Networking

Man meint ja, nur in der Politik und in der Karriere sei es wichtig, Netzwerke zu knüpfen, die einem das Fortkommen erleichtern. Dabei ist es im Familienleben ebenso wichtig, wenn nicht noch wichtiger. Denn wie um Himmels Willen will man denn je fortkommen – und dies im wahrsten Sinne des Wortes – wenn man nicht ein Netz an Freunden und Verwandten hat, die einem hin und wieder die Kinder abnehmen? Was schon wichtig ist bei einem oder zwei Kindern, wird geradezu überlebenswichtig, wenn man drei, vier oder mehr hat. Eins oder zwei kann man ja noch relativ einfach unterbringen, zumindest wenn man Eltern hat, die dem Hüten von Enkelkindern nicht ganz abgeneigt sind, aber ab dreien wird’s richtig schwierig. Nun würde ich natürlich nie behaupten, man solle seine Freunde danach aussuchen, ob sie grossherzig genug sind, einem hin und wieder die Kinder zu hüten. Ich habe eine ziemlich ausgeprägte Abneigung gegen Beziehungen, in denen es allein um den gegenseitigen Nutzen geht. Aber gegen Freundschaften, in denen man die verschiedensten Aspekte des Lebens teilt, darunter hin und wieder auch die Kinder, dagegen habe ich nichts einzuwenden.

Okay, das schlechte Gewissen regte sich natürlich schon, als uns unsere Freunde fragten, ob wir ihnen einen Tag und eine Nacht lang ihre Jüngste hüten würden, jetzt, wo ihre drei Grossen alle verreist seien. Im Gegenzug würden sie dann einen Tag und eine Nacht lang unsere drei Jüngsten hüten, damit auch wir mal wieder ausspannen könnten. Unausgeglichener geht’s wohl kaum, zumal ich weiss, wie hoch es hergehen kann, wenn drei kleine Venditti-Jungs so richtig in Fahrt geraten. Glaubt mir, ich tat alles, um mich gegen diesen für unsere Freunde so unfairen Deal zu wehren, aber alles, was ich herausschlagen konnte war, dass das Prinzchen zu Hause übernachtet. Wer aus der Phase der stets unterbrochenen Nächte herausgewachsen ist, soll sich nicht mit einem Prinzchen herumschlagen müssen, der durchaus in der Lage ist, sich mitten in der Nacht in den Kopf setzen kann, jetzt gleich zur Bushaltestelle gehen zu müssen. Ich hab‘ euch ja davon erzählt und ich vermute, ihr versteht meinen Entscheid, ihn nicht bei Eltern nächtigen zu lassen, die die Nachtruhe mehr als verdient haben. Zumal das Prinzchen noch nie eine Nacht von Mama und Papa getrennt war, mal abgesehen von der einen Nacht im Spital, als ich das arme Baby nicht mehr länger dem Geschnarche unserer Zimmernachbarin aussetzen wollte.

Trotz heftigstem Wehren konnte ich also nicht verhindern, dass der FeuerwehrRitterRömerPirat und der Zoowärter gestern Nachmittag uns Eltern ganz alleine zurückliessen und erst heute Nachmittag wieder glücklich und äusserst unausgeschlafen zurückkamen. Und das Prinzchen kam gestern nur gerade mal zum Schlafen nach Hause und war heute Morgen gleich wieder weg, als ob er damit nicht noch mindestens dreizehn Jahre zu früh dran wäre. Was konnten „Meiner“ und ich da anderes tun, als die freie Zeit in vollen Zügen zu geniessen?

Schlaues Kind

Donnerstags hat Luise Ballettunterricht und weil Donnerstag EinkaufAbholTerminKrimskramserledigenChaosTag ist, halte ich jeweils nur kurz an, um meine Tochter aus dem Auto aussteigen zu lassen und schon bin ich wieder weg. Ab nach Hause, wo Karlsson und der FeuewehrRitterRömerPirat vielleicht gerade dabei sind, alles in Brand zu setzen. Oder vielleicht auch ab in die Migros, um die doppelten Cumuluspunkte einzuheimsen. Oder ab ins Familienzentrum, um das Prinzchen aus der Krippe abzuholen. Völlig egal, was gerade dran ist, Hauptsache, ich bin schnell wieder weg, damit ich auch rechtzeitig wieder da bin, um Luise nach dem Ballettunterricht abzuholen.

Dumm nur, dass heute die Lehrerin krank war, wovon wir nichts wussten, weshalb Luise schon bald einmal alleine im strömenden Regen dastand und nicht wusste, was sie jetzt tun sollte. Zuerst einmal tat sie das naheliegendste: Sie vergoss ein paar Tränen. Dann erinnerte sie sich daran, dass die Mama einer ihrer Freundinnen ihr vor einigen Monaten mal gesagt hatte, sie könne jederzeit bei ihr anklopfen, wenn sie in Not sei. 

Wäre ich Luise gewesen, ich hätte mich an dieses Versprechen erinnert, hätte hin und her überlegt, ob ich der Familie meinen unangemeldeten und tropfnassen Besuch zumuten könne, hätte mich gefragt, ob ich denn den Weg bis zum Haus der Freundin kenne, oder ob ich mich verlaufen würde, hätte mir eingeredet, dass die Mama der Freundin bestimmt nur hatte nett sein wollen und es mit dem Angebot gar nicht so ernst gemeint haben konnte, hätte mich schliesslich schweren Herzens dazu durchgerungen, nicht zum Haus der Freundin zu laufen, weil ich niemandem zur Last fallen will, hätte heulend im strömenden Regen darauf gewartet, bis ich abgeholt worden wäre oder hätte mich traurig und voller Selbstmitleid auf den langen und einsamen Heimweg gemacht.

Aber Gott sei Dank ist Luise sich selber und darum hat sie, nachdem sie ihre Tränen getrocknet hatte, keinen Augenblick gezögert und ist zu ihrer Freundin gegangen. Und weil die Mama der Freundin ihr Angebot damals wirklich ernst gemeint hatte, nahm sie Luise mit offenen Armen in Empfang, griff zum Telefon, um mich zu informieren, dass Luise noch bis um sechs mit ihrer Tochter spielen würde und der Tag war gerettet.

So einfach ist es, wenn man ein Kind ist: Ein lieber Mensch bietet dir Hilfe an und du glaubst ihm, dass du dich auf ihn verlassen kannst. Und plötzlich ahnt man, was mit dem berühmten Ausspruch „Werdet wie die Kinder“ gemeint sein könnte.

Superhelden

Zum fünften Mal schon sitzen wir so am Tisch, Karlsson, „Meiner“, die Lehrerin und ich. Einmal mehr bekommen wir zu hören, was wir so gerne hören: Sehr guter Schüler, fantasievoll und brav. Wir bekommen aber auch zu hören, was uns schon seit Jahren beschäftigt: So ein schüchternes Kind, muss unbedingt selbstbewusster werden. Seit dem Kindergarten schon sagt man uns dies, seit dem Kindergarten schon versuchen wir, unserem Ältesten den Rücken zu stärken, ihm zu zeigen, was er draufhat und dass er durchaus dazu stehen darf. Seit dem Kindergarten schon beschäftigt mich aber auch die Frage, weshalb Schüchternheit heute schon fast als Handicap gilt. Sorgte man sich während meiner Schulzeit vor allem um die Vorlauten, um diejenigen, die nicht davor zurückschreckten, lauthals und selbstbewusst falsche Antworten zu verkünden, so fragt man sich heute bei den Zurückhaltenden, ob wohl etwas nicht stimme mit ihnen. Generation Music Star kennt keine Scheu, wenn es darum geht, sich zu präsentieren, egal, ob das Präsentierte gut oder schlecht ist. Wer sich scheut, mit dem stimmt etwas nicht.

Gut, man hat uns noch nie eine Therapie nahe gelegt, aber regelmässig nach dem Beurteilungsgespräch zerbrachen „Meiner“ und ich uns den Kopf darüber, weshalb unser Ältester sich regelmässig deutlich schlechter einstuft als er ist, weshalb er ernsthaft daran zweifelt, ob er es in die nächste Klasse schafft, weshalb er so grosse Mühe hat, Komplimente anzunehmen. Und wie wir Eltern so sind, fragten wir uns, was wir denn falsch gemacht hätten. Sagten wir dem Kind nicht immer und immer wieder, wie sehr wir es liebten? Wiesen wir nicht regelmässig auf seine Stärken hin? Unterstützten wir ihn nicht in dem, was ihm am meisten Freude bereitete?

Über lange Zeit sah es so aus, als würde sich gar nichts ändern. Doch heute, als wir mal wieder mit der Lehrerin am Tisch sassen, kam sie zum Vorschein, die Veränderung, die sich beinahe unbemerkt in unserem Sohn zu vollziehen scheint. Ja, auch heute beurteilte er seine Leistungen schlechter als sie in Wirklichkeit sind, aber immerhin lag er nur noch leicht daneben. Auch heute antwortete er nur leise, wenn die Lehrerin etwas fragte. Aber in seinen Antworten hörte man zum ersten Mal eine Spur von „Ich kann das und ich weiss es“. Es war wirklich nur eine Spur, aber immerhin. Am deutlichsten aber war die Veränderung in Karlssons Augen zu sehen. Hatte er bei den vorangehenden Gesprächen die Lehrerin nur zweifelnd angesehen, wenn sie ihn gelobt hatte, so leuchtete diesmal die Freude förmlich aus ihm heraus. Man spürte, dass er endlich annehmen konnte, was da an Gutem gesagt wurde.

Natürlich stellten wir uns die Frage, was denn geschehen ist mit unserem Kind. Haben wir lange genug auf ihn eingeredet, so, dass er endlich glauben kann, was er hört? Haben ihn seine guten Noten überzeugt? Oder liegt es daran, dass er einfach ein Stück reifer geworden ist? Vielleicht mag das alles mit eine Rolle spielen, aber ich glaube, es ist nicht das Entscheidende. Nein, ich glaube, wir haben die Veränderung einigen Herren zu verdanken, die schon längst nicht mehr unter den Lebenden weilen, die aber in Karlsson eine so grosse Leidenschaft geweckt haben, dass er gar nicht mehr anders kann, als selbstbewusster zu werden. Denn ohne Selbstbewusstsein kann er nicht von ihnen reden und von ihnen reden will er, weil er sonst seine Mitmenschen nicht davon überzeugen kann, dass sie sich diese wunderbare Musik unbedingt auch einmal anhören müssen, welche die Herren Bach, Vivaldi, Händel und wie sie alle heissen geschrieben haben.  Nun gut, ich vermute, dass nicht allein diese Herren und ihre Musik daran Schuld sind, dass Karlsson mutiger geworden ist. Dass sein bester Freund seine Leidenschaft teilt und mit ihm während Stunden fachsimpeln kann, mag auch einen Teil zum aufkeimenden Selbstbewusstsein beigetragen haben.

Bewegend

Ist doch einfach schön, so gefeiert zu werden. Schon dass „Meiner“ eine Party für mich organisiert hat, hat mich riesig gefreut. Auch die Postkarten von lieben Freunden haben mir den Tag verschönert. Das Päckchen von den Eltern unseres Au-Pair war eine wunderbare Überraschung. Und die Glückwünsche auf Facebook, zum Teil von lieben Menschen, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen habe, waren natürlich auch sehr schön.

So richtig bis tief in mein Innerstes gerührt hat mich aber etwas anderes, nämlich die Geburtstagsgrüsse, die heute meine Mailbox beinahe überquellen liessen. Einfach bewegend, wer da alles an mich gedacht hat: „ClickandBuy“ schickt mir die besten Wünsche, der „Waschbär Umweltversand“ und „Vivanda“ haben sich gar miteinander abgesprochen, um mir den exakt gleichen Geburtstagsgruss zukommen zu lassen, der „Weltbild Verlag“ und „La Redoute“ schenken mir in unendlicher Grosszügigkeit je zehn Franken wenn ich für unendlich viel Geld etwas bei ihnen bestelle und auch „StayFriends“ und „Jesus.de“ haben mich nicht vergessen.

Ist das nicht beeindruckend: Da hinterlässt du nur ein einziges Mal in einem Online-Shop deine Spuren und schon wird dein Geburtstag nie wieder vergessen. Freunde mögen dein Geburtsdatum mit demjenigen deines „Deinen“ verwechseln, Verwandte mögen sich fragen, ob du nun 36 oder 46 Jahre alt wirst, aber „ClickandBuy“ wird nie vergessen, an welchem Tag du den wievielten Geburtstag feierst. Vermutlich werden die mir noch im Altersheim die besten Wünsche zukommen lassen, obschon ich mich bereits heute nicht mehr daran erinnern kann, wie die überhaupt an mein Geburtsdatum gekommen sind. Muss einer jener verrückten Spätabenspotaneinkäufe gewesen sein, den ich bei denen im Halbschlaf getätigt habe.

Ob ich aus lauter Dankbarkeit für all die netten Wünsche mal kurz bei jedem meiner Gratulanten vorbeisurfen soll? Ich meine, wenn ich will, dass die mir auch in 50 Jahren noch zum Geburtstag gratulieren können, muss ich dafür sorgen, dass ihr Laden läuft, nicht wahr?

Einfach himmlisch, diese Brötchen!

Hier das Rezept, für alle, die auch mal schwelgen möchten.

Zutaten:

1 völlig ahnungslose Ehefrau, die nicht eine Sekunde daran denkt, dass man vier Tage vor ihrem 36. Geburtstag eine Überraschungsparty veranstalten und obendrein noch ihr erstes Buch feiern könnte
1 liebender Ehemann, der trotz turbulentem Alltagsleben noch schnell nebenbei eine Party organisiert
5 Kinder, die voller Begeisterung dabei sind und es auch noch schaffen, dicht zu halten
1 Au-Pair, das sich voller Elan in die Sache dreingibt und dann auch noch eine Bayley’s Torte bäckt
1 Mutter, die nicht mehr aufhören kann, eine wunderbare Torte nach der anderen aus dem Ofen zu zaubern

Diese fünf Zutaten gut vermischen und einige Tage lang ziehen lassen, dann die folgenden Zutaten untermengen und alles vier, fünf oder sechs Stunden lang backen:

1 Schwester, die am Samstagmorgen früh aufsteht, um bei den Vorbereitungen zu helfen
liebe Freunde, die Crêpes-Teig und andere Köstlichkeiten mitbringen
möglichst viele liebe Freunde und Verwandte, die einen mit lieben Worten überhäufen (und die einen rabenschwarz anlügen können, wenn sie einen fünf Minuten vor dem Fest in der Stadt über den Weg laufen 😉 )
eine Horde von fröhlichen Kindern, die sich zum Teil noch nie begegnet sind, die aber dennoch den ganzen Nachmittag vergnügt miteinander spielen
anregende Gespräche mit all den lieben Menschen, die einen durchs Leben begleiten

Eigentlich wären die Brötchen auch so schon der perfekte Genuss, noch besser werden sie aber, wenn man sie mit den folgenden Zutaten verfeinert:

ein Tisch voller liebevoll ausgesuchter Geschenke
und als Garnitur obendrauf ein iPad

Das also waren sie, meine Brötchen. Ich habe sie genossen bis zum letzten Krümel. Jetzt bin ich pappsatt und sehr sehr glücklich.

Eine einzige Frage aber quält mich: Wem aus meiner Familie und meinem Freundeskreis kann ich denn in Zukunft noch trauen? Wo diese wunderbaren Menschen mich doch über Wochen an der Nase herumgeführt haben, damit ich ihrer Überraschung nicht auf die Schliche komme.

Luxus

Durch die Porzellanabteilung gehen, ohne dabei fürchten zu müssen, dass fünf liebenswerte kleine Elefanten einen Scherbenhaufen anrichten.

Die Füsse in der Aare baden, ohne zittern zu müssen, dass eines der Kinder in den Fluss fällt.

Picknicken.

Sich ein Dessert genehmigen, obschon man noch nicht richtig zu Mittag gegessen hat.

Sich zehn Minuten nach dem Dessert im nächsten Café niederlassen und sich dort einen Cappuccino gönnen.

Sehnsüchtig jedes Neugeborene bestaunen, ohne damit eine endlose Diskussion darüber loszutreten, ob man tatsächlich die eigenen Babys noch viel mehr bestaunt hat, oder ob man das nur behauptet, damit die Eifersucht aufhört.

Bei jedem Kind, das man sieht, denken zu dürfen: „Wie schön, ich habe fünf von diesen wunderbaren Geschöpfen zu Hause“ und nicht denken zu müssen „Ach, wenn ich doch auch eins haben dürfte….“

Ungestört durch die Ikea schlendern und sich dabei so viel Zeit zu nehmen wie man will.

In der Ikea getrost weghören, wenn die Durchsage kommt: „Bitte Samira aus dem Kinderparadies abholen!“

Laut denken dürfen, weil keine kleinen Ohren mithören und keine kleinen Münder tadeln: „Aber Mama, so etwas darf man doch nicht sagen. Das ist nicht nett.“

Dann aufs WC gehen, wenn man wirklich muss und nicht dann, wenn die Kinder müssen und man eben auch noch schnell geht, weil man nachher wohl keine Zeit mehr dazu haben wird.

Den direkten Weg über die Treppe nehmen und nicht den lagen Umweg über die kinderwagentaugliche Rampe nehmen müssen.

Diejenige sein, die der gestressten jungen Mutter mit dem Kinderwagen hilft und nicht die gestresste junge Mutter sein, der mit dem Kinderwagen geholfen werden muss.

Eine Stunde lang über das gleiche Thema reden, es am nächsten Tag wieder aufgreifen und am übernächsten Tag noch einmal Bezug nehmen darauf.

Unvernünftig sein.

Sich am Ende des Tages auf das Wiedersehen mit den Kindern freuen.

Einen lieben Mann zu haben, mit dem man dies alles teilen darf.

Liebe Freunde zu haben, die all diesen Luxus erst möglich machen.

Im Luxemburgerli-Himmel

Samstagmorgen vor zwei Wochen. Mama Venditti sitzt mit Karlsson, Luise und dem FeuerwehrRitterRömerPiraten im Zug nach Zürich. Man ist unterwegs in die Ferien, die Stimmung ist bestens und Mama Venditti, naiv wie sie auch nach Jahren der Mutterschaft noch immer ist, stellt sich auf eine friedliche Zugfahrt ein und ist dankbar, dass „Ihrer“ mit den zwei Kleinen und dem Gepäck im Auto sitzt und nicht sie. Dann, völlig unerwartet, schlägt die Stimmung um: Der Zug fährt bei der Firma „Sprüngli“ vorbei, wo die Lastwagen mit riesigen, unwiderstehlichen Luxemburgerli verziert sind. Was Karlsson daran erinnert, dass am Vorabend, als er zu Bett ging, noch nicht alle Luxemburgerli, welche die Gäste mitgebracht hatten, aufgegessen waren. „Was habt ihr mit den restlichen Luxemburgerli gemacht?“, fragt er streng und als er erfährt, dass Mama und Papa diese einfach aufgegessen haben, weil sie der Meinung waren, das delikate Dessert werde mit der Zeit auch nicht besser – immerhin steht auf der Packung „Bitte sofort geniessen“ -,  ist es vorbei mit dem Frieden. Karlsson tobt, findet, seine Eltern seien ganz furchtbar gemein und er wolle jetzt gleich neue Luxemburgerli haben.

Mama Venditti, die weiss, dass in solchen Momenten Erklärungen sinnlos sind, geht gar nicht gross auf das Drama ein. Was einer  Zugpassagierin nicht passt. Ob das Kind denn nicht endlich Ruhe geben könne, mault sie. Mama Venditti erklärt ihr, dass sie mit ihrem Gemaule die ohnehin nicht ganz einfach Situation unnötig erschwere, weshalb sie ich froh wäre, wenn sie sich aus der Sache raushalten würde. Was sie zur Bemerkung veranlasst, Kinder seien ohnehin das Letzte, sie hätte sich als Kind nie so aufgeführt und Mama Venditti  hätte nie und nimmer so viele Kinder haben sollen. Wenn die wüsste, wie viele kleine Vendittis es in Wirklichkeit sind….  Irgendwann platzt Mama Venditti der Kragen, weil sie jetzt mit zwei Unzufriedenen im Kampf steht, und so wird sie ziemlich unhöflich mit der Dame. So unhöflich, dass Karlsson darob seine Luxemburgerli vergisst und Mama erschreckt anstarrt. So unhöflich auch, dass die Dame sich plötzlich auf die Seite der eben noch so verabscheuten Kinder schlägt und findet, die armen Kinder könnten einem ja Leid tun mit einer solchen Mutter.

Nun, diese Mutter ist tatsächlich nicht immer das beste Vorbild, aber zumindest schafft sie es jetzt endlich, ihren Ältesten zu beruhigen: „Karlsson, ich verspreche dir, dass es wieder einmal Luxemburgerli geben wird. Ganz bestimmt.“ Und innerlich fügt sie hinzu: „Spätestens dann, wenn das Konto diesen Ferienaufenthalt verdaut hat, die Rechnung der Musikschule, die Steuerrechnung, die nächsten Monsterwocheneinkäufe, die Kinderschuhe für den Herbst, das E-Bike, das „Meiner“ für den Arbeitsweg braucht…“ Also irgendwann, in zehn Jahren vielleicht, gibt’s wieder Luxemburgerli bei uns.“An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Luxemburgerli ein halbes Vermögen kosten – und Luxemburgerli für eine Grossfamilie ein Ganzes.

Zwei Wochen später, wieder ein Samstagmorgen, diesmal aber zu Hause. Alle sind schon wach, nur Mama Venditti schläft noch tief und fest auf dem Sofa, wohin sie sich nachts zurückgezogen hat, weil sie keinen Platz mehr fand im Bett, da Karlsson noch einmal im Elternbett übernachten wollte, bevor er endgültig zu gross ist. Zu irgend einer unchristlichen Zeit  – Mama Venditti würde sagen, es sei etwa um vier Uhr morgens gewesen, aber in Wirklichkeit war es wohl so gegen halb acht – klingelt es an der Haustüre. Schlaftrunken macht sie sich auf zur Haustüre, denn obschon alle anderen schon längst wach sind, ist offenbar keiner wach genug, um sich aus dem Bett zu quälen. Vor der Haustüre steht der Postbote mit einer Eilsendung. Was kann das bloss sein? Ausnahmsweise hat Mama Venditti nun wirklich keine offenen Bestellungen, auf deren Lieferung sie wartet. Bald schon ist klar, was da morgens in aller Frühe seinen Weg zu Vendittis gefunden hat: Die einzige Sache, die einem nicht die Laune verdirbt, sondern schlagartig verbessert, wenn man ihretwegen am Samstag aus den Federn geholt wird, nämlich eine Riesenpackung Luxemburgerli.

Wäre ich katholisch, ich würde sagen, dass Linders sich mit dieser guten Tat soeben die Eintrittskarte für den Himmel erstanden haben….

Lazy Day

Am Morgen so gegen neun Uhr aus dem Bett gekrochen kommen, die Kinder und sich selber mit Frühstück versorgen, Taschen packen, die Kinder den absolut zuverlässigen Babysittern überlassen und ab geht’s mit dem Velo. Zuerst zur Migros, wo nur das eingekauft wird, was wir wollen. Dann an die Aare, wo wir uns den perfekten Platz suchen, ungestört von Hunden, Sonnenanbetern und Mücken. Und dann nur noch faules Herumfläzen, ein wenig lesen, ein wenig diskutieren, ein wenig in den blauen Himmel starren, ein wenig essen, ein wenig in alten Erinnerungen schwelgen, ein wenig ausmalen, wie die Zukunft auch noch sein könnte. Dann weiter zum nächstgelegenen Café, wo bei Latte Macchiato und Cappuccino weitere tiefschürfende Gespräche folgen, zurück in den Park, ein wenig dösen, ein wenig in der aktuellen Ausgabe des „Spiegel“ blättern. Danach zurück nach Hause, wo noch kein Mensch ist, weil die Babysitter mit den Kindern noch im Park sind, den wir soeben verlassen haben, ohne unsere Kinder zu sehen.

Was früher, in kinderlosen Zeiten, sommerlicher Alltag war, ist heute Luxus par excellence. Wenn dann noch das ganze Arrangement ein Geschenk von Freunden ist, welche die Babysitter nicht nur organisiert haben, sondern auch bezahlen werden, dann glaubt man, mit Engeln befreundet zu sein. Und wenn man weiss, dass dies erst der erste Tag des Geschenks war und dass noch ein paar weitere im ähnlichen Stil folgen werden, dann glaubt man, für ein paar Tage den Himmel auf Erden zu erleben.

Peinlich…

Als wir vor bald zwei Jahren herausfanden, dass wir bald Eltern von fünf Kindern sein würden, sprach uns eine erfahrene Mutter von vielen Kindern mit folgenden Worten Mut zu: „Wisst ihr, was das Schöne ist, wenn man eine grosse Familie hat? Man wird nur noch von Menschen eingeladen, die einen wirklich lieben.“ Diese Aussage kommt mir immer wieder in den Sinn, wenn wir eingeladen werden, was erstaunlich oft geschieht. Ganz offensichtlich gibt es in unserem Umfeld viele Menschen, die uns lieben.

Manchmal jedoch habe ich das Gefühl, dass wir die Liebe unserer Mitmenschen etwas zu arg strapazieren. Heute Nachmittag zum Beispiel, als wir im Nachbardorf zu Kaffee und Kuchen eingeladen waren. Es fing damit an, dass Karlsson seinen Veloschlüssel nicht finden konnte, weshalb die ganze Meute zu spät kam. Wir wurden von unseren Gastgebern trotz unserer Verspätung freundlich ins Haus gebeten, wo sich unsere Kinder ihrer Jacken und Schuhe entledigten – und es sich herausstellte, dass Karlsson keine Socken trug. Barfuss bei minus fünf Grad, wo heute sogar ich Strümpfe trug! Ich hätte im Boden versinken können. Die Gastgeberin holte ohne mit der Wimper zu zucken ein paar Socken für Karlsson und ich hoffte, dass wir den Rest des Nachmittags ohne weitere Peinlichkeiten hinter uns bringen würden. Was anfangs auch mehr oder weniger der Fall war, wenn man mal davon absieht, dass sich Karlsson und Luise um die letzten Reste der Beeren zankten und  der FeuerwehrRitterRömerPirat in seine Zopf-Scheibe ein Loch bohrte und sie dann achtlos liegen liess.

Dann aber verkündete der Zoowärter, er müsse aufs Klo. Der Zoowärter aufs Klo? Hat er etwa ausgerechnet heute Nachmittag entschieden, dass er jetzt wirklich zu alt ist für Windeln? Leider nicht. Als die Gastgeberin ihn aufs WC begleitet, stellt sich heraus, dass seine Hose nass ist. Ob die Windel wohl undicht war, frage ich mich, als ich mich auch zum Badezimmer begebe. Aber nein, die Windel traf keine Schuld an dem Malheur. Denn die Windel lag bei uns zu Hause auf dem Fussboden und wartete artig darauf, bis der Zoowärter in sie schlüpfen würde. Der Zoowärter stand derweilen ohne Windel, lediglich mit einer tropfnassen Strumpfhose und einer tropfnassen Jeans bekleidet im Badezimmer unserer Gastgeber. „Meiner“ hatte in der Eile nicht bemerkt, dass das Kind gar keine Windel trug, als wir aus dem Haus gingen. Ersatzkleidung hatten wir natürlich auch nicht dabei. Aber immerhin Ersatzwindeln, in die wir das Kind stecken konnten.

Dann wurde es ruhiger. Die Kinder spielten mehr oder weniger friedlich  und wir unterhielten uns mit unseren Gastgebern. Schliesslich war es Zeit, nach Hause zu gehen. Wir räumten artig alle Spielsachen auf, die unsere Kinder über den Fussboden verteilt hatten, verabschiedeten uns und zum Dank für die nette Bewirtung streckte der FeuerwehrRitterRömerPirat dem Gastgeber die Zunge raus.

Was bin ich froh, dass unsere Gastgeber vor vielen Jahren auch mal kleine Kinder hatten….