schlimm, denn kleine Mängel lassen sich leicht kaschieren oder im schlimmsten Fall vielleicht sogar beheben. Schlimm aber ist, dass ich meinen kleiderlosen Zustand vor „Meinem“ so lange werde geheim halten müssen, bis das Paket ankommt. Denn ich weiss genau, was geschehen wird, wenn er von meinem leeren Kleiderschrank erfährt: Er wird alle Hebel in Bewegung setzen, damit ich einen Tag freinehmen kann, um mir Kleider zu kaufen. Gut, so ein freier Tag wäre gar nicht so schlecht, nur weiss ich, dass „Meiner“ am Ende dieses Tages auch neue Kleider sehen will, was bedeuten würde, dass ich mir meine Freizeit nicht in Buchhandlungen und Museen um die Ohren schlagen könnte. Und Freizeit, die ich mit Kleiderkauf vergeuden muss, kann mir gestohlen bleiben.

Es könnte sogar noch schlimmer kommen, nämlich dann, wenn ich mich standhaft weigere, ein Kleidergeschäft zu betreten und „Meiner“ am Ende wieder selber auf Einkaufstour für mich geht. Nicht, dass er mir hässliche Kleider bringen würde. Im Gegenteil, der Mann hat Geschmack. Aber möchtet ihr vielleicht von „Eurem“ zu hören bekommen: „Schau mal, was ich dir vom Einkauf mitgebracht habe. Ist sie nicht hübsch, die Bluse? Und günstig war sie obendrein. Wenn du willst, kann ich sie dir morgen noch in Lila besorgen…“?

Männlein und Weiblein

Zurzeit gibt es bei uns am Tisch nur noch ein Gesprächsthema: Die Liebe und zwar diejenige zwischen Männlein und Weiblein. Ich glaube, es ist das erste Mal, dass alle unsere Kinder im Zuge ihrer Entwicklung zur gleichen Zeit das gleiche Thema entdecken. Gewöhnlich befasst sich die eine mit Lesen- und Schreibenlernen, der andere mit seinem Bauchnabel und der Dritte mit der Frage, wie man es fertigbringt, den Kindergartenfreund zu besiegen, ohne dass man dafür selber Haue bekommt. Diesmal aber scheint es, als hätten sich unsere Kinder miteinander abgesprochen, um alle zur gleichen Zeit möglichst viel zu lernen.

Der Zoowärter, zum Beispiel, hat vor ein paar Tagen seinen ersten Filmkuss gesehen. Nein, keine Angst, es war nichts Unanständiges. Er sass nur zufällig dabei, als Luise und ich uns „Emma“ anschauten. Diesen Kuss, den er da gesehen hat, beschäftigt ihn nun schon seit Tagen und auch heute Nachmittag wollte er wieder über das Gesehene reden. Weil ihm aber nicht mehr einfiel, wie der Herr und die Dame, die da so Unsägliches taten, heissen, fragte er mich: „Mama, wie heisst schon wieder der Mann, der die Frau aufgesogen hat?“ Gewöhnlich versuche ich ja, bei solchen Fragen ernst zu bleiben, weil ich nicht will, dass die Kinder aufhören, Fragen zu stellen. Aber versucht mal, keine Tränen zu lachen, wenn ihr euch vorstellt, wie Mr. Knightley einem Staubsauger gleich seine Emma in sich hinein saugt.

Weniger zum Lachen gibt es, wenn der FeuerwehrRitterRömerPirat die neuesten Wörter aus dem Kindergarten nach Hause bringt. Eigentlich hätte ich ja gedacht, dass mich beim dritten Kind nichts mehr so leicht aus den Socken haut, aber die Ausdrücke, die unser Sechsjähriger da lernt, kenne ich sonst nur von vorpubertären Rotznasen. Nun weiss ich nicht, wie das bei euch zu Hause war, als ihr mit wüsten Wörtern nach Hause kamt. Bei uns wurden solche Dinge einfach überhört, da es zu peinlich gewesen wäre, über Unaussprechliches zu reden. „Meiner“ und ich haben uns aber zum Ziel gesetzt, dass unsere Kinder auch über die Vorgänge unter der Gürtellinie möglichst unbefangen aber auch mit dem nötigen Respekt reden können und so kommt es durchaus vor, dass wir während des Mittagessens darüber diskutieren, weshalb man das eine sagen soll, das andere aber nicht. Dass man dabei nicht umhin kommt, auch die derben Ausdrücke in den Mund zu nehmen, versteht sich von selbst. Da hoffe ich doch bloss, dass das Tageskind, das bei uns am Tisch Deutsch lernt, nicht die falschen Ausdrücke mit nach Hause nimmt. Aber vielleicht haben die Kinder, die dem FeuerwehrRitterRömerPiraten die wüsten Wörter beigebracht haben, ja auch nur erklären wollen, was man nicht sagen darf…

Auch wenn Luise Fragen stellt, muss man die Kinder zuweilen sehr tief unter die Bettdecke blicken lassen. Bei unserer Tochter dreht sich momentan alles darum, wie Männlein und Weiblein es schaffen, sich bis an ihr Lebensende zu lieben und warum es Viele eben nicht schaffen. Und weil Kinder direkt sind, sieht man sich dann schon mal zwischen Zimmer aufräumen und Guetzli backen mit Fragen konfrontiert wird, ob es eigentlich Spass mache, mit jemandem ins Bett zu gehen, oder ob man das nur mache, um Kinder zu kriegen. Ich liebe solche Fragen, auch wenn sie mich dazu zwingen, sehr viel über mich selber preiszugeben. Aber wer, wenn nicht „Meiner“ und ich, sollen unseren Kindern Red und Antwort stehen? Und wo wir schon dabei sind, Antworten zu geben, sitzt auch Karlsson gerne dabei und hört zu. Fragen mag er nicht mehr besonders viel, denn dazu ist er wohl langsam zu gross. Aber hören, was gesagt wird, wenn andere fragen, das scheint ihm nichts auszumachen und so schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe: Wir befriedigen Luises Neugier und füttern zugleich Karlsson, der nicht mehr so offensichtlich neugierig ist, mit Informationen, die ihm nur zu bald schon nützlich sein könnten.

Während die Grossen also schon ziemlich intime Details wissen wollen, dreht sich beim Prinzchen alles noch um die Basics, dies aber momentan fast rund um die Uhr: Ich bin ein grosser Bub, Mama ist eine Frau, Papa ist ein Mann, Luise ist ein Mädchen und alle anderen in der Familie sind Jungs. Papa hat einen Bart, Mama nicht, die Geschwister auch nicht, aber Papa sagt, dass Karlsson, der FeuerwehrRitterRömerPirat, der Zoowärter und das Prinzchen später auch einen haben werden. Männlein und Weiblien auch hier. Und weil es auf der Welt ja nicht nur die sieben Vendittis gibt, hat das Prinzchen momentan sehr viel zu tun, wenn wir einkaufen gehen, denn bei jedem Menschen, den er sieht, gilt es festzustellen, ob er / sie nun Bub, Mädchen, Mann oder Frau sei. Ich weiss nicht, wie oft ich heute, als das Prinzchen und ich den letzten Weihnachtseinkauf tätigten, gesagt habe „Ja, Prinzchen, das ist ein Mann, ja, das dort drüben ist ein Mädchen und das daneben ist eine Frau“, aber glaubt mir, er war sehr sehr oft und die Leute waren nicht alle begeistert darüber. Besonders die nicht, bei denen ich sagen musste „Nein, das ist kein Mann, das ist eine Frau.“

Voll erwischt

Noch keine acht Jahre alt ist sie, unsere Luise, und schon hat es sie erwischt, dieses Fieber, an dem wir Romantikerinnen früher oder später erkranken. Ich musste ganze zweiundzwanzig Jahre alt werden, bevor ich vom Jane-Austen-Virus befallen wurde, aber wenn das Virus mal in der Familie ist, dann dauert es meist nicht lange, bis auch andere Familienmitglieder ansteckt. „Meiner“ war der Erste, was mich doch sehr erstaunte, können doch Männer, Romantiker hin oder her, gewöhnlich wenig mit Emma Woodhouse, Lizzie Bennet & Co. anfangen. Nun, „Meiner“ konnte und so ist es wohl kaum verwunderlich, dass Luise schon jetzt auf den Geschmack gekommen ist.

In den Ohren lag sie uns ja schon lange mit ihrem Wunsch, sie möchte doch endlich einmal die Verfilmung von „Emma“ sehen, doch nachdem unsere Nichten damals wenig begeistert gewesen waren von dem Film, wehrten wir ab, mit der Begründung, Luise würde sich bloss langweilen. Gestern aber liess sich unsere Tochter nicht mehr länger vertrösten und suchte bei YouTube nach Filmausschnitten. Natürlich wurde sie fündig und bald darauf sass sie schmachtend da, entrückt in eine andere Welt. In eine Welt, in der die Kleider schöner, die Männer galanter und die Liebe romantischer ist. Spätestens als Luise sehnsüchtig seufzte, als Mister Knightley und Emma sich hingebungsvoll küssten, wusste ich, dass es unsere Tochter ganz gewaltig erwischt hat. Man konnte die rosa Wölkchen, auf denen sie schwebte, förmlich sehen.

Das Ende des Trailers brachte Luise wieder auf den harten Boden der Tatschen zurück: „Ich glaube, ich werde nie einen Mann finden“, seufzte sie und ich wollte schon bemerken, dass es wohl heutzutage wirklich schwierig werden könnte, einen Gentleman wie Mister Knightley zu finden, als sie fortfuhr: „Mein Mann muss nämlich so schön sein wie Papa und so einen finde ich ganz bestimmt nicht.“ Karlsson, der daneben sass und nicht so recht wusste, ob er nun bei der romantischen Schwelgerei der beiden einzigen Frauen im Haus mitmachen sollte oder nicht, ermahnte seine Schwester: „Aber Luise, du weisst doch, dass es nicht nur auf die äussere Schönheit ankommt. Die innere Schönheit ist viel wichtiger.“ Luise überlegte einen Moment lang und sagte dann: „Aber Mama hat bei Papa auch auf die äussere Schönheit geschaut, als sie ihn geheiratet hat.“

Nun, ich meine, dass Luise sich noch ein wenig Zeit lassen soll mit der Frage nach dem Mann des Lebens, aber dass ich nun endlich weibliche Gesellschaft habe, wenn ich mir mal wieder einen Kostümfilm reinziehen will, freut mich natürlich ungemein. Denn auch wenn es schön ist, dass „Meiner“ meine Liebe zu Schnulzen teilt, so richtig schwelgen lässt sich eben nur mit anderen Frauen. Auch wenn diese Frau, mit der ich in Zukunft schwelgen werde, noch keine acht Jahre alt ist.

Ätsch! Ich darf halt!

Da treffe ich doch immer wieder auf Mütter, deren Kinder schon deutlich grösser sind als meine, die mir mitleidig versichern, sie würden nicht mit mir tauschen wollen.  „Du Arme!“, sagen sie jeweils „Du musst nachts immer noch aufstehen. Du musst noch immer Windeln wechseln. Und du hast nie einen kinderfreien Vormittag.“ Es lässt sich nicht leugnen, dass mein Leben wohl etwas beschaulicher wäre, hätte ich nicht noch drei Vorschulkinder. Dafür darf ich etwas, was Mütter von grösseren Kindern nicht mehr dürfen: Ich darf jammern soviel ich will. Hat mir unser Postbote heute Morgen offiziell bestätigt.

Die armen Männer müssten immer arbeiten, bemerkte er, als er hörte, wie ich dem Prinzchen erklärte, der Papa könne jetzt nicht kommen, weil er am Arbeiten sei. Ich machte den Postboten freundlich darauf aufmerksam, dass ich ja auch nicht auf der faulen Haut liegen würde, worauf er meinte: „Stimmt, Sie arbeiten wirklich viel. Sie haben ja auch noch ganz viele kleine Kinder und darum dürfen Sie auch jammern. Aber all die Hausfrauen, deren Kinder schon gross sind, die sollen endlich mal aufhören zu jammern und sich an die Arbeit machen. Aber Sie dürfen natürlich jammern soviel Sie wollen.“

Somit verfüge ich also ab sofort über eine Lizenz zum Jammern, von der ich ausgiebig Gebrauch machen werde, wann immer mir der Sinn nach Jammern steht. Und falls ihr Mütter von grösseren Kindern findet, das sei ganz und gar unfair, dann denkt dran: Eben noch habt ihr mich wegen meiner schlaflosen Nächte, wegen der vollen Windeln und dem Mangel an Freizeit bemitleidet.

Historisch

Das war dann wohl wahrlich ein historischer Moment heute Morgen, als klar war, dass die Schweiz zum ersten Mal überhaupt mehrheitlich von Frauen regiert wird. Wenn man bedenkt, dass vor wenigen Jahren noch jede weibliche Kandidatur in grossem Jammer endete, dann müssten uns Schweizerinnen heute ja eigentlich den ganzen Tag die Freudentränen über die Wangen kullern. Was aber irgendwie nicht der Fall ist, zumindest bei mir nicht. Im Gegenteil, ich bin fast ein wenig enttäuscht, dass sich Tage, an denen Geschichte geschrieben wird, nicht anders anfühlen, als gewöhnliche Tage auch. Das liegt nicht in erster Linie daran, dass die Kandidatin, die ich eigentlich gerne im Bundesrat gesehen hätte, von rechts überholt wurde. Es liegt auch nicht alleine an der Partei, die mal wieder alles versaut hat. Ich meine übrigens die Partei, die weiterhin voller Stolz verkündet, ein Drittel der Schweizer Bevölkerung stehe hinter ihr, obschon inzwischen sogar ich begriffen habe, dass dies mathematisch gar nicht aufgeht, weil gar nie alle Schweizer zur Urne gehen, wenn gewählt wird. Von den nicht stimmberechtigten „Ausländern“ mal ganz zu schweigen.

Nein, der Hauptgrund für meine Enttäuschung liegt bei mir selber. Denn wo verbrachte ich die historische Stunde? Jubelnd auf dem Bundesplatz? Oder zumindest in einer fröhlich überdrehten Frauenrunde? Mitnichten. Ich sass zu Hause auf dem Sofa, strickend. Nun mag das an sich noch nicht so schlimm sein, Bundesrätin Dreifuss war ja auch immer mal wieder strickend anzutreffen. Aber wenn Mama Venditti am Tag einer historischen Wahl zu Hause vor dem Fernseher sitzt und Hausschuhe für „Ihren“ strickt, damit er im Winter keine kalten Füsse mehr haben muss, dann sieht das ja schon fast anrüchig aus. So, als wollte ich proteststricken, um zu zeigen, wo Frau hingehört.

Neben meiner Enttäuschung macht sich zudem ein leises Gefühl von Ernüchterung breit. Da kommt in Bern eine weitere Frau an die Macht, aber zu Hause gehen die Dinge ihren gewohnten Gang: Das Pastawasser kocht über, während der Postbote klingelt, um ein Paket abzugeben, das Prinzchen heult, weil er kein weiteres Muffin haben darf, Luise stolpert über das Kabel des Laptops und der Zoowärter rast splitterfasernackt durch die Wohnung, weil er eben sein T-Shirt im Apfelsaft getränkt hat. Dass im Nebenzimmer am Fernseher gerade gezeigt wird, wie die vierte Frau für ihr Amt in der Landesregierung vereidigt wird, kümmert keinen, am allerwenigsten mich selber, denn ich muss ja dafür sorgen, dass die Sache nicht noch ganz aus dem Ruder läuft. Hätte man denn nicht mindestens erwarten dürfen, dass sämtliche Vendittis ergriffen vor dem Fernseher sitzen?

Das war er also, der historische Moment. Bleibt zu hoffen, dass er auf nationaler Ebene mehr auslöst als bei uns zu Hause.

Von Kleidern und anderen Dingen

Heute früh hatte ich mal wieder Gelegenheit in einem Zugabteil voller Gymnasiasten zu sitzen. Gewöhnlich sitze ich ja nicht um Viertel vor acht ohne Kinder im Zug und so nahm ich mir die Zeit, mir die Spätteenager etwas genauer anzuschauen. Ist ja noch gar nicht so lange her, seitdem ich noch selber ins Gymnasium ging. Also bloss etwa 15 Jahre oder so. Dennoch scheint mir, dass sich da so einiges geändert hat. Nein, es sind nicht die Handys und iPods, die damals noch keiner hatte. Es sind die Kleider, die mich irritieren. Wo sind sie denn, die Typen mir den Boxershorts auf dem Kopf? Oder jene, die das ganze Jahr über barfuss laufen? Oder die mit den grünen Haaren? Nicht mal solche, die in allen Farben des Regenbogens gekleidet sind, wie „Meiner“ und ich das während unserer Gymnasialzeit waren, sieht man mehr. Die tragen alle nur noch braun, grau und schwarz. Was ist bloss mit der Jugend von heute los? Müssen die vor lauter Schulstress auf all die Verspieltheit verzichten, die das Leben in dieser Phase mit sich bringen sollte? Oder bin ich aus lauter Zufall in einem Abteil mit Schülern aus dem Wirtschaftsgymnasium gelandet? Sähe das Bild in einem Zugwaggon voller Pädagogikstudenten anders aus?

Eine ganz andere Kleiderfrage beschäftigte mich ebenfalls heute Morgen: Was zieht man zu einer „Fachtagung Betreuungsgutscheine“ an? Die Antwort lautet: Nichts. Also, ich meine natürlich nichts Besonderes. Die übliche Alltagskluft genügt vollauf. Gut, meine Jeans hat schon bessere Zeiten gesehen, meine Bluse und mein Haarschnitt auch, aber damit passte ich perfekt ins Bild, wie ich bei meiner Ankunft in Luzern mit Erleichterung feststellte. Klar, der eine oder andere Ex-Regierungsrat mochte nicht auf Anzug und Krawatte verzichten, aber die anderen trugen, was wir Idealistinnen eben zu tragen pflegen. Ob das daran liegt, dass wir Wichtigeres zu tun haben, als von Boutique zu Boutique zu ziehen, oder ob wir aus lauter Idealismus gerne auf eine anständige Bezahlung verzichten und deswegen kein Geld für schicke Kleider haben, sei dahingestellt.

Während ich also von der Kleidung her perfekt zu den anderen passte, musste ich mich hin und wieder beim Zuhören fragen, von welchem Stern ich denn komme. Da wurde zum Beispiel eingangs klar definiert, was gemeint ist, wenn das Wort „Eltern“ verwendet wird. Die Definition ist mir inzwischen wieder entfallen, doch die Frage schwirrt weiterhin in meinem Kopf: Haben wir uns soweit von der Realität entfernt, dass wir nicht mehr wissen, was Eltern sind, wenn uns nicht einer klar und deutlich sagt, was das Wort bedeutet? Besonders angetan hat es mir dafür  die Definition des Wortes „bildgunsfern“. Ich war ja stets davon ausgegangen, dass damit Leute gemeint sind, die wenig bis gar keine Schulbildung haben. Seit heute aber weiss ich, dass damit Leute gemeint sind, die keine akademische Ausbildung haben. Nun hoffe ich natürlich, dass dies bloss ein Versprecher der Referentin war, denn ich bin mir nicht so sicher, wie gerne sich Lehrer, Pflegepersonal, Schreiner, Bankangestellte und was es sonst so an nicht-akademisch gebildeten Fachleuten gibt, zu den bildungsfernen Schichten zählen lassen.

Im Grossen und Ganzen war die Tagung aber eine gelungene Sache. Bis auf diese eine Aussage vielleicht: „In gewissen Fällen unterstützen wir auch Mütter, die nicht arbeiten.“ Und dann vielleicht auch noch diese: „Manchmal wären auch Kinder von Eltern, die nichts arbeiten, auf familienergänzende Betreuung angewiesen.“ Ja, und auch diese Formulierung hat mir ein wenig zu Schaffen gemacht: „Wenn die Mutter nicht arbeitet, heisst das noch lange nicht….“ Als Mutter, die „nichts arbeitet“ erstaunt es mich doch sehr, dass man sich alle erdenkliche Mühe gibt, mit der Verwendung des Begrifsf „Eltern“ niemanden auszuschliessen und gleichzeitig ohne mit der Wimper zu zucken Müttern und Vätern, die zu Hause bleiben, zu unterstellen, sie würden den lieben langen Tag überhaupt gar nichts tun.

So läuft das von nun an

Nach meinem Gejammer von letzter Woche, es sei bei uns arbeitstechnisch alles aus dem Lot geraten, habe ich die Konsequenzen gezogen und erkläre hiermit den Dienstagmorgen zwischen 9:15 und 10:30 zu meiner Freizeit. Denn ich bin in genau die Falle getappt, in die sie fast alle tappen, die Mütter, die nach Jahren der Aufopferung endlich mal wieder ein klein wenig Freizeit haben könnten, sie aber nicht haben, weil sie jede freie Sekunde sofort mit Arbeit füllen. Damit ist ab heute Schluss bei mir: Ab sofort, wenn nichts Wichtigeres dazwischenkommt, werde ich am Dienstagmorgen nur noch tun, was ich will. Ich werde Schwarztee trinken anstelle von diesem unglaublich langweiligen Kaffee, auch wenn mich das Zeug furchtbar nervös macht. Ich werde Zeitung lesen, vielleicht gar ein Buch, falls ich Lust habe, werde ich bloggen, falls nicht, verschiebe ich es eben auf später, sollte die Sehnsucht nach Arbeit übermächtig werden, werde ich arbeiten, ich werde mich mit Freundinnen verabreden und vielleicht, so Prinzchen will, werde ich mich hin und wieder für ein paar Momente hinlegen und den Dienstag geniessen. Also natürlich keine Sekunde länger als von 9:15  bis 10:30 Uhr.

Das alles werde ich tun, sobald ich die Druckerpatrone ausgewechselt, die Dokumente ausgedruckt, die paar Briefe zum Versand bereit gemacht, das Papier gebündelt und an die Strasse gestellt, die Küche aufgeräumt und das Prinzchen gewickelt habe. Bin ich nicht ein unglaublich mutiger Mensch, der auch vor grossen Veränderungen nicht zurückschreckt?

P.S. Eigentlich sollten hier in diesem Text ein paar Passagen durchgestrichen sein, aber Word Press scheint nicht damit einverstanden zu sein. Weil ich nach zehn Versuchen jetzt aber keine Lust mehr habe, mich mit Word Press herumzuplagen, müsst ihr euch eben selber denken, was hier durchgestrichen sein könnte und was nicht. Immerhin ist Dienstagmorgen und ich habe Wichtigeres zu tun…

Will ich’s wissen?

Will ich wissen, was die Schweizer Bevölkerung davon hält, dass eine Bundesratskandidatin ganz offen dazu steht, dass sie sich hin und wieder eine Pause gönnt?

Will ich wissen, ob das Parlament bei der Wahl diese Ehrlichkeit zu honorieren weiss, oder ob man der Frau aus dieser angeblichen Schwäche einen Strick dreht, der sie zu Fall bringen wird?

Will ich wissen, ob die Schweiz endlich soweit ist, dass auch dann Frauen in den Bundesrat gewählt werden, wenn die Möglichkeit  – oder je nach Sicht der Dinge die Gefahr – besteht, dass nach der Wahl die Frauen die Mehrheit stellen?

Will ich wissen, was in diesen Tagen am Stammtisch geredet wird?

Will ich wissen, ob sich etwas getan hat, oder ob dann, wenn’s darauf ankommt, noch immer die gleichen Mechanismen spielen?

Ich wünschte mir, dass ich die Antworten nicht fürchten müsste. Ich wünschte mir, dass Menschlichkeit nicht mehr als Schwäche angesehen würde. Ich wünschte mir, dass man genau so selbstverständlich, wie man jahrhundertelang eine von Männern dominierte Regierung hingenommen hat, auch eine von Frauen dominierte akzeptieren würde. Ich wünschte mir, dass man an den Stammtischen in diesen Tagen die gleichen Wünsche äusserte, wie ich es hier tue.

Doch ich fürchte, dass die Realität ein wenig anders aussieht, dass meine Wünsche Wünsche bleiben werden. Ich fürchte, dass die Antworten auf meine Fragen anders ausfallen werden, als sie ausfallen würden, wenn ich das Sagen hätte. Und deswegen überlege ich ernsthaft, mir für die kommenden Wochen ein paar Scheuklappen zuzulegen, damit ich nicht sehen muss, was ich lieber nicht sehen will, nämlich dass sich trotz der vielen Worte praktisch gar nichts geändert hat.

Podestplatz

Ist es ein weibliches Phänomen, oder ein mütterliches? Dieses ewige Ziehen von Vergleichen mit dem Resultat, dass man selber vollkommen flach herauskommt, die andere Frau hingegen als Superwoman? „Wie du das alles schaffst. Ich würde das nie hinkriegen!“ „Für dich ist das alles ja kein Problem, aber ich komme einfach nicht klar damit.“ „Ich bewundere dich: Bei dir ist immer alles tadellos aber bei mir herrscht das absolute Chaos.“ Vielleicht irre ich mich ja, aber wenn Männer sich unterhalten, höre ich solche Sätze nie, wenn Frauen miteinander reden aber immer mal wieder. In unzähligen Variationen zwar, aber stets mit dem gleichen Effekt: Die andere Frau steht auf dem Podest, man selber liegt im Staub und schämt sich seiner Unvollkommenheit.

Natürlich aber will die andere Frau gar nicht auf dem Podest stehen, denn sie selber ist sich ihrer eigenen Unvollkommenheit mehr bewusst, als ihr lieb ist. Und darum beginnt sie, ganz offen von ihren Schwächen zu erzählen. Doch ob sie nun erzählt, sie blicke auch jeden Morgen voller Entsetzen ihrem zerknitterten Spiegelbild entgegen, oder ob sie in den buntesten Ausschmückungen ihr letztes Totalversagen als Mama schildert, oder ob sie gesteht, dass sie sich zuweilen so sehr hasst, dass sie sich selber in die Wüste schicken möchte, man glaubt ihr nicht. Sich selber traut Frau jedes Versagen, jeden Makel zu, aber die andere, die ist doch perfekt, die macht ganz bestimmt nichts falsch. Die erzählt bestimmt nur von ihren Problemen, damit ich mich nicht so minderwertig fühle und nicht, weil tatsächlich nicht alles so rosig ist, wie es aus der Ferne betrachtet aussieht.

Und so sehen wir Frauen- oder vielleicht nur wir Mütter? – unser Umfeld bevölkert mit lauter Statuen von makelloser Schönheit und absoluter Perfektion. Wir denken, dass sie alle voller Abscheu auf uns hinabsehen, auf uns, die wir es einfach nicht so hinkriegen, wie wir sollten. Obschon wir in den Augen der anderen wohl ebenso auf einem Podest erscheinen, wie sie in unseren, fühlen wir uns winzig klein und unbedeutend. Nur hin und wieder wachen wir auf, nämlich dann, wenn eine der vermeintlich so Starken und Fehlerlosen vom Podest stürzt und mit viel Getöse zerbricht. Dann reiben wir uns erstaunt die Augen und sagen: „Aber sie war doch so perfekt. Ich hätte nie gedacht, dass ihr so etwas passieren könnte.“

Wie? Das hätte man nie denken können? Aber klar hätte man: Wenn man genauer hingehört hätte und nicht vor lauter Selbstzweifeln überhört hätte, dass die andere nicht nur sagt, sie sei nicht perfekt, sondern dass sie es tatsächlich nicht ist.

Weil eben keine von uns perfekt ist.

Welcome back

Da seid ihr ja wieder, ihr Schuldgefühle. Eigentlich habe ich euch ja nicht jetzt schon zurück erwartet, aber wie ich euch kenne, ist euch so ziemlich egal, was ich denke. Kaum seht ihr eine Mama, die sich dazu anschickt, fünf Minuten ihrer wertvollen Zeit in eine Berufstätigkeit zu investieren, stürmt ihr die Bude, macht euch breit und beginnt, zu allem und jedem euren Senf dazu zu geben. Bei mir spielt sich das Drama im Moment so ab:

M(ama): „Ich verschwinde dann mal für ein paar Stunden im Büro. Wenn ihr ein Problem habt, geht zu Papa.“
Kaum ist die Bürotür hinter hinter Mama zugefallen, ertönt Geschrei, Papa tröstet, redet gut zu, löst die Probleme und der Alltag nimmt seinen gewohnten Lauf.  Mama stürzt sich in die Arbeit und nimmt schon bald gar nicht mehr wahr, welche Dramen sich vor der Bürotür abspielen. Irgendwann aber steht ein heulendes Kind im Büro.

M, leicht genervt: „Ach, du Arme(r)! Was ist denn mit dir passiert?“
K(ind): „Die anderen sind so gemein zu mir! Die lassen mich nicht mitspielen!“
M:  „Das ist aber unfair. Aber weisst du, ich bin am Arbeiten. Du musst zu Papa gehen.“
Das Kind verlässt schluchzend das Büro, die Mama versucht, sich wieder auf die Arbeit zu konzentrieren. Zeit für die ungebetenen Gäste, die Bühne zu betreten:

S(chuldgefühle): „Was bist du doch für eine Rabenmama. Siehst du denn nicht, dass dein Kind traurig ist?“
M: „Klar sehe ich das.  Aber ‚Meiner‘ ist heute Nachmittag für die Kinder zuständig…“
S: „Ja, klar ‚Deiner‘. Als ob der in den Schulferien auch noch Kinder hüten müsste. Und du weisst doch: Wenn es einem Kind schlecht geht, dann braucht es die Mama, nicht den Papa.“
M: „Das stimmt doch gar nicht. ‚Meiner‘ kann das ebenso gut wie ich.“
S: „Kann er nicht.“
M: „Kann er doch.“

Mama wendet sich wieder ihrer Arbeit zu, die Schuldgefühle wissen für einen Moment lang nicht, was sie noch sagen sollen. Draussen spielen die Kinder, schreien, lachen, singen. Wo denn die Mama sei, will ein Kind wissen.

S: „Hast du gehört, die suchen dich. Warum musst du auch immer arbeiten, wo deine Kinder dich doch so sehr brauchen.“
M: „Meine Kinder haben mich fast den ganzen Tag. Und wenn sie mich nicht haben, dann haben sie den Papa und der ist genauso wichtig. Und immerhin arbeite ich nicht ausser Hause. Zu den Mahlzeiten bin ich da.“
S: „Und danach verschwindest du wieder im Büro. Glaubst du wirklich, dass deine Kinder das mögen. Die werden sich später, wenn sie mal an ihre Kindheit zurückdenken, nur noch an eine verschlossene Bürotür erinnern. Und an eine Mama, die nie Zeit hat.“
M: „Aber ich habe doch Zeit. Ich bin fast immer da…“
S: „
Fast immer, ja. Aber nicht immer…“
M: „Aber ich muss doch gar nicht immer. ‚Meiner’….“
S: „Ja, ich weiss, ‚Deiner‘. Aber glaubst du nicht auch, die Kinder wären viel besser betreut, wenn ihr
beide jetzt im Garten wäret?“

So geht es weiter, hin und her, immer hitziger, immer giftiger. Und je nach dem, wer den längeren Atem hat, siegen die Schuldgefühle oder die Mama.

Ja, ihr lieben Schuldgefühle, ihr wisst, wie ihr einem das Leben versauern könnt. Aber Eines muss man euch lassen: Ihr piesackt die Mütter ohne Ansehen der Person. Denn ob eine Mama vollzeitlich berufstätig ist, ob sie von zu Hause aus arbeitet, ob sie ehrenamtlich arbeitet oder ob sie krankgeschrieben ist, ihr bringt es immer fertig, ihr einzuflüstern, dass sie es nie und nimmer schafft, die Mama zu sein, die ihre Kinder verdient hätten.