Die Zeiten haben sich halt geändert

Wer meiner Generation angehört, gerät nicht selten ins Schwärmen, wenn er von seiner Kindheit erzählt. Mit leuchtenden Augen wird von den Abenteuern aus längst vergangenen Zeiten berichtet. Von kleineren und grösseren Kindern, die gemeinsam durch die Quartiere zogen, mit selbstgebastelten Seifenkisten Rennen veranstalteten, im Wald Feuer machten, beinahe die Bäume in Brand steckten, bei jedem Bandenmitglied zu Hause Süssigkeiten erbettelten und nackt im Bach badeten. Erwachsene kommen in diesen Geschichten nur am Rande vor. Als gütige Mütter, die aufgeschlagene Knie verarzten. Als naive Nachbarinnen, die allen Ernstes glauben, die Süssigkeiten bettelnden Kinder hätten an diesem Tag noch kein einziges Körnchen Zucker konsumiert. Als gestrenge Väter, die ihre ungezogenen Nachkommen ohne Abendessen ins Bett schicken, weil sie dem Schreiner für den Seifenkistenbau ein paar Bretter entwendet haben. Oder als gütiger Onkel, der dafür sorgt, dass die Knöpfe dennoch nicht mit leerem Magen schlafen gehen müssen, weil seine liebenswerte Frau gerade einen grossen Topf Suppe auf dem Herd stehen hat.

Herrliche Zeiten müssen das gewesen sein! Offenbar aber nicht herrlich genug, um meine Generation davon zu überzeugen, dass diejenigen, die jetzt heranwachsen, ähnlich Freiheiten geniessen sollten. Die Zeiten hätten sich geändert, sagen sie. Man könne den heutigen Kleinen nicht mehr zutrauen, was man ihnen zugetraut habe. 

Wer heute durch die Quartiere spaziert, trifft deshalb nur selten auf einen Trupp Kinder, der die verkehrsberuhigte Zone unsicher macht. Dafür ist jeder Vorgarten in einen eingezäunten Privatspielplatz umgewandelt worden. Beim einen Haus trifft man auf einen einsamen Ritter, der nicht so recht weiss, wie er die gigantische Spielburg, die ihm der Opa zum Geburtstag gezimmert hat, ohne Hilfe von Freunden erobern soll. Im Nachbarhaus regieren zwei Prinzessinnen über ein paradiesisches Reich mit Pool, Spielhaus, Schaukel, Wippe und Trampolin. Ein paar Häuser weiter vorne hat eine kleine Piratin keine Lust mehr, den Ausguck ihres Kahns zu erklettern, seitdem der grosse Bruder den ganzen Tag in der Schule sitzt. Und wenn der Ritter, die Prinzessinnen und die Piratin eines Tages in den Kindergarten kommen, heulen sie sich die Augen aus dem Kopf, wenn sie die Sandschaufeln, die Mosaiksteinchen und die Farbstifte miteinander teilen sollen. 

Derweilen tummeln sich auf den öffentlichen Spielplätzen ein paar wenige Bedauernswerte, die in einem Haus ohne Umschwung leben, weshalb ihnen Mama und Papa kein privates Spielparadies erschaffen können. Vielleicht hätten ihre Mamas und Papas es sogar gekonnt, aber sie wollten es nicht, weil sie an ihrer verklärten Vorstellung von einer nicht perfekten, dafür aber etwas freieren Kindheit festhalten. 

Wann begreifen diese Ewiggestrigen endlich, dass sich die Zeiten geändert haben und Kinder nur gut gedeihen, wenn sie auf allen Seiten eingezäunt sind?

mais

 

So doof sind wir nun wirklich nicht

Eigentlich sollte es ja witzig sein, aber allmählich nerven mich diese blöden Beiträge auf Social Media, mit denen man sich darüber lustig macht, wie unbeholfen wir Mütter uns angeblich mit Handy, iPad und Laptop herumschlagen. Meistens sieht man da eine verstaubte Alternde, die verzweifelt auf einen Bildschirm starrt und doofe Fragen stellt, die dann von einem leicht genervten Halbwüchsigen in Karlssons Alter beantwortet werden.

Was mich daran so nervt?

Nun, erstens einmal, dass die Mütter der heutigen Sechzehn- bis Fünfundzwanzigjährigen in diesen Filmchen dargestellt werden, als wären sie Frauen, die knapp vor der Pensionierung stehen oder diese bereits hinter sich haben. Ja, wir sind nicht mehr taufrisch, aber muss man uns deswegen aussehen lassen, wie in der Realität die Urgrossmütter unserer Kinder aussehen?

Zweitens bewegen sich heutzutage wohl die meisten Mütter ziemlich gewandt in den Welten von Internet & Co. Zwar lassen wir  – aus gutem Grund – die Finger von snapchat und vielleicht tippen wir unsere Nachrichten nicht ganz so schnell ins Handy wie unsere Kinder. Doch im Grossen und Ganzen sind wir durchaus in der Lage, mit dem Geräten umzugehen. Wir verbringen den grössten Teil unserer Arbeitszeit am Bildschirm, erledigen unsere Zahlungen online, buchen die Familienferien im Netz, verabreden uns via WhatsApp mit Freundinnen, teilen unser halbes Leben auf allen möglichen Kanälen und manche von uns treiben sich stundenlang in online-Foren rum, um sich mit andern über ihre Sorgen auszutauschen. Die Mutter, die heute noch entsetzt fragt, ob sie mit dem Drücken der falschen Taste das Internet gelöscht habe, muss man mir erst noch zeigen. 

Drittens finde ich es eigentlich ganz beachtlich, was wir in den vergangenen 30 Jahren alles gelernt haben. Immerhin gehören wir noch zu denen, die im Informatikunterricht vor riesigen Monitoren sassen und verzweifelt versuchten, das Zeug zu programmieren, das der Lehrer, der von der Sache auch nicht viel mehr verstand als wir, uns langfädig erklärt hatte. Wenig später verdiente ich einen Sommer lang ziemlich viel Geld damit, Disketten mit Kundendaten ins Laufwerk zu schieben, darauf zu warten, bis auf dem Bildschirm der Asterisk erschien und dann „delete“ zu drücken. Irgendwie haben wir es von diesen rudimentären Anfängen ganz gut ins Heute geschafft, finde ich. 

Viertens geht es mir auf den Geist, wenn man sich über Menschen lustig macht, die mit der digitalen Entwicklung überfordert sind. Es mag nicht meine Generation sein, die hier an die Grenzen kommt, aber die Generationen davor haben meiner Meinung nach jedes Recht dazu, nicht alles zu verstehen, was sich da so rasend schnell entwickelt hat. 

Aus all diesen Gründen bringe ich nicht mal mehr ein müdes Lächeln zustande, wenn wieder eines dieser doofen Filmchen auf meiner Timeline erscheint. Himmel, ich mache mich ja auch nicht über die Jugend von heute lustig, weil sie keine Ahnung davon hat, wie man ein Stofftaschentuch umhäkelt.

Nicht dass ich mich noch daran erinnern würde, wie das geht, aber ich kann mir ja demnächst einmal ein Tutorial auf youtube anschauen…

blüemli

Wächst sich das denn nie aus?

Pokémon, immer nur Pokémon. Sage ich: „Schau mal, wie herzig dieser Hamster aussieht“, antwortet er: „Ja, der ist wirklich herzig, aber schau mal dieses Pokémon, das ist noch viel herziger.“ Erfährt er, dass nach den Sommerferien sein Taschengeld erhöht wird, rechnet er sogleich aus, wie viel schneller er dann seine Kartensammlung erweitern kann. Reden wir darüber, dass er sich in der Schule wirklich mehr Mühe geben sollte, erklärt er, sei doch schon schlau genug, er kenne fast alle Pokémon-Namen auswendig. Und wenn das Prinzchen dem Ball hinterher rennt, findet er, ein Pokéball wäre doch viel besser als ein Fussball. „Mein lieber Zoowärter, es gibt wirklich wichtigere Dinge in diesem Leben als diese doofen Pokémon. Können wir endlich wiedermal über etwas anderes reden?“, sage ich manchmal, wenn ich die Schnauze voll habe von diesen doofen Monstern, die meinem Kind das Taschengeld aus dem Portemonnaie ziehen. 

Manchmal hängt mir das Ganze so sehr zum Hals heraus, dass ich schreien könnte. Wie froh bin ich dann, wenn mich „Meiner“ dazu überredet, trotz Müdigkeit abends noch etwas trinken zu gehen.

Doch welche Gesprächsfetzen wehen da vom Nebentisch zu uns herüber?

„War es denn ein legendäres Pokémon oder nicht?“ „Nein, wenn es ein Legendäres gewesen wäre, dann hätte er es natürlich eingefangen, aber es war ein ganz Gewöhnliches.“

Und ich habe allen Ernstes gedacht, diese Seuche wachse sich irgend wann aus, aber leider muss ich erkennen, dass sie bei manchen Leuten anhält, bis der Kellner nicht mal mehr einen Ausweis sehen will, wenn sie Hochprozentiges bestellen. 

gurke

 

Eingeschlichen

Frauen über vierzig müssen nicht aussehen wie Frauen unter zwanzig.

Das ewige Drama um den „perfekten“ Körper kann mir gestohlen bleiben.

Schwangerschaften dürfen Spuren hinterlassen.

Absolut daneben, dass in manchen Geschäften jede, die nicht gerade spindeldürr ist, bei den Übergrössen suchen muss, wenn sie etwas Passendes finden will.

Einfach traurig, wie schon junge Frauen glauben, sie seien nicht schön, weil sie aussehen wie echte Menschen und nicht wie mehrfach bearbeitete Idelabildchen.

Dies und noch viel mehr sage ich aus tiefster Überzeugung. Und doch ertappte ich mich neulich dabei, wie ich in einem dieser elenden Kleidergeschäfte, die jeder Frau das Gefühl geben, ein fettes Nilpferd zu sein, plötzlich glaubte, ich hätte etwas Grossartiges geleistet, weil ich bei denen zum ersten Mal seit Jahren wieder in eine ganz gewöhnliche Kleidergrösse von der Stange passte.

Mist, ich will so etwas doch gar nicht für einen Erfolg halten und doch hat sich dieses Denken irgendwo bei mir einschleichen können.

Widersprüchlich

Kleine Beobachtung nach einem Gespräch mit – zum Glück nur weit entfernten – Bekannten:

Es gibt Menschen, die suchen lange nach einem Wohnquartier, in dem sich ihre Kinder willkommen und frei fühlen dürfen. Ein Ort, wo keiner motzt, wenn nachts mal ein Baby schreit, wo nur wenige Autos fahren und wo ihre Knöpfe schon bald mit den vielen Kindern, die dort zu Hause sind, unbeschwert auf der Strasse spielen können. 

Nach langer Suche ist nicht nur das perfekte Quartier gefunden, sondern auch die perfekte Wohnung. Man zieht ein, macht es sich gemütlich und würde sich allmählich wie zu Hause fühlen. Wenn da bloss nicht diese nervigen Kinder wären, die mit ihren Velos auf der Quartierstrasse herumkurven und Lärm machen. Jawohl, genau die Kinder, die vor noch nicht allzu langer Zeit als Beweis gedient hatten, dass es sich in diesem Quartier als Kind frei und fröhlich leben lässt.

Doch jetzt, wo man sie jeden Tag um sich hat, nerven sie ganz schrecklich, also fängt man an, sie wegen jeder Kleinigkeit zurechtzuweisen. Solange, bis die Kinder aus lauter Furcht, die neuen Nachbarn könnten wieder motzen, sich kaum mehr trauen, Kinder zu sein. 

poppy

 

Im Achtsamkeit-Stress

Achtsam sollen wir sein, sagen sie. Das Leben mit Bedacht angehen und ganz bewusst im Moment leben. Alle sollen das und ganz besonders wir Eltern, denn wir sind es ja, die der heranwachsenden Generation zeigen, wie leben geht. Von uns lernen die Kleinen, ob man das Dasein als hektischen Wettlauf gegen die Zeiger der Uhr oder als gemütliche Wanderung über Höhen und Tiefen versteht. 

Wir sollen kein ödes Programm abspulen, sondern alles, was uns das Leben bietet, mit offenen Armen und sämtlichen Sinnen in Empfang nehmen. Wir sollen nicht zornig mit dem Putzlappen durch die Wohnung fegen, sondern unsere schmutzigen Fussböden und staubigen Regale mit Liebe und Hingabe pflegen. Wir sollen unserem Nachwuchs keine eilig aufgewärmte Fertigkost vorsetzen, sondern mit Lust zubereitete Mahlzeiten aus Zutaten, die wir zumindest sorgsam auf dem Wochenmarkt ausgewählt haben, wenn sie denn nicht in unserem eigenen Garten unter unserer fürsorglichen Pflege herangewachsen sind. Natürlich berieseln wir unsere Kleinen nicht mit Musik aus der Konserve, sondern singen stundenlang Lieder und ermutigen unseren Nachwuchs dazu, selber zu musizieren. Wir setzen unsere Kinder nicht andauernd vor die Glotze, sondern bieten echte Erlebnisse, draussen in der Natur, beim Kreativsein, beim gemeinsamen Arbeiten.

Selbstverständlich dreht sich in unserem Leben nicht alles um den Nachwuchs, denn wir müssen auch zu uns selber Sorge tragen. Müssen Zeit haben, auf unseren Körper zu hören, ihm Gutes zu tun und ihn zu pflegen. Wir halten immer mal wieder inne, um an Blumen zu riechen, die Schmetterlinge zu beobachten und den kühlenden Wind auf unserer Haut zu spüren. Und natürlich gehen wir regelmässig in uns, um zu spüren, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind, oder ob wir unnötigen Ballast abwerfen müssen.

Wer mich kennt, weiss, dass mir viele von diesen Gedanken nicht fremd sind. Ich will ein Familienleben, in dem gemeinsame Mahlzeiten, echte Erlebnisse und Kreativität eine wichtige Rolle spielen. Will selbst gebackenes Brot auf dem Tisch, hergestellt aus Teig, der Stunden und Tage Zeit hatte, um zu reifen. Will mein eigenes Gemüse und bunte Blumen, die nicht nur uns, sondern auch den Schmetterlingen und Bienen Freude bereiten. Will Zeit haben, um über mein Leben nachzudenken und reflektiert zu handeln. Will lieben Menschen genügend Raum lassen und trotzdem Zeit für mich alleine haben. Will an manchen Tagen sogar ein aufgeräumtes Zuhause haben, weil man sich darin einfach mehr zu Hause fühlt. 

Weil ich das alles will, verlangt plötzlich der Brotteig nach Aufmerksamkeit, während auf dem Herd das liebevoll zubereitete Essen für die gemeinsame Mahlzeit überkocht und draussen im Garten der Salat von den Schnecken gefressen wird, weil ich keine Zeit hatte, die zarten Pflänzchen zu schützen, da ich vollauf damit beschäftigt war, mit „Meinem“ darüber zu reden, wie wir unser Leben ruhiger gestalten könnten, anstatt dafür zu sorgen, dass Haus und Garten nicht im Chaos versinken. 

Und plötzlich stehe ich schimpfend und zeternd inmitten meines wunderbaren, bewussten Lebens und verliere die Nerven, weil diese elende Achtsamkeit, die alle predigen, einem ganz schön viel abverlangt. 

cavatelli

Liebe Migros

Bitte nimm es mir nicht krumm, wenn ich ausnahmsweise mal keine netten Worte für dich übrig habe. Ja, ich bin ein waschechtes Migroskind. Ja, Familie Venditti deckt sich vorzugsweise bei dir mit den Dingen ein, die man zum Leben halt so braucht. Ja, nach ein paar Wochen im Ausland vermisse ich dich jeweils ganz schrecklich. Ja, ich finde dich toll, auch wenn ich heute kritischer eingestellt bin als auch schon und mich deshalb hin und wieder frage, ob du wohl wirklich so nett und freundlich bist, wie du dich gerne gibst. Wenn ich dir nun also sage, dass ich mich momentan bei jedem Einkauf ganz fürchterlich über dich aufrege, dann darfst du dies als freundliche Kritik einer Freundin auffassen.

Warum ich mich aufrege? Natürlich wegen dieser unsäglichen Verpackung, in die du die Lego-ähnlichen Bausteine hüllst, mit denen du die heranwachsende Generation zu Migroskindern erziehen willst. Mir kommt es vor, als sei es erst gestern gewesen, als du lauthals verkündet hast, der Umwelt zuliebe würden die Plastiksäckli bei dir jetzt 5 Rappen pro Stück kosten, es könne doch nicht angehen, dass wir mit dem Kram die Weltmeere verschmutzen. Du gingst sogar noch einen Schritt weiter und nahmst wiederverwendbare Beutel ins Sortiment auf, damit wir Früchte und Gemüse nicht mehr in Wegwerfbeuteln einkaufen müssen. Auch sonst brüstest du dich gerne mit deinem grossen Einsatz für einen gesunden Planeten. Unsere Kinder und Kindeskinder sollten sich an einer intakten Natur erfreuen können, sagst du und ich bin da ganz und gar einig mit dir.

Wie um alles in der Welt kannst du es dann mit deinem Gewissen vereinbaren, unseren Kindern bei jedem Einkauf kleine Plastikteile zu überreichen, die nicht nur in Folie verpackt sind, sondern obendrein auch noch in einer kleinen Plastikschale liegen? Jedes Mal, wenn unsere Knöpfe die Spielsteine ausgepackt haben, türmt sich auf dem Tisch mehr Abfall, als damals, als ich Obst und Gemüse noch im Plastikbeutel mit nach Hause nahm. Klar, unsere Kinder freuen sich über das Zeug, aber was glaubst du, wie es um die Laune unseres Planeten steht, wenn er mit diesem ganzen Kram klarkommen muss? 

Liebe Migros, ich mag dich ja von Herzen gern, aber diesmal hast du wirklich Mist gebaut. 

grönsaker.jpg

Unzufriedenheitstraining

Wiedermal ein ungeplanter Arzttermin. Wie jedes Mal vor der Untersuchung wird das Kind gebeten, sich wiegen und messen zu lassen. Die Praxisassistentin notiert sich Gewicht und Grösse und bemerkt genüsslich: „Beim letzten Besuch warst du genau gleich gross, aber zwei Kilos leichter.“

Bravo! Solche Bemerkungen sollte man – völlig normalgewichtigen – weiblichen Teenagern viel öfter vor die Füsse knallen. Sonst lernen die ja nie, mit ihrem Körper unzufrieden zu sein. 

img_9909-1

Interkultureller Dialogversuch, Teil VII

Für einmal kein Versuch, mich mit meiner Schwiegermama zu verständigen, sondern eine kleine Beobachtung über die Interaktion von Schweizern und Holländern:

Im Café, an der Kasse oder sonst irgendwo: Ein Holländer oder eine Holländerin sagt etwas zu uns. Wir haben das Gefühl, das Gesagte zu verstehen, denn irgendwie klingt das ja sehr Schweizerdeutsch. Aber natürlich verstehen wir nur Bruchstücke und darum geben wir unserem Gesprächspartner zu verstehen, dass wir eben doch nicht so recht verstehen. Inzwischen hat die Person aber mitbekommen, wie wir untereinander ein paar Worte auf Schweizerdeutsch gewechselt haben und von diesen Worten hat sie ebenfalls einige Bruchstücke verstanden, weil unsere Sprache für sie ja eben auch irgendwie vertraut klingt. Also gibt sie uns zu verstehen, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden, fügt ein paar klärende Worte hinzu, die für uns auch wieder irgendwie halbwegs verständlich sind und so geht das eine Weile weiter, bis wir uns mit viel Geschwätz, Gelächter und Gesten so gut verständigt haben, dass wir oft nicht mal den Umweg über das Englische nehmen müssen.

Ich finde diese Art von Völkerverständigung sympathischer als die Methoden, von denen man in diesen Tagen in den Nachrichten erfährt. 

img_3219

 

 

Feedback(un)kultur

Nichts gegen Ehrlichkeit, aber seitdem sich die Menschen angewöhnt haben, zu jeder Kleinigkeit ihr Feedback abzugeben und zwar auch dann, wenn man sich nicht besonders nahe steht, geht sie mir zuweilen richtig auf den Geist.

„Als ich mich zum ersten Mal mit dir unterhalten habe, fand ich dich echt sonderbar“, sagt man zum Beispiel und plötzlich ist da eine Befangenheit, die nicht wäre, wenn die andere Person es nicht für nötig erachtet hätte, die erste Begegnung zu evaluieren.

„Ich an deiner Stelle hätte jetzt anders reagiert, als dein Kind aufsässig wurde“, bemerkt jemand, den du kaum kennst und schon fühlst du dich andauernd einem kritischen Blick ausgesetzt, wenn es in Anwesenheit dieser Person zu einer spannungsgeladenen Situation mit den Kindern kommt.

„Als du dich zu uns gesetzt hast, hat mich das erst einmal gestresst, weil ich mich gerne mit der anderen Person fertig unterhalten hätte, aber jetzt war es doch noch ganz unterhaltsam zu dritt“, schliesst jemand eine lockere Gesprächsrunde ab und schon ist ein eben noch wunderbarer Moment verdorben. 

„Jetzt, wo ich mal bei dir zu Hause war, bin ich echt beruhigt. Es gibt tatsächlich Leute, die noch mehr Chaos haben als ich“, sagt ein seltener Gast und du fragst dich, ob das jetzt wirklich ein Kompliment hätte sein sollen. 

„Ach, wissen Sie, das macht doch nichts, wenn man ein wenig rundlicher ist. Hauptsache man ist gesund und ein netter Mensch“, sagt ein fast Fremder jovial und du denkst, dass dies doch eigentlich eine Angelegneheit zwischen dir und deiner Waage wäre. 

„Das Essen war ganz in Ordnung, aber ich hätte das Risotto etwas länger gekocht“, lässt dir eine entfernte Verwandte über deinen Mann ausrichten und von nun an hast du irgendwie keine Lust mehr, dir für diese Person allzu viel Mühe zu geben beim Kochen. 

Himmel, muss man denn wirklich immer sagen, was man denkt? Andauernd gibt jeder ungefragt eine Rückmeldung und irgendwann fängst du an, dich nach der guten alten Höflichkeit zu sehnen, die den Menschen gebot, gewisse Dinge ungesagt zu lassen. 

img_9748