Aufsichtspflicht

Prinzchen hat sich mit zwei Freunden zum Spielen verabredet, der eine von beiden taucht mit seinem grossen Bruder im Schlepptau auf. Perfekt, denn so hat der Zoowärter auch einen Spielkameraden und muss Prinzchen nicht die Gäste abspenstig machen. Bald rennen alle zusammen lachend und schreiend ums Haus, wenig später stösst Prinzchens bester Freund dazu, der FeuerwehrRitterRömerPirat und sein bester Freund schliessen sich ebenfalls an, irgendwann saust einer von Zoowärters Freunden auf dem Trottinett herbei und beschliesst zu bleiben. Einer, der nicht so leicht Anschluss bei Gleichaltrigen findet, schliesst sich der Gruppe ebenfalls an, hin und wieder schauen gar ein paar Mädchen vorbei. Aus sicherer Distanz und mit der wachsamen Mama im Hintergrund beobachten zwei Kleinkinder das wilde Spiel der Grossen. Genau so war Kindheit früher auch. Genau so sollte sie auch heute noch sein, nicht wahr?

Aber klar doch. Der Haken ist nur, dass heute zwar alle dieses Idealbild der wilden, erwachsenenfreien Kindheit beschwören, gleichzeitig aber nicht damit leben können, dass diese Freiheit auch Gefahren mit sich bringt. 

Wenn sich also plötzlich der ganze Trupp um unser Haus versammelt, stimmt mich dies glücklich und unruhig zugleich. Die Verantwortung für die Horde liegt jetzt bei mir, das weiss ich ganz genau. Falls einem der lieben Kleinen im wilden Spiel ein Härchen gekrümmt wird, bin ich daran schuld und keiner wird fragen, ob das betreffende Kind bei uns eingeladen war, oder ob es dazugestossen und einfach geblieben ist. 

Ich habe also die Wahl: Alles stehen und liegen lassen und die wilde Horde diskret beaufsichtigen, damit sie nichts davon bemerken und sich trotzdem so frei fühlen, als wäre kein Erwachsener zugegen. Oder nur die Kinder dabehalten, deren Eltern mit ein paar Kratzern und Beulen leben können und den ganzen Rest nach Hause schicken. 

Irgendwie finde ich beides nicht so toll. 

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Wenn ich mir selber so zuhöre…

In diesen Tagen gebe ich solche und ähnliche Sätze von mir:

„Feste Erziehungsgrundsätze? Na ja, bevor wir Kinder hatten, war ich mir ziemlich sicher, wie wir die Dinge handhaben würden. Inzwischen aber ist mir klar, dass jedes Kind seine eigene Persönlichkeit hat und darum versuchen wir, jedes auf seinem eigenen Weg zu begleiten.“

„Stofftiere sind etwas vom Wichtigsten. Hätte unser Karlsson nicht seinen Eisbären David gehabt, hätte wir wohl nie erfahren, wie er sich fühlt, denn wenn er traurig oder wütend war, musste David für ihn sprechen.“

„Der richtige Altersabstand? Tja, da fragst du wohl die Falsche, denn bei uns kamen die Kinder, wie sie wollten. Allgemein gültige Regeln gibt es meiner Meinung nach aber ohnehin nicht, denn jede Konstellation bringt ihre Vor- und Nachteile mit sich.“

„Wie du als Mutter sein wirst, weisst du erst, wenn du Mutter bist. Ich musste damals ganz gewaltig über die Bücher gehen, weil ich mir einiges ganz anders vorgestellt hatte.“

„Ich glaube nicht mehr an Perfektion. Meine Kinder dürfen wissen, dass ich nicht perfekt bin. Wichtig ist mir, zu meinen Fehlern zu stehen und mich zu entschuldigen, wenn ich mich daneben benommen habe.“

Hätte mir eine erfahrene Mutter damals, als ich noch keine Kinder hatte, solche Dinge gesagt, dann hätte ich wohl gedacht, die Frau habe erstens einen Knall und zweitens keine Prinzipien. Vielleicht denken die jungen Frauen, die heute von mir solche Sätze zu hören bekommen, ganz ähnlich, aber das ist mir eigentlich egal, denn immerhin habe ich mir jede einzelne dieser Überzeugungen über steinige Umwege erkämpft. 

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Dinge, die ich in den letzten Tagen gelernt habe

  • Der Satz „Die Eltern kennen ihr Kind am besten“ gilt bei gewissen Ärzten nur, solange Mama und Papa mit ihrer Einschätzung auf ihrer Linie liegen. Allzu starke Abweichungen von der ärztlichen Meinung darf sich das elterliche Bauchgefühl nicht erlauben, sonst wird es schnell einmal schwierig.
  • Es gibt auf diesem Planeten mindestens einen Spitalclown, der so umwerfend komisch ist, dass er selbst meine miese Laune zu vertreiben vermag. Der Kerl hätte vermutlich sogar unserem Bundespräsidenten den Anflug eines Lächelns aufs Gesicht gezaubert. 
  • Manche Menschen fühlen sich offenbar durch ihren Titel dazu berechtigt, ein neunjähriges Kind in Abwesenheit seiner Mutter zu fragen, ob es manchmal so verzweifelt sei, dass es nicht mehr leben wolle. Bin mir immer noch unschlüssig, ob ich es dabei belassen soll, das verwirrte Kind wieder gerade zu rücken, oder ob ich doch eine bissige Rückmeldung geben soll. (Nein, drängt mich bitte nicht dazu. Das Erstgespräch war schon eher…na ja… schwierig und ich weiss nicht ob ich mich noch einmal auf so etwas einlassen mag.)
  • Trotz allem gibt es noch ein paar ganz anständige Ärzte da draussen, mit denen sich ein Konsens finden lässt. Vielleicht hat es geholfen, dass ich irgendwann gesagt habe: „Ich lechze nicht nach Ihrer Aufmerksamkeit, ich brauche auch nicht unbedingt eine Diagnose, ich will nur, dass es meinem Kind endlich wieder besser geht.“
  • Ich brauche wirklich keine Diagnose, um glücklich zu sein. Wenn man mich endlich halbwegs ernst nimmt und zumindest versucht, den festgefahrenen Pfad zu verlassen und einen neuen zu suchen, bin ich schon ganz zufrieden. Erst recht, wenn wir diesen Pfad mehrheitlich zu Hause weitergehen können und nicht mehr in diesem engen Zimmerchen eingesperrt bleiben müssen.
  • Wobei anzumerken wäre: In diesem engen Zimmerchen ist es sehr viel erträglicher, wenn es von zwei Grossfamilienkindern geteilt wird, die sich trotz drei Jahren Altersunterschied blendend verstehen. Dieser Zoowärter findet doch einfach überall, wo er hingeht, einen Freund, mit dem er sich schieflachen kann. 
  • Bauchschmerzen sind auch so ein Thema, zu dem jeder eine Meinung hat. Eine Meinung, die übrigens meist deckungsgleich ist mit der Meinung, die diese Person über Kopfschmerzen hat. 
  • Ich brauche jetzt ganz dringend ein paar Gartentage. Also, sobald ich die verpasste Arbeitszeit nachgeholt und den Haushalt wieder im Griff habe…

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So schlimm sind sie gar nicht, die kleinen Monster

Hört man sich ein wenig um, wie die Kinder von heute so sind, könnte man glauben, sie seien allesamt gefühllose, verwöhnte Monster, die beim Spielen sinnentleerter Games allmählich verblöden und nichts als Konsum und Mobbing im Kopf haben. Natürlich gibt manche, die sich in diese Richtung bewegen, ein paar Beispiele aus dem Leben unserer Kinder lassen aber auch vermuten, dass es ganz so schlimm nicht sein kann mit der heutigen Jugend:

  • Prinzchen und seine Schulfreunde liegen sich derzeit in den Haaren, weil jeder behauptet, er sei als einziger in der Lage, an einem Tag ein ganzes Buch zu verschlingen, was die anderen natürlich nicht glauben wollen. Wenn sie fertig gestritten haben, versuchen sie, einander gegenseitig mit ihrem grossen Allgemeinwissen zu übertrumpfen. Natürlich ist das nicht besonders nett, aber allzu verblödet kommen mir diese Erstklässler nicht vor.
  • Seitdem der Zoowärter mit seinen Bauchschmerzen zu Hause ist, klingelt es öfter mal um die Mittagszeit an unserer Tür. Kinder, von denen ich teilweise nicht mal den Namen kenne, weil sie noch nie zum Spielen bei uns waren, fragen mich, wie es ihm denn geht, ob sie ihn mal besuchen dürfen und wann er endlich wieder zur Schule komme, es sei so langweilig ohne ihn. Schafft er es mal, für ein paar Stunden den Unterricht zu besuchen, jubeln seine Freunde, das sei der schönste Tag der Woche. Zwei oder drei Mädchen – in diesem Alter ja nicht gerade interessiert an doofen Jungs – liessen sich sogar dazu hinreissen, den Brief, den sie ihm alle zusammen geschrieben haben, mit Herzchen zu unterschreiben. Alles andere als gefühllos also, diese Knöpfe.
  • Der FeuerwehrRitterRömerPirat, an dem Luise seit einiger Zeit kaum ein gutes Haar lässt, bastelt im Werkunterricht für seine Schwester in liebevoller Kleinarbeit ein schillerndes Osterei, das er ihr als verspätetes Geburtstagsgeschenk überreicht. So schön ist es geworden, dass sie gar nicht anders kann als zu erkennen, wie sehr der nervige jüngere Bruder sie insgeheim mag. Sie haben eben doch ein Herz, diese kleinen Monster.
  • Luise ist im Moment eigentlich alles andere als gut zu sprechen auf die zwei Menschen, die sie gezeugt haben. Dennoch sind wir ihr ganz und gar nicht egal. „Ich sehe doch, dass du traurig bist, also sag nicht, es sei nichts, wenn ich dich frage, was los ist“, raunzte sie neulich und brachte mich dazu, ihr, die ja laut der gängigen Meinung über die Jugend von heute nur an ihrem Smartphone und der neuesten Jeans interessiert sein dürfte, mein Leid zu klagen. (Okay, ich geb’s zu, ich musste mich ganz schön kurz fassen zwischen all den Nachrichten, die in der Zeit auf ihrem Handy eingegangen sind, aber sie hat mir tatsächlich zugehört.)
  • Die Jugendlichen, die gelegentlich bei uns ins Haus kommen, um mit Karlsson an Schulprojekten zu arbeiten, sind so anständig, nett und fleissig, dass ich mich in ihrer Gegenwart wie ein vergammelter Hippie fühle, der ganz dringend sein Leben in den Griff kriegen und seine Höhle aufräumen müsste. (Bis jetzt ist es mir zum Glück noch gelungen, sie mit Selbstgebackenem daran zu hindern, mir das Sozialamt auf den Hals zu hetzen.)

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Verstaubt

Als sie neun war, war sie über alle Massen beeindruckt von Facebook. So viel Privates über so viele Menschen, die sie ja auch irgendwie kannte, war für sie, die ein ausgesprochen sozialer Mensch ist, unglaublich spannend.

Als sie zehn war, liess sie keine Gelegenheit aus, mein Facebook-Profil zu durchforsten,  sich durch die Fotos meiner Freunde zu klicken und manchmal in meinem Namen ein „gefällt mir“ zu hinterlassen, wo ich keines hätte hinterlassen wollen.

Als sie elf war, war sie der festen Überzeugung, es werde nun allmählich Zeit, dass sie auch dabei sein darf. Hätten wir es nicht ausdrücklich verboten, sie hätte sich wohl ganz ohne unsere Hilfe ein Profil angelegt. 

Kurz vor ihrem zwölften Geburtstag kam es zu einem erbitterten Streit mit Karlsson, weil sie sich selber die Erlaubnis erteilte, bei Instagram mitzumachen und natürlich kam in diesem Zusammenhang wieder die Frage auf, warum wir kleinkarierten Eltern nicht dazu bereit waren, ein Auge zuzudrücken, um ihr einen verfrühten Einstieg bei Facebook zu gestatten.

Inzwischen ist sie dreizehn und jetzt, wo sie endlich dürfte, käme es ihr nicht im Traum in den Sinn, bei Facebook mitzumachen. Ist doch alles längst Schnee von gestern. Abgesehen von den verstaubten Alten, die sich über Kochrezepte, Erinnerungen an längst vergangene Tage und Politik austauschen, treibt sich doch kein Mensch mehr dort rum.

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Verhinderte Sternstunde

Es hätte eine Sternstunde werden sollen. Einer jener heiligen Momente, wenn sich ein Musikinstrument das zu ihm passende Kind aussucht. Wie lange hatten wir uns darauf gefreut, das Prinzchen und ich. Bei ihm würde das noch wunderbarer werden als bei allen anderen, dachte ich. Er, der sich schon früh vom guten alten Johann Sebastian in den Schlaf hat wiegen lassen. Er, der eigentlich immer singt und sich schon als Zweijähriger in der Prager Metro so laut und melodiös in den Schlaf sang, dass sich alle Welt nach ihm umdrehte – vermutlich vor allem, weil der Gesang in den hallenden Gängen so klang, als sei da einer sturzbetrunken unterwegs. Er, der mit Feuereifer in die Klaviertasten greift. Er, der seit Jahren darauf hinfiebert, endlich auch ein Instrument zu lernen. Wunderbar würde das werden mit ihm bei der Instrumentenvorführung der Musikschule.

Dass es nicht ganz so wunderbar wie erwartet werden würde, zeichnete sich bereits Mitte Woche ab. Ein fieser Käfer streckte unseren Jüngsten nieder, weil er sich aber den Morgen mit den Musikinstrumenten auf gar keinen Fall entgehen lassen wollte, kam er gestern früh blass und mit zitternden Knien aus dem Bett gekrochen. In der Schule dann die grosse Enttäuschung: „Haben die nicht mehr Instrumente hier? Ich hab‘ gemeint, die hätten auch Alphorn, Tuba und Harfe“, meinte er traurig. (Später stellte sich dann heraus, dass er das mit Alphorn & Co. nur geträumt hatte, aber offenbar ausgesprochen lebhaft.) Gerade berauschend ist die Auswahl bei uns tatsächlich nicht, aber einem der Instrumente würde es bestimmt gelingen, Prinzchens Herz zu erobern, dachte ich. 

Aber der Junge war wahrlich nicht sonderlich in Stimmung, sich bezirzen und erobern zu lassen. Lustlos klimperte er am Klavier seine an Beethovens „Ode an die Freude“ angelehnte Eigenkreation, die er gewöhnlich mit viel Schwung in die Tasten haut, traurig entlockte er der Geige ein paar zittrige Töne, dann wollte er gar nichts mehr. Nur noch die Blockflöte hören, kurz bei der Klarinette vorbeischauen und dann trübselig hinter mir her trotten, weil ich unbedingt noch Zoowärters künftige Cellolehrerin kennen lernen wollte und noch schnell von der Klavierlehrerin in Erfahrung bringen musste, mit welcher Methode sie die Anfänger an die Musiknoten heranführt.

Peinlich war mir das, denn ich wusste genau, wie wir beiden aussahen, nämlich wie die übereifrige Mutter, die ihr unwilliges Kind zum Musikunterricht zwingen will, weil sie der festen Überzeugung ist, einem zukünftigen Weltstar das Leben geschenkt zu haben. Dass der Klarinettenlehrer glaubte, mir erklären zu müssen, nicht jedes Kind sei zum Musiker geboren, machte die Sache nicht besser. Im Gegenteil, ich liess mich dazu verleiten, ihm zu erklären, unser Jüngster liebe Musik über alles und bestätigte damit alles, was er schon gedacht hatte, als ich mit dem gelangweilten, hohlwangigen Prinzchen im Schlepptau ins Zimmer getreten war. 

Nun, irgendwann hatten wir alles gesehen, was unser Sohn an diesem Morgen zu sehen bereit war und um mich nicht länger dem Verdacht auszusetzen, ich wolle ihn zu etwas zwingen, was er nicht will, machten wir uns auf den Heimweg, ohne den magischen Moment, wenn Kind und Instrument sich finden, erlebt zu haben. „Was möchtest du denn nun lernen?“, fragte ich, als wir im Auto sassen. „Blockflöte“, antwortete das Prinzchen. „Und später vielleicht Klarinette.“

Blockflöte? Ausgerechnet das Prinzchen, der so liebend gerne mit viel Pedal und Getöse Klavier spielt? Jawohl, Blockflöte. Bei diesem Wunsch ist er bis heute geblieben, auch wenn er heute wieder fast ganz gesund und munter ist. Und weil er inzwischen erfahren hat, dass ich mich selber zehn Jahre lang mit dem Instrument abgemüht habe, liegt er mir jetzt bewundernd zu Füssen, wenn ich mit Mühe und Not ein fehlerfreies „Die Blümelein sie schlafen“ zustande bringe. 

Vielleicht sollten wir zusammen Unterricht nehmen. 

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Drei Mütter

Heute mal wieder eine erzwungene Kaffeepause, während Luise sich einer längeren Untersuchung unterziehen muss. Nacheinander kommen drei Mütter ins Café.

Mutter 1 mit Baby, ca. 10 Monate alt

„Das kannst du schon richtig gut. Du hast ja so viel zu erzählen. Halt dich doch mal kurz hier fest, dann gehe ich bezahlen. Willst du dir das Mützchen nicht selber anziehen? Das kannst du bestimmt schon ohne meine Hilfe.“  – Liebevoll, zugewandt, aber so viel „Hilf mir, es selbst zu tun“, dass das arme kleine Menschlein schon ganz verdattert ist.

Mutter 2 mit Tochter, ca. 2.5 Jahre alt

Rein ins Café, Bestellung aufgeben, Zeitschrift schnappen, ab und zu ein Blick aufs Kind, ansonsten Stille am Tisch, nur gelegentlich unterbrochen von einem kurzen Geplauder zwischen Mutter und Tochter. Das Kind hat ausgetrunken, die Mama nicht, also bekommt es die Jacke angezogen, wird nach draussen geschickt, damit Mama in Ruhe fertig Kaffee trinken kann, natürlich immer mit Blickkontakt durchs grosse Fenster. – Nicht kaltherzig, eher so „Du sagst mir, wenn du mich brauchst, ja?“

Mutter 3 mit Sohn, ca. 3 Jahre alt

Erst wird Söhnchens Stühlchen mit einem dicken Kissen gepolstert, dann wird bestellt, dann gibt’s einen Schleckstengel und dann wird geplaudert: „Gell, Liam, du magst Kaffeekränzchen mit der Mama. Ist das nicht schön hier? Oh, jetzt hast du aber ein grosses Stück abgebissen! Sitzt du auch richtig bequem? Ja ja, Kaffeekränzchen nur für Mama und Liam, das gefällt dir. Wenn wir fertig sind, gehen wir noch ein wenig spazieren und dann nach Hause. Aber jetzt geniessen wir erst mal unseren Kaffee.“ – Liam, Liam und nochmals Liam, bis zum Abwinken.

Dennoch wird Liams Mama die einzige sein, die dereinst beim Elterngespräch in der Schule gut ankommt. 

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Gummitwist & Co.

Ein Bild von einem Steckspiel, Gummitwist, Fadenspiele, „Himmel und Hölle“, „Schiffe versenken“, Geduldsspiele oder sonst irgend etwas pädagogisch Wertvolles, womit wir uns als Kinder die Zeit vertrieben haben. Dazu die Aufforderung: „Drück ‚Gefällt mir‘, wenn du es noch kennst.“ Auf Facebook wimmelt es von solchen Bildern. Ganz ähnlich funktioniert es mit unseren Helden aus Kindertagen. Wir sollen mit unseren Likes aller Welt zeigen, dass wir nicht vergessen haben, wie toll sie alle waren, Michel aus Lönneberga, Pipi Langstrumpf, das Sams, TKKG und wie sie auch heissen mögen. Die Botschaft ist klar: Wir hatten damals noch eine richtige Kindheit mit allem, was dazugehört. Die heutigen Kinder hingegen werden mit dem ganzen iSchrott davon abgehalten, ein lebenswertes Leben zu leben. Erinnerungen, wie wir sie in Ehren halten, wird die Generation, die heute am Start steht, nicht mehr haben. Eine hübsche kleine Moralkeule, eingehüllt in eine dicke Watteschicht von Nostalgie.

Wer das teilt, hat das Gefühl, er wisse eben noch, wie eine Kindheit sein sollte. Beweisen tut er aber eigentlich, dass er nur noch in Erinnerungen schwelgt, den Kontakt zur real existierenden Kindern scheint er verloren zu haben. Er glaubt allen Ernstes, heute sei alles ganz anders und natürlich schlechter. Okay, ich geb’s ja zu, da sind ein paar technische Neuerungen hinzugekommen, aber wenn ich mich so umsehe in den Kinderzimmern, auf den Pausenhöfen und in den Bibliotheken, dann begegne ich all den Dingen, die uns damals schon glücklich gemacht haben. Gut, Gummitwist scheint leider tatsächlich in Vergessenheit geraten zu sein, aber die meisten Kinder in meinem Umfeld – und das sind nicht wenige – wissen sehr wohl, wie man mit kleinen Plastiksteckern ein schönes Bild steckt,  manche schaffen den Rubik’s Cube fast mit geschlossenen Augen, „Himmel und Hölle“ hüpfen sie noch mit der gleichen Leidenschaft wie eh und je und „Michel in der Suppenschüssel“ kennen sie in- und auswendig.

Vielleicht sollten Erwachsene etwas weniger oft mit verklärtem Blick auf nostalgische Bilder in ihrer Facebook-Timeline starren und sich stattdessen von einem Kind in ein Fadenspiel verwickeln lassen.

Und wenn das Fadenspiel zu Ende ist, könnten sie das Kind in die hohe Kunst des Gummitwist einführen. Ist doch wirklich eine Schande, dass das heutzutage keiner mehr spielt. 

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Sinnvolle Ferienbeschäftigung

Heute wieder mal so ein unsinniger Termin: Trotz Schulferien früh aus dem Bett, den Zoowärter bei Grossmama, wo er übernachtet hat, abholen, schnell schnell alles bereit machen und ab zur Abklärung. Die Schrift sei ganz fürchterlich, haben Lehrerin und Heilpädagogin gemeint. So schlimm sei die nun auch wieder nicht, wenn man bedenke, dass der Zoowärter erstens Linkshänder und zweitens Sohn einer Linkshänderin sei, die in seinem Alter nicht schöner geschrieben hätte, finden „Meiner“ und ich. Ausserdem sei die Schnüerlischrift ja ohnehin ein Auslaufmodell. Aber man möchte ja als Eltern nicht unnötig starrsinnig sein und karrt das Kind eben zur Abklärung.

Siebzig Minuten lang wird gespielt, gefragt, geschrieben, abgezeichnet, gebaut, Zeit gemessen und was sonst noch so alles dazu gehört, dann der Befund: So schlimm ist das nun auch wieder nicht mit dieser Schrift, vor allem, wenn man bedenkt, dass der Zoowärter erstens Linkshänder und zweitens Sohn einer Linkshänderin ist, die in seinem Alter auch nicht schöner geschrieben hat. Eine Therapie ist nicht nötig, Lehrerin und Heilpädagogin sollen sich ein wenig entspannen, die Schnüerlischrift ist ja ohnehin ein Auslaufmodell, also soll man den Zoowärter nicht unnötig damit belasten. Man soll die Therapieplätze für die Kinder freihalten, die sowas auch wirklich nötig haben. Wunderbare Einigkeit zwischen Mutter und Therapeutin, die beide schon oft erlebt haben, dass es am hilfreichsten ist, dem Kind einfach Zeit zu lassen. 

Nach neunzig Minuten wieder nach Hause. Ich mit einem leisen Groll, weil man dem Zoowärter mit der ewigen Kritik an seiner Schrift die Freude am Schreiben genommen hat, er mit einem leisen Groll, weil er kein Fall für die Therapeutin ist. Dabei hatte er sich doch so sehr auf die tollen Sachen gefreut, die er dort hätte machen dürfen. 

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Begegnung mit einem früheren Ich

Neulich beim Aufräumen traf ich zufällig eines meiner früheren Ich. Nicht eines von ganz früher, so ein unbeschwertes Ding, frei von jeglicher Verpflichtung, sondern ein abgekämpftes mit tiefschwarzen Augenringen. Natürlich kamen wir sogleich miteinander ins Gespräch:

Früheres Ich (FI): Wie siehst du denn aus?

Ich (I): Wie soll ich schon aussehen? So wie eine fünffache Mutter, die zu wenig schläft, zu wenig für ihre Figur tut und kaum einen Moment zur Ruhe kommt, halt aussieht.

FI: Du schläfst zu wenig? Das ich nicht lache! Jetzt, wo die Kinder alle gross sind, gibt es doch keine durchwachten Nächte mehr.

I: Du hast ja keine Ahnung. Luise schläft so schlecht wie eh und je…

FI (unterbricht mich): Das glaube ich dir nicht. So schlecht, wie damals, als ich mit dem Zoowärter schwanger war und auf dem Zahnfleisch ging, kann es nie und nimmer sein.

I: Noch einmal: Du hast ja keine Ahnung. Mag ja sein, dass sie nachts nicht mehr ganz so lange wach ist wie damals, aber in meinem Alter steckt man das auch nicht mehr so leicht weg, wenn das Kind regelmässig mitten in der Nacht neben dem Bett steht und über Schlaflosigkeit klagt. Du warst damals ja noch blutjung und unverbraucht.

FI: Unverbraucht? So fühlte ich mich aber ganz und gar nicht.

I: Ich hab neulich Bilder gesehen. Du sahst eindeutig besser aus als ich.

FI: Finde ich auch und ich frage mich, was du falsch machst. Ich meine, du hast ja jetzt jeden Vormittag ganz für dich alleine, kannst tun und lassen, was du willst, die Kinder sind eigenständig und du kannst mit „Deinem“ in den Ausgang, so oft du Lust hast.

I (mit einem zynischen Lachen): Ich weiss ja gar nicht, bei welchem Punkt ich anfangen soll, dich zu korrigieren…“

FI (erstaunt): Warum willst du mich korrigieren? Genau so habe ich mir die Zukunft in meinen süssesten Träumen vorgestellt. Du willst mir jetzt nicht etwa sagen, es sei anders gekommen?

I (seufzend): Tja, ich muss dir leider sagen, dass du die Zukunft etwas gar zu rosig ausgemalt hast. Das mit den freien Vormittagen zum Beispiel ist bei Weitem nicht so toll, wie du immer gedacht hast. An guten Tagen hast du die ganzen vier Stunden, um ungestört deinem Broterwerb nachzugehen, an komplizierten Tagen versuchst du, kranke Kinder, Haushalt und Job irgendwie parallel laufen zu lassen und an schlechten Tagen rennen ein kranker Lehrer, eine kaputte Waschmaschine, ein zu lange dauernder Arzttermin und eine verschobene Trompetenstunde alle deine Pläne über den Haufen…

FI: Das klingt ja ganz ähnlich wie bei mir damals…

I: So ist es auch, mit dem Unterschied, dass ich den Kindern jetzt erklären kann, weshalb ich explodiert bin. Du musstest ja jeweils damit klarkommen, dass sie dich mit traurigen Augen verständnislos ansahen, wenn du wie eine Furie durchs Haus gewetzt bist.

FI: Das war tatsächlich schlimm. Aber sag mal, mit „Deinem“ ist es jetzt bestimmt schon wieder fast wie vor meiner Zeit, als noch keine Kinder da waren.

I: Schon mal davon gehört, dass Teenager nicht um acht Uhr ins Bett gehen? Und von Hausaufgaben, die nach dem Abendessen erledigt sein wollen? Und von Prüfungsängsten, die sich immer dann bemerkbar machen, wenn die Eltern es sich mit einem Tässchen Tee gemütlich gemacht haben?

FI: Sooo schlimm wird das auch wieder nicht sein. Und ihr könnt ja jetzt auch so problemlos in den Ausgang gehen. Karlsson schmeisst den Laden doch bestimmt schon ganz alleine.

I: Karlsson macht das tatsächlich ganz gut, aber der Junge hat ja inzwischen auch seine eigenen Termine. Der ist nicht einfach auf Abruf verfügbar.

FI: Ach so, daran habe ich damals nicht gedacht. Aber im Sommer gehen sie jetzt doch bestimmt schon alle gleichzeitig ins Jungscharlager und ihr habt eine ganze Woche für euch.

I: Okay, wo soll ich anfangen? Bei Karlsson, der Luxus liebt und schlammige Zeltplätze verabscheut? Bei Luise, die sich jetzt auch schon zu erwachsen fühlt für die Jungschar? Beim Prinzchen, der erst übernächstes Jahr gross genug ist, um mit ins Lager zu fahren? Wo auch immer ich anfange, das Resultat bleibt das gleiche: Die Sache mit der freien Woche, weil alle gleichzeitig im Lager sind, war ein Luftschloss, das sich aufzulösen begann, bevor der Jüngste aus den Windeln war. Du hättest also ahnen können, dass es so kommt.

FI (betrübt): Dann ist also nichts so geworden, wie ich es mir erträumt habe…

I (tätschle ihr tröstend die Hand): Na ja, zumindest einer deiner Träume ist in Erfüllung gegangen. Ich kann jetzt wieder ganze Nächte lang dicke Schmöker lesen. Auf die eine schlaflose Nacht mehr oder weniger kommt es nach all den Jahren auch nicht mehr an.

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