Verstanden

Wer schon mal bei mir an eine Geburtstagstafel gesessen hat, kennt die Szene: Ich trage die Torte auf, die Gäste bewundern sie gebührend und ich sage: „Na ja, weisst du, hier oben müsste sie eigentlich blaugrün sein und nicht grasgrün. Die Marzipanrosen sind auch nicht so schön geworden, wie ich sei mir vorgestellt habe. Und so richtig aufgegangen ist der Kuchen auch nicht.“ Die Gäste protestieren, ich insistiere und am Schluss hat keiner mehr Lust auf Kuchen. 

„Warum mache ich das eigentlich?“, fragte ich mich heute, als ich im Morgengrauen in der Küche stand und einmal mehr ohne Erfolg versuchte, Luises Geburtstagstorte so hinzukriegen, wie ich sie mir vorgestellt hatte. „Reicht es denn nicht, dass ich mir alle Mühe der Welt gebe? Muss es denn auch perfekt sein?“ Das muss es nicht, beschloss ich.

(Warum, werde ich gleich sagen, doch erst muss ich dich, die du dies jetzt mit einem unverschämten Grinsen auf dem Gesicht mitliest, darum bitten, dieses Grinsen abzustellen. Oh ja, ich weiss genau, was du dir beim Lesen denkst. „Wie oft hab‘ ich dir das schon gesagt? Mindestens einmal an jedem Zoowärter-Geburtstag.“ Natürlich hast du es gesagt, aber du weisst ja, dass ich immer etwas länger brauche, bis ich die Dinge begreife. Jetzt also habe ich begriffen und darum darfst du aufhören zu grinsen.)

Ja, ich habe endlich begriffen, dass ich – wie so viele andere Mütter – einem Ideal nacheifere, das ich nicht erreichen muss. Klar, ich kann mir alle Gadgets zulegen, die früher nur Profis kaufen konnten, die speziellen Zutaten bekommt man inzwischen ebenfalls problemlos und im Internet wimmelt es von Anleitungen, die einem Schritt für Schritt zeigen, wie es gehen müsste. Und schon kann ich mitspielen im Rollenspiel, das da heisst „Jede(r) ist ein Meisterbäcker“.

Oh ja, es macht durchaus Spass, dieses Spiel zu spielen und es gibt Mitspieler(innen), die es zu erstaunlicher Professionalität bringen. Ihnen gelingen die ausgefallensten Kreationen, die sie zu Recht mit Stolz der virtuellen Öffentlichkeit präsentieren. Einige eröffnen gar ein nettes kleines Kaffee und werden in Zeitschriften portraitiert. Wir anderen staunen, wie Laien derart beeindruckende Backwerke zustande bringen und weil wir im gleichen Spiel mitspielen, glauben wir, wir müssten das auch können. Würden die gleichen Torten im Schaufenster einer Konditorei stehen, kämen wir nicht im Traum auf die Idee, nachmachen zu wollen, was wir sehen. Kreieren aber unsere ungelernten Mitspieler(innen) ein Kunstwerk, das einen vor Neid erblassen lässt, glauben wir müssten das auch können.

Warum auch nicht? Wir arbeiten ja mit den gleichen Zutaten, den gleichen Gadgets und nach den gleichen Rezepten wie sie, da sollten wir doch auch fertigbringen, was sie schaffen. Aber genau an diesem Punkt liege ich – liegen alle, die so ticken wie ich – falsch, denn bloss weil man das richtige Material hat, bedeutet das noch lange nicht, dass man auch das Talent dazu hat, die Dinge so zu machen, wie sie bei den anderen aussehen. Darum habe ich beschlossen, nicht mehr mitzuspielen und die Torten in Zukunft so zu backen, wie ich es kann. Nicht perfekt, aber mit Fantasie, viel Liebe und einem anständigen Rezept, damit man das Zeug auch essen kann. 

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Lobhudelei oder so

Das war wohl nicht so klug von mir, hier über die Blind Dates zu schreiben, die „Meiner“ für mich organisiert. Von
nun an werde ich nämlich nicht mal die leiseste Kritik an ihm anbringen dürfen, ohne dass der weibliche Teil meiner Leserschaft – also etwa 99,9% – mich unter lautem Protest daran erinnert, dass dieser Mann mich auf Händen trägt. Keine(r) wird mir je wieder glauben, dass auch er seine Macken hat. Sollte ich mich jemals bitter über liegengebliebene Drecksocken oder zu lautes Schnarchen beklagen, wird man mich als seiner unwürdig erklären. Und sollte ich je auf den Gedanken kommen, zu erwähnen, dass er nicht nur Macken, sondern auch zwei oder drei richtige Fehler hat, wird man mir das Beziehungsrecht entziehen. Ich bin also von nun an verpflichtet, ihn in der Öffentlichkeit über allen grünen Klee zu loben und die Dinge, die nicht so grossartig sind, mit ihm privat zu besprechen. Was mir eigentlich ganz recht ist, denn Frauen, die überall ihren Mann schlecht machen, sind nicht so mein Fall. Hat sie ja – in den meisten Fällen hierzulande – niemand dazu gezwungen, genau diesen und keinen anderen zu nehmen.

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Blind Date

Vierzig zu werden gehört nicht gerade zu meinen Lieblingsbeschäftigungen, aber mit „Meinem“ an der Seite ist es ganz erträglich. Der hat sich nämlich gedacht, es sei blöd, erst im Oktober zu feiern und schenkt mir deswegen jeden Monat eine Kaffeepause mit einer Freundin, einer Schwester, einer… Na ja, ich weiss nicht so genau, wen er alles ausgesucht hat, denn er verrät rein gar nichts. Er sagt mir nur, wann ich wo sein muss und dann kann ich mich überraschen lassen, wer da mit einem Gutschein, den „Meiner“ organisiert hat, auf mich wartet. Eine typische „Meiner“-Idee: Spontan, geheimnisvoll und perfekt auf meine derzeitigen Bedürfnisse zugeschnitten. 

Natürlich freue ich mich wie ein kleines Kind über dieses Geschenk und wie ein etwas grösseres Kind frage ich mich insgeheim: „Was, wenn die Frau, die er zu einem Kaffeeklatsch mit mir verdonnert hat, gar nicht mit mir kaffeeklatschen will?“ Allzu lange denke ich aber nicht über diese Frage nach, denn „Meiner“ hat mir versichert, die Frauen, die er bis jetzt kontaktiert habe, seien alle begeistert. Na, dann will ich ihm mal glauben…

Einen klitzekleinen Haken hat diese grossartige Geschenkidee natürlich trotzdem: Ich muss meine Arbeit vorholen. Darum werde ich jetzt schön brav eine Nachtschicht einlegen, um die Kolumne zu schreiben, die ich morgen, wenn ich beim Kaffee sitze, schreiben würde. Und die Wähe für das Mittagessen mache ich dann im Morgengrauen. Aber dieses kleine Zusatz-Schlafmanko nehme ich für einmal noch so gerne in Kauf.

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Tussispiel

Angeblich studieren sie, doch davon bekommt man herzlich wenig mit, denn man kann sie stets nur dabei beobachten, wie sie sich in Pose werfen, von einem noch hübscheren Kleidchen träumen und das Smartphone zücken. Trotzdem bekommen sie regelmässig ein nettes Sümmchen ausbezahlt, wenn sie aufräumen, finden sie haufenweise Geld, Schmuck, Tablets und Kristallgläser, sogar ihre Kätzchen spüren in jedem Winkel des stets grösser werdenden Hauses Geld und Gold auf. Wenn ihr Angebeteter ihnen eine Rose überreicht gibt’s noch ein wenig Taschengeld dazu, doch einen Angebeteten bekommt man nur, wenn man sich richtig verhält: Er gibt das Thema vor, sie muss entsprechend antworten und erobert damit sein Herz. Antwortet sie falsch, verzieht er angewidert sein Gesicht und sie bricht in Tränen aus. Ach ja, natürlich sind sie alle gertenschlank, grossäugig und charmant.

Woher ich das alles weiss? Nun, nach unserem letzten Reinfall lasse ich Luise nicht mehr einfach so Spiele ab 12 spielen, ich will wissen, welches Frauenbild ihr dort vermittelt wird. Damit ich das weiss, muss ich stets eine Nasenlänge voraus sein. So kommt es, dass sie und ich nach dem Mittagessen auf dem Bett liegen und das Tussispiel spielen. Was zu erstaunlich tiefen Gesprächen führt, Gesprächen, die wir ohne das Spiel vielleicht nicht so ungezwungen führen würden.

Meist fängt es damit an, dass wir uns überlegen, welches Kleid in der endlosen Garderobe uns auch noch gefallen könnte. Was uns ganz natürlich zur Frage führt, wo der Unterschied zwischen chic und billig liegt, was wiederum das Thema aufkommen lässt, welcher Rock zu kurz ist, um noch als anständig durchzugehen. Damit  richten wir unseren Fokus auf die unnatürlich langen und dünnen Beine der Tussis, womit wir beim Thema „schön muss nicht schlank sein“ angelangt wären. Und plötzlich befinden wir uns nicht mehr in einem virtuellen Tussispiel, sondern in einem ganz realen, ziemlich fiesen Tussispiel, das sich tagtäglich auf dem Pausenhof abspielt: Wie schwer bist du? Und du? Und du? Wir sind bei den Lügen, die einige Mädchen erfinden, damit sie ihr wahres Gewicht nicht nennen müssen, bei der Frage, wie man dieses ungesunde Spiel endlich unterbinden könnte, ohne in den Augen aller anderen die blöde Kuh zu sein und schliesslich beim grossen Thema, wie Frau es schafft, sich ihrer Schönheit zu freuen, ohne dabei zu verdummen. 

Nein, natürlich ist dies nicht im Sinne der Erfinder des Tussispiels, dennoch bin ich ihnen dankbar, dass sie mir dabei helfen, Luise vor Augen zu führen, worum es im Leben einer Frau nicht geht. 

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Worauf es im Leben eines Mädchens – Pardon, eines Girls – wirklich ankommt

Einige Fragen aus dem Freundschaftsbuch, das Luise heute zum Ausfüllen bekommen hat:

1. Was ist das Peinlichste, was dir je passiert ist?
Wer so naiv ist, hier eine ehrliche Antwort hinzuschreiben, kann sich sicher sein, beim nächsten Krach wegen genau dieser ehrlichen Antwort vor allen blossgestellt zu werden.

2. Wer ist dein heimlicher Schwarm?
Ein Freundschaftsbuch ist genau der Ort, wo man ein solches Geheimnis preisgeben sollte. So steigt die Chance auf eine öffentliche Abfuhr erheblich. Und davon träumt ja jedes Mädchen…

3. Hast du Angst im Dunkeln?
Wer hier mit Ja antwortet, wird sich bei jeder Übernachtungsparty zum Gespött der anderen machen.

4. Hast du schon mal jemanden aus der Klasse über dir angelächelt?
Wenn ja, dann sollte man ganz dringend einschreiten, denn man weiss ja, wie das geht: Heute ein Lächeln, morgen schwanger.

5. Schminkst du dich?
Natürlich, zehn- bis elfjährige Mädchen haben ja nichts anderes zu tun.

6. Hast du schon mal einen Jungen geküsst?
Nur einen? Wo denkst du hin? Ich bin doch schon zehn Jahre alt, da hat man gewisse Erfahrungen bereits hinter sich.

7. Wärst du gerne ein Superstar?
Was denn sonst? Doch nicht etwa Ärztin, Sozialarbeiterin, Chemieprofessorin oder sonst etwas Doofes.

8. Hast du schon mal gelogen?
Heute zum ersten Mal. Beim Beantworten dieser Fragen.

Damit auch jedes Mädchen weiss, was im Leben wirklich zählt, gibt es hinten die Möglichkeit, anzugeben…

…wie oft man schon beim Coiffeur war.

…wie viele Schmuckstücke man besitzt.

…wie viele verschiedene Farben Nagellack man besitzt.

…wie viele Lieder man auswendig mitsingen kann.

…wie viele Kleider im Schrank hängen. Pardon, das Verb hängen ist etwas zu schwierig, da steht „sind“.

…wie oft man schon geflogen ist.

…wie viele TV-Serien man gesehen hat.

…wie oft man seinen Lieblingsfilm gesehen hat.

…wie viel Geld man gespart hat.

…und ganz besonders wichtig: Wie oft man die Hausaufgaben vergessen und sich verschlafen hat.

Genau so kommt man weiter im Leben, da bin ich mir ganz sicher. Wie weit jedes Mädchen, das sich ins Buch eingetragen hat, kommen wird, lässt sich mithilfe einer Abstimmung ermitteln. Der einführende Text hat mich zutiefst beeindruckt:

„Jedes Girl in eurer Clique ist einzigartig – und ganz besonders. Ist doch klar, dass ihr alle mal berühmt werdet. Wer erobert als Topmodel die Laufstege dieser Welt – und wer rockt die Bühne als Popstar? Hier könnt ihr abstimmen und Sternchen verteilen. Votet die nächsten Stars.“

Etwas traurig darüber, dass Luise gar nicht zur besagten Clique gehört, sondern das Buch eher aus Zufall in die Hand gedrückt bekommen hat, lese ich, was Luise denn werden könnte, wäre sie auch so ein einzigartiges – und ganz besonderes – Girl:

Wer von euch wird ein Topmodel werden?
Wer von euch wird die grösste Modedesignerin?
Wer wird die Charts als Popstar stürmen?
Wer wird die nächste grosse TV-Moderatorin?
Wer von euch wird Filmstar?

Ich bin so dankbar, dass Luise dieses Freundschaftsbuch ausfüllen durfte, denn jetzt hört sie vielleicht endlich damit auf, ihre Hausaufgaben zu machen, sich um kleine Kinder und Tiere zu kümmern und Krankenschwester, Kindergärtnerin oder Hebamme werden zu wollen. Hat ja doch alles keine Zukunft…

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Wenn der Kopf allmählich wieder erwacht,…

…dann stehe ich leicht verwundert vor meinem Bücherregal und frage mich, ob ich denn in den vergangenen sechs oder sieben Jahren nur Mist gelesen habe. Zum Glück finden sich zwischen den seichten Schinken auch noch ein paar echte Perlen, die ich mir voller Begeisterung gekauft habe, die mir während der Kleinkinderjahre dann aber zu anspruchsvoll waren, weshalb sie halbgelesen im Regal landeten. An anständigem Lesestoff sollte es mir in den kommenden Monaten also nicht mangeln.

…dann dürfen Filme plötzlich wieder politisch sein, dramatisch oder von mir aus auch aufregend. Einzig auf das Happy Ending bestehe ich weiterhin.

…dann antworte ich nicht mehr auf jede zweite Kinderfrage mit „Das kann ich dir im Moment nicht sagen. Ich habe es mal gewusst, aber es will mir einfach nicht mehr einfallen. Müssen wir mal im Internet nachlesen…“

…dann fällt mir auf, dass ich noch eine ganze Menge wissen und lernen möchte und zwar nicht bloss, wie man kleinen Kätzchen beibringt, nicht auf den Tisch zu springen, sondern vielleicht wieder einmal etwas ganz Komplexes, etwas, wovon ich noch nicht viel verstehe, was mich aber schon immer interessiert hat.

…dann finde ich gewisse Gespräche, die ich nun schon seit Jahren mit fremden Müttern führe, nur noch ganz schrecklich öde.

…dann möchte ich meine Tage wieder halbwegs strukturiert verbringen und mich nicht stets von „Mama, ich will Kakao und zwar jetzt sofort“ und dergleichen herumhetzen lassen. Aber natürlich nur so viel Struktur, dass immer noch genug Freiheit bleibt für „Komm doch gleich jetzt zum Kaffee, ich habe Zeit“ oder „Du willst noch ein weiteres Kapitel ‚Karlsson‘ hören? Aber gerne“.

…dann sehe ich, dass viele Dinge, die mir in den vergangenen Jahre als Berge erschienen sind, eigentlich bloss Maulwurfshügel sind, die sich relativ leicht beseitigen lassen, wenn nicht stets etwas Unvorhergesehenes dazwischen kommt.

…dann erkenne ich, wenn ich ganz lange in den Spiegel schaue, wieder Spuren der Frau, die ich war, ehe ich Mutter wurde. Nein, ich möchte nicht zurück, um nichts in der Welt. Aber es freut mich doch, dass diejenige, die da mal war, nicht vollends verschwunden ist. Im Gegenteil: Mir scheint, sie würde ganz gerne hin und wieder zu einem Tässchen Tee kommen, um an alte Zeiten anzuknüpfen. Wir zwei, das muss man wissen, haben damals nämlich stets Tee getrunken, was man sich nur leisten kann, wenn man nicht ganz dringend Koffein braucht, um weitermachen zu können.

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Sogar noch viel altmodischer

Diesmal verstehen mich auch die Mütter nicht, die mich gewöhnlich bestens verstehen. Ich will nämlich nicht, dass Luise sich „Germany’s next Topmodel“ ansieht. Ja, ich weiss, das läuft jetzt gerade nicht, aber im Internet findet man bekanntlich alles und Luise bekommt meine Erlaubnis nicht, sich den Mist reinzuziehen. Vielleicht ausnahmsweise mal, wenn ich dabei bin und ihr erklären kann, warum sie sich die lebendigen Schaufensterpuppen nicht zum Vorbild nehmen soll, aber ansonsten bleibe ich vorerst hart und mit dieser Haltung stosse ich auf ziemlich viel Unverständnis.

Dann fange ich eben an zu erklären. Dass Luise gerade mal zehn Jahre alt ist und andere Dinge im Kopf haben sollte. Dass sie auch ohne Möchtegern-Model-Gezicke schon zickig genug ist und sie nicht noch weitere Anleitung dazu braucht. Dass sie nicht den Eindruck bekommen soll, dieser Frauen-Fleischmarkt sei eine tolle Sache. Und vor allem, dass die Mädchen in Luises Alter jetzt schon darum wetteifern, wer die Leichteste von allen ist und dass die Frage „Mama, findest du mich dick?“ für meinen Geschmack zu oft gestellt wird.

Oh ja, ich werde es ihr nicht ewig verbieten können und eines Tages, wenn sie das Ganze als lächerliches Getue abtun kann, werden wir zwei uns vermutlich vor dem Fernseher kringeln vor lauter Lachen. Diese Zeit aber ist noch nicht gekommen und darum bleibt die Sendung vorerst einmal verboten. Daran halte ich fest, auch wenn Luise das ganz und gar nicht toll findet und diesmal sogar gute Freundinnen ihre Köpfe über meine Ansichten schütteln.

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„Starke Frau“

Ihr seid äusserst freigiebig mit der Vergabe des Ordens. Ob eine Frau nun neben den Kindern eine steile Karriere hinlegt, ob sie wegen eines Schicksalsschlags ihre Kinder alleine grosszieht, ob sie ehrenamtlich mehr bewegt, als ihr euch vorstellen könnt, ob sie mehr Kinder hat als der Durchschnitt, ob sie mit ihrer Familie unter widrigsten Umständen geflüchtet ist und nun von der Hand in den Mund lebt, ob sie trotz schwerer gesundheitlicher Probleme nicht aufgibt, oder ob sie mutig ihren ganz eigenen Weg geht, ihr habt das Label stets griffbereit: Starke Frau.

Oh ja, ich weiss, ihr meint es als Kompliment. Ihr wollt damit ausdrücken, dass ihr nie in der Lage wäret, das zu tun, was die andere tut. Ihr glaubt, ihr würdet damit einer Frau die Anerkennung geben, die sie in euren Augen verdient hat. In Wirklichkeit aber drängt ihr diese Frau in eine sehr einsame Ecke. Ihr attestiert einem ganz gewöhnlichen Menschen Superkräfte und ignoriert damit die Tatsache, dass auch „starke Frauen“ Momente der Verzweiflung kennen. Gut, vielleicht ist es nicht der abgebrochene Fingernagel, der ihnen die Tränen in die Augen treibt, sondern die Erkenntnis, nicht allen berechtigten Ansprüchen gerecht werden zu können. Vielleicht hält die Frau tatsächlich länger durch, als ihr es euch selber zutrauen würdet, aber ihr glaubt doch nicht etwa, die Frau, die ihr aufs Podest gehoben habt, empfinde weniger Schmerz als ihr, wenn mal einfach alles zuviel wird? Glaubt ihr denn wirklich, sie würde nie verzweifelt schluchzen, nie die Hoffnung schwinden sehen?

Nun gibt es natürlich vereinzelt Frauen, die ihre dunklen Stunden sehr gut zu verbergen wissen. Die meisten „starken Frauen“ aber, die ich kenne, betonen immer und immer wieder, dass sie sich keinesfalls sonderlich stark fühlen. Viele von ihnen weisen wiederholt auf ihre Grenzen hin, manche suchen verzweifelt nach Gelegenheiten, auch mal jemandem das Herz ausschütten zu dürfen. Wie aber soll das gehen, wenn der Satz „Du hast ja immer alles im Griff“ schon fällt, ehe die „starke Frau“ zu erzählen begonnen hat?

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Wirkungsvoll

Im November 2012 stellt die Hausärztin fest, dass Mama Vendittis Eisenspeicher bedenklich leer ist. Weil Mama Venditti ohnehin gerade ins Ländli fährt, gibt die Ärztin ihr das Blatt mit den Laborwerten mit, damit die Ländli-Ärtzin weitersehen kann. Mama Venditti kommt mit einer Schachtel voller pinkfarbener Eisentabletten und einem Multivitaminpräparat für Senioren nach Hause. Die Kügelchen zeigen zwar keine Wirkung, aber immerhin hat man so getan, als täte man etwas. Die Fachärztin, bei der Mama Venditti ab und zu auch in Behandlung ist, findet, das reiche nicht und schickt Mama Venditti zurück zur Hausärztin. Noch einmal Blutprobe, der Eisenspeicher ist noch immer bedenklich leer. Man rät Mama Venditti zur Eiseninfusion, wogegen sich Mama Venditti zwar sträubt, aber weil sie sich auf die Dauer keinen zweistündigen Mittagsschlaf leisten kann, all die Präparate bis anhin nichts gebracht haben und sie nicht bereit ist, dem Eisenwert zuliebe wieder Fleisch zu essen, willigt sie schliesslich ein. Also schickt die Hausärztin Mama Venditti ins Kantonsspital Olten. Noch einmal Blutentnahme, eine Woche später Besprechung beim Arzt und dann – vielleicht irgendwann Ende April – der Versuch, ob die Eiseninfusion etwas bringt oder ob Mama Venditti zu den Frauen gehört, die nicht auf die Behandlung ansprechen oder die das Zeug am Ende gar nicht ertragen.

Irgendwann wird die Krankenkasse Mama Venditti wohl vorhalten, sie gehöre auch zu denen, die dafür sorgen, dass die Gesundheitskosten ins Unermessliche steigen dabei hätte sie auch ohne das ganze Theater gewusst, dass der Eisenspeicher bedenklich leer ist. Das ist er nämlich bei fast allen Frauen, die kaum mehr ihre Augen offen halten können.

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Ich hab‘ jetzt wieder Zeit…

… den Menüplan nicht nur zu erstellen, sondern auch tatsächlich zu kochen, was ich geplant habe, anstatt jeden Tag um fünf vor zwölf entnervt zu rufen: „Dann gibt’s halt schon wieder Pasta Pomodoro!“ Und wenn ich für das geplante Menü neunzig Minuten am Herd stehe, obschon im Rezept dreissig Minuten angegeben waren, dann kann ich mit Hundeblick und leisem Vorwurf in der Stimme klagen: „Für euch habe ich mich so lange abgerackert und jetzt wollt ihr nur Brot essen…Na ja, immerhin ist das Brot auch selbst gebacken.“

… die Zeitung und insbesondere die Diskussionen um das richtige Familienmodell genau durchzulesen. Weil ich die Vor- und Nachteile der verschiedenen Varianten aus dem eigenen Leben kenne, fühle ich mich dazu berechtigt, mich über jede einzelne einseitige Aussage von frisch gebackenen SVP-Müttern zur ausserfamiliären, innerfamiliären und überfamiliären Kinderbetreuung aufzuregen. Eigentlich müsste ich in die Familienpolitik einsteigen, aber dann müsste ich mich mit frisch gebackenen SVP-Müttern, die trotz ihrer Liebe zum Kind am politischen Mandat festhalten, herumschlagen und das wäre noch anstrengender, als mich mit dem Prinzchen darüber zu streiten, ob eine Hausfrau, die sich ein – ärztlich verordnetes -Mittagsschläfchen gönnt, als faul zu bezeichnen sei.

… den Vorratsschrank zu überwachen und darum weiss ich jetzt mit absoluter Sicherheit, wer der Schokoladendieb ist, bzw. wer die Schokoladendiebe sind. Der schlimmste Langfinger ist „Ich war’s ganz bestimmt nicht, Mama, ich schwör’s dir“, der zweitschlimmste ist „Ich esse ganz bestimmt nie etwas zwischen den Mahlzeiten, ich kann mir auch nicht erklären, warum die Hose schon wieder zu eng ist“ und der drittschlimmste ist „Ich mag gar keine Schokolade, also war ich es ganz bestimmt nicht“. Interessanterweise ist „Meiner“, den ich für den Schlimmsten gehalten hatte, kaum je beim Stehlen zu erwischen. Der kauft sich die Schokolade unterwegs uns lässt das leere Papier dann im Auto liegen.

… mich nicht nur darüber aufzuregen, dass die Französischlehrerin die Noten jedes einzelnen Schülers der Klasse vorliest, sondern auch in Erwägung zu ziehen, mit ihr das Gespräch zu suchen und zwar nicht, weil Luise zu den Schlechtesten gehört, sondern weil sie es so unglaublich unfair findet, dass die mit den meisten Fehlern vor allen blossgestellt werden. Ich würde mit meinem Gespräch also meinen kleinen Beitrag zu mehr Gerechtigkeit auf der Welt leisten, wenn ich die Lehrerin darauf aufmerksam machte, dass ihr Verhalten pädagogisch ziemlich fragwürdig ist.

… Arzttermine, Besuche, Karlssons Prüfungsdaten und schulfreie Nachmittage in mehrere Kalender einzutragen. Ja, ich kann mir inzwischen sogar einen Reminder schicken lassen, wann ich mit Kochen anfangen muss, damit die Zeit für das ausgewählte Rezept reicht. Blöd ist nur, dass meine Mutter jetzt den gleichen Reminder auf ihrem Gerät bekommt. Sie war einigermassen erstaunt, als sie um halb elf die Nachricht bekam, in einer halben Stunde müsse sie Maisbällchen mit Curry zubereiten. Aber ich habe ja Zeit, noch ein wenig am System zu feilen.

… neue Luftschlösser entstehen zu lassen, aber wenn ich dann spüre, wie ermüdend schon das Wenige ist, das ich im Moment leiste, dann denke ich, dass es noch eine ganze Weile dauern wird, ehe ich wieder mit etwas anderem als Luft bauen baue.

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